02. Juni 2020 Uta C. Schmidt
Andrea Qualbrink, *1976, hat zum Thema „Frauen in kirchlichen Leitungspositionen“ promoviert, das Programm „Kirche im Mentoring – Frauen steigen auf“ mitkonzipiert und in den Jahren 2013 und 2018 die Studien „Frauen in Leitungspositionen“ im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz durchgeführt. Sie arbeitet als Referentin im Stabsbereich Strategie und Entwicklung im Generalvikariat des Bistums Essen. Uta C. Schmidt sprach mit ihr über Frauen, Männer und die katholische Kirche.
Ich lese in einer Pressemitteilung: „Die katholische Kirche hat sich eine Frauenquote verordnet“ und denke: „Wie jetzt?“, schließlich sehe ich immer noch nur violett gewandete Männerzirkel in Kutten.
Ja, 2013 hat sich die Deutsche Bischofskonferenz erstmals selbst verpflichtet, den Frauenanteil in Leitungspositionen zu erhöhen und die Entwicklung fünf Jahre später wieder zu prüfen. 2018 zeigte sich dann tatsächlich eine leichte Erhöhung. Daraufhin verordneten sich die Bischöfe eine Quote von „einem Drittel und mehr“ Frauen in Leitungspositionen. Was man allerdings unterscheiden muss in der katholischen Kirche, das sind Leitungspositionen, die die Priesterweihe voraussetzen, und solche, die das nicht tun. Es gibt zahlreiche Leitungspositionen, die Frauen innehaben können: in der Verwaltung von Bistümern, in der Leitung von Schulen, Krankenhäusern, Pressestellen, Gemeinden und so weiter. Die höchsten Leitungspositionen allerdings und die mit der meisten Macht setzen die Priesterweihe voraus. Die Leitung der Gesamtkirche ist dem Papst vorbehalten und die von Teilkirchen, also Bistümern, Bischöfen – das sind die angesprochenen violett gewandeten Männerzirkel. Und Frauen sind in der katholischen Kirche zur Priesterweihe nicht zugelassen. Dass das so ist, wird seit Jahrzehnten massiv diskutiert und kritisiert, auch einige deutsche Bischöfe sagen inzwischen, dass es so nicht weitergeht. Eine Änderung müsste in Rom entschieden werden, und das ist aktuell leider nicht in Sicht.
Worauf gründet sich die Offenheit für Frauenförderung?
Es gibt in meinen Augen drei zentrale Gründe: Zum einen nehmen immer mehr Menschen und auch Verantwortliche wahr, dass sich die katholische Kirche dringend verändern muss, dass es Strukturen gibt, die Machtmissbrauch begünstigen und Frauen diskriminieren. Zum anderen verstehen Verantwortliche inzwischen immer mehr, dass es führungskompetente Frauen gibt, dass man auch in kirchlichen Leitungspositionen nicht auf kompetente Frauen verzichten kann und dass sich Vielfalt auf Leitungsebene positiv auswirkt. Und dann gibt es schließlich schlicht Priester-, Fach- und Führungskräftemangel, sodass man umdenken muss.
Von Ihnen stammt die Formulierung von der „positiven Irritation“, die Frauen für die Kirche darstellen. Was meinen Sie damit?
Der Begriff ist auf der Folie der Systemtheorie zu verstehen: Systeme erhalten sich selbst und wiederholen Routinen. Eine Routine für die katholische Kirche war bis in die 1990er-Jahre, dass z. B. in den Leitungspositionen von Bistumsverwaltungen fast nur Priester und einige wenige nichtgeweihte Männer tätig waren. Dann kamen die ersten Frauen. Für meine Doktorarbeit habe ich Frauen in solchen Leitungspositionen interviewt. Sie reflektierten, dass sie die Routinen dieses männlichen und klerikalen Systems allein durch ihre Anwesenheit störten. Sie machten eine Veränderung des ganzen Systems sichtbar und spürbar. Sie störten es aber mitunter auch durch Themen und Methoden, die sie einbrachten – nicht, weil Frauen von Natur aus anders führen oder alle Feministinnen sind, aber weil sie einen anderen Erfahrungshintergrund mitbringen als nichtgeweihte Männer und Priester. Störungen sind für ein System produktiv, weil sie das System aus den Routinen herausbringen und verändern.
Frauen in der katholischen Kirche wollen keinen Kaffee mehr kochen. Sie haben den Kaffee auf, so heißt es in der Initiative Maria 2.0. Der Moment der Geschichte für die Anerkennung von Frauen in der katholischen Kirche sah gut aus, bis sich Papst Franziskus im Anschluss an die Amazonas-Synode gegen eine Lockerung des Zölibats und gegen die Weihe von Frauen aussprach. Warum schielten wir in Mitteleuropa auf vielversprechende Änderungen im Amazonasgebiet?
Im Amazonasgebiet sind die Bedingungen von Kirche ganz andere und viel prekärer als etwa in Westeuropa. Das hat aber auch zur Folge, dass sich Kirche entwickelt: Wenn ein Priester nur alle vier oder acht Wochen für eine Eucharistiefeier anreisen kann, dann muss sich eine Gemeinde anders organisieren, und das machen die Christen und Christinnen im Amazonasgebiet auch. Die Hoffnung, die viele an die sogenannte Amazonas-Synode hatten, war, dass der Papst angesichts des enormen Priestermangels und der massiven pastoralen Bedarfe im Amazonasgebiet und angesichts der Diskussionen um Zölibat und Frauenweihe auch auf der vorangegangenen Synode Veränderungen in Aussicht stellt. Das hat er nicht gemacht. Wohl hat er z. B. stark gemacht, dass auch Lai*innen, also nichtgeweihte Frauen und Männer, Gemeinden leiten sollen, was auch bei entsprechenden Diskussionen in unseren Breitengraden hilft. Aber die Hoffnung ging dahin, dass die prekäre Situation der Kirche in den Amazonasgebieten dazu führt, dass echte Veränderungen denkbar und umgesetzt werden.
Für Papst Franziskus läuft die Diskussion um die Zulassung von Frauen zu heiligen Weihen „auf eine Klerikalisierung der Frauen“ hinaus. Dies würde „auf subtile Weise zu einer Verarmung ihres unverzichtbaren Beitrags führen“, so steht es in dem nachsynodalen apostolischen Schreiben „Querida Amazonia“ von Papst Franziskus. Wie gehen Sie mit diesem Argument um, das an das 19. Jahrhundert erinnert, als den Forderungen des Katholischen Deutschen Frauenbundes in der damaligen Stimmrechtsbewegung mit ähnlichem Argument begegnet wurde?
Die Passagen über „die Frau“ in Querida Amazonia haben mich als Wissenschaftlerin, Christin und Frau verärgert und verletzt. Sie sind paternalistisch und jenseits des notwendigen wissenschaftlichen Niveaus im Blick auf die Geschlechter. Das Lehramt der katholischen Kirche hält nach wie vor essentialistisch an der Polarität und Komplementarität der Geschlechter und einer sich daraus ergebenden Berufung „der Frau“ fest. Dabei verbleibt es in einem Binnendiskurs über das „Wesen der Frau“, der die interdisziplinäre Geschlechtertheoriedebatte schlicht ignoriert und die eigene Position mit dem Schöpfungswillen Gottes zementiert. Wie gehe ich damit um? Ich mache meine Position als Theologin öffentlich: in Artikeln, in Vorträgen, im Forum „Frauen in Ämtern und Diensten der Kirche“ auf dem Synodalen Weg. Und wenn es in dem Papier heißt, man müsse eine Klerikalisierung der Frauen verhindern, so widerspreche ich auch: Man muss nicht Frauen vor den möglichen Folgen einer Weihe schützen, sondern dem Klerikalismus in der katholischen Kirche den Boden entziehen, und das heißt, die Weiheämter daraufhin prüfen, ob sie dem Auftrag der Kirche entsprechen.
Wo lesen Sie in der christlichen Botschaft die Vision einer Gleichberechtigung der Geschlechter?
Erst einmal gehört zum christlichen Glauben, dass alle Menschen unterschiedslos Ebenbilder Gottes und von Gott unbedingt geliebt sind. Das ist grundlegend. Auf den Punkt bringt es für mich die Taufformel im Brief des Apostels Paulus an die frühe christliche Gemeinde in Galatien. Paulus erklärt hier, dass die Taufe auf Christus alle „Schubladen“, alle Differenzierungen und Hierarchisierungen von Menschen aufhebt: „Denn alle, die ihr in den Messias hineingetauft seid, habt den Messias angezogen wie ein Kleid. Da ist nicht jüdisch noch griechisch, da ist nicht versklavt noch frei, da ist nicht männlich und weiblich: denn alle seid ihr einzig-einig im Messias Jesus“ (Gal 3,27f). Das war in den frühen christlichen Gemeinden keine Utopie, das war gelebte Realität. Menschen hatten aufgrund von Charismen, also von Begabungen und Kompetenzen, Aufgaben in der Gemeinde inne. Da geht es nicht nur um die gleiche Würde, sondern auch um gleiche Rechte, und ich bin davon überzeugt, dass das zum Kern unserer christlichen Botschaft gehört.
Wie vermitteln Sie kirchenfernen Menschen den Widerspruch, dass Sie sich einerseits zur christlichen Gemeinschaft bekennen, doch diese Gemeinschaft Sie in ihren Rechten nicht ernst nimmt?
Die erste Frage ist: Wie vermittle ich mir das selbst? Denn natürlich komme ich auch immer wieder auf die Frage, warum ich Mitglied und hauptamtliche Mitarbeiterin in einer Organisation bin, deren Strukturen Frauen diskriminieren. Das ist übrigens ein wichtiger Unterschied: Es ist nicht die Gemeinschaft der Christ*innen, die Frauen nicht gleichberechtigt, es sind die Strukturen der Kirche. In einem ersten Schritt ist es die christliche Botschaft, die mich interessiert, begeistert, fordert und trägt. Privat verbinde ich mit der Kirche ein Heimatgefühl. Beruflich könnte ich mich aktuell für kein anders „Produkt“ mit so viel Leidenschaft einsetzen wie für dieses. Ich unterscheide die Sozialgestalt der Kirche von der christlichen Botschaft. Mir ist die Botschaft aber so wichtig, dass ich daran mitwirken will, dass die Kirche der Botschaft entspricht. Ich habe gute Orte gefunden, an denen ich wirksam sein kann, an denen ich produktiv stören kann und soll, Menschen, mit denen ich zusammen Kirche bin und verändere. Vielleicht kommt dennoch irgendwann der Punkt, an dem ich aussteigen muss, um mit mir selbst kongruent zu bleiben, aber bis dahin störe und verändere ich lieber, als die Kirche und mich in der Kirche aufzugeben.
Zitation: im Interview mit Uta C. Schmidt: „Ich unterscheide die Botschaft von der Sozialgestalt der Kirche.“ Andrea Qualbrink im Interview, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 02.06.2020, www.gender-blog.de/beitrag/botschaft_sozialgestalt_kirche/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20200602
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