15. Oktober 2024 Katharina Hugo
Immer wieder machen rechte Akteur*innen mit angeblich feministischen Inhalten auf sich aufmerksam. Dabei bedienen sie sich sowohl gegenwärtiger als auch historischer Feminismen, indem sie deren eigentlichen Kern – Machtkritik, Intersektionalität und Emanzipation – auslassen. Dieser rechten Instrumentalisierung des Feminismus muss auch eine feministische Erinnerungspolitik begegnen.
Rechte ‚Feminismen‘
Rechte ‚Feminismen‘ sind durchzogen von einem rassifizierten Täterbild und beziehen sich dennoch auf Kampagnen und Slogans sowohl heutiger als auch früherer feministischer Bewegungen. Ein Beispiel ist die Kampagne #120db (120 Dezibel), die 2018 initiiert und nach außen von Frauen der rechtsradikalen Identitären Bewegung getragen wurde. Sie nutzte den Slogan „Von Frauen für Frauen“ und gab vor, Anti-Gewalt-Arbeit zu leisten. Die Aktivist*innen wollten damit an eine der erfolgreichsten Teilbewegungen – die feministische Anti-Gewalt-Bewegung (Notz 2017, S. 4) – der zweiten Frauenbewegung andocken. Sie stellten sich außerdem in die Tradition der feministischen Aktion #aufschrei, wenn sie davon sprachen, der wahre Aufschrei zu sein und bezeichneten sich an anderer Stelle als „Ergänzung zu(r) #metoo“ Kampagne (Leidinger 2019, S. 50). Sie vermieden das Wort ‚Feminismus‘, griffen aber feministische Themen, Slogans und Kampagnen auf. Anders als in feministischen Gewaltanalysen fußt ihre Erklärung von Gewalt gegen Frauen auf rassistischen Zuschreibungen von Täterschaft. In der Kampagne wird unter anderem von „importierter Gewalt“ (Leidinger 2019, S. 49) gesprochen. Die Frauenrechte des ‚Westens‘ werden ‚dem Islam‘ gegenübergestellt und als bedroht begriffen (Bischoff/Schiff 2020, S. 28).
Nationaler Feminismus
Deutlicher in ihrer Aneignung des Feminismus ist eine Frauengruppe der rechtsradikalen NPD, die in den frühen 2000er-Jahren einen „Nationalen Feminismus“ propagierte. Mit ihrer Parole „Deutsche Frauen wehrt euch – gegen das Patriarchat und Unmündigkeit!“ zielten sie auf eine Anerkennung deutscher Frauen als selbstständige Personen, als gleichberechtigte Mitstreiterinnen im „nationalen Widerstand“ und gegen die Reduktion der Frau auf die Rolle als Mutter (Bitzan 2017, S. 345). Das Projekt selbst wurde wieder eingestellt, allerdings stellt die Sozialwissenschaftlerin Renate Bitzan 2017 eine allgemeine Tendenz zur Sexismuskritik – selbstredend rassistisch und nationalistisch – bei rechtsextremen Frauen fest (Bitzan 2017, S. 345f.).
Umschreiben des historischen Feminismus
Rechte stellen sich mitunter gar explizit in die Tradition von Feminist*innen. Bereits 1987 erklärte Sigrid Kunke, eine Theoretikerin der Neuen Rechten, die Frauen der ersten Frauenbewegung zu „starke(n), nordische(n) Frauen“, die ihren „Freiheitswillen“ ausdrückten (Bitzan 2017, S. 358). Solche Aneignungen und Pervertierungen frauenbewegter Geschichte sind dabei keinesfalls selten oder heute nicht mehr vorhanden (Bitzan 2017, S. 358). Julia Haas verweist auf den deutlichen Geschichtsbezug rechter Frauenpolitiken heute. Rechte Frauenpolitiken sind keinesfalls mit den Ansprüchen (queer-)feministischer Bewegungen und Gruppen in Einklang zu bringen. Vielmehr vertreten die Aktivist*innen der Neuen Rechten essentialisierte Geschlechterbilder und suchen den geschichtlichen Bezug zur ersten Frauenbewegung (Haas 2020, S. 41). Dabei ist die Propagierung der Gefahr des stilisierten ‚fremden Mannes’ ein Grundbaustein der Geschichtspolitik rechter Gruppen, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart (Bischoff/Schiff 2020, S. 26).
Mit Blick auf Erinnerungsdiskurse und gesellschaftliche Gedächtnisse ist diese hier kurz beispielhaft skizzierte Inanspruchnahme des (historischen) Feminismus in mehrfacher Hinsicht bedenklich: Neben der vielfach zu konstatierenden ahistorischen Darstellung gilt dies vor allem in Bezug auf die Form, die die Anerkennung der (vermeintlich) feministischen Politiken heute erfahren und hinsichtlich der Bedeutung, die Bewegungsgeschichte für Feminist*innen hat.
Reduktionismus
Feminismus als machtkritische Theorie und Praxis der Befreiung von Frauen, die Intersektionalitäten mitdenkt und Ungerechtigkeiten in ihrer Gesamtheit angreift und aufheben will, sieht sich heute vielfach einer Reduktion gegenüber (Degele/Winker 2010). Pink-Washing sei hier als Stichwort genannt. Der sogenannte liberale Feminismus kann mit seiner von der Wirklichkeit komplexer Unterdrückungs- und Ungleichheitsverhältnissen entkoppelten formalen Gleichheitsforderung dem emanzipatorischen Anspruch feministischer Politiken nicht gerecht werden (Goetz 2016, S. 131f.).
Liberalen feministischen Politiken werden progressive und demokratisierende Funktionen für Gesellschaften zugeschrieben – also Funktionen, die im gesellschaftlichen Mainstream positiv besetzt sind, insbesondere, weil sie die „kapitalistische Akkumulationslogik“ (Degele/Winker 2010, S. 82) stärken – neue Arbeitskräfte und Märkte gelten als begrüßenswert, nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Diversität. Rechte ‚Feminismen’ wiederum finden Anschluss an den Mainstream gesellschaftlicher Diskurse, wie es nicht zuletzt am Beispiel der Kölner Silvesternacht deutlich wurde (Hark/Villa 2017, S. 44ff.). Sie sind keinesfalls isolierte Einzelphänomene, sondern Resultat und Indikator einer Entwicklung, die durch eine Aneignung, Aushöhlung und Entpolitisierung feministischer Bewegungen gekennzeichnet ist.
Feministische Bewegungsgedächtnisse
Feministische Bewegungsgedächtnisse können rechte Aneignungen feministischer Geschichte entlarven und gleichzeitig antifaschistisch und feministisch mobilisieren. Das linke Autor*innenkollektiv Loukanikos betont die Gefahr, der linke Geschichtspolitik ausgesetzt ist, wenn sie ständig auf rechte Geschichtsdarstellungen im Sinne einer Klarstellung reagiert und dabei nicht zur Entwicklung eigener Utopien gelangt. Rechte konstruieren in ihrer Geschichte eine Vergangenheit, deren Wiederherstellung ihr Ziel ist. Das Moment der Rückeroberung von vermeintlich Verlorenem mobilisiert. Linken fehlt hingegen vielfach der Rückgriff auf Geschichte und so „der Beleg dafür, dass eine andere gesellschaftliche Ordnung möglich ist“ (Autor*innenkollektiv Loukanikos 2021, S. 36). Für die Erinnerung feministischer Geschichte(n) haben diese Einsichten mehrere Konsequenzen: Die rechte Aneignung feministischer Geschichte reiht sich nicht nur in die Entpolitisierung feministischer Theorien ein, sondern sie beraubt darüber hinaus feministische Bewegungen eines mobilisierenden Moments, nämlich der Erinnerung an eigene Bewegungen und politische Forderungen.
Erinnern heißt kämpfen
Die Erkenntnisse von Loukanikos stimmen mit der aktuellen Forschung zu gesellschaftlichen Erinnerungsprozessen und der Bewegungsforschung überein. Soziale Bewegungen bilden ebenso wie andere gesellschaftliche Gruppen Gedächtnisse heraus. Dabei ist von einer Verflechtung von Gedächtnis und Bewegung in mehrfacher Hinsicht auszugehen, dem „Movement-Memory-Nexus“ (Daphi/Zamponi 2019). Die Herstellung und Pflege des eigenen sogenannten Bewegungsgedächtnisses ist integraler Bestandteil der politischen Arbeit sozialer Bewegungen. Aktivist*innen erforschen und erinnern die Ursprünge ihrer eigenen Bewegung und arbeiten an der Gestaltung dessen, wie sie erinnert werden wollen (Rigney 2021, S. 301). Das Bewegungsgedächtnis bringt keine geschlossenen und unhinterfragbaren Geschichtsbilder hervor, sondern ist vielmehr Grundlage und Ausgangspunkt der Aushandlung künftiger politischer Ziele und Strategien (Rigney 2021, S. 301).
In der Erinnerungsarbeit einer Bewegung liegt eine ihrer zentralen Aufgaben, mit der nicht zuletzt Kontinuität zwischen aktuellen und vergangenen Wellen der Bewegung hergestellt werden (Daphi/Zamponi 2019, S. 407). Die Arbeit am Bewegungsgedächtnis ist also konstitutiv für die kollektive Bewegungsidentität, darin liegt die „Selbststiftung als Bewegung“ (Lenz 2019, S. 64), und das über Generationen hinweg. Bewegungsgedächtnisse wirken also auch mobilisierend – „Erinnern heißt kämpfen“ (Autor*innenkollektiv Loukanikos 2021, S. 41).
Erinnern ist Arbeit an der Zukunft
Damit ist ein feministisches Bewegungsgedächtnis weit mehr als Protest gegen rechte Aneignungen feministischer Errungenschaften. Wenn sich Nazis feministische Geschichte aneignen und diese überschreiben, berauben sie die Bewegung eines wichtigen mobilisierenden Moments, denn gemeinsame erinnerte Geschichte der Bewegung beeinflusst sowohl ihre politische Strategien als auch ihren Erfolg als Bewegung insgesamt (Autor*innenkollektiv Loukanikos 2021, S. 37). Damit wirken feministische Erinnerungskulturen in der Gegenwart, indem sie einer Aushöhlung, Entpolitisierung und Aneignung von Feminismen entgegentreten, machtkritische Perspektiven erinnern und im Diskurs aufrechterhalten. Im Erinnern formulieren Feminist*innen gleichermaßen ihre Zukunftsvorstellungen, stellen feministische Theorien infrage oder bestätigen sie, diskutieren sie und schaffen damit Entwürfe für eine feministische Zukunft. Mit der Erinnerung an feministische Bewegung wird also mehr als ein Gegennarrativ angeboten und „eine Antifa-Demo gegen rechte Geschichte“ (Autor*innenkollektiv Loukanikos 2021, S. 34) auf die Beine gestellt. Die Akteur*innen entwickeln im Erinnern ihre politische Praxis in der Gegenwart.
Literatur
Autor*innenkollektiv Loukanikos: Das Prinzip Hoffnung. „Was tun mit der Geschichte?“ Ein Austausch über linke Geschichtspolitik mit dem AK Loukanikos, in: Herausgeber*innen des Gesprächskreises "Geschichte" (Hg.): Gegenwartsgestrige. Rechte Geschichtspolitik heute, Berlin 2021, S. 34-41 (Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg.): Materialien Nr. 36). Online verfügbar unter: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Materialien/Materialien36_Gegenwartsgestrige.pdf, zuletzt geprüft am 02.09.2024.
Bischoff, Sebastian/Schiff Anna: (Niemals) Zurück in die 1950er Jahre. Gender und Sexualität in rechter Geschichtspolitik, in: Herausgeber*innen des Gesprächskreises "Geschichte" (Hg.): Gegenwartsgestrige. Rechte Geschichtspolitik heute, Berlin 2021, S. 25-33 (Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg.): Materialien Nr. 36). Online verfügbar unter: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Materialien/Materialien36_Gegenwartsgestrige.pdf, zuletzt geprüft am 02.09.2024.
Bitzan, Renate: Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnisse in der extremen Rechten, in: Virchow, Fabian/Langebach, Martin/Häusler, Alexander (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus, Wiesbaden 2017, S. 325-374. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19085-3_12
Degele, Nina/Winker, Gabriele: Feminismen im Mainstream, in Auflösung – oder auf intersektionalen Pfaden, in: Freiburger GeschlechterStudien, Bd. 24, Freiburg 2010, S. 79-93. http://dx.doi.org/10.25595/84
Daphi, Priska/Zamponi, Lorenzo: Exploring the Movement-Memory Nexus: Insights and Ways Forward. Mobilization. An International Quarterly, Vol. 24 Heft 4 (2019), S. 399-417. https://doi.org/10.17813/1086-671X-24-4-399
Goetz, Anja: Feminismus von rechts? - Eine unbehagliche Frage, in: Femina Politica, Heft 2, 2016, S. 129-138. https://doi.org/10.3224/feminapolitica.v25i2.25359
Haas, Julia: Der facettenreiche Antifeminismus der Neuen Rechten - Zwischen klassischem Antifeminismus und der Instrumentalisierung feministischer Politiken, in: Engel, Daniel/Lanza, Adriana/Meier-Arendt, David (Hg.): Die Neue Rechte. Hintergründe und Hauptelemente neurechten Denkens, Darmstadt 2020. Online verfügbar unter: https://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/12853/1/Hauptelemente_Hintergr%C3%BCnde_Neuerechten_Denkens.pdf, zuletzt geprüft am 02.09.2024.
Hark, Sabine/Villa, Paula-Irene: Unterscheiden und herrschen: Ein Essay zu den ambivalenten Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart, Bielefeld: transcript Verlag, 2017. https://doi.org/10.1515/9783839436530
Leidinger, Christiane: Anschlussfähig – eine antifeministische Kampagne zu Gewalt gegen Frauen von extrem rechts. Feminismus und Antifeminismus, in: Bundesarbeitsgemeinschaft Mädchenpolitik e.V. (Hg.): 20 Jahre – BAG Mädchenpolitik. Feministisch aktiv für Mädchen* und junge Frauen*, Berlin 2019, S. 39-57. Online verfügbar unter: https://www.maedchenpolitik.de//wp-content/uploads/2022/04/BAG-Schriftenreihe-Ausgabe-17_2019.pdf, zuletzt geprüft am 02.09.2024.
Lenz, Ilse: Wie sich intersektional erinnern? Ambivalenzen und Konsequenzen in den Neuen Frauenbewegungen, in: Schmidbauer, Marianna/Wischermann, Ulla (Hg.): Feministische Erinnerungskulturen. 100 Jahre Frauenstimmrecht. 50 Jahre autonome Frauenbewegung, Frankfurt am Main 2019, S. 64-73. Online verfügbar unter: https://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/51222/file/CGC_Online_Papers_3.pdf, zuletzt geprüft am 02.09.2024.
Notz, Gisela: »…denn so fest, wie er sie liebte, schlug er sie oft auch«: Enttabuisierung des Themas Gewalt gegen Frauen, in: Forum Wissenschaft, Bd. 34 (2017), 3, S. 4-7. http://dx.doi.org/10.25595/1318
Rigney, Ann: Afterword. The Multiple Entanglements of Memory and Activism, in: Berger, Stefan/Scalmer, Sean/Wicke, Christian: Remembering Social Movements. Activism and Memor, London/New York 2021, S. 299-304. https://doi.org/10.4324/9781003087830-16
Zitation: Katharina Hugo: Bewegende Erinnerungen – Feministische Bewegungsgedächtnisse gegen Rechts, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 15.10.2024, www.gender-blog.de/beitrag/bewegende-erinnerungen-feministisch-gegen-rechts/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20241015
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Kommentare
Dr. Kathrin Packham | 16.10.2024
Liebe Katharina Hugo,
vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag! „Erinnern ist Arbeit an der Zukunft“ könnte auch das Motto unserer Arbeit sein. Feministische Erinnerungskultur zeitgemäß zu gestalten, um mobilisierend auf den demokratischen Diskurs zu wirken, war Ziel unseres Kurzfilmprojekts zu „Anita Augspurg. Der 30minütige Film vermittelt mit einer gehörigen Portion Humor die inspirierende Biografie der aus Verden stammende Frauenrechtlerin Dr. Anita Augspurg (1857-1943). Durch den Vergleich von "Damals und Heute" wird deutlich, was gesellschaftlich bisher erreicht wurde und wo es, wie "Alina" sagen würde, noch ordentlich zu tun gibt. Wir freuen uns über ein Feedback zum Film, den es u.a. hier online zu sehen gibt: www.verden.de/anitaaugspurg
Mit besten Grüßen aus Verden, Dr. Kathrin Packham