Skip to main content
Headergrafik: nateejindakum/adobe-stock.com

Gesehen Gehört Gelesen

Freistoß oder Abseits? Eine Podiumsdiskussion zum Coming-out im Profifußball

16. Juli 2024 Rebecca Jacobs

Weltweit gibt es nur sieben aktive Profifußballspieler, die offen homosexuell leben (Schicklinski 2024). Bei der Podiumsdiskussion „Freistoß oder Abseits? Coming-out im Profifußball“ diskutierten die Teilnehmenden, warum Homofeindlichkeit im Männerfußball noch immer weit verbreitet ist und wie die Situation für Spieler verbessert werden kann.

Die Deutsche Sporthochschule Köln (DSHS) und das Zentrum für Gender Studies Köln (GeStiK) organisierten am 12. Juni 2024 eine Podiumsdiskussion zum Coming-out im Profifußball. Unter der Moderation von Lena Sieberg diskutierten die Podiumsteilnehmenden (Abb. 1, v. l.) Dr. Dirk Schulz (GeStiK), Dr. Birgit Braumüller (DSHS), Tobias Thomas (FU24BA7L), Marcus Urban (Diversero), Henni Hübel (Kölner Fanprojekt) und Christian Rudolph (Kompetenz- und Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt) aus ihren unterschiedlichen Perspektiven das noch immer kontroverse Thema Homosexualität und Coming-out im Profifußball der Männer. Zu Beginn der Veranstaltung wurde Podiumsteilnehmenden und Publikum ein 15-minütiger Ausschnitt aus der Dokumentation Das letzte Tabu (D 2024, R: Manfred Oldenburg) gezeigt. Im Anschluss stellte Lena Sieberg Fragen an die Podiumsteilnehmenden.

Podiumsdiskussion „Freistoß oder Abseits? Coming-out im Profifußball“ (DSHS Köln, GeStiK Uni Köln)
Abbildung 1

Tabuthema Homosexualität

„Im Fußball müssen wir darüber sprechen, weil es hier totgeschwiegen wird. Als würde es keine Schwulen im Fußball geben.“

Diese Aufforderung äußert Amal Fashanu, Nichte des ersten geouteten Profifußballers Justin Fashanu, zu Beginn von Das letzte Tabu. Die Doku beleuchtet Homosexualität im Männerfußball aus verschiedenen persönlichen Perspektiven. Dazu zählt auch die Geschichte von Marcus Urban. In den 1990er-Jahren brach er seine Karriere als Jugendnationalspieler ab, weil der Druck, seine Homosexualität verstecken zu müssen, zu groß wurde:

„Schon wenn man bunte Schuhe im Training anhatte, wurde man als ‚Schwuchtel‘ bezeichnet. Das war vor allem als Jugendlicher in der Identitätsfindungsphase schwer, weil schwul sein als etwas Negatives galt. Das Versteckspiel war vor allem im Internat kaum möglich, was mich innerlich zerrissen hat.“

Für den Umgang mit Homosexualität im Fußball würde er sich heute wünschen, dass „etwas gegen Diskriminierung gesagt wird und dass es Vorbilder gibt“, denn: „Man muss zu seinen Gefühlen stehen können“.

Darum hat Urban die Initiative „Sports free“ mitgegründet. Diese erklärt den 17. jeden Monats als „Sports Free Day“, der beispielsweise Profisportler*innen beim Coming-out unterstützen soll. Zum Kampagnenbeginn am 17. Mai 2024 hat jedoch niemand die Initiative zum Coming-out genutzt.

Homosexualität im Sport

Am Institut für Soziologie und Genderforschung der DSHS und bei GeStiK wird sich auch aus wissenschaftlicher Perspektive mit den Themen sexuelle Orientierung, Geschlechterverhältnisse und Homofeindlichkeit im Sport auseinandergesetzt: In einem Fall mit dem Fokus auf Sport und im anderen Fall aus queertheoretischer Perspektive.

Birgit Braumüller von der DSHS legte dar, dass Homofeindlichkeit noch immer ein Thema im Sport sei: So stimmten in Studien immer noch bis zu 70 % der Befragten zu, dass Homofeindlichkeit in Form von (homo-)feindlicher Sprache eine große Rolle im Sport spielt. Dies sei sowohl auf individueller als auch auf struktureller Ebene problematisch. Etwa 12 % der Befragten machten persönlich negative Erfahrungen (Hartmann-Tews et al. 2020). Dies führe dazu, dass Menschen dem Sport aus Angst fernblieben oder ihn aufgäben. Hartnäckig hält sich das Vorurteil, dass es kaum schwule Fußballer gebe.

Dazu sagte Dirk Schulz:

„Es gibt oft den Wunsch und das Bild, dass nur Hetero-Cis-Männer Fußballspieler sein können, weil es eben ein ‚echter Männersport‘ ist und bleiben soll. Alles, was diesen Erwartungen widersprechen könnte, muss verborgen werden. Durch das ständige Verstellen und Verstecken wird die Konzentration auf den Sport für die Spieler erschwert. In einer heteronormativen Gesellschaft drängt ein Coming-out Sexualität scheinbar immer auf – und das hat ja erstmal nichts mit dem Sport zu tun. Darum ist die Prozentzahl queerer Spieler in der Konsequenz, im Verhältnis zu anderen Kontexten, im Profifußball gegebenenfalls geringer. Denn wer will in einer auf allen Ebenen so homofeindlichen Umgebung diesen Sport ausüben?“

Im Vorspann der gezeigten Doku wird ein Zitat des FIFA-Schiedsrichters Igor Benevenuto aus dem Jahr 2022 eingeblendet:

„Der Fußball ist eine der feindlichsten Umgebungen für einen Homosexuellen.“

Tobias Thomas wird gefragt, ob er als Schiedsrichter dieser Aussage zustimme. Seine Antwort fällt ambivalent aus, denn der Fußball sei auch ein attraktives Umfeld für schwule Männer.

„Aber am meisten ist es ein riesiger Safe Space für weiße Hetero-Cis-Männer: Man kann diskriminierend sein, Fleisch essen, Alkohol trinken und toxische Männlichkeit leben. Das alles beschützt den Fußball als Ort, der gesellschaftlich als männlich erlebt wird. Ein Coming-out in diesem Safe Space ist eine maximale Provokation, da es eine Bekennung zu seinem absoluten Gegenteil ist. Deshalb ist die Homofeindlichkeit ein Problem der Gesellschaft und nicht des Fußballs, anders als in der Doku behauptet wurde.“

Bekämpfung von Homofeindlichkeit

Obwohl Anfang der 1990er-Jahre Homosexualität in Deutschland vollständig entkriminalisiert wurde und die WHO Homosexualität von der Liste der Krankheiten gestrichen hat (Bundeszentrale für politische Bildung 2024), ist das Thema heutzutage weiterhin verbunden mit Tabuisierung und Diskriminierung. In den letzten 30 Jahren fanden jedoch auch positive Entwicklungen statt. Dazu zählt beispielsweise das Schaffen von Kompetenz- und Anlaufstellen für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, wie beim Deutschen Fußball-Bund (DFB). Doch welche konkreten Maßnahmen wurden von Vereinen ergriffen?

Christian Rudolph von der Kompetenz- und Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sieht, dass viele queere Fanclubs für Sichtbarkeit sorgen, genauso auch die Football Pride Week. Zudem sei das Spielrecht für trans-, inter- und nicht-binäre Menschen (Deutscher Fußball-Bund 2022) geschaffen worden, wonach alle im Amateur*innenbereich des Fußballs teilnehmen können. Im Profibereich der Frauen dient der Fußball bereits als Vorbild für andere Sportarten. „Im Profifußball der Männer fehlt die Thematisierung allerdings noch. Doch auch wer sich im Amateur*innenbereich bewegt, kommt an Homo- bzw. Queerfeindlichkeit nicht vorbei. Für den Kampf dagegen brauchen wir mehr Unterstützung der Verbände!“, so Rudolph.

Ähnliche Erfahrungen mit Homofeindlichkeit hat Henni Hübel:

„Queerfeindlichkeit ist in Fanclubs Alltag. Auf Spruchbändern, in Gesängen und in der Kommunikation untereinander wird homofeindliche Sprache als Abwertung genutzt. Fan-Projekte können aber auch beratend unterstützen und Gelder und andere Ressourcen zur Verfügung stellen. Sie können heteronormative, patriarchale Strukturen aufbrechen, Betroffene unterstützen und Verbündete finden.“

Förderliche Strukturen: Wo fangen wir an?

Doch wie kann ein Coming-out für Spieler erleichtert werden? Dirk Schulz plädiert dafür, dass es nicht die eine Patentlösung gibt. Stattdessen sollte man alle Möglichkeiten nutzen, die zur Verfügung stehen, wie etwa Sichtbarkeit und Diskussionsräume zu schaffen.

Tobias Thomas fügt hinzu, er könne den Rat, strukturelle Änderungen abzuwarten, nicht unterstützen. In jedem Fall sollten die strukturellen und individuellen Bedingungen ein Coming-out ermöglichen. Erst ein geouteter freier Spieler könne Leistung erbringen.

Und Birgit Braumüller nimmt die Vereine in die Pflicht: Sie müssten sich gegenüber homosexuellen und queeren Fußballspielern öffnen. Um Coming-outs zu erleichtern, müsse homofeindliche Sprache abgeschafft werden. Sie sei verletzend und diskriminierend. Das Argument, es sei nicht so schlimm oder nicht böse gemeint, zähle nicht. Hier seien auch Kompetenzstellen enorm wichtig, sodass Verbände rechtlich, argumentativ und in ihren Entscheidungen unterstützt werden.

Coming-out: Freistoß oder Abseits?

Die Podiumsteilnehmenden kamen zu dem Fazit, dass ein Coming-out ein Freistoß im Sinne einer Befreiung von einer schweren Last sein sollte. Dabei komme es jedoch auf die Bedingungen an, da nicht jedes Umfeld ein sicheres sei. Ein Coming-out könne zum Durchbrechen von Machtstrukturen beitragen, die grundsätzlich mit Heteronormativität verbunden sind. Dafür müssten jedoch die Vereine, die Trainer und auch die Gesellschaft offen sein.

Eine entscheidende Rolle spielen Vorbilder, von denen es bislang nur wenige gibt. In jedem Fall muss die mediale Doppelmoral in Bezug auf Coming-outs im Profifußball ein Ende nehmen. Einerseits fragen Medien nach Coming-outs, andererseits entthematisieren sie diese und schreiben das Problem allein dem Fußball zu. Der Outing-Druck bei gleichzeitig tabuisierender Atmosphäre verdeutlicht, wie Homosexualität als „andersartig“ ins Rampenlicht gerückt wird und wie sehr sie noch immer nicht zum Männerfußball dazugehört.

Literatur

Bundeszentrale für politische Bildung (2024). 17. Mai: Internationaler Aktionstag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Trans-phobie. bpb, 14. Mai 2024. Zugriff am 10. Juli 2024 unter bpb.https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/548455/17-mai-internationaler-aktionstag-gegen-homo-bi-inter-und-transphobie/#:~:text=Am%2017.,aus%20ihrem%20Diagnoseschlüssel%20für%20Krankheiten.

Deutscher Fußball-Bund (2022). FAQ: Spielrecht trans*, inter* und nicht-binärer Personen. DFB, 28. Juni 2022. Zugriff am 10. Juli 2024 unter https://www.dfb.de/news/detail/faq-spielrecht-trans-inter-und-nicht-binaerer-personen-241344/.

Hartmann-Tews, Ilse; Menzel, Tobias & Braumüller, Birgit (2021). Homo- and transnegativity in sport in Europe: Experiences of LGBT+ individuals in various sport settings. International Review for the Sociology of Sport, 56(7), 997-1016. https://doi.org/10.1177/1012690220968108

Schicklinski, Johann (2024). Gruppen-Coming-out im Profifußball – Das Versteckspiel soll ein Ende finden. SWR, 17. Mai 2024. Zugriff am 10. Juli 2024 unter https://www.swr.de/sport/fussball/gruppen-coming-out-profifussball-maenner-versteckspiel-beenden-100.html.

Zitation: Rebecca Jacobs: Freistoß oder Abseits? Eine Podiumsdiskussion zum Coming-out im Profifußball, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 16.07.2024, www.gender-blog.de/beitrag/coming-out-profi-fussball/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20240716

Beitrag (ohne Headergrafik) lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz Creative Commons Lizenzvertrag

© Headergrafik: nateejindakum/adobe-stock.com

Rebecca Jacobs

Rebecca Jacobs arbeitet als wissenschaftliche Hilfskraft bei GeStiK (Gender Studies in Köln). Ihre Interessensschwerpunkte liegen in den Bereichen intersektionaler Feminismus, Gleichberechtigung und Gender aus (sozial)psychologischer Perspektive. Sie studiert Humanmedizin an der Universität zu Köln und ist Absolventin des Bachelorstudiengangs Psychologie mit Schwerpunkt Klinischer Psychologie und Psychotherapie.

Zeige alle Beiträge

Schreibe einen Kommentar (max. 2000 Zeichen)

Es sind max. 2000 Zeichen erlaubt.
Die E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht.
Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Kommentare werden von der Redaktion geprüft und freigegeben.