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Debatte

bell hooks' Engaged Pedagogy: Hochschullehre rassismuskritisch reflektiert

17. Oktober 2023 Luca Onochie

Bildung ist in historische, politische und soziale Kontexte eingebettet, und entgegen der verbreiteten Vorstellung ihres emanzipatorischen Potenzials stabilisiert sie Macht- und Herrschaftsverhältnisse – auch an den Hochschulen. Zum einen reproduzieren Lehrpläne die eurozentrierte und rassistische Wissensordnung. Zum anderen ist die Praxis der Personaleinstellung und der Alltag auf dem Campus und im Seminarraum für Schwarze Studierende, Dozierende und Wissenschaftler*innen of Color geprägt von rassistischer und sexistischer Diskriminierung. Rassismus und Sexismus prägen somit unterschiedliche Dynamiken und Praktiken an der Hochschule.

Die US-amerikanische Literaturwissenschaftlerin bell hooks schlägt mit der pädagogischen Strategie Engaged Pedagogy (Engagierte Pädagogik) unterschiedliche Möglichkeiten der Intervention gegen rassistische Dynamiken im Bildungssystem vor. In diesem Beitrag soll mit der kurzen Vorstellung der Engaged Pedagogy dazu angeregt werden, über herkömmliche diskriminierende Bildungsprozesse zu reflektieren und über alternative feministische und antirassistische Ansätze in der Hochschullehre nachzudenken.

Lern- und Lehrverhältnisse im weißen Seminarraum

Alltägliche Situationen auf dem Campus sind geprägt von rassistischen und sexistischen Diskriminierungen. Besonders subtilere Formen rassistischer Gewalt sind üblich. Diese sind für die Betroffenen selbst oft nur schwer erkennbar, sofern sie als Betroffene rassistischer Gewalt bereits rassistische Normen verinnerlich haben (vgl. Bergold-Caldwell 2020). Auch in vermeintlich rassismuskritischen Veranstaltungen kommt es zu diskriminierendem Verhalten.

Ganz zu Beginn meiner Auseinandersetzung mit rassismuskritischen Theorien wurde ich mit einer Situation im Seminar konfrontiert, in der ohne kritische Reflexion kolonial-rassistische Sprache verwendet wurde. Das Seminar fand online statt und die meisten Teilnehmenden hatten keine Kamera an. Bei der verzweifelten Suche nach Verbündeten erinnerte ich mich an das vorherige Präsenzsemester und an die überwiegend weißen Gesichter in den Seminaren. Schnell gab ich die Suche nach Schwarzen und Kommiliton*innen of Color wieder auf. Ein Gefühl von Wut und Hilflosigkeit breitete sich in mir aus. Zuerst wollte ich die Dozentin auf den sehr unangebrachten Gebrauch rassistischer Sprache hinweisen, sagte aber letztendlich nichts und verlies frühzeitig die Sitzung.

Meine Erfahrung mit dem unkritischen Gebrauch kolonial-rassistischer Sprache im Seminar ist keine Seltenheit in der akademischen Lehre. Zu dem Zeitpunkt des Vorfalls erkannte ich den universitären Raum noch als neutralen und objektiven Ort der Wissensproduktion an, was mich an meinem Gefühl, dass die Verwendung rassistischer Begriffe unangemessenen war, zweifeln ließ.

(Pseudo-)Neutralität weißer Wissensbestände

Gerade die Vorstellung des Seminarraums als vermeintlich neutraler Raum verhindert wesentlich eine Auseinandersetzung mit den eingeschriebenen kolonial-rassistischen Kontinuitäten im Bildungssystem. Wissenschaftler*innen der Geistes- und Sozialwissenschaften sprechen, schreiben und theoretisieren vielfach über Erfahrungen oder eigene Lebensrealitäten (Kessé 2015). Wenn weiße Wissenschaftler*innen den akademischen Diskurs als objektiv und neutral darstellen, verkennen sie, dass sie aus einer Machtposition heraus arbeiten, die weder neutral und objektiv noch universal ist (Kilomba 2019). Es ist jedoch ein ausschließlich weißes Privileg, dass die „weiße Position nicht explizit rassifiziert wird“ (Kessé 2015: 33). Dieses Privileg basiert auf der Objektivitätsannahme, die die weiße Normposition tarnt. Grada Kilomba stellte heraus, dass die von der weißen Wissensnorm abweichenden Schwarzen Wissensperspektiven systematisch disqualifiziert werden, indem sie als persönlich, emotional und subjektiv abgewertet werden (Kilomba 2019). Auch Perspektiven und Beiträge weißer Studierender im Seminarraum werden durch die vermeintliche Objektivität, Neutralität und Universalität weißer Wissensbestände geschützt. Schwarzen Studierenden und Studierenden of Color wird dadurch kontinuierlich vergegenwärtigt, dass ihre von der Mehrheitsgesellschaft an der Universität abweichende Lebensrealität und ihr Erfahrungswissen als individuelles Empfinden verstanden werden und sie mit den Erfahrungen allein sind (Aslan 2017). Dadurch wird Schwarzen Personen und Personen of Color die strukturelle und institutionelle Ebene ihrer Rassismuserfahrungen verschwiegen.

Engaged Pedagogy: traditionelle Lern- und Lehrverhältnisse reflektieren

Die pädagogische Strategie der Engaged Pedagogy argumentiert gezielt gegen diesen Neutralitätsglauben. Die Hochschule und ihre Räume sind sozial und politisch dimensioniert, sie sind keineswegs neutral, so Mohanty: „[T]eachers and students produce, reinforce, recreate, resist, and transform ideas about race, gender, and difference in the classroom“ (Mohanty 2004: 194). Konservative Lehrmethoden prägen nach wie vor Lehrveranstaltungen an Universitäten. Leitbilder wie Disziplin, Unterwerfung und Schweigen lassen sich noch immer in den Dynamiken universitärer Lehrveranstaltungen wiederfinden (Castro Varela/Heinemann 2017). Diese Lehrformen bieten wenig bis keinen Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit bestehenden Machtverhältnissen. Universitäten bieten insbesondere weder Räume noch Sprechweisen, um sich mit Themen wie Rassismus auseinanderzusetzen (Popal 2016).

Eine alternative Wissensvermittlung, die es Lehrenden und Lernenden ermöglicht, kritisch und analytisch zu denken, kann dagegen einen sozialen Wandel bewirken (Kazeem-Kamiński 2018). Die Fähigkeit, gesellschaftskritisch zu denken, soll – wie Maria do Mar Castro Varela und Alisha Heinemann (2017) verdeutlichen – einen Prozess des Verlernens von akzeptierten Denkgewohnheiten anstoßen, was wiederum einen Weg eröffnet, die Reproduktion der hegemonialen Wissensordnung zu stören. Für hooks ist dies nur möglich, wenn Lernende und Lehrende sich als aktive Teilnehmende von Bildungsprozessen verstehen (hooks 1994). Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Verstrickung innerhalb der rassistischen und patriarchalen Ordnung und die aktive Einnahme einer antidiskriminierenden Position (Kazeem-Kamiński 2018).

Die Wirkmächtigkeit von Bildungsräumen

Feministische und antirassistische Wissenschaftler*innen wie bell hooks, Chandra Talpade Mohanty oder Paulo Freire betonen die Macht der Hochschulräume als Orte radikaler Möglichkeiten. Transnationale Dekolonialisierungsbewegungen, wie Rhodes Must Fall, Why isn’t my professor black oder #Campus-Rassismus, kritisierten die Verankerung kolonial-rassistischer Strukturen auf den unterschiedlichen Ebenen der Universität und wiesen damit auf die Wirkmächtigkeit von Bildungsräumen hin. Eine kritische Pädagogik, untermauert von antirassistischen, feministischen und postkolonialen Theorien soll dominante Wissensperspektiven kritisieren, hinterfragen und hegemoniale Machtverhältnisse in der Wissenschaft destabilisieren. Mit der pädagogischen Strategie der Engaged Pedagogy zeigt bell hooks, dass eine kritische Bildung und Erziehung den Prozess der kollektiven Befreiung von den Unterdrückungsverhältnissen voranbringen kann.

Die Umsetzung: Herausforderungen und Chancen

Laut hooks ist der Prozess der Bewusstwerdung der eigenen Vorurteile und Involviertheit innerhalb hegemonialer Macht- und Ungleichheitsverhältnisse für eine radikale Pädagogik höchst bedeutsam. Insbesondere fordert sie, sich von dem Bild der Lehrkraft, die als allwissender, schweigender Fragesteller fungiert, zu lösen. Lehrende sollen sich als aktive Teilnehmende von Bildungsprozessen verstehen und zeigen (hooks 1994). Für hooks sind die Erfahrungswerte der Lernenden sowie der Lehrenden im Zusammenhang der Theoriearbeit zentral. Indem sie ihre eigenen Erfahrungen einbringen, können die unterschiedlichen Lebensrealitäten anerkannt und wertgeschätzt werden. Außerdem werde so die Gemeinschaft gestärkt und eine positive Lernumgebung geschaffen. Zum anderen bewertet hooks es als produktiv, wenn Lehrende persönliche Erfahrungen einbeziehen und mit akademischen Diskussionen verknüpfen, um zu zeigen, wie Erfahrungen unser Verständnis von akademischem Material erhellen und verbessern können (hooks 1994).

hooks stellt mit der Engaged Pedagogy keine allgemeingültige Anleitung für eine kritische feministische Pädagogik zur Verfügung. Dies würde auch im Widerspruch zu ihrer Hauptannahme stehen, dass die Engaged Pedagogy jedes Klassenzimmer als individuell und unterschiedlich anerkennt. Strategien müssen jeweils an die gesellschaftlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen angepasst werden (hooks 1994). Damit setzt hooks ein gewisses Maß an Kreativität, Flexibilität und Offenheit gegenüber verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten für ein antidiskriminatorisches Lehren und Lernen bei den Lehrenden voraus.

Literatur

Aslan, Emine. 2017. „Wem gehört der Campus? Weiße Unilandschaften und Widerstandsformen von Student_innen of Color in Deutschland.“ In Rassismuskritik und Widerstandsformen, hrsg. von Karim Fereidooni und Meral El, 749–69. Wiesbaden: Springer VS.

Bergold-Caldwell, Denise. 2020. „Schwarze Weiblich*keiten: Intersektionale Perspektiven auf Bildungs- und Subjektivierungsprozesse.“ Dissertation. https://ebookcentral.proquest.com/lib/kxp/detail.action?docID=6274422

Castro Varela, María do Mar und Alisha Heinemann. 2017. „Contesting the imperial agenda. Respelling hopelessness: Some thoughts on the dereliction of the university.“ Tijdschrift voor Genderstudies 20 (3): 259–74. https://doi.org/10.5117/TVGN2017.3.HEIN

hooks, bell. 1994. Teaching to Transgress: Education as the Practice of Freedom. New York, London: Routledge Taylor & Francis Group.

Kazeem-Kamiński, Belinda. 2018. Engaged pedagogy: Antidiskriminatorisches Lehren und Lernen bei bell hooks. 2., unveränderte Auflage. Wien: Zaglossus.

Kessé, Emily Ngubia. 2015. Eingeschrieben: Zeichen setzen gegen Rassismus an deutschen Hochschulen. Voixes_signs. Berlin: worten & meer.

Kilomba, Grada. 2019. Plantation Memories: Episodes of Everyday Racism. 5th edition. Münster: UNRAST-Verlag.

Mohanty, Chandra Talpade. 2004. Feminism Without Borders: Decolonizing Theory, Practicing Solidarity. Reprint. New Delhi: Zubaan.

Popal, Karima. 2016. „Akademische Tabus. Zur Verhandlung von Rassismus in Universität und Studium: Rassismus in der postmigrantischen Gesellschaft.“ movements – Journal für kritische Migrations-und Grenzregimeforschung (2): 237–52.

Zitation: Luca Onochie: bell hooks' Engaged Pedagogy: Hochschullehre rassismuskritisch reflektiert, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 17.10.2023, www.gender-blog.de/beitrag/bell-hooks-hochschule-rassismuskritisch/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20231017

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Luca Onochie

Luca Onochie studiert im Master Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt. Im Rahmen ihrer Bachelorarbeit beschäftigte sie sich mit der Dekolonialisierung von Lehr- und Lernzusammenhängen an deutschen Hochschulen und setzt sich dafür aus einer feministischen und postkolonialen Forschungsperspektive mit der Verstrickung des Bildungssystems in Herrschaftsverhältnisse auseinander, um schließlich mit Blick auf die universitäre Lehre (post)koloniale Kontinuitäten an Hochschulen herauszuarbeiten

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