05. Oktober 2021 Rebekka Blum
Die aktuelle Antifeminismusforschung zeigt, wie Antifeminismus als Türöffner für extrem rechtes Denken und Mobilisierungen fungiert. Um das Phänomen theoretisch fundiert zu erfassen, ist es darüber hinaus notwendig, Antifeminismus auch in einem historischen Kontext und damit hinsichtlich Kontinuitäten und Brüchen zu betrachten.
Der Begriff Antifeminismus wurde von der Publizistin Hedwig Dohm in dem 1902 erschienenen Buch Die Antifeministen. Ein Buch der Verteidigung in Anlehnung an den Begriff Antisemitismus geprägt. Sie beschreibt mit dem Begriff die Abwehr der aufkommenden Frauenbewegung insbesondere ab Ende des 19. Jahrhunderts (Dohm 1902). In dieser Zeit war Antifeminismus als soziale Norm zu verstehen, denn die Frauenemanzipation wurde von verschiedensten politischen Milieus abgelehnt (Volkov 2001, S. 78). Als zentrale Orte des Antifeminismus können vor allem deutschnationale und völkische Gruppen gesehen werden. Diese verknüpften antifeministisches mit völkischem und eugenischem Denken und forderten unter anderem die Musterung der Frau vor der Ehe unter rassenhygienischen Aspekten (Planert 1998, S. 85 u. 93). Darüber hinaus wehrten sich insbesondere Berufsverbände zunächst gegen die Frauenerwerbsarbeit aus Sorge vor Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Da Frauen jedoch vor allem Berufe im sich herausbildenden Dienstleistungssektor übernahmen und gesetzliche Regelungen zur Befriedung männlicher Ängste um die Vorherrschaft verabschiedet wurden[1], nahm die Abwehr mit der Zeit ab. Diese gesellschaftlichen Auseinandersetzungen wirken sich bis heute auf die vergeschlechtlichte (Erwerbs-)Arbeitsteilung aus.
Antifeminismus als Ideologie
Antifeminismus wird zu dieser Zeit jedoch nicht allein ökonomisch, sondern vor allem ideologisch begründet. So behaupteten AntifeministInnen[2], höhere Bildung mache Frauen/Mädchen untauglich zur Mutterschaft (Planert 1998, S. 87). Insgesamt wurde die Frauenbewegung für den Geburtenrückgang in dieser Zeit verantwortlich gemacht. Obwohl parallel dazu auch die Säuglingssterblichkeit abnahm, drohte in den Augen antifeministischer und völkischer AkteurInnen eine Entvölkerung Deutschlands, was dazu führte, dass erstmals öffentlich über Verhütung und Schwangerschaftsabbrüche gesprochen wurde, die klassisch antifeministisch verurteilt wurden (Planert 1998, S. 113–115).
Dieses Angstbild – aktuell wird insbesondere vor einem „Bevölkerungsaustausch“ gewarnt – ist weiterhin weit verbreitet und noch immer wird der Feminismus für diese vermeintliche Verschwörung (mit)verantwortlich gemacht. Besonders drastisch zeigt sich dies anhand rechter Terroranschläge wie 2011 in Oslo/Utøya sowie in Halle und Christchurch 2019, bei denen diese rassistische, antisemitische und antifeministische Verschwörungserzählung je ein zentraler Aspekt des Motivs war. Institutioneller Höhepunkt des Antifeminismus im Kaiserreich war 1908 erreicht, als sich der Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation unter dem Motto „Dem Mann der Staat, der Frau die Familie“ gründete, mit dem Hauptziel, das Frauenwahlrecht zu verhindern. Als dieses in der Weimarer Republik schließlich eingeführt wurde, löste sich der Bund auf und gründete sich mit einem nun völkischen und antisemitischen Fokus als Bund zur Volkserneuerung neu. Ute Planert macht hier personelle Überschneidungen zu AntisemitInnen in der Weimarer Republik und späteren NationalsozialistInnen aus und beschreibt Antifeminismus daher als „protofaschistische Bewegung“ (vgl. Planert 1998, S. 14–18).
Volksgemeinschaftsdenken
Die Entwicklungen im Nationalsozialismus müssen hinsichtlich antifeministischer Kontinuitäten gesondert analysiert werden. Es ist in jedem Fall festzuhalten, dass im Nationalsozialismus das Ideal der Volksgemeinschaft angestrebt wurde – ein Gesellschaftskonstrukt, das nach außen durch Rassismus und Antisemitismus bis hin zu Mord und Vernichtungsversuchen und nach innen durch eine strenge Geschlechterdichotomie mit je spezifischen Aufgaben für Männer und Frauen strukturiert ist. Dieses Ideal ist einerseits klar antifeministisch, andererseits jedoch auch von einer gesellschaftlichen Aufwertung einer spezifischen Weiblichkeit – der arischen Mutterschaft – geprägt, was für viele weiße deutsche Frauen durchaus attraktiv war (Schenk 1980, S. 156–157).
Refamiliarisierung und gesellschaftliche Produktion
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in den deutschen Zonen deutlich mehr Frauen als Männer. Diese organisierten sich an vielen Orten in antifaschistischen Frauenausschüssen (Kuhn 1984, S. 13). Doch die Zeit der 1940er- und 1950er-Jahre war auch geprägt durch antifeministische Ideologie und Gesetzgebung. So galt der Ehemann als rechtlicher Familienvorstand und hatte viele Vorrechte, wie das Letztentscheidungsrecht bei Erziehungsfragen (bis 1959) oder die Entscheidung, ob seine Ehefrau berufstätig sein konnte. Dies galt, obwohl nach einem leidenschaftlichen Kampf insbesondere der SPD-Politikerin Elisabeth Selbert im Grundgesetz der Bundesrepublik die Gleichberechtigung der Geschlechter festgeschrieben wurde. Doch war dies insbesondere zu Beginn der Bundesrepublik mehr eine Gleichberechtigung auf dem Papier (Notz 2003). Auch in der DDR hatte die Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann Verfassungsrang. Die Einbeziehung der Frauen in die Berufsarbeit galt hier als wichtigster Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung der Frau. Doch das propagierte Emanzipationsmodell behielt stets seinen patriarchalen Charakter (Bock 2020, S.38 ff.)
Frauenbewegungen um 1968
Im Rahmen der 1968er-Bewegung und insbesondere durch die im Zuge dessen und auch in Abgrenzung dazu entstandenen Frauenbewegungen waren zahlreiche gesellschaftliche Liberalisierungen zu beobachten. Die Frauenbewegung machte in West wie Ost die antifeministische und patriarchale Norm der Gesellschaft sichtbar und griff sie an. Diese andauernden feministischen Kämpfe haben viel erreicht. So erarbeiteten sie eine Analyse patriarchaler Gesellschaften und entwickelten überhaupt erst eine Sprache für antifeministische und sexistische Ausformungen wie sexualisierte Gewalt und fehlende reproduktive Gerechtigkeit. Gleichzeitig macht ein Blick auf die aktuelle Situation deutlich, dass trotz vieler Erfolge FLINT* (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre und trans*) gesellschaftlich noch immer diskriminiert werden. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Schwangerschaftsabbrüche weiterhin politisch umkämpft sind und sexualisierte und tödliche Gewalt gegen FLINT*, insbesondere in heterosexuellen Beziehungen, weiterhin extrem stark verbreitet ist.
Fehlende reproduktive Gerechtigkeit und Gewalt
Gerade diese Themen – fehlende reproduktive Gerechtigkeit und Gewalt gegen FLINT* – machen den Kern patriarchaler und antifeministischer Gesellschaften aus. Dieser beruht auf dem Konstrukt der Zweigeschlechtlichkeit und dem Festschreiben von cis-Frauen auf eine potenzielle Mutterschaft, die als ihre gesellschaftliche Aufgabe gilt. Daraus leitet sich eine gesellschaftliche Einteilung in die Sphären öffentlich-männlich-politisch, privat-weiblich-sorgend ab. Verknüpft ist das Konstrukt der Zweigeschlechtlichkeit auch mit einer heterosexuellen Norm, was sich insbesondere zeigt an Mobilisierungen seitens verschiedener antifeministischer AkteurInnen gegen die zunehmend gesellschaftlich angestrebte Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Dabei wird deutlich, dass es bei antifeministischen Mobilisierungen immer auch um die Absicherung gesellschaftlicher Machtverhältnisse, insbesondere männlicher, heterosexueller und cis-geschlechtlicher Vorherrschaft, geht. Diese stehen in enger Verknüpfung mit weiteren gesellschaftlichen Machtverhältnissen wie insbesondere weißer Vorherrschaft, was erklärbar macht, warum Antifeminismus immer auch in Kombination mit Rassismus und Antisemitismus sowie weiteren Ideologien der Ungleichheit auftritt.
Antifeminismus als Basis extrem rechter Ideologie
Ein Blick auf historische Kontinuitäten zeigt, dass Antifeminismus einerseits als Gegenbewegung zu emanzipatorischen Aufbrüchen im Bereich der Geschlechterverhältnisse und Sexualität zu verstehen ist. Andererseits lässt sich Antifeminismus als eigenständige, gesellschaftlich weit verbreitete Ideologie betrachten, die Basisbestandteil extrem rechter Ideologie ist. Wichtig ist zu erkennen, dass Antifeminismus stets von verschiedenen gesellschaftlichen AkteurInnen geteilt wird. Er fungiert als Bindeglied für all jene, die sich im geteilten Feindbild Feminismus und insbesondere in dem Ideal der heterosexuellen weißen Kleinfamilie vereinen (u. a. Lang/Peters 2018). Dies ermöglicht gemeinsame Bündnisse wie bei den Protesten gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg 2014/15, der das Ziel hatte, die Akzeptanz sexueller Vielfalt als Querschnittsthema zu verankern. Dagegen mobilisierten AkteurInnen aus dem konservativen und maskulinistischen Milieu ebenso wie AkteurInnen der christlichen und extremen Rechten (u. a. Teidelbaum 2015). Hier entstehen Bündnisse, die bei weiteren Gelegenheiten reaktiviert werden können, so auch in der Corona-Pandemie. In diesem Sinne kann Antifeminismus auch als Türöffner[3] für Mobilisierungen bis hin zu extrem rechtem Denken betrachtet werden.
[1] So wurde 1908 festgelegt, dass der Anteil von Lehrerinnen an Mädchenschulen nicht über zwei Dritteln liegen dürfe, in Jungenklassen nicht über einem Drittel. Diese Zahlen wurden in der Realität meist deutlich unterschritten (Planert 1998, S. 59).
[2] Ich nutze im Artikel verschiedene geschlechtergerechte Sprachvarianten. Grundsätzlich nutze ich den Gender-*, um Personen jenseits der Zweigeschlechtlichkeit mit zu repräsentieren. Da Antifeminismus auf der Vorstellung der Zweigeschlechtlichkeit aufbaut, nutze ich für AkteurInnen aus diesem Spektrum die zweigeschlechtliche Genderung mit Binnen-I. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nicht auch Personen jenseits der Zweigeschlechtlichkeit AntifeministInnen sein können.
[3] Die Formulierung Antifeminismus als Türöffnerideologie in die autoritäre und extreme Rechte ist im Austausch mit Juliane Lang entstanden, als wir auf der Suche waren nach einer Alternative zur häufig verwendeten Formulierung „Antifeminismus als Einstiegsdroge in extrem rechtes Denken“. Mit dieser Formulierung wollen wir die gesellschaftliche Verankerung antifeministischen und queerfeindlichen Denkens aufzeigen und Antifeminismus als Bestandteil gesellschaftlicher Geschlechterverhältnisse benennen.
Literatur
Bock, Jessica. 2020. Frauenbewegung in Ostdeutschland. Aufbruch, Revolte und Transformation in Leipzig 1980-2000. Halle: Mitteldeutscher Verlag.
Dohm, Hedwig. 1902. Die Antifeministen. Ein Buch der Verteidigung. Berlin: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung.
Kuhn, Annette. 1984. Frauen suchen neue Wege der Politik. In Frauen in der deutschen Nachkriegszeit, vol. 1, 12–38. Düsseldorf: Pädagogigscher Verlag Schwann-Bagel.
Lang, Juliane und Ulrich Peters. 2018. Antifeminismus in Deutschland. Einführung und Einordnung des Phänomens. In Antifeminismus in Bewegung. Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt, 13–36. Hamburg: Marta Press.
Notz, Gisela. 2003. Frauen in der Mannschaft: Sozialdemokratinnen im Parlamentarischen Rat und im Deutschen Bundestag 1948/49 bis 1957: mit 26 Biographien. Bonn: Dietz.
Planert, Ute. 1998. Antifeminismus im Kaiserreich: Diskurs, soziale Formation und politische Mentalität. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Schenk, Herrad. 1980. Die feministische Herausforderung: 150 Jahre Frauenbewegung in Deutschland. München: C. H. Beck.
Teidelbaum, Lucius. 2015. „Kein Bildungsplan unter der Ideologie des Regenbogens“. Homo- und Transphobe Straßenproteste gegen den Entwurf eines neuen Bildungsplans ins Stuttgart. In: Unheilige Allianz. Das Geflecht von christlichen Fundamentalisten und politisch Rechten am Beispiel des Widerstands gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg, Reihe antifaschistischer Texte, Hrsg. Lucie Billmann, 6–15. Stuttgart: Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Volkov, Shulamit. 2001. Das jüdische Projekt der Moderne: zehn Essays. Originalausg. München: C. H. Beck.
Zitation: Rebekka Blum: Historische Kontinuitäten und Brüche im deutschen Antifeminismus, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 05.10.2021, www.gender-blog.de/beitrag/antifeminismus-deutschland-kontinuitaeten-brueche/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20211005
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