15. April 2025 Ju Yun Park
Die 4B-Bewegung entstand 2019 in Südkorea als radikalfeministischer Widerstand gegen heteropatriarchale Sozialisierung von Frauen* und Männern* und die damit verbundenen Unterdrückungs- und Abhängigkeitsstrukturen. Sie propagierte einen bewussten Verzicht auf Ehe, heterosexuelle Beziehungen, Mutterschaft und sexuelle Intimität mit cis-Männern. Dies sollte südkoreanische Frauen* aus traditionellen Rollenzwängen befreien und ihnen eine selbstbestimmte Zukunft jenseits geschlechterbezogener Abhängigkeit ermöglichen. In Südkorea hat die Bewegung inzwischen ihre ursprüngliche Dynamik verloren (vgl. Lee 2018) und wurde auch mit (feministischer) Kritik konfrontiert.
Dennoch findet 4B aktuell Anklang bei US-Aktivist*innen, die darin ein mögliches Vorbild für eine Praxis des Widerstands gegen strukturelle Diskriminierung und die drohende Entrechtung marginalisierter Gruppen unter der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump sehen (vgl. Lee 2024). Der Beitrag analysiert die südkoreanischen Ursprünge und Entwicklungen der 4B-Bewegung, versucht, ihre kritischen Aspekte zu beleuchten und ihre Rezeption im aktuellen US-gesellschaftspolitischen Kontext kurz zu reflektieren.
Ein vierfaches Nein
Der Begriff 4B beruht auf vier grundsätzlichen Prinzipien: 비혼 bihon (nein zur heteronormativen Ehe), 비출산 bichulsan (nein zum Kindergebären), 비연애 biyeonae (nein zu Dating mit cis-Männern) und 비섹스 bisekseu (nein zu heterosexuellem Sex). Das „B“ leitet sich vom sinokoreanischen Präfix 비(非) ab, das „nicht“, „kein“ oder „ohne“ bedeutet. Es wird [bi] ausgesprochen und daher durch den englischen Buchstaben B ersetzt.
Südkoreanische cis-Frauen sehen sich kompromisslos einer omnipräsenten, generationenübergreifenden Frauen*Diskriminierung in einer starren cis-männerzentrierten Ordnung ausgesetzt – dazu gehören z. B. verminderte politische Teilhabe, extreme Lohnunterschiede, Doppelbelastung durch Haus-, Care- und Erwerbstätigkeit (vgl. World Economic Forum 2024: 10ff.). Diese anhaltenden Ungleichheiten befeuern eine feministische Awareness, die über bloßen Protest hinausgeht. Die in den 4B enthaltene bewusste Abwendung von traditionellen Weiblichkeitsbildern und eine gezielte Gegensteuerung zur heteropatriarchalen Sozialisierung von Frauen* und Männern* macht die zentrale Forderung unüberhörbar: Gleichberechtigung in Partnerschaften, im Berufsleben, sowie mehr politische und gesellschaftliche Teilhabe für Frauen* – oder Totalverweigerung.
Die Anhänger*innen der Bewegung betrachten 4B als gelebte Praxis, die Frauen* eine selbstbestimmte Existenz jenseits patriarchaler Zwänge ermöglichen soll. Für sie bedeutet der bewusste Verzicht auf heteronormative Beziehungsmodelle nicht nur persönliche Freiheit, sondern auch ein wirksames Mittel gegen systemische Gewalt und Sexismus (vgl. López 2024; Park 2022a).
Für ein unabhängiges Leben von Frauen*
4B ging aus der Online-Initiative 탈코르셋 („Aus dem Korsett“), hervor. Die Frauen* richteten sich darin gegen patriarchale Weiblichkeits- und Schönheitsnormen sowie traditionelle Rollenzuschreibungen. Dieser Festlegung auf ein bestimmtes Aussehen und Verhalten begegnen cis-Frauen mit Ambivalenz. Einerseits erleichtert die Erfüllung der Norm ihre zwischenmenschlichen Beziehungen und hebt ihren gesellschaftlichen Status, andererseits spüren sie die damit verbundene Entfremdung und Unterdrückung: My body, why not my choice? (vgl. #MyBodyMyChoice). Eine zentrale Erkenntnis der Bewegung ist daher: Selbstbestimmung erfordert die bewusste Verweigerung traditioneller Weiblichkeitsbilder. Als praktische Konsequenz propagierte 탈코르셋 den sofortigen Verzicht auf Make-up, Hairstyling und andere geschlechtsspezifische Pflegerituale, die Weiblichkeit standardisieren und cis-Frauen an ein normatives Körperbild binden (vgl. Jung 2023: 231ff.).
Sowohl 4B als auch die Bewegung ‚Aus dem Korsett‘ verbreiteten sich online. 4B war Teil der feministischen Welle #FeminismusReboot (vgl. Park 2022b) und radikalisierte sich 2019. Zunächst hat die Bewegung auf Onlineplattformen große Resonanz gefunden, insbesondere unter 20- bis 30-jährigen cis-Frauen, die als Hauptakteur*innen gelten. Eine der bekanntesten Plattformen im Umfeld dieser Bewegung ist die radikalfeministische Online-Community Womad, die sich explizit gegen patriarchale Strukturen und männliche Dominanz richtet (vgl. Park 2022a). Die Anhänger*innen lehnen Dating mit cis-Männern, sexuelle Beziehungen zu ihnen und die Ehe ab, wobei das Heiraten in Südkorea als ein beinahe selbstverständliches Vorstadium des Kinderkriegens verstanden wird. 4B versteht sich nicht nur als ein persönlicher Befreiungsakt, sondern als eine Selbsthilfe- und Widerstandspraxis zur Sicherung einer unabhängigen Zukunft für Frauen* (vgl. Lee et al. 2021). Somit zielt 4B auf eine umfassende Neuverhandlung sozialer Geschlechterverhältnisse in Südkorea ab.
Feministischer Widerstand mit Ausschlussmechanismen?
Die Bewegung 4B ist insofern innovativ, als sie die feministisch kämpferische Auseinandersetzung mit dem patriarchalen und konsumorientierten kapitalistischen Staat Südkorea angestoßen hat. Junge cis-Frauen wenden handlungs-, aber auch lösungsorientiert ihr eigenes unverheiratetes kinderloses Single-Leben als Widerstandsform und Selbsthilfepraktik an, um gegen die tief in der Kultur verankerte Frauenfeindlichkeit vorzugehen: „Gewalt um Gewalt und Unterdrückung um Unterdrückung … [ich] selbst entscheide mich zu handeln, statt das Opfer zu werden“ (vgl. Lee 2021, Übersetzung a. d. Koreanischen: Ju Yun Park). Andererseits ist 4B mit der gefährlichen Umdeutung konfrontiert, die feministische Bestrebungen nach einer gerechten Welt für ALLE als ‚Männer*hass‘ wertet: Der Rückzug aus dem gemeinsamen Leben mit Männern* würde Männer* unter Generalverdacht stellen, so der Vorwurf.
Zudem sind die Hauptadressat*innen der 4B cis-Männer und cis-Frauen, wodurch nicht-binäre und trans* Personen in der Analyse struktureller Ungleichheiten weiterhin unberücksichtigt bleiben. Seit der Entstehung von 4B besteht daher die Befürchtung, dass sie als genderkritischer Feminismus ein transexklusives Paradigma in der Frauenbewegung verbreitet:
„Feminismus und Gleichberechtigung müssen danach streben, das binäre Geschlechterverständnis zu demontieren. Die 4B Frauen wollen selbst die biologische Natürlichkeit als Referenz für die Geschlechtertrennung in Mann und Frau nicht aufgeben“ (vgl. Lee et al. 2021, Übersetzung a. d. Koreanischen: Ju Yun Park).
Diese Positionierung führte nicht nur zu Kritik, sondern zu einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit Identitätskonflikten. Die Spaltung der südkoreanischen Debatte über genderinklusiven und trans- und queer-exklusiven Feminismus vertiefte sich damit (vgl. Jung 2023).
Anknüpfungsfähigkeit und Widerstandspotenzial im Kontext Trump 2.0
Die 4B-Strategie ist eine radikale Neuausrichtung des Lebensstils. Sie bietet klare Verhaltensregeln an und liefert einen strukturierten Handlungsrahmen, der Menschen nicht nur ideologisch vereinen, sondern auch unmittelbar im Alltag umsetzbare Protestformen vorschlägt. Hierdurch wurde sie auch in der US-amerikanischen Protestlandschaft anknüpfungsfähig. In einer politischen Situation, die rasche und entschlossene Gegenwehr erfordert, kann dieses Konzept besonders praktikabel und mobilisierend erscheinen.
Das erneute Aufleben und die Popularisierung in den USA verdeutlichen die Relevanz von 4B als widerständige Praxis. Besonders interessant ist der intersektionale und kontextuelle Wandel der Bewegung. Die 4B wurde von ihrer heteropatriarchalkritischen Feminismus-Awareness losgerissen, in den Protest gegen den Trump-Wahlsieg transferiert und gegen die restaurative Politik „MAGA“ (Make America Great Again) einbezogen. Damit erweitert 4B ihre Identität: Sie steht nicht mehr nur für feministische Kämpfe in Südkorea, sondern auch für den Boykott von Trumps Wiederwahl und seiner Politik der sozialen Rückabwicklung, insbesondere im Bereich der Diversity, Equity & Inclusion (DIE)-Programme (vgl. Zimmermann 2025).
Eine antiautoritäre Triebkraft
Die exkludierende Ausrichtung der 4B wird auch im US-Kontext kritisch hinterfragt: 4B verkenne in vielerlei Hinsicht die Existenz von trans* Menschen und die Herausforderungen, die Trump 2.0 für LGBTQ+-Menschen im Allgemeinen mit sich bringt (vgl. Belzig 2024). Die heteropatriarchalkritische Forderung nach einer „geschlechtergerechten“ Welt, die in den ursprünglichen 4B-Gedanken durch die Abwendung von der männerzentrierten Ordnung realisiert werden kann, würden viele trans* Menschen sowie queere Frauen und Männer als nicht anschlussfähig betrachten. Denn ihre Diskriminierungserfahrung, Betroffenheit und Perspektive reflektiert oder artikuliert die 4B nicht ausreichend (vgl. López 2024).
Was 4B im südkoreanischen und US-amerikanischen Kontext verbindet, ist die antiautoritäre Motivation. Im einen Fall richtet sie sich gezielt gegen die patriarchale Ordnungsgewalt und im zweiten gegen die politische. Das gemeinsame Ziel liegt m. E. in der Dezentralisierung dieser beiden Herrschaftsformen. Im sofortigen direkten Handeln(wollen) sehe ich die Radikalität der Bewegung, mit der sie danach strebt, sich aus den jeweiligen Ordnungsstrukturen konsequent und hoffnungsvoll zu lösen. Was 4B erreichen und realisieren will, lässt sich zwar in ihren Botschaften und ihrer Protestpraxis erkennen, die für südkoreanische feministische Akteur*innen eine wichtige, wenn auch kontroverse Rolle spielen. Doch bleibt die reale Wirkmächtigkeit noch unklar, weshalb ich eine Untersuchung für nötig halte, die sich darauf konzentriert, was bisher tatsächlich damit erreicht wurde. So kann auch die Kritik am exklusiven Charakter der Bewegung konstruktiv beantwortet oder eingeordnet werden.
Literatur
Belzig, Julia (2024): Abtreibungsrecht in den USA. Bedrohlich unberechenbar. Das „Project 2025“ will Schwangerschaftsabbrüche in den gesamten USA verbieten. Donald Trump holt einige der Macher des Plans ins nächste Kabinett. Zugriff am 15.03.2025 unter https://taz.de/Abtreibungsrecht-in-den-USA/!6052967/.
Dans, Paul u. Groves, Steven (2024): Mandate for Leadership. The Conservative Promise. Project 2025. Zugriff am 15.03 unter https://static.project2025.org/2025_MandateForLeadership_FULL.pdf.
Jung, Hawon (2023): Flowers of Fire: The Inside Story of South Korea's Feminist Movement and What It Means for Women's Rights Worldwide. BenBella Books.
Lee, Hana (2018): „Feminismus ist kein Sprint, sondern ein Marathon, wir sollen zusammenlaufen“. Zugriff am 15.03.2025 unter https://www.womennews.co.kr/news/articleView.html?idxno=144373.
Lee, Hyunjoo (2024): "K-Feminismus" exportieren? Warum die in Korea geborene "4B-Bewegung" in der Trump-Ära Aufmerksamkeit erregt. Zugriff am 25.02.2025 unter https://n.news.naver.com/mnews/article/469/0000833639.
Lee, Ji hoon, Choi, Jisun u. Kim, Eunji (2021): Gewalt um Gewalt, Unterdrückung um Unterdrückung... Ich werde ein*e Täter*in sein, nicht das Opfer (Titel aus dem Koreanischen übersetzt von Ju Yun Park). Zugriff am 24.02.2025 unter https://www.donga.com/news/Society/article/all/20181222/93410179/1.
López, Quispe (2024): How Do Trans People Fit Into the 4B Movement? We spoke to a professor of gender studies and Korean studies about the transphobic undertones of the 4B movement. Zugriff am 15.03.2025 unter https://www.them.us/story/how-4b-actually-leaves-trans-people-behind.
Park, Dahea (2022a): Womads Interesse ist die "Selbstentwicklung". Transformation der radikalen feministischen Gemeinschaft. Zugriff am 25.02.2025 unter https://h21.hani.co.kr/arti/society/society/52652.html.
Park, Jinsol (2022b): A Study on the Political Meaning of 4B Women After Feminist Reboots. Ewha University, S. 1-9 u. 71-98.
World Economic Forum (2024): Global Gender Gap 2024. INSIGHT REPORT. JUNE 2024. Zugriff am 14.03.2025 unter https://www3.weforum.org/docs/WEF_GGGR_2024.pdf.
Yagoda, Maria (2024): 4B Is Not the Winning Strategy to Resist the Patriarchy People Think It Is. Zugriff am 19.02.2025 unter https://web.archive.org/web/20241203031902/https://time.com/7177557/4b-us-women-resisting-patriarchy-essay/#close.
Zimmermann, Konstantin (2025): Diversitätsprogramme in den USA: Wie Donald Trump gegen Diversität vorgeht. Zugriff am 14.03.2025 unter https://www.zeit.de/politik/2025-02/diversitaetsprogramme-usa-donald-trump-dei-lgbtq.
Zitation: Ju Yun Park: 4B gegen patriarchale Zumutungen: Widerstand südkoreanischer Frauen* als Inspiration?, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 15.04.2025, www.gender-blog.de/beitrag/4b-suedkorea/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20250415
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