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Debatte

Antifeminismus als autoritäre Konfliktabwehr

14. Juni 2022 Charlotte Höcker Johanna Niendorf

In autoritären Bewegungen spielen Auseinandersetzungen um Geschlecht und Sexualität eine zentrale Rolle. Das zeigt sich an der Mobilisierung gegen einen vermeintlichen ‚Genderwahn‘, gegen Frauenrechte und Emanzipation, dem Feindbild Feminismus sowie den Angriffen auf LSBTIQ-Personen. Im Antifeminismus verbinden sich autoritäre und bürgerlich-konservative, rechtsextreme und liberale Strömungen in ihrem Versuch, gegen feministische Emanzipationsbestrebungen vorzugehen. Wie relevant sind antifeministische Einstellungen für die Erklärung autoritärer Dynamiken und wie lässt sich ihre emotionale Anziehungskraft erklären?

Das Autoritäre im Antifeminismus

Gegenüber anderen Herrschaftsverhältnissen, die maßgeblich auf Zwang basieren, ist im Autoritarismus das Moment der Freiwilligkeit zentral – wird ein Befehl gegeben, braucht es jemanden, der ihm Folge leistet, sonst stellt sich kein Autoritätsverhältnis her (Milbradt 2020, 55f.). Wie Erich Fromm 1936 schreibt, wird Freiheit und Unterordnung im Autoritätsverhältnis so miteinander verbunden, dass der Zwang der Unterordnung nicht als solcher empfunden wird, da er durch eine starke emotionale Beziehung ergänzt oder verstärkt wird (Fromm 2016, 71). Autoritär orientierte Menschen richten dabei ihre Sicht auf die Welt und ihre gesamte Lebenspraxis auf stark emotional besetzte Unter- und Überordnungsverhältnisse aus – das betrifft die Gestaltung von Beziehungen, die Verhältnisse in der Familie und im Arbeitsleben, die Art und Weise, wie Politik gedacht wird und Sexualität gelebt wird, aber auch generell den Umgang mit Ungewissheit und Ambiguität (Milbradt 2020, 61f.). Dadurch werden die politischen Programmatiken des Antifeminismus, der extremen Rechten und des Neonazismus attraktiv, da sie versprechen, die Gesellschaft nach diesen Prinzipien einzurichten: Was sich hier beobachten lässt, ist eine „Passung psychologischer Voraussetzungen beziehungsweise Dispositionen mit politischen Programmen“ (Milbradt 2020, 58), die zur Ausbreitung, Verfestigung und Institutionalisierung von Autoritätsverhältnissen führen.

Projektive Abwehr verbotener Wünsche

Die zentralen Elemente im Autoritarismus sind autoritäre Unterwürfigkeit, autoritäre Aggression und Konventionalismus (Decker 2018, 55). Diese Elemente treten im Antifeminismus, verstanden als Gegnerschaft gegenüber feministischen Emanzipationsbestrebungen, deutlich zutage. So geht Antifeminismus einher mit dem Festhalten an üblichen, tradierten Verhaltensregeln sowie einer Abneigung gegenüber Veränderungen – also einer starken Betonung von Konventionen. Auch in der Leipziger Autoritarismus-Studie 2020 trat dieser Zusammenhang auf der Einstellungsebene deutlich hervor (Höcker/Pickel/Decker 2020, 276). Konventionen und Traditionen geben Sicherheit, und insbesondere im Moment der Wahrnehmung gesellschaftlicher Krisen verstärken sich das Interesse für eine klare Orientierung in Familien- und Geschlechterordnungen sowie die Sehnsucht nach einer patriarchalen Ordnung, in der gesellschaftliche Konventionen beibehalten werden. Damit dieses Sicherheitsversprechen intrapsychisch wirkmächtig werden kann, muss sich das Individuum jedoch der traditionellen Geschlechterordnung unterwerfen, wobei gleichzeitig Wünsche und Fantasien, die nicht in die herrschenden patriarchalen Geschlechtervorstellungen passen, unterdrückt werden müssen. Der Verlust dieser Wünsche ruft Aggressionen hervor, die sich gerade nicht gegen die Autorität richten, mit der ja eine Identifikation stattfindet und die nicht beschädigt werden darf, sondern gegen vermeintlich Schwächere und Abweichende (vgl. dazu auch Winter 2021).

Projektionsfläche für widersprüchliches Begehren

Die Aggressionen speisen sich dabei aus der Gewalt, die mit der eigenen Unterwerfung unter die Normen hervorgeht (vgl. Adorno 1973, 61; vgl. Decker 2018, 36). Die abgewehrten Wünsche verschwinden jedoch nicht einfach, sondern tauchen oft in projektiver Form wieder auf, indem sie anderen Menschen zugeschrieben und stellvertretend an ihnen verfolgt werden. Hier zeigt sich der autoritäre Umgang mit Konflikten: Anstelle einer produktiven Auseinandersetzung mit den Konventionen, die den eigenen Wunsch verbieten, wird der Versuch unternommen, sich des Wunsches selbst zu entledigen, im schlimmsten Falle durch tödliche Aggressionen gegen die Menschen, die ihn tatsächlich oder vermeintlich verkörpern. Im Antifeminismus zeigt sich, dass Feminist:innen und queere Personen als Projektionsfläche für widersprüchliches Begehren personifiziert werden. Als Angreifer:innen einer verinnerlichten Ordnung, die insbesondere in gesellschaftlichen Krisenwahrnehmungen und dem Empfinden von Bedrohung verteidigt wird, wird ihnen entsprechend mit Aggression begegnet. Der Hass auf Feministinnen und Queers kann als ein Ventil für die Bewältigung von Angst und Wut fungieren, die sich sonst gegen eigene ambivalente Wünsche und Bedürfnisse richten würden.

Antifeminismus als Konfliktabwehr

Hier zeigt sich: Autoritäre Orientierungen dienen dazu, psychische Konflikte abzuwehren und gesellschaftliche und individuelle Krisen scheinbar zu bewältigen (Elbe 2020, 88). Autoritäre Weltdeutungen zeichnen sich dabei zwar durch Irrationalität aus – als Mittel, um mit Konflikten umzugehen, bringen sie allerdings einen psychischen Gewinn mit sich (Weyand 2020, 251). Im Antifeminismus bezieht sich das insbesondere auf das Konfliktfeld Geschlecht. Max Horkheimer schreibt in Autorität und Familie in der Gegenwart (1936): „Die strenge Zweiteilung zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit sowie das Tabu über jedem psychologischen Übergang von jener zu dieser entspricht der allgemeinen Tendenz, in starren Zweiteilungen und Stereotypen zu denken“ (Horkheimer 2003, 390). Im Antifeminismus wird der Versuch unternommen, sich der konfliktuösen Anteile im Prozess der Vergeschlechtlichung zu entledigen, der mit gewaltsamen Vereindeutigungen und Verwerfungen einhergeht und dessen melancholische Momente von Judith Butler (1991) als Unbehagen der Geschlechter beschrieben werden.

Die Ordnung der Geschlechter als autoritäre Schiefheilung

In den autoritären Mentalitäten wird Geschlecht als konfliktbereinigte, natürliche Wesenhaftigkeit imaginiert und demonstriert (Winter 2020, 164). Hier herrscht noch Klarheit darüber, was Männer und Frauen wollen, wer wen verführt und wer wen erobert, wer Fürsorge, Emotionalität und Abhängigkeit und wer Autonomie, Leistung und Stärke verkörpert. Darin liegt ein Versprechen begründet: Die Geschlechterordnung bringt die inter- und intrasubjektiven Spannungen, die mit Geschlecht verbunden sind und sich um die Pole Autonomie und Abhängigkeit, Differenz und Einheit, Subjekt und Objekt kreisen, in eine handhabbare Form. Sebastian Winter spricht hier von einer autoritären Schiefheilung, in der die Subjekte „in der Performanz von Heterosexualität und patriarchaler Familie ihr Unbehagen zu befrieden versuchen, indem die antinomischen Pole bewusst auf verschiedene Personen verteilt werden, die sich dann wieder miteinander verbinden und ergänzen sollen“ (Winter 2020, 165f.; vgl. Winter 2022). Doch diese vermeintlich harmonische Komplementarität ist ein hierarchisches Verhältnis von Beherrschen und Beherrschtwerden. Mit den unterdrückten sexuellen Wünsche und Fantasien leben auch die Spannungen dazwischen weiter; sie zeigen sich sowohl in den männlichen Ängsten vor Machtverlust und den zahlreichen Ausdrucksformen männlicher Gewalt als auch in der weiblichen Ambivalenzerfahrung, trotz heterosexuellem Liebesversprechen Abhängigkeit und sexuelle Gewalt erleben zu müssen (Winter 2020, 166).

Ambiguitäts(in)toleranz

Die Psychoanalytikerin Else Frenkel-Brunswik beschrieb bereits 1948 den Zusammenhang zwischen Autoritarismus und der Neigung, sich in rigiden kulturellen Normen, etwa einem dichotomen Zugang zu Geschlechtsrollen, einzurichten. Zur Erklärung des autoritären Schwarz-Weiß-Denkens führte sie das Konzept der Ambiguitätstoleranz ein. Es steht für eine Persönlichkeitsvariable, die im Gegensatz zur autoritären Orientierung die Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Informationen, Gefühle und Wahrnehmungen in derselben Person oder Situation integriert.

Frenkel-Brunswik vermutete, dass die Intoleranz gegenüber Ambiguitäten dann stärker aktiviert wird, wenn gesellschaftliche Krisen wahrgenommen werden. Eben das zeigt sich im Antifeminismus als krisensensible Reaktion auf gesellschaftliche Herausforderungen, die von feministischen Emanzipationsbewegungen aufgezeigt werden. Mit diesem Blick kann Antifeminismus als eine dezidiert autoritäre Reaktion verstanden werden, mit der Feministinnen als Feinde und Schuldige der gesellschaftlichen Verhandlung geschlechterdemokratischer Fragen identifiziert werden. Statt sich mit dem eigenen, mitunter ambivalenten Begehren zu befassen, wird die Komplexität der Situation reduziert und nach einem Schwarz-Weiß-Schema gedeutet, in dem keine Ambiguitäten mehr toleriert werden müssen und in dem die Aussicht auf ein gerechteres Zusammenleben, wie es sich in vielen materialistisch-feministischen Utopien andeutet, verdrängt wird zugunsten des autoritären Versprechens von Konfliktruhe.

Literatur

Adorno, T. W. (1973) (Hrsg.), Studien zum autoritären Charakter. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Butler, J. (1991). Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Decker, O. & Brähler, E. (2020), Autoritäre Dynamiken. Alte Ressentiments – Neue Radikalität. Leipziger Autoritarismus Studie. Gießen: Psychosozial Verlag.

Decker, O. (2018). Flucht ins Autoritäre. In O. Decker & E. Brähler. Flucht ins Autoritäre. Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft. Leipziger Autoritarismus Studie. (S. 15–63). Gießen: Psychosozial Verlag.

Elbe, I. (2020). Triebökonomie der Zerstörung. Kritische Theorie über die emotionale Matrix der Judenvernichtung. In K. Henkelmann, C. Jäckel, A. Stahl, N. Wünsch & B. Zopes (Hrsg.), Konformistische Rebellen. Zur Aktualität des autoritären Charakters (S. 73–105). Berlin: Verbrecher Verlag.

Frenkel-Brunswik, E. (1948). Intolerance of ambiguity as a personality variable. American Psychologist, 3, 268.

Fromm, E. (2016). Der autoritäre Charakter. In Ders. Die Gesellschaft als Gegenstand der Psychoanalyse. Frühe Schriften zur Analytischen Sozialpsychologie (S. 69–132). Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Horkheimer, M. (2003). Autorität und Familie in der Gegenwart. In Ders. Gesammelte Schriften. Band 5 (S. 377–395). Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Höcker, C., Pickel, G. & Decker, O. (2020). Antifeminismus – Das Geschlecht im Autoritarismus? Die Messung von Antifeminismus und Sexismus in Deutschland auf der Einstellungsebene. In O. Decker & E. Brähler (Hrsg.), Autoritäre Dynamiken. Alte Ressentiments – Neue Radikalität. Leipziger Autoritarismus Studie 2020 (S. 249–282). Gießen: Psychosozial Verlag.

Milbradt, B. (2020). Was begreift der Begriff „Autoritarismus“? Elemente einer Soziologie autoritärer Verhältnisse. In K. Henkelmann, C. Jäckel, A. Stahl, N. Wünsch & B. Zopes (Hrsg.), Konformistische Rebellen. Zur Aktualität des autoritären Charakters (S. 53–71) Berlin: Verbrecher Verlag.

Weyand, J. (2020). Der Aufstieg des Nationalismus und die Theorie des autoritären Charakters. In K. Henkelmann, C. Jäckel, A. Stahl, N. Wünsch & B. Zopes (Hrsg.), Konformistische Rebellen. Zur Aktualität des autoritären Charakters (S. 249–264) Berlin: Verbrecher Verlag.

Winter, S. (2020). „Die vorbildliche deutsche Frau und der echte deutsche Mann“. Sozialpsychologische Überlegungen zu Geschlecht und Autoritarismus als Performanz und Charakter. In K. Henkelmann, C. Jäckel, A. Stahl, N. Wünsch & B. Zopes (Hrsg.), Konformistische Rebellen. Zur Aktualität des autoritären Charakters (S. 159–176) Berlin: Verbrecher Verlag.

Winter, S. (2021). Väter und Söhne. Phantasmen nationalsozialistischer Propaganda und aktuelle Filmmotive. blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 17.08.2021. https://doi.org/10.17185/gender/20210817

Winter, S. (2022). Die Geschlechtlichkeit zwischen sexueller Malaise und autoritärer Identität. Zur affektiven Funktion des antigenderistischen Wahns. In K. Stögner & A. Colligs (Hrsg.), Kritische Theorie und Feminismus (S. 345–366). Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Zitation: Charlotte Höcker, Johanna Niendorf: Antifeminismus als autoritäre Konfliktabwehr, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 14.06.2022, www.gender-blog.de/beitrag/antifeminismus-als-autoritaere-konfliktabwehr/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20220614

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Charlotte Höcker

Charlotte Höcker ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Else-Frenkel-Brunswik Institut für Demokratieforschung in Sachsen. In der sozialraumnahen Forschung, sowie in den Leipziger Autoritarismus Studien arbeitet sie insbesondere zu gesellschaftlichen und psychodynamischen Konflikten rund um die Themen Antifeminismus, Geschlechterdemokratie und Emanzipation.

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Johanna Niendorf

Johanna Niendorf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Else-Frenkel-Brunswik-Institut in Leipzig und promoviert zu Autoritarismus und Geschlecht. Sie engagiert sich in verschiedenen politischen Initiativen, u.a. bei Phia e.V. - gegen Gewalt an Frauen*.

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