02. Juli 2019 Linda Keck
Pünktlich zum Start der Fußball-Weltmeisterschaft präsentiert die Commerzbank, einer der Sponsoren und – laut Eigenaussage – „superstolzer Partner der Frauen-Nationalmannschaft“, ihren brandneuen Werbespot mit den DFB-Frauen. Kaum hochgeladen, geht der Clip vor allem in den sozialen Netzwerken viral, auf YouTube wurde er bisher über zwei Millionen Mal aufgerufen. Zu sehen: Die deutsche Elf nicht etwa im Kampf gegen Brasilien oder die USA, sondern gegen Vorurteile, dem wohl stärksten Gegner in der Geschichte des deutschen Fußballs. Als dezidiert körperzentrierte Praxis und damit Bühne geschlechtlicher Inszenierung gilt Fußball seit jeher als „Männersache“: dass Frauen Fußball spielen, war nicht immer selbstverständlich – und ist es bis heute nicht.
„Wir spielen für eine Nation, die unsere Namen nicht kennt“
„Weißt du eigentlich, wie ich heiße?“, fragt die Kapitänin der deutschen Frauen-Nationalmannschaft in die Kamera. Obwohl Alexandra Popp mit ihrem Verein, dem VfL Wolfsburg, bislang fünfmal deutscher Meister wurde, sechsmal den Pokalsieg feierte und sich zweifache Championsleague-Siegerin nennen kann, ist sie den meisten vermutlich unbekannt. „Wir spielen für eine Nation, die unsere Namen nicht kennt“, ertönt es aus dem Off. Dass das Team zweifacher Weltmeister ist und bei den Europameisterschaften mit acht Titeln sogar Rekordhalter, scheint keine große Rolle zu spielen, in einer Sportart, die von Männern dominiert wird und seinen eigenen, männergemachten Gesetzmäßigkeiten folgt.
Dies hängt zu einem großen Teil mit der Geschichte des Fußballs zusammen, der sich in Deutschland unter dem Ausschluss von Frauen etabliert hat. Während die Männer 1954 das Wunder von Bern feierten, verbot der Deutsche Fußball-Bund 1955 kurzerhand den Vereinen, Frauen-Abteilungen zu gründen. Der damals bezeichnenderweise noch als „Damenfußball“ bezeichnete Sport sei der „Natur des Weibes“ im Wesentlichen fremd, hieß es in der Begründung. In dem Beschluss vom Bundestag des DFB am 30. Juli 1955 in Berlin steht wortwörtlich geschrieben: „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.“ (zit. nach Hoffmann/Nendza 2007). Dabei wird der Ausschluss nicht selten mit deren spezifischer Anatomie gerechtfertigt, auf die sich die sportliche Aktivität negativ auswirke, was vor allem die Gebärfähigkeit der Frau in Gefahr bringen könne. Fußball gilt dem Sportverband zufolge nicht etwa nur als unweiblich, vielmehr sei er nicht „fraugemäß“.
„Seit es uns gibt, treten wir nicht nur gegen Gegner an“
Bei den Versuchen, Frauen von den Fußballfeldern fern zu halten, ging es um weit mehr als nur um den Sport: es ging um die Struktur und Legitimation der Gesellschaft, einer Gesellschaft, die nach dem Prinzip der Zweigeschlechtlichkeit und der Heteronormativität organisiert ist. Doing sports heißt immer auch doing gender, so die Sportwissenschaftlerin Gertrud Pfister (vgl. Pfister 2008), und bringt damit auf den Punkt, was dem Fußball als einer dezidiert körperlichen Praxis im Wesentlichen zugrunde liegt: Wenn gespielt wird, werden jedes Mal Geschlechterverhältnisse inszeniert.
Dabei kommt dem Fußball in der gesellschaftlichen Geschlechterkonstruktion eine eminente Bedeutung zu, trägt er doch wesentlich dazu bei, die aus dem Geschlecht ableitbaren Stereotype zu festigen und fortzuschreiben. Fußball ist nicht nur ein Bereich, in dem der Körper eine zentrale Rolle spielt, insofern Sport immer die Aufführung der körperlichen Leistung beinhaltet. Vielmehr bietet er eine Bühne, auf der Geschlecht bzw. Geschlechtsunterschiede im besonderen Maße repräsentiert und reproduziert werden. Aus der bloßen Geschlechterzugehörigkeit wird eine bestimmte Weise Fußball zu spielen abgeleitet, sprich, von der Physis eines Menschen wird auf dessen Fähigkeit zu spielen geschlossen. Eine solche geschlechtsbezogene Differenzierung geht aus den rein leistungsorientierten und idealisierten Vorstellungen hervor, die, weil sie scheinbar biologisch begründbar sind, als naturgegeben betrachtet werden. Von Zeitlupenfußball ist die Rede, oder dass Frauen nur zum Kinderkriegen da seien, wenn sie nicht gerade in der Waschküche stehen. Apropos: Bei der EM 2013 ließ das ZDF in einem Werbespot Fußballerinnen in Waschmaschinen schießen.
„Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze“
Auch das berühmt gewordene Kaffeeservice, das es anlässlich des ersten EM-Titels 1989 für das damalige Team als Prämie gab, hat einen Auftritt im neuesten Clip. Die aktuelle Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, die als ehemalige Nationalspielerin auch eines bekam, trinkt im Spot grinsend aus den geblümten Tassen, Produktlinie „Mariposa“ von Villeroy & Boch, 41 Teile insgesamt. Die Message: Frauen gehören in den Haushalt und nicht auf den Fußballplatz. Aber wieso sollte Fußball nicht vereinbar sein mit Weiblichkeit? Was haben Männer, was Frauen nicht haben? Der Spot scheint die Antwort zu kennen, die in Anlehnung an Oliver Kahns berühmtes Zitat auf die Frage, was seiner Mannschaft fehle, ganz einfach lautet: „Eier. Wir brauchen Eier.“ Doch die Frauen kontern und stellen selbstironisch fest: „Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze.“
Dass die Gesellschaft durchzogen ist von bestimmten Vorstellungen und Erwartungen, die an das Mann- und Frau-Sein eines jeden Individuums gestellt werden, bedarf eigentlich kaum einer Erwähnung, soll aber trotzdem nachdrücklich hervorgehoben werden. Denn insbesondere die Struktur des Sports weist eine bis heute kaum in Frage gestellte Geschlechtersegregation auf, in der Männer und Frauen wie selbstverständlich in verschiedenen Leistungsklassen erfasst werden, wobei der Fußball nur eine Sportart von vielen darstellt, die als ein herausragendes Feld für die Produktion hegemonialer Männlichkeit gilt.
„Wir sind die mit Schminke im Gesicht“
Bis heute dient der Fußball der Stabilisierung der heterosexuellen Matrix sowie der Konstruktion und Demonstration von Männlichkeit, die zwangsläufig mit der Abwertung von Weiblichkeit einhergeht. Dabei handelt es sich zuvorderst um eine sprachlich konstruierte Realität, die die Geschlechterdifferenzen nicht nur widerspiegelt, sondern allererst herstellt: Es wird zwischen Fußball und Frauenfußball unterschieden, „Frauenfußball“ erscheint also allein per definitionem als Abweichung – von „Männerfußball“ redet ja schließlich auch niemand. Eine Kapitänsbinde auf der Spielführerin (statt Spielführer) steht, gibt es bis heute nicht.
Zwar wird über fußballspielende Frauen heute etwas mehr berichtet als noch ein paar Jahre zuvor, allerdings verharrt die Berichterstattung größtenteils im Konzept der Geschlechterdifferenz und inszeniert stereotype Geschlechtsidentitäten, statt die Chance wahrzunehmen, diese aufzubrechen. So wird dem tradierten Verhandlungsstand von Fußball als männlich zumeist eine Feminisierung des Frauenfußballs entgegengesetzt, der vielfach auf den weiblichen Körper reduziert wird.
„Die gern Stöckelschuhe tragen. Und Overknees.“
Spielerinnen, die sich ihre Stutzen hochziehen oder ihre Stollenschuhe zuschnüren, werden im Clip attraktiv in Szene gesetzt, eine Anspielung auf die mediale eindimensionale Darstellung des deutschen Frauenfußballs. Statt über ihren beeindruckenden Fernschuss zu berichten, der das deutsche Team zum ersten Sieg der diesjährigen WM führte, wird Giulia Gwinn zum begehrenswerten Objekt degradiert. „So beeindruckend zeigt sich Siegtorschützin auf Instagram“, titelte beispielsweise die Münchener „tz“. Auch die „Bild“-Zeitung reduziert die Nationalmannschaft der Frauen augenscheinlich aufs Äußere, wenn sie vom Erfolg von „Deutschlands Hübschester“ berichtet.
Sport als Ort dauernder Inszenierung von Geschlechtlichkeit, in der der Körper gleichwohl zum Träger sozialer Ordnungen und kultureller Bedeutungen avanciert, trägt nicht zuletzt zur Aufrechterhaltung von Geschlechterdifferenzen bei, indem er Männlichkeits- und Weiblichkeitsideale stabilisiert. Fußballspielende Frauen hingegen bedrohen Männlichkeitsideale und stellen die herrschende Geschlechterordnung in Frage. Doch auch von der jahrzehntelangen Exklusion aus dem Fußballsport und der fortwährenden hegemonialen Stellung der Männer lassen sich die deutschen Frauen nicht ins Abseits manövrieren. Mit viel Selbstbewusstsein räumen sie auf mit den Vorurteilen, denen sie als Fußballerinnen ausgesetzt sind und machen deutlich, dass sie sich in einer von Männern beherrschten Sphäre ihren eigenen Platz erkämpfen: „Es ist okay, du musst dir unsere Gesichter nicht merken. Nur, was wir wollen: Spielen. Unser Spiel!“
Literatur
Hoffmann, Eduard & Nendza, Jürgen (2007). DFB verbietet seinen Vereinen Damenfußball. Bundeszentrale für politische Bildung/bpb (Hg.). www.bpb.de/gesellschaft/gender/graue-spielzeit/65063/das-dfb-verbot (Zugriff am 01.07.2019).
Pfister, Gertrud (2008). Doing Sport ist Doing Gender. Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis 69(31), 13–29.
Zitation: Linda Keck: 90 Sekunden geballte Frauenpower, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 02.07.2019, www.gender-blog.de/beitrag/90-sekunden-geballte-frauenpower/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20190702
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