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Debatte

Die Beteiligung von Frauen an Film- und Fernsehproduktionen in Deutschland

22. Februar 2022 Petra Schmitz

Seit Gründung 2014 nutzen die Initiatorinnen von PRO QUOTE FILM alljährlich die BERLINALE, um auf den Stand der Beteiligung von Regisseurinnen, Kamerafrauen und Schauspielerinnen in der Film- und Fernsehproduktion hinzuweisen. Dieses Jahr war Claudia Roth, die neue Kulturstaatsekretärin, Adressatin eines „Filmgeschenks“ aus fünf animierten Videoclips. Darin werden knapp, visuell einprägsam und satirisch die Anteile von Frauen an den Förderbudgets, an den Honoraren, an der Regie und Kamera in audio-visuellen Produktionen aufgelistet. Sie zeigen, was Filmförderer, Sender und die Produktionsfirmen den Frauen in der Branche zuteilen. Die Clips sind auf Youtube eingestellt und sie sind gerade auch für die interessierte Öffentlichkeit aufbereitet und gedacht.

Clips zeigen Gaps auf

Der Gender Pay Gap in der Filmbranche ist mit 35% höher als im allgemeinen Bundesdurchschnitt (18%), mit 57% Unterschied am höchsten bei den Honoraren für Kameraarbeit. Im Clip „Statistiken“ werden die Anteile an Frauen an den Hochschulabschlüssen und ihre wirtschaftliche Tätigkeit am Markt in Relation gesetzt zu denen der Männer. Zu 44% beenden Frauen ein Regiestudium, sind am Markt aber nur zu 23% vertreten – im Gegensatz zu den Regisseuren: dort beenden 56% ein Studium, sind im Markt dagegen mit 72% präsent. Ähnlich ungünstige Relationen sind für die Filmgewerke wie Kamera und Montage festzustellen. Zahlen zur Sichtbarkeit aller Altersgruppen werden gelistet im Clip „Vorteil der Jugend“: Ab 60 Jahren finden sich nur noch wenige Kolleginnen bei der Regie und unter den Schauspielerinnen.

Im Clip „Gewicht der Kamera“ werden Frauen ständig gefragt, ob die Geräte nicht zu schwer für sie seien. Für das Tragen gleichschwerer Babys und Kleinkinder bieten die kräftigen Männer im Alltag meist weniger Hilfe an. Es geht um den „Thomas-Kreislauf“, nach dem Männer am liebsten ihnen ähnliche Männer für Jobs und Finanzmittel auswählen. Stereotype und Wertungen werden verbunden mit den vorhandenen Zahlenerhebungen, die Animationen erhalten so ihre Aussagekraft. Moderatorin und Autorin der Clips ist Marion Pfaus, alias Rigoletti, zusammen mit dem Verein PRO QUOTE FILM. Grundlage sind Studien, die ebenfalls seit 2014 regelmäßig die Zahlen der quantitativen und qualitativen Beteiligung von Frauen an der Filmwirtschaft erfassen.

Niedrige Budgets und prekäre Beschäftigung

Branchenspezifische Erhebungen geben Auskunft über die genderasymmetrische Entwicklung, so zum Beispiel der Sechste Diversitätsbericht des Bundesverbands Regie (BVR 2020). Seit dem ersten Diversitätsbericht, veröffentlicht 2014, sind kleine Zuwächse von zwei bis drei Prozent bei der Beteiligung von Frauen an Fernsehproduktionen zu verzeichnen. Da ihr Anteil im Erhebungszeitraum des sechsten Berichts 2018 bei 20 Prozent lag, ist eine geschlechtergerechte Auftragsverteilung erst jenseits des Jahres 2030 zu erwarten. Bei der Regie von Kinofilmen betrug 2018 der Anteil von Frauen 22 Prozent. Die Verwaltung eines hohen Budgets über fünf Millionen Euro pro Film wurde 2018 nur einer Frau zugetraut, der Oscar-Preisträgerin Caroline Link. Dagegen ist die ohnehin geringe Anzahl von Regisseurinnen im Low Budget Film tätig mit Budgets von unter zwei Millionen Euro. Als Ergebnis dieser Faktenlage werden daher Quoten bei der Verteilung von Filmfördermitteln zugunsten von weiblichen Kreativen gefordert.

Eine Studie zur sozialen Lage, Berufszufriedenheit und Perspektiven der Beschäftigten der Film- und Fernsehbranche (Langer Media 2018), in Auftrag gegeben von den Linksfraktionen im Abgeordnetenhaus Berlin und im Landtag Brandenburg, zeigt vor allem den Pay Gap zwischen Männern und Frauen. Von den üblichen niedrigen Honorarsätzen und prekären Beschäftigungsverhältnissen in der Filmbranche sind prozentual mehr Frauen betroffen. Die Forderung lautet hier, dass die Filmförderungen prekäre Beschäftigungsverhältnisse in der Filmproduktion ausschließen sollen.

Darstellung von Frauen im Fernsehen

Andere Daten erheben zwei umfangreiche Untersuchungen (Prommer/Linke 2017; Prommer/Stüwer/Wegner 2021) der MaLisa Stiftung, gegründet von Maria und Elisabeth Furtwängler. Sie richten den Fokus auf die Darstellung von Frauen im Fernsehen, mithin indirekt auf die Rezeption von Männer- und Frauenbildern in diesem Leitmedium. Im Abstand zum ersten Erhebungsjahr 2016 konnten 2020 in Bezug auf das Gender- und Altersgap positive Entwicklungen festgestellt werden. Zwar ist die Geschlechterverteilung im Verhältnis von zwei Männern zu einer Frau weiterhin unausgewogen, doch sind in fiktionalen Produktionen beide Geschlechter fast gleich, bei den Moderationen nahezu paritätisch vertreten, die weiblichen Altersrollen etwas differenzierter ausgearbeitet. Allerdings erklären immer noch zu 74 Prozent männliche Experten die Welt im Fernsehen. Bei den 2020 zum ersten Mal erhobenen Diversitätskategorien Migrationshintergrund/ethnische Zuschreibung, sexuelle Orientierung und Behinderung zeigen die Ergebnisse eine deutliche Unterrepräsentation.

Gesetzliche Quote gefordert

Die Forderungen, die sich aus den Studien der MaLisa Stiftung ergeben, adressieren primär die Sender. Andere fokussieren explizit auf die Filmförderung in Deutschland, aufgeteilt in die Bundesförderungen der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), Filmförderungsanstalt (FFA) und des Kuratorium Junger Deutscher Film sowie in neun Länderförderungen. Deren Vergabepraxis ist im Filmfördergesetz (FFG) geregelt.

Im Januar 2022 trat das neue Filmfördergesetz in Kraft, das in seiner Novelle die Verpflichtung zur ökologischen Nachhaltigkeit bei der Produktion von Filmen aufnimmt, aber keine Quote für Diversität, auch nicht in Hinsicht auf Gender, vorsieht. Bereits in zwei Jahren soll die nächste Novelle vorliegen, und es wäre zu wünschen, dass alle Filmverbände mit vereinten Kräften Forderungen für Geschlechtergerechtigkeit und Quoten im Rahmen der Konsultationsphase vor der Formulierung des Gesetzestextes aufstellen.

Zwei Forderungen der Pressekonferenz von PRO QUOTE FILM in diesem Jahr bleiben daher aktuell: Die Besetzung von Schlüsselpositionen durch Frauen und diverse Menschen in der Filmbranche, um mehr Sichtbarkeit von diversen Bevölkerungsgruppen insgesamt zu erreichen sowie die gesetzliche Verankerung einer Quote bei der Vergabe von Fördermitteln.

Mutige Experimente fördern

Doch ändern Frauen in Schlüsselpositionen wirklich etwas? Ellen Wietstock, Herausgeberin und Autorin des filmpolitischen Informationsdienstes BLACK BOX, stellte in Heft Nr. 298 vom August 2021 fest, dass die Genderquote bei der Besetzung der Fördergremien längst erfüllt ist. Insgesamt 187 Personen, davon 100 Frauen und 87 Männer (ohne Berücksichtigung der Jurys für Kurzfilm und Verleih), entscheiden in Deutschland darüber, wer welche Filme mit öffentlichen Mitteln realisieren darf, wer an der Gestaltung von langen Spiel- und Dokumentarfilmproduktionen für das Kino und – wenn die Fernsehsender koproduzieren – für das Fernsehen beteiligt ist. Warum also fallen aktuelle Entscheidungen weiterhin zu Ungunsten von Produktionsfirmen unter weiblicher Leitung aus, die häufiger Regisseurinnen und Kamerafrauen einsetzen (dies alles muss in den Antragsunterlagen ausgeführt werden) oder auch von Produktionsfirmen, die generell auf mehr Diversität bei der Auswahl der Kreativen setzen?

Ellen Wietstock geht es bei ihrer Zählung vor allem um die Zukunft des künstlerischen Films. Sie sucht Filme, die mutig und experimentell sind und die das deutsche Kino im Ausland besser vertreten, als dies derzeit der Fall ist. Die schlechte Situation führt Wietstock auf das Verfahren der Mehrheitsentscheidung in den Fördergremien zurück, diese ließen keinen Raum für mutige Experimente zu und – so wäre zu folgern – auch nicht für diverse und weibliche Perspektiven und Rollen in deutschen Film- und Fernsehproduktionen.

Den Unterschied machen

Die Forderung von PRO QUOTE FILM zur Besetzung von Schlüsselpositionen wäre also erneut zu schärfen und um Handlungsfelder zu ergänzen. Dabei wären auch Maßnahmen zu entwickeln, die für Sexismus und Rassismus in Filmrollen sowie im Produktions- und Entscheidungsprozess sensibilisieren. Zu diesem Schluss kam Ferda Ataman von den Neuen deutschen Medienmacher*innen in der eingangs genannten Pressekonferenz.

Ob sich die Filmbranche diversifiziert, wird sich in wenigen Jahren erweisen. Der Streamingdienst Netflix hat beispielsweise neuerdings ein Budget von 500 Millionen Euro für den deutschen Produktionsmarkt bereitgestellt und werbewirksam sein Büro in Berlin ausschließlich mit Frauen besetzt. Ob Entscheiderinnen künftig einen qualitativen Unterschied machen bei den Filmen und bei der quantitativen Beteiligung diverser Kreativer? Bei privaten Unternehmen wie Netflix oder auch bei den privaten und öffentlich-rechtlichen in Deutschland agierenden Fernsehsendern ist dies noch offen.

Literatur

BVR (2020): Genderanalyse zur Regievergabepraxis in deutschen fiktionalen Primetime-Programmen von ARD, ZDF, RTL, SAT.1, Pro7 und VOX sowie im deutschen Kinospielfilm. Sechster Diversitätsbericht des Bundesverband Regie. Zugriff am 18.02.2022 unter https://www.regieverband.de/fileadmin/user_upload/BVR_6_Diversitaetsbericht_2018-online.pdf.

Langer Media (2018): Die Film- und Fernsehschaffenden Berlin-Brandenburgs. Studie zur sozialen Lage, Berufszufriedenheit und den Perspektiven der Beschäftigten der Film- und Fernsehbranche am Standort Berlin-Brandenburg. LANGER MEDIA research & consulting. Zugriff am 18.02.2022 unter https://www.linksfraktion.berlin/fileadmin/linksfraktion/download/2018/Linkfraktion_Studie_Filmschaffende_Berlin_Brandenburg.pdf.

Prommer, Elisabeth/Linke, Christine (2017): Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellungen in Film und Fernsehen in Deutschland. Institut für Medienforschung, Universität Rostock: Rostock. Zugriff am 18.02.2022 unter https://www.uni-rostock.de/storages/uni-rostock/UniHome/Presse/Pressemeldungen/Broschuere_din_a4_audiovisuelle_Diversitaet_v06072017_V3.pdf.

Prommer, Elisabeth/Stüwe, Julia/Wegner, Juliane (2021): Sichtbarkeit und Vielfalt. Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität. Institut für Medienforschung, Universität Rostock: Rostock. Zugriff am 18.02.2022 unter https://malisastiftung.org/wp-content/uploads/SICHTBARKEIT_UND_VIELFALT_Prommer_Stuewe_Wegner_2021.pdf.

Zitation: Petra Schmitz: Die Beteiligung von Frauen an Film- und Fernsehproduktionen in Deutschland, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 22.02.2022, www.gender-blog.de/beitrag/beteiligung-frauen-film-und-fernsehproduktion/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20220222

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Petra Schmitz

Als Leiterin der dfi-Dokumentarfilminitiative in den letzten 20 Jahren mit der dokumentarischen Filmarbeit in allen Facetten beschäftigt, faszinieren mich Dokumentarfilme und Filme auch nach der Übergabe meines Amtes immer noch. Tätigkeit als freie Journalistin zu den Themen Film, Dokumentarfilm, Kultur, Ästhetik.

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