16. Januar 2024 Celina Letzner Clara Radermacher Uta C. Schmidt
Auch allein lässt sich diese spannende Ausstellung besuchen – mehr Spaß und Erkenntnis bringt jedoch ein Besuch in der Gruppe. Und so machten sich Celina Letzner (Jg. 1999, Studentin der Soziologie), Clara Radermacher (Jg. 1997, Studentin der Erziehungswissenschaft) und Uta C. Schmidt (Jg. 1958 und studierte (Kunst-)Historikerin) gemeinsam auf den Weg ins Quadrat nach Bottrop. Der Ausstellungsbesuch folgte einer vorab festgelegten Dramaturgie: auf einen eineinhalbstündigen individuellen Überblick folgte ein Treffen in der Cafeteria, um sich auszutauschen. Anschließend besuchten wir die Ausstellung erneut, schauten die Arbeiten, die besonders beeindruckten oder irritierten, nun gemeinsam an. Wir verabredeten, dass jede einen Text beisteuert, wir diesen diskutieren und unsere Ausstellungsbesprechung mit gemeinsamen Überlegungen rahmen. Gleich zu Beginn gilt unser aller Dank an das Team, das diese Ausstellung so eindrucksvoll im Bottroper Quadrat kuratiert hat – jede hier präsentierte Künstlerin verdient eine ausführliche Besprechung.
In the Kitchen
Celina: In einem der ersten Räume der Ausstellung befinden sich einige Kunstwerke, die sich der Verschmelzung der Frau mit häuslichen Werkzeugen und Geräten widmen. Die Einführungstafel an der Wand des Raums stellt in Bezug auf die künstlerische Darstellung von Helen Chadwick die eindrückliche Frage: „Wird hier die Frau zum Objekt oder das Objekt zur Frau?“. Chadwicks darstellerische Auseinandersetzung mit der stereotypen Rolle der Frau als Köchin und Hausfrau In the Kitchen (1977) zeigt eben diese Synthese von Frau und Küchengerät – von Waschmaschine bis Herd ist jedes gezeigte Element entsprechend dem weiblichen Körper zugeschnitten. Die Fotografien thematisieren jedoch nicht nur das Ergebnis der Verschmelzung, sondern auch den Prozess selbst: Eine unbekleidete Frau, die sich in einen Kühlschrank begibt oder zum Herd wird. Es handelt sich dabei allerdings nicht um reale Küchenmöbel, sondern um künstlerische Nachstellungen. Weder ist der Kühlschrank real, noch handelt es sich um einen tatsächlichen Herd – vielmehr steht die Darstellung der Vereinigung der Gegenstände mit dem weiblichen Körper im Vordergrund.
Die dargestellte Nacktheit, die im Prozess der Verschmelzung ersichtlich wird, wirft jedoch auch eine Frage auf, die Raum zur eigenen Interpretation gibt: Aus welchem Grund trägt die fotografierte Frau keinerlei Kleidung? Eine mögliche Antwort kann lauten, dass das Werk die Verschmelzung der Frau in ihrer Gesamtheit zeigen soll: Die Frau wird zum Objekt. Sie benötigt keine Kleidung, da sie zum bloßen Utensil wird – so, wie ein Herd. Demgegenüber kann die Nacktheit auch als Provokation interpretiert werden, da die Nacktheit der Frau, 1977 wie auch 2023, von der Gesellschaft als provokativ angesehen wird. Chadwick stellt dar, wie die Frau so sehr in die Rolle der Hausfrau und Köchin gedrängt wird, dass sie mit den dazu benötigten Gegenständen verschmilzt – jedoch nicht, ohne sich gleichzeitig zur Wehr zu setzen.
At Any Place 4: From the Tango of a Housewife by Yoneyama Mamako
Clara: Ein eindrucksvolles Kunstwerk stellt die Performance At Any Place 4: From the Tango of a Housewife by Yoneyama Mamako (1978) dar. Hier erfährt die große Männerphantasie der femme fatale – gemeinhin mit der Figur der Carmen aus George Bizets gleichnamiger Oper assoziiert – vonseiten der japanischen Künstlerin und Regisseurin Mako Idemitsu eine besondere Interpretation. Darin performt die Schauspielerin Yoneyama Mamako die berühmte „Habanera“-Arie der Carmen-Oper. Doch anders als im Original werden von ihr nicht angebliche Leidenschaften und Verführungskünste besungen; vielmehr wird dieser männlichen Wunschvorstellung eine typisch weibliche Realität entgegengehalten. Entsprechend artikulieren sich in Liedtext und Performance der ‚tangotanzenden Hausfrau‘ hauptsächlich deren alltägliche Pflichten und Unterwerfungen als Haus- und Ehefrau, die ihr die Hingabe an ein eigenes Begehren – im Gegensatz zur femme fatale also keiner Weiblichkeitsfiktion vom und für den Mann verpflichtet – verwehren. Dass die Darstellerin dabei über zehn Minuten lang typische Bewegungen der Haus- und Sorgearbeit mimt und tanzt, vermag vielleicht nur diejenige sofort zu erkennen, die mit ihnen selbst so vertraut ist wie offenbar Darstellerin und Regisseurin. So verdeutlicht der Tanz der Care-Arbeit auch die in ihr liegenden Ambivalenzen: Obwohl sich in ihm etwas Fließendes und Anmutiges materialisiert, wird vor allem die Mühsamkeit der Care-Arbeit enttarnt, die choreographiert sein will, in der männlichen Ordnung jedoch nach wie vor keine angemessene Anerkennung findet. Was die ‚tangotanzende Hausfrau‘ mit der ‚echten‘ Carmen daher vielleicht doch gemein hat, ist ihr beider Wunsch nach Freiheit. Während Carmen aber den Männern mit dem wiederkehrenden „Nimm dich in Acht!“ der Habanera-Arie lediglich droht und geradezu ihre ‚Kapitulation‘ in Aussicht stellt, scheint die zum Schluss hin wütende, sich ihrer Schürze entledigende und dabei durchaus bedrohlich wirkende Hausfrau auf der Museumswand Ernst zu machen: „Ich hab‘ es satt!“ heißt es bei ihr folgerichtig. Ob sie sich damit nicht die Phantasie der femme fatale und insbesondere das in sie hineinprojizierte Potenzial, die Welt der Männer zum Einstürzen zu bringen, feministisch aneignet und sie gar vehementer verkörpert als die originale Carmen – davon darf sich jede ihr eigenes Bild machen.
La mama é uscita
Uta: Milli Gandini mit der Fotoarbeit La mama é uscita von 1975 macht den Zusammenhang von (politischer) Kunst und Care deutlich. Ein Bezug auf die Frauenbewegungen ist durch das Entstehungsdatum im Internationalen Jahr der Frau und durch das ‚Frauenzeichen‘ als Venusspiegel mit geballter Faust gegeben. Die Zeichnungen Milli Gandinis im Staubniederschlag auf der Schrankoberfläche zeigen vordergründig, was passiert, wenn la Mama den ihr zugewiesenen Ort verlässt, das Putzen vernachlässigt, ausgeht und andere Interessen verfolgt als die Reinhaltung des Haushalts. Doch Milli Gandini reflektiert dabei auch kunstimmanente Fragen nach Bildträgern – hier beim Schrank das Holz – und Farbmitteln: Staub besteht aus Pigmenten, aus farbgebenden Substanzen, die allerdings als Feinstaub ziemlich trostlose Farbigkeit im Heim hervorrufen. Die Arbeit reflektiert somit im doppelten Sinn Kunst und Care.
Mutter-Glück – mit Tochter und Sohn
Wie lässt sich Beziehungsarbeit künstlerisch bearbeiten? Eine prägnante Position dazu sind die Fotovernähungen von Annegret Soltau Mutter-Glück – mit Tochter und Sohn (1989–90). Die Bezüge zu Hannah Höch und ihren Körperkonzeptionen fallen zuerst ins Auge, doch bei näherem Hinsehen dominieren bei Annegret Soltau die Nähte, mit denen sie die Arrangements ihrer Fotoschnipsel zusammenhält, Beziehungen schafft. Nähen ist ein Verfahren, in dem Fäden miteinander verschlungen werden. Glück macht Arbeit, muss kontinuierlich durch das Schaffen von Beziehungen hergestellt werden. In den Collagen werden durch die Nähte auch Risse und Verwerfungen überwunden bzw. thematisiert – eine überzeugende Symbolisierung von Beziehungsarbeit, denn auch Sticheleien und Verletzungen gehören dazu. Da die neuen Körper mit geradezu dreidimensionaler Anmutung, die Annegret Soltau schafft, aus der Zeitgleichheit verschiedener Fotos mit unterschiedlichen Perspektiven bestehen, wird zudem auch die Zeitlichkeit in der Sorgearbeit ausgedrückt, eine Zeitlichkeit, die allen Beziehungen (nicht nur) von Müttern und Kindern innewohnt.
Bügeln in Bottrop
Eine der bestimmenden Fragen, die bei uns dieser Ausstellungsbesuch aufwarf, lautete: Warum thematisieren die Künstlerinnen Care-Arbeit so prominent im Bild des Bügeleisens bzw. des Bügelns? Welche Erfahrungen spiegeln sich im Fokus auf Gerät und Tätigkeit? Warum bietet sich gerade das Bügeln für eine kritische künstlerische Befragung an?
Wir identifizierten allein zwölf Arbeiten, in denen das Bügeleisen geradezu zur Chiffre für Care-Arbeit wird: Hier bügelt etwa eine Frau ihren Totenschleier, woanders wird ein bereits knitterfreier Fußboden sorgfältig mit dem Eisen bearbeitet, dort liegt „glatt“ der leibliche Ehemann auf dem Bügelbrett. Im Gespräch stellten wir fest, dass auch uns das Bügeln scheinbar unterschiedlich nahe- bzw. fernliegt. Während Uta in ihrer Schulzeit auf dem Gymnasium noch das Bügeln von Herrenhemden(!) gelernt hat, hadern Celina und Clara mit der Sinnhaftigkeit des Bügelns, das für sie doch eher einer mühseligen Sisyphusarbeit gleichkommt. Bestimmt haben sich mit den Jahren Textilien wie Technologien gewandelt, sodass Bügeln nicht mehr so wichtig wird; womöglich scheint aber auch die Bereitschaft zur Verrichtung sinnfremder Haus- und Sorgearbeit nicht mehr einfach so gegeben. Oder gesellschaftliche Normen von sauberen und ordentlichen Familien und ihren Hausfrauen haben sich geändert? Wer sich für diese Fragen im Kontext von Kunst, Care, Frauenbewegungen, Beharrungsvermögen und gesellschaftlichem Wandel interessiert, sollte der Ausstellung im Quadrat auf jeden Fall einen Besuch abstatten. Wer bügelt denn heute eigentlich noch?
Zitation: Celina Letzner, Clara Radermacher, Uta C. Schmidt: Bügeln in Bottrop!? Care-Arbeit in der Kunst seit 1960, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 16.01.2024, www.gender-blog.de/beitrag/buegeln_in_bottrop/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20240116
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