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Aufmüpfige Frauen in Dortmund

07. Dezember 2021 Uta C. Schmidt

Am 8. Oktober 2021 erhielten Monika Salzer, Sonja Eismann und Stefanie Lohaus den Preis der Stiftung „Aufmüpfige Frauen“ 2021. Die drei Preisträgerinnen stehen für die Bewegung „Omas gegen Rechts“ und für das Missy Magazine als Medium des popkulturellen Feminismus. Diese Bandbreite an ausgezeichneten Feminismen unter dem Label „Aufmüpfige Frauen“ lässt aufhorchen und verlangt aus mehreren Gründen nach einer eingehenderen Betrachtung – nicht zuletzt, weil sich ein Preis mit der Anrufung „Frauen“ heute gerade durch Feminismen oft pauschal der Kritik des Essentialismus ausgesetzt sieht (vgl. Metz-Göckel 2021). Die „Aufmüpfigkeit“ wiederum führt als irritierender Begriff historisch hinein in das Spannungsverhältnis von Erfahrung und Erwartung, das auch feministische Praxis antreibt, um gesellschaftlichen Wandel voranzubringen – eine interessante Konstellation.

Der Preis geht auf die Soziologin und Wissenschaftspolitikerin Sigrid Metz-Göckel zurück, die im Jahre 2004 aus angespartem Privatkapital und Spenden die „Stiftung Aufmüpfige Frauen“ gründete. Sie wollte – nach Selbstaussage – mit ihrer Stiftung etwas zurückgeben, denn sie hatte als Flüchtlingskind und später in ihrem Berufsleben viel Unterstützung und Solidarität von der Gesellschaft und speziell von Frauen erfahren.

Aufmüpfigkeit als politische Kategorie

Biografische und frauenpolitische Erfahrungen mit Unangepasstheit, mit Solidarität, Vergemeinschaftung, Grenzüberschreitung und Raumbesetzung führten zum Namen „Aufmüpfige Frauen“. Das Wort „aufmüpfig“ wird im Wörterbuch der Gebrüder Grimm mit „aufsässig, widersetzlich“ angegeben und leitet sich aus „mupfig, müpfig“ her, was so viel heißt wie „durch gebärden oder worte seine verachtung oder seine unzufriedenheit ausdrucken, murren“ (DWG/Grimm 2). Wortgeschichtlich hat „aufmüpfig“ eine „Schallwurzel“, das heißt, es geht ums Lautsein und die entsprechenden Bewegungen der Mundpartie samt dazugehörendem Gesichtsausdruck. Damit steht die Aufmüpfigkeit weiblicher Anmut mit gesenktem Blick beim stillen Wirken im häuslichen Kreise grundsätzlich entgegen. Aufgehoben sind in „aufmüpfig“ auch das Niederländische „mopperen“ als maulen, und mehr noch: das englische „Mob“ als Bezeichnung für den Pöbel, für eine aufgebrachte, gewaltbereite, ungeordnete Menschenmenge, die gesellschaftliche Herrschaftsordnungen bedroht. Aufmüpfigkeit durchkreuzt in diesem Wort- als Bildhorizont gleich mehrfach Repräsentationen, mit denen Weiblichkeit imaginiert, somit hervorgebracht wird und zeigt öffentliche Widersetzlichkeit an. Sie setzt sich über gesellschaftliche Rollenerwartungen an „Züchtigkeit“ hinweg. Damit wird Aufmüpfigkeit als Eigenschaft, Haltung und Praxis zu einer politischen Kategorie.

Hinein ins Zeitalter des Popfeminisms

Und so sind im Verständnis der Stiftung jene Frauen* „aufmüpfig“, die über ein feministisches Selbstverständnis verfügen, die Grenzen des Denkens überschreiten und gegen den Strom schwimmen können, die in gesellschaftliche Verhältnisse intervenieren und die sich kreativ gemeinwohlorientiert für eine Verbesserung der Situation von Frauen* einsetzen. Aufmüpfigkeit ist im Verständnis der Stiftung eine grundlegende Eigenschaft, Haltung und Praxis des Feminismus. Dieser artikuliert sich in vielen Facetten und zeigt sich eher im Plural – als Feminismen –, ist unabgeschlossen und in Bewegung, denn er reagiert immer wach auf gesellschaftliche Herausforderungen. Beherzten Schrittes hat sich die Stiftung mit den Preisträgerinnen 2021 in das Zeitalter des Popfeminismus aufgemacht, denn die Preisträgerinnen wissen das Spiel der Zeichen und Diskurse ebenso zu spielen wie mit lauten Stimmen Widerstand auf die Straße zu bringen.

Omas gegen Rechts

Monika Salzer, geboren 1948 in Wien, ist Psychotherapeutin, evangelische Theologin und Autorin. Im November 2017 gründete sie angesichts der schwarz-blauen Regierungsübernahme die Facebook Gruppe „Omas gegen Rechts“, um sich gegen den in Österreich ausbreitenden Rechtspopulismus und Neofaschismus zu stellen – O-Ton bei der Preisverleihung: „Aufstehen und sagen: es reicht!“ Es entwickelte sich eine Ländergrenzen überwindende Bewegung von Frauen, die einen generationenübergreifenden, integrierenden Feminismus vertritt. Salzer begründet ihre politische Motivation historisch mit Erfahrungen ihrer Generation, die in Zeiten des Wohlstands und des Friedens aufwuchs, die sich bilden konnte und in sozialstaatliche Grundsicherheiten hineinwuchs. Nun befürchtet sie, das dies nachkommenden Generationen nicht mehr vergönnt sein wird. Und sie will auf die Frage von Kindern und Enkelkindern „Was habt ihr getan?“ – gegen die Bedrohung der Demokratie durch Neofaschismus, Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Sozialabbau – konstruktive Antworten geben können. Darüber wird auch „Generation“ zu einer politischen Kategorie (Salzer 2019).

Offensiv den Begriff „Oma“ umdeutend widersetzen sich Omas gegen Rechts den Geschlechterstereotypisierungen älterer Frauen. Stattdessen verstehen sie sich als politische Kraft, machen – als Spiel mit Zuschreibungen – mit pinken, selbstgestrickten „Pussyhats“ oder Gehstöcken auf sich aufmerksam.

Das Missy Magazine

Mit Sonja Eismann (*1973) und Stefanie Lohaus (*1978) wurden zwei Frauen ausgezeichnet, die im Jahre 2008 das „Missy Magazine“ gründeten, heute das deutschsprachige Medium für „Pop, Politik und Feminismus“. Nun bildete sich auch in der Medienlandschaft die Vielstimmigkeit von Feminismus ab, der Achselhaare und Katzen ebenso zum Thema machen konnte wie den Kampf für sichere Abtreibungen und gegen Antifeminismus. Die Rubriken der Zeitschrift lauteten in den Anfangsjahren: „Features“, „Am Start“, „Mach es selbst“, „Sex“, „Style“, „Politik“, „Edutainment“. Die Zeit verlangte danach, Pop, Politik und Feminismus zusammenzudenken, für die Bundesrepublik mit ihrer strikten Trennung in E und U – Ernst und Unterhaltung – ein geradezu revolutionäres Unterfangen. Wenn Pop die „kollektive Erzeugung von Bewegungs- und Generationenkultur“ (Diederichsen 2014, 265) ist, dann ist er unzweifelhaft das Medium, in dem sich zeitgenössische Feminismen artikulieren. Auf den Punkt gebracht: Missy hat für den deutschsprachigen Feminismus, über den Alice Schwarzer die Deutungshoheit zu besitzen beansprucht(e), grundlegend die Generationen-, die Stil- und die Zukunftsfrage gestellt.

Sigrid Metz-Göckel ließ in ihrer Laudatio anklingen, dass ihr so manche Themen und Styles fremd geblieben sind. Das mag an der Radikalität manch queerfeministischer Position liegen und daran, dass sie sich immer mehr ausdifferenzieren. Das liegt aber auch an der mit Akronymen und Anglizismen gespickten Sprache, die zum einen inhaltlich die Vervielfältigung von Genderidentitäten und die Auflösung eines feministischen Subjekts indiziert, auch die internationale Verwobenheit der Szenen, die zum anderen aber formal ganz einfach den Strukturbedingungen des modernen Medienzeitalters geschuldet ist: Social-Media-Posts mit ihren begrenzten Zeichenzahlen brauchen Abkürzungen wie SAB, da das Wort „Schwangerschaftsabbruch“ einfach zu viele Zeichen umfasst. Das Missy Magazine unterhält für diese Sprachfragen ein äußerst bildendes Glossar „Hä? Was heißt denn …“, gegen die „Panik von Wörtern“.

Grundlagen eines zeitgenössischen Feminismus

Als Festrednerin hatte die Stiftung die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal (*1971) eingeladen und damit eine prominente Stimme des zeitgenössischen Feminismus (Sanyal 2021). In einer Tour de Force erklärte sie dem Publikum die Grundlagen aktueller radikaler Feminismen. So gilt es zuerst, die Narrative zu verändern, die Frauenbewegungen exklusiv als Bewegung von und für Frauen vor- und darstellen. Wir benötigen eine politische Identität als Frauen*, dann, wenn wir Rechte einklagen und geltend machen wollen, doch eine Naturalisierung kann damit nicht einhergehen. So müssen gerade feministische Bewegungen sensibel sein gegenüber Ausgrenzungen, um nicht das zu wiederholen, was jahrhundertelang eben mit Frauen* geschah, nämlich, dass ihnen das Recht als Mensch abgesprochen wurde.

Mithu Sanyal warnte davor, Patriarchat und Kapitalismus zu verwechseln und wandte sich dezidiert gegen einen elitären Lean-In-Feminismus: Es geht nicht um Frauen in DAX-Vorständen, sondern darum, DAX-Vorstände abzuschaffen. Und sie forderte eine neue Solidarität ein, die über die Grenzen der Spezies hinausgeht – nämlich dort, wo es um uns und die Natur geht. Mit Bezug auf die First-Nation-Umweltbiologin Robin Wall Kimmerer (Kimmerer 2021) und indigenem Wissen von wechselseitigen Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt schlug Sanyal vor,  dieses „Verhältnis“ gänzlich anders zu leben, nicht als hierarchische Subjekt-Objekt-Beziehung, in der sich der Mensch die passive Natur untertan macht, um sie dann in heutiger Rhetorik zu „retten“ – wer denkt hier nicht an Herrschaftsformen im Geschlechterverhältnis –, sondern als Solidarität mit der belebten und unbelebten Natur.

Strahlkraft über Dortmund hinaus

Für die Preisverleihung hatte Maresa Feldmann, Leiterin des Gleichstellungsbüros der Stadt Dortmund, als Kooperationspartnerin der Stiftung stets das Rathaus als Ort für frauenpolitische Öffentlichkeit und feministische Traditionsbildung reserviert. Doch dies war ihr wegen Renovierungsarbeiten in 2021 nicht möglich. So fand der Festakt in der Evangelischen Stadtkirche St. Petri vor dem „Goldenen Wunder“ von 1521 statt – ein Ereignis mit Strahlkraft über Dortmund hinaus, machten sich Stifterin und Stiftungsvorstand mit der Wahl der Preisträgerinnen und der Auswahl der Festrednerin doch auf den Weg hin zu aktuellen, zeitgenössischen, popkulturellen und radikalen Feminismen: Aufmüpfige Frauen sind eben grundsätzlich in Bewegung.

Literatur

Artikel Aufmüpfig in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm / Neubearbeitung (A-F), digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21. Abgerufen am 02.12.2021 unter https://www.wörterbuchnetz.de/DWB2.

Diederichsen, Diedrich (2014), Über Pop-Musik, Köln: Kiepenhauser & Witsch.

Kimmerer, Robin Wall (2021), Geflochtenes Süßgras. Die Weisheit der Pflanzen, Berlin: Aufbau Verlag.

Metz-Göckel, Sigrid (2021), Wie feministisch ist die Stiftung Aufmüpfige Frauen? Selbstverständnis der Stiftung Aufmüpfige Frauen. Abgerufen am 02.12.2021 unter https://www.stiftung-aufmuepfige-frauen.de/die-stiftung/.

Salzer, Monika (2019), Omas gegen Rechts. Warum wir für die Zukunft unserer Enkel kämpfen, München: Droemer.

Zitation: Uta C. Schmidt: Aufmüpfige Frauen in Dortmund, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 07.12.2021, www.gender-blog.de/beitrag/aufmuepfige-frauen-in-dortmund/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20211207

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Dr. Uta C. Schmidt

Historikerin und Kunsthistorikerin; Forschungen an den Schnittstellen von Raum, Wissen, Geschlecht und Macht; Publikationen zu Klöstern, Klanggeschichte und Geschichtskultur; wiss. Mitarbeiterin im Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW; Kuratorin im DA. Kunsthaus Kloster Gravenhorst; Mitherausgeberin von www.frauenruhrgeschichte.de.

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