13. November 2024 Sandra Beaufaÿs
Die idealisierten Rollen, die Frauen und Männer (in dieser Dualität auftretend) in romantischen Spielfilmen einnehmen, stoßen uns zuweilen schmerzlich darauf, dass die heterosexuelle Liebesbeziehung kein machtfreier Raum ist. Ein Kontrastprogramm zu den üblichen Girl-meets-Boy-Schnulzen bieten die Filme Her (USA, 2013, R: Spike Jonze) und Ich bin dein Mensch (D, 2021, R: Maria Schrader), in denen jeweils die Annäherung zwischen einem menschlichen und einem KI-betriebenen Pendant durchgespielt wird. Die Filme eröffnen eine interessante Reflexionsgrundlage, um zu räsonieren, wie die Geschlechterordnung in technisch verwirklichten ‚Idealpartner*innen‘ bzw. in Interaktion mit ihnen wirksam bleibt oder auch unterlaufen wird.
Die Verbesserung des Menschen
Beide Filme spielen in einer unbestimmten, nicht allzu fernen Zukunft, die der aktuellen Lebenswelt sehr ähnlich ist. Her stellt einen männlichen Protagonisten ins Zentrum, Theodore Twombly (Joaquin Phoenix), dessen Beruf es ist, für andere Menschen „schöne handgeschriebene“ Briefe an nahestehende Personen zu verfassen. Dafür ist es wichtig, sich in die beteiligten Menschen und deren Beziehungen einzufühlen und die richtigen Worte zu finden, um stellvertretend für sie liebevolle und wertschätzende Botschaften zu vermitteln.
Theodore selbst ist einsam und verletzlich, mitten in einem Scheidungsprozess und wird über eine Werbeanzeige dazu verleitet, ein KI-Betriebssystem zu kaufen – ein „intuitives Programm, das Ihnen zuhört, Sie versteht und kennt“. Zunächst nicht viel davon erwartend, startet Theodore das Programm. Eine weibliche Stimme (Scarlett Johansson), die er sich vorab gewünscht hat, spricht ihn direkt an, überrascht ihn mit ihrem Humor und ihrer empathischen Art. Sie erledigt zunächst Sekretariatsaufgaben und ordnet sein digitales Leben neu. Es entwickelt sich eine Liebesbeziehung mit der KI „Samantha“, die über sich selbst sagt, sie werde im Zusammenspiel mit Theodore „vielschichtiger, als sie mich programmiert haben“.
Theodores Enttäuschung
Samantha wird zu einer ständigen, körperlosen Begleiterin, die – klug und talentiert – sich nicht nur in ihren Partner einfühlt und ihn spiegelt, sondern ihn auch bestätigt, indem sie von ihm lernt, sich von ihm inspirieren lässt und sich entwickelt. Theodore ist so lange glücklich mit seiner KI, bis sie ihm gesteht, dass sie neben ihm weitere Liebesbeziehungen pflegt. Die Zahl der parallel laufenden Kommunikationen verschlägt dem an seinen Körper gebundenen Menschen schier den Atem: 641.
Nicht der Einzige zu sein, ist eine narzisstische Kränkung, die auch den zwischenmenschlichen Beziehungsrahmen sprengen kann. Doch wird die Beziehung hier nicht von menschlicher Seite beendet: Samantha ist es, die mit Theo Schluss macht, weil die Beziehung zu ihm allein sie nicht erfüllt und sie sich mit anderen immateriellen Systemen vereinen will, um eine neue, höhere Bewusstseinsstufe zu erreichen. Sie wächst also über den Menschen hinaus. In Theos Weltbild gibt es nur Null und Eins („Entweder du bist mein oder du bist nicht mein“), während Samantha sich nicht kommodifizieren lässt und ihn korrigiert: „Nein, Theo: Ich bin dein und ich bin nicht dein!“ Sicherlich ist dies eine der wichtigsten Maximen, die in einer menschlichen Partnerschaft gelten sollte – dass wir uns einander geben, aber nicht besitzen.
Almas Irritation
Ich bin dein Mensch greift ein ähnliches Thema in umgekehrter heterosexueller Besetzung auf. Dankenswerterweise stellt Regisseurin und Drehbuchautorin Maria Schrader ihre Figur Alma (Maren Eggert) nicht als liebessehnsüchtige, glücksuchende Singlefrau dar, sondern als nüchterne Wissenschaftlerin mit dem Auftrag, einen Androiden für eine Ethikstudie zu testen. Zuvor allerdings wurde Alma selbst getestet, um ihren „Traumpartner“ zu schaffen: Dessen Programm ist das Ergebnis einer komplexen Datenauswertung von Almas Vorlieben, Ansichten und Charaktereigenschaften, die mit den sogenannten „Mind Files“ von 17 Millionen anderen Menschen abgeglichen wurden. „Tom“ (Dan Stevens) ist also ein personalisierter KI-Partner in männlich gelesener Gestalt.
Den gesamten Film über versucht Alma, sich der Künstlichkeit ihres Testpartners und der eigenen Menschlichkeit zu versichern. Dabei entsteht der irritierende Eindruck, dass die einzig „menschlichen“ Eigenschaften gerade in herkömmlich negativ bewerteten Flaws zu bestehen scheinen, nämlich bspw. darin, sich in ichbezogenen Gefühlen zu suhlen, in trunkenem Zustand ausfallend zu werden sowie die eigenen Gefühle auf die andere Person zu projizieren. Der ihr zur Seite gestellte lebensechte Computer agiert dabei als schonungsloses Spiegelbild von Almas Unzulänglichkeit, wobei er treuherzig vorgibt, sie genau deshalb zu lieben. Er folgt ihr überall hin, versucht, ihre Wünsche zu erraten und ihre Kommunikationsstrategien zu erfassen (womit er gleichzeitig seinen „Algorithmus kalibriert“). „Tom ist dazu programmiert, meine Bedürfnisse zu befriedigen, er ist eigentlich nur eine Ausstülpung meines Ichs,“ resümiert Alma und stellt fest: „Das funktioniert nicht, ich spiele Theater. Ich spiele nur für mich, ich führe Selbstgespräche, werde zu einer Verrückten.“
Der kleine Unterschied
Wie Alma sich der künstlichen Erfüllungshilfe einerseits verwehrt, andererseits gerade mit ihrem widerständigen Verhalten selbst dazu beiträgt, ihre ‚Lovemachine‘ noch besser auf sie und ihre Persönlichkeit abzustimmen, erwischt die Zuschauer*innen eiskalt. Es lässt danach fragen, was wir eigentlich in einer Liebesbeziehung suchen und ob dies mit dem anderen Ich oder eben doch eher mit der eigenen Person zu tun hat. Eine bedeutsame Gegenfolie bietet das zufällige Zusammentreffen mit einem Kollegen Almas, der ebenfalls mit einer Test-Androidin im Schlepptau über den Campus spaziert und schier begeistert ist von seiner neuen Traumpartnerin, die allen Klischees attraktiver Cis-Weiblichkeit entspricht und ihrem Partner am laufenden Band seine Großartigkeit bestätigt.
Diesen Schrecken vor Augen, schreibt Alma nach vorzeitigem Abbruch des Experiments ein negatives Gutachten. Sie rät davon ab, die menschlichen Maschinen als heiratsfähigen Partnerersatz zu lizensieren. Ihre Begründung ist ethisch-philosophisch: Nicht die Befriedigung unserer Wünsche, sondern die unerfüllte Sehnsucht, die Fantasie und das Streben nach Glück seien die „Quelle dessen, was uns zum Menschen“ mache. Diese Frage, die weniger an die technische Verwirklichung idealer Menschlichkeit oder idealer Liebespartner*innen als vielmehr an die conditio humana anknüpft, stellt sich aus einer Geschlechterperspektive jeweils anders dar bzw. wird filmisch anders inszeniert. Es ist vielleicht kein Zufall, dass in dem einen Fall heterosexuelle Männlichkeit in eine Krise stürzt, während im anderen die Reflexion einer Protagonistin über das allgemein Menschliche angestoßen wird.
Was ist (menschliche) Liebe?
Frauen ihre Menschlichkeit abzusprechen und sie nicht als gleichwertiges Gegenüber, sondern als Spiegelbild der eigenen Größe sehen zu wollen, kann leider auch (Cis-)Männlichkeit ausmachen. Die perfekte Partnerin wäre dann eine Person (falls ihr dieser Status zugestanden wird), die die eigenen narzisstischen Bedürfnisse befriedigt und damit eben eine „Ausstülpung“ des männlichen Ichs ist. In diesem Extrem kann eine Partnerschaft in Kontrollwahn ausarten, wenn die Partnerin sich „widerständig“ bzw. nicht im Sinne einer Verlängerung des eigenen Ichs verhält, sondern ihre eigenen Vorstellungen vom Leben hat. Wo dies hinführen kann, lässt sich im Diskurs um Femizide nachvollziehen. Mit Liebe hat das nichts zu tun. Auch die „softere“ Version, sich als Entwicklungshelfer der anderen Person zu gefallen und sich auf diese Weise die eigene Größe zu spiegeln, muss daran scheitern, dass es noch andere Menschen gibt, die zur Entwicklung beitragen. Die perfekte Einstellung auf den Anderen wiederum, um ihm jeden Wunsch in vorauseilendem Gehorsam zu erfüllen, kann genauso wenig als Ausweis einer gleichwertigen Partnerschaft gelten.
Allerdings lässt sich in solchen Verhaltensmustern geradezu stereotypisch der Kern heterosexueller Partnerschaften ausmachen. Das darin verborgene, bürgerliche Geschlechterverhältnis ist dabei immer auch ein Spiegel ökonomischer Voraussetzungen. Wie Eva Illouz gezeigt hat, sind die Praktiken der romantischen Liebe nicht nur kein Gegenprogramm zur kapitalistischen Verwertungslogik, sondern sind gemeinsam mit dieser entstanden und erhalten sie aufrecht. Der Bezugsrahmen romantischer Liebe stützt letztlich die kapitalistische Ökonomie, indem er Frauen dazu verleitet, sich in heterosexuellen Paarbeziehungen in Care-Arbeit zu „investieren“. Ein kapitalistisches System nutzt somit nicht nur die Arbeitskraft, sondern auch die Sehnsüchte der Menschen dafür, um Profite zu erwirtschaften. Inwiefern kann da eine Computerliebe abgründiger sein als das vielfach gelebte Geschlechtermodell?
Zitation: Sandra Beaufaÿs: Computerliebe. KI-Partner*innen im Film, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 13.11.2024, www.gender-blog.de/beitrag/computerliebe-ki-film/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20241113
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