Skip to main content
Headergrafik: ©nito - stock.adobe.com

Themenwochen , Antifeminismus

Deutsche Normalität: Rechte Homosexuelle und die AfD

06. Oktober 2021 Patrick Wielowiejski

Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) führte ihren Wahlkampf zur Bundestagswahl 2021 unter einem simplen Claim: „Deutschland. Aber normal“. Wer mit gender- und queertheoretisch geschultem Blick durch die Welt geht, erkannte sofort, dass damit auch die ‚Normalität‘ von Patriarchat, Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität gemeint war, für die rechtspopulistische Parteien wie die AfD stehen. Doch welches Doing von Geschlecht und Sexualität geht für die AfD eigentlich als ‚normal‘ durch?

Mit „Martin Schmidt“ durch den Tag

Die Wahlkampagne setzte auf weiße, heteronormative Kernfamilien mit männlichem Ernährermodell: Einer der Spots folgte einem „Martin Schmidt“ durch den Tag („Ich bin Ehemann, Vater und Industriemechaniker. Ich lebe ein ganz normales Leben, stehe früh auf und sorge für meine kleine Familie, wie es eben geht“). In einem anderen Spot war eine weiße siebenköpfige Familie inklusive Großeltern beim glücklichen Abendessen zu sehen. In einem lesenswerten Essay für die taz analysiert die Kulturanthropologin Claudia Liebelt (2021) anhand dieses Spots, dass ‚Normalität‘ keineswegs so unschuldig ist, wie die Wahlkampagne suggerieren sollte.

In der Partei selbst finden sich jedoch auch in der ersten Reihe Politiker_innen, die persönlich diesem Bild nicht entsprechen: Jörg Meuthen ist in dritter Ehe verheiratet, Beatrix von Storch ist kinderlos, Alice Weidel lebt in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und hat zwei Söhne. Alles ‚Anormale‘? Basierend auf den Ergebnissen meiner ethnografischen Feldforschung in der AfD zwischen 2017 und 2019 (Wielowiejski 2018, 2020) möchte ich in meinem Beitrag zeigen, dass jene AfD-Politiker_innen, deren Lebensentwürfe von den heteronormativen, familialistischen Werten der eigenen Partei abweichen, einen gewissen Aufwand betreiben, um den Ansprüchen der Norm dennoch genügen zu können. Da insbesondere Homosexuelle in der AfD schnell unter ‚Gender-Verdacht‘ geraten, liegt mein Fokus auf ihren Narrativen und Praktiken.

„Schutzmacht“ für Lesben und Schwule

Da ist erstens die bereits erwähnte Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag und Spitzenkandidatin bei der Bundestagswahl 2021. Ihr öffentliches Coming-out hatte sie bereits während des Bundestagswahlkampfs 2017 bei einer Rede im hessischen Viernheim. Darin räumte sie zwar ein, in Bezug auf die rechtliche Gleichstellung eine andere Meinung zu haben als ihre Partei: „So viel Freiheit gestehe ich mir ein“. Doch sie argumentierte dann, nicht nur bestehe deswegen zwischen ihr und ihrer Partei kein Widerspruch, sondern es sei vielmehr folgerichtig, als homosexuelle Frau in der AfD aktiv zu sein: „Muslimische Gangs machen in letzter Zeit förmlich Jagd auf Homosexuelle und das mitten in Deutschland, und das ist ein Skandal!“ In einem am selben Tag veröffentlichten Interview auf dem Blog von David Berger, dem katholischen Theologen und ehemaligen Chefredakteur der Schwulenzeitschrift „Männer“, brachte Weidel es auf den Punkt: „Die AfD ist die einzige echte Schutzmacht für Schwule und Lesben in Deutschland“ (Berger 2017).

Offensiver Umgang mit Diskriminierung

Dieses scheinbar ‚homofreundliche‘ Argument auf der Grundlage von antimuslimischem Rassismus blendet einfach aus, dass Rechtspopulist_innen homosexuelle Lebensformen als weniger wertvoll erachten als heterosexuelle. So formulierte zum Beispiel die hessische AfD in ihrem Programm zur Landtagswahl 2018 unmissverständlich, dass sie es ablehne, „wenn Kindern die Akzeptanz vielfältiger sexueller Verhaltensweisen vermittelt und insbesondere Homosexualität und andere sexuelle Orientierungen (LSBTTIQ) als gleichwertige Erscheinungsformen menschlicher Sexualität dargestellt werden, noch dazu, wenn sie gleichberechtigt neben der gesetzlich geschützten Ehe stehen sollen“ (Programm zur hessischen Landtagswahl 2018, S. 32).

Weidel scheint inzwischen verstanden zu haben, dass sie mit dieser offensichtlichen Diskriminierung offensiv umgehen muss. Zwei Jahre nach ihrem Coming-out sprach sie in einem Interview mit der Schweizer „Weltwoche“ ausführlich über ihre Familie. Zum einen antwortete sie auf die Frage, ob sie parteiintern damit Probleme gehabt habe, „nicht gerade dem AfD-Klischee einer Partei mit konservativem Familienbild“ zu entsprechen, unumwunden mit: „Klar. Heute noch“. Zum anderen bediente sie aber auch konservative Narrative und ließ ihre eigenen Werte dadurch im Einklang mit denen der AfD erscheinen: „Kinder brauchen unbedingt Vater und Mutter. Oder einen Mann oder eine Frau, welche diese Rolle einnimmt. Bei uns haben die Kinder beide Kontakt zu ihren Vätern, und wir haben auch liebe männliche Freunde, die immer wieder mal mit den Buben etwas unternehmen und deren Interessen ‚Fussball‘ und ‚schnelle Autos‘ abdecken – wir haben nur einen Skoda… Wir können das leider nicht bieten“ (Bandle/Köppel 2019).

Homonormative Gleichheit

In dieser Erzählung verschiebt Weidel die Grenze zwischen ‚normal‘ und ‚anormal‘ so, dass sie und ihre Familie nun zu den regelrecht ‚stinknormal‘ Gegenderten gehören. Auf der anderen Seite der Grenze stehen nun jene Familien, die den Dualismus von Mutter und Vater nicht reproduzieren. Explizit beschreibt Weidel in dem Interview ihre Ablehnung einer anonymen Samenspende: „Ansonsten wird das Kinderhaben zur reinen Selbstverwirklichung der Eltern, zum Ego-Projekt“ (Bandle/Köppel 2019).

In meiner Dissertation unterscheide ich zwei verschiedene und teilweise im Konflikt miteinander stehende Arten und Weisen, in denen Homosexuelle die Werte der AfD verkörpern können. Die erste, zu der ich auch Weidels Narrativ zähle, folgt einer diskursiven Logik der homonormativen Gleichheit. Hier erscheinen homosexuelle Lebensweisen als dermaßen ‚normal‘, dass sie im Grunde nichts von Heterosexuellen unterscheidet: Ihr Verhalten und ihr Stil sind eindeutig männlich oder weiblich codiert, sie leben in auf Dauer angelegten, monogamen Partnerschaften und wollen als Homosexuelle nicht auffallen. Unter dieser Bedingung können sie im politischen Imaginären der AfD toleriert werden, denn die zweigeschlechtliche, heterosexuelle Normalität stellen sie nicht infrage. In ihren alltäglichen Praktiken und Erzählungen bleibt letztlich nur eine einzige Sache, die die Verfechter_innen der homonormativen Gleichheit überhaupt noch von Heterosexuellen unterscheidet – der Sex selbst. Doch dieser gehört für sie ohnehin in den unpolitischen Raum des Privaten. Deswegen verbietet es sich für sie auch, auf der Grundlage der eigenen Homosexualität politisch zu handeln: Ein Engagement bei den „Alternativen Homosexuellen“ (AHO) lehnen die meisten von ihnen ab.

Heteronormative Differenz

Die AHO ist nämlich eine Gruppe von schwulen Männern, die sehr wohl versuchen, ihre Homosexualität zu politisieren. Aus ihrer Perspektive sind gerade das Anderssein, die symbolische Affirmation von Homosexualität, die Inszenierung der Abweichung und die Aneignung der Außenseiterposition Tugenden, durch die Heteronormativität stabilisiert werden kann. Ich fasse die diskursive Logik ihrer Politik mit dem Begriff der heteronormativen Differenz. Ein westdeutscher Landtagsabgeordneter der AfD, der als Rechtsaußen innerhalb seiner Fraktion gilt, sagte während meiner Feldforschung über die AHO: „Wenn wir euch Paradiesvögel nicht hätten, dann wäre es langweilig in der Partei“ (Wielowiejski Feldnotizen vom 01.05.2017).

Ziel der AHO ist es zum einen, in der Öffentlichkeit zu bezeugen, dass die AfD nicht homophob ist. Zum anderen versucht sie auch nach innen zu wirken und ihre Partei davon zu überzeugen, dass Homosexuelle die Nation nicht bedrohen, oder in den Worten meines Interviewpartners Fabian[1]: „unser ethnisch-deutsches kulturelles Fortbestehen“. Wo homosexuelle AfD-Politiker_innen aus der Perspektive homonormativer Gleichheit konstatieren müssen, dass sie mit ihrer Partei in einem Konflikt stehen – so wie Weidel das in Bezug auf rechtliche Gleichstellung tut –, versucht die AHO ihre uneingeschränkte Zustimmung zu den Positionen der Partei zu formulieren.

Homosexuelle gegen „Gender“

Ein Beispiel aus meiner Feldforschung mag dies verdeutlichen. Bei einem Treffen der AHO war Dirk Uhlig zu Gast, der dem Landesfachausschuss für Familie seines AfD-Landesverbands vorstand. Er wollte die Position der Homosexuellen in der AfD zu den familienpolitischen Forderungen der Partei erfahren. Andreas, Mitbegründer der AHO, erklärte ihm den Zweck der Gruppe: „Es geht auch darum, konservative Schwule sichtbarer zu machen. Wir fühlen uns von den Linken instrumentalisiert!“ Uhlig stimmte sofort zu: „Dass das Thema Homosexualität als ein linkes wahrgenommen wird, ist für uns ein Problem. Wir haben da eine offene Flanke, die durch euch geschlossen werden muss. So verstehe ich eure Aufgabe.“ Uhlig hatte einen Entwurf für die zentralen familienpolitischen Forderungen der AfD mitgebracht. Nachdem jeder für sich die drei Seiten überflogen hatte, sagte Andreas: „Die Homosexuellen stimmen da auf jeden Fall überall zu. Besonders wichtig ist uns auch der Punkt zu Gender Mainstreaming. Es ist doch völlig absurd! Immer dieser Zwang, alles ‚gleichstellen‘ zu müssen, diese Gleichmacherei. Dabei sind wir doch gerade nicht alle gleich!“ Uhlig sagte: „Zur Identität gehört eben auch die Abgrenzung dazu: Ich bin so und nicht so“ (Wielowiejski Feldnotizen vom 27.01.2018).

Einer der Wahlwerbespots zur BTW 2021 begann mit den Worten: „Es gibt da eine Partei, die kümmert sich nicht um Gender-Sternchen“. Ob die Homosexuellen in der AfD ihre ‚Normalität‘ betonen oder gerade ihre Abweichung von der Norm – in jedem Fall sind sie sich mit ihrer Partei darin einig, dass die heteronormative, zweigeschlechtliche Ordnung aufrechterhalten werden sollte. Auf diese Weise wollen sie sich in das politische Imaginäre ihrer Partei einschreiben.

[1] Namen von Personen aus meiner Feldforschung sind Pseudonyme.

Literatur

Alternative für Deutschland Landesverband Hessen (2018): „Hessen. Aber sicher! Wahlprogramm Landtagswahl Hessen 2018“. Frankfurt am Main: Alternative für Deutschland Landesverband Hessen.

Bandle, Rico und Roger Köppel (2019): „‚Kinder sollten wissen, wo sie herkommen‘“. In: Die Weltwoche, 11.09.2019. Zugriff am 28.09.2021 unter https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2019-37/titelgeschichte/kinder-sollten-wissen-wo-sie-herkommen-die-weltwoche-ausgabe-37-2019.html.

Berger, David (2017): „Alice Weidel: ‚Die AfD ist die einzige echte Schutzmacht für Schwule und Lesben in Deutschland‘“. In: Philosphia Perennis, 20.09.2017. Zugriff am 28.09.2021 unter https://philosophia-perennis.com/2017/09/20/alice-weidel-interview.

Liebelt, Claudia (2021): „Deutschland brutal“. In: taz, 30.05.2021. Zugriff am 28.09.2021 unter https://taz.de/Die-AfD-und-ihr-Normalitaetsbegriff/!5771233/.

Wielowiejski, Patrick (2018): „Identitäre Schwule und bedrohliche Queers: Zum Verhältnis von Homonationalismus und Anti-/G/enderismus im Nationalkonservatismus“. In: Feministische Studien 36(2), S. 347–356.

Wielowiejski, Patrick (2020): „Identitarian Gays and Threatening Queers, Or: How the Far Right Constructs New Chains of Equivalence“. In: Dietze, Gabriele/Roth, Julia (Hg.): Right-Wing Populism and Gender: European Perspectives and Beyond. Bielefeld: transcript, S. 135–146.

Zitation: Patrick Wielowiejski : Deutsche Normalität: Rechte Homosexuelle und die AfD, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 06.10.2021, www.gender-blog.de/beitrag/rechte-homosexuelle-afd/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20211006

Beitrag (ohne Headergrafik) lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz Creative Commons Lizenzvertrag

© Headergrafik: ©nito - stock.adobe.com

Patrick Wielowiejski

Doktorand am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin und ab November 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt „Recht – Geschlecht – Kollektivität: Das umkämpfte Allgemeine und das neue Gemeinsame“. Forschungen an der Schnittstelle zwischen einer Kulturanthropologie (rechter) politischer Felder und den Gender und Queer Studies.

Zeige alle Beiträge

Schreibe einen Kommentar (max. 2000 Zeichen)

Es sind max. 2000 Zeichen erlaubt.
Die E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht.
Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Kommentare werden von der Redaktion geprüft und freigegeben.