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Interview

Der 8. März in der Stadtgesellschaft

07. März 2023 Maresa Feldmann Uta C. Schmidt

Uta C. Schmidt sprach mit Maresa Feldmann, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Dortmund und eine der acht Sprecherinnen der Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Gleichstellungsbeauftragter in Nordrhein-Westfalen. Im Gespräch ging es um die Bedeutung des 8. März als Internationaler Frauentag für die Stadtgesellschaft. Da sich beide aus Dortmund kennen, haben sie sich auf das „Du“ verständigt.

Wie feierst du den 8. März?

Ich habe einen ziemlich gefüllten Terminkalender an diesem konkreten Datum. Bei dem Aufruf zur Vorbereitung des diesjährigen 8. März haben sich so viele Organisationen, Vereine und Verbände mit Veranstaltungsvorschlägen gemeldet, dass wir die Women’s Weeks entwickelt haben. Im ganzen März bieten wir unterschiedliche Veranstaltungsformate an, die aufzeigen, wie vielfältig, bunt, ernst und politisch hochbrisant das Thema Gleichstellung ist. So ist es auch möglich, mehrere Veranstaltungen zu besuchen. Am 8. März selber spannt sich in Dortmund der Bogen von einer Podiumsdiskussion unter dem Titel Jin. Jiyan. Azsadî! zu Frauenrechten, Menschenrechten und den Auswirkungen von politisch-religiösem Fundamentalismus auf die Demokratie über die Verleihung des Edith Peritz-Preises für besonderes Engagement in der Gleichstellungsarbeit bis hin zu einer Stadtpilgertour. Aber die Women’s Weeks beinhalten auch die Demo am Equal Pay Day quer durch die Stadt, die in Dortmund am 17. März stattfindet – vormerken!

Wer braucht heute den 8. März als „Frauentag“?

Er ist ein Tag mit langer frauenpolitischer und feministischer Tradition, der überall begangen wird. „Brot und Rosen“, die Forderung vom Anfang des 20. Jahrhunderts, gilt ja bis heute: gerechter Lohn, gefasst als Brot – Menschenwürde, Anerkennung, Wertschätzung, gefasst als Rosen. Für all die frauenpolitischen Initiativen, Verbände, Organisationen, die ja viel vom Ehrenamt getragen werden, gibt er einen gesellschaftlich anerkannten Rahmen vor, die Arbeit auf dem eigenen Feld in einen größeren Zusammenhang zu stellen und sich als Teil der Stadtgesellschaft zu zeigen. Es entlastet auch, denn dieses Datum muss nicht immer neu ausgehandelt werden – es ist wie Weihnachten, nur frauenbewegt besetzt. Wir brauchen den Tag, um weiterhin frauen- und gleichstellungspolitische Themen nach vorn zu bringen. Aber auch, um all den Aktiven und Aktivist*innen Anerkennung zu zollen. Er ist ein Tag, um zu diskutieren und Forderungen zu stellen, aber auch um sich zu feiern, sich auszutauschen, anregen zu lassen, zurückzublicken und für die weitere Arbeit im folgenden Jahr zu stärken.

Wo liegen Möglichkeiten von gesellschaftlichen Ritualen wie dem 8. März?

Rituale geben dem Alltag ja eine Struktur, einen Rhythmus. Das ist erst einmal etwas Positives. Das Datum kann ja inhaltlich – und muss auch – immer wieder neu ausgestaltet werden. Heute sind mediale Aufmerksamkeit, öffentliche Sichtbarkeit ganz wichtige Währungen. Der 8. März wird von allen Medien aufgegriffen. Er fokussiert die Aufmerksamkeit. Zeitungen lassen ihre Ausgaben von einem Frauenteam gestalten, Statistiken werden prominent gemacht, Themen rücken in den Redaktionen nach vorn, Feminismus wird öffentlich diskutiert, die Care-Arbeit von Männern wird hinterfragt. Das sind die Vorteile eines gesellschaftlichen Rituals wie dem 8. März. Mittlerweile haben ihn die meisten auf dem Schirm, das schützt nicht vor Verkrustung und Kommerzialisierung, aber die Vorteile für unsere politische Agenda überwiegen bei weitem.

Ja, aber gerade für jüngere Aktivist*innen sieht es so aus, als würden da nur Sekt oder Selters getrunken und Sonntagsreden gehalten.

Ich finde es gut, dass jüngere Aktivist*innen den Tag als Kampftag oder Streiktag neu besetzen. Als Gleichstellungsbeauftragte bin ich jedoch für das breite Spektrum demokratischer Frauenaktivitäten der Stadtgesellschaft da, diese neuen Perspektiven stellen einen Zugang unter vielen unterschiedlichen dar.

Welche Bedeutung hat der 8. März für die Gleichstellungspolitik in der Stadtgesellschaft?

Er ist ein Datum, zu dem sich alle treffen, die Gleichstellungspolitik in unterschiedlichen Formen machen. Er ist ein Datum, zu dem dieses Engagement in den Mittelpunkt gestellt wird. Ich bin dafür, dass er ein gesetzlicher Feiertag wird. So wie in Berlin, das fände ich großartig. Das würde den Themen rund um Frauen und Gleichstellung noch einmal einen gewichtigeren Stellenwert geben. Mit den Räumen, die Politik und Verwaltung für die Zusammenkünfte und Veranstaltungen rund um den 8. März zu Verfügung stellen, zeigen sie, welchen Stellenwert sie frauenpolitischem und feministischem Engagement für ihre Stadt zumessen. Wenn sich eine Frauenöffentlichkeit im Rathausfoyer trifft, dann ist sie als Teil der Stadtgesellschaft sichtbar und anerkannt.

Wo ist der Frauentag eigentlich ein „internationaler“ Frauentag in deiner Stadt?

Er ist es an all den Themen, die wir ansprechen. Ich nenne zuerst Gewalt gegen Frauen, dann Care, fehlende Beteiligung von Frauen an politischen Entscheidungsprozessen, Recht auf Bildung und Entfaltung der Persönlichkeit, Armut, Alter, Fluchterfahrungen. Es leben in unserer Stadt Menschen mit unterschiedlichen Herkünften, die ihre Erfahrungen mitbringen. Auch bei uns gibt es Femizide und ein Engagement gegen Genitalverstümmelung. Das Engagement gegen diese Verletzungen von Frauen- und Menschenrechten ist international vernetzt und wir hier können auch von diesem Engagement andernorts lernen. Aber es gibt zum Internationalen Frauentag auch schon lange ein großes, rauschendes Fest, das die Migrant*innenvereinigungen ausrichten. Dort bringen sie Traditionen aus der politischen Kultur ihrer Herkunftsländer ein, den Tag zu feiern. Alle kommen, Frauen, Männer, Kinder, Enkelkinder, top-dressed und gut gelaunt, ein Zeichen dafür, welche Bedeutung diesem Datum zugewiesen wird. Das ist von der Organisation her ein wahrlich internationales Ereignis.

Du sprichst Femizide an. Als das Wort, aus us-amerikanischem und lateinamerikanischem Aktivismus kommend, in der deutschen Diskussion prominent wurde, hatte ich zuerst meine Schwierigkeiten. Es schien die Vernichtung von Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus zu relativieren, für die wir hier die Formulierung Genozid verwenden.

Das Wort hat eine unglaubliche Bedeutung für die Kommunikation und Vermittlung des höchst politischen Themas, denn nun haben wir einen Begriff für den Tatbestand, dass Frauen und Mädchen getötet werden, weil sie Frauen und Mädchen sind. Und niemand kann das weiter hinter verharmlosenden Begriffen wie „Beziehungstat“ verstecken. Der Begriff ist als solcher explizit nun auch in die Polizeistatistik eingegangen. Er relativiert nicht den Genozid, sondern er benennt Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts. Auch hier wird die internationale Dimension deutlich, denn Gewalt gegen Frauen bis hin zum Femizid wurde auch durch die Vereinten Nationen und den Europarat – Stichwort Istanbul-Konvention – auf die Tagesordnung gesetzt.

Welche Herausforderungen birgt der 8. März in diesem Jahr?

Ich fühle eine mentale Herausforderung. Wir müssen dran bleiben, bei all den überwältigenden Krisen – Krieg, Erdbeben, Klima, Energie, Finanzen, Wohnraum, Lebensmittelpreise, Inflation, Arzneimittel und so weiter – Gleichstellungsfragen und solche der Frauenpolitik mitzudenken und uns nicht ablenken zu lassen. Denn individuell wie strukturell leiden Frauen noch einmal in einer besonderen Form unter all diesen Krisen. Wir dürfen uns da nicht auf eine Hierarchie von Wichtigkeit einlassen, und dann, wenn alles vermeintlich Wichtige bearbeitet wurde, dann kommt „das Gedöns“. Nein, Geschlechterordnungen mit ihren Effekten und Gleichstellungsfragen sind grundsätzlich Teil all dieser Krisen. Deshalb finde ich eine feministische Außenpolitik auch absolut notwendig, die Frauen und strukturell marginalisierte Gruppen in außen- und sicherheitspolitischen Fragen immer mitdenkt. Es ist eine echte Herausforderung, bei all den Krisen nicht immer nur allein das Geld zu sehen, sondern die geschlechterbezogenen sozialen Aspekte grundsätzlich mit einzubeziehen.

Zitation: Maresa Feldmann im Interview mit Uta C. Schmidt: Der 8. März in der Stadtgesellschaft, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 07.03.2023, www.gender-blog.de/beitrag/8_maerz_stadtgesellschaft/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20230307

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Maresa Feldmann

Maresa Feldmann ist Sozialwissenschaftlerin mit Diplomabschluss; nach Stationen in der Forschung an der TU Dortmund, der Sozialforschungsstelle Dortmund und der Wirtschaftsförderung Dortmund wurde sie 2014 stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte und 2016 Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Dortmund. Seit 2020 ist sie eine der Sprecherinnen der LAG kommunaler Gleichstellungsstellen NRW.

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Dr. Uta C. Schmidt

Historikerin und Kunsthistorikerin; Forschungen an den Schnittstellen von Raum, Wissen, Geschlecht und Macht; Publikationen zu Klöstern, Klanggeschichte und Geschichtskultur; wiss. Mitarbeiterin im Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW; Kuratorin im DA. Kunsthaus Kloster Gravenhorst; Mitherausgeberin von www.frauenruhrgeschichte.de.

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