12. März 2024 Corinna Bath Sandra Beaufaÿs
Corinna Bath steht für Gender Studies in den Ingenieurwissenschaften und feministische Wissenschafts- und Technikforschung im deutschsprachigen Raum. Jetzt tritt sie die Nachfolge von Beate Kortendiek in der Koordination des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW an. Wie Netzwerken in einem männlich dominierten Umfeld geht, hat sie jahrelang erprobt. Mit Sandra Beaufaÿs sprach sie über ihre eigene interdisziplinäre Verortung und zukünftige Herausforderungen.
Mathematik und Politikwissenschaften studiert, in der Informatik promoviert, in der Geschlechterforschung etabliert – wie kommt es zu dieser außergewöhnlichen Vita?
Ich habe mich schon bei der Studienfachwahl nicht richtig entscheiden können zwischen Natur- und Technikwissenschaften und Sozial- und Geisteswissenschaften. Aber beides war mir einfach auch immer wichtig. Ich glaube nicht, dass man die aktuelle Gesellschaft und Kultur ohne die Rolle von Technik verstehen kann. Und umgekehrt können wir die Natur- und Technikwissenschaften nicht ohne sozial- und kulturwissenschaftliche Forschung gut betreiben. Dieses Grundgefühl, das hat mich schon sehr früh angetrieben – zunächst, ohne zu wissen, was ich da eigentlich tue. Als ich in die Mathematik kam, stand ich sehr schnell vor diesem Problem: Mathematik verkauft sich als eine der objektivsten Wissenschaften schlechthin und gleichzeitig waren die Frauenanteile so gering. Das war ein Widerspruch. Wir reden jetzt über die 1980er-Jahre. Damals haben wir uns zusammengeschlossen – es gab sehr starke Studierendenvertretungen – und haben versucht, von unten Frauenbeauftragte, was heute Gleichstellungsbeauftragte sind, zu fordern. Ich war dann am Ende meines Studiums auch selbst Frauenbeauftragte vom damaligen Fachbereich Mathematik/Informatik an der FU Berlin, wo ich studiert habe.
Und der Schritt in die Geschlechterforschung?
Über die Frage nach den epistemologischen Grundlagen konnte ich in der Informatik ganz gut einsteigen mit Geschlechterforschung. Anfang/Mitte der 1990er-Jahre wurden dort Fragen gestellt wie: „Ist die Informatik eine Gestaltungswissenschaft, weil damit Arbeit verändert wird?“ – Das war ja noch vor dem Internet. Sobald solche Kontextualisierungen von Technik auftauchen, ist es leicht, Geschlechterforschungsfragen mitanzuschließen. Als ich dann wissenschaftliche Mitarbeiterin war, habe ich versucht, Geschlechterforschung mit Informatik zusammenzubringen. Ich habe erstmal theoretisch gefragt, was heißt „Vergeschlechtlichung von informatischen Artefakten“, was könnte das alles sein? Ich war dann sehr froh, als ich auf kritische Ansätze innerhalb der Informatik gestoßen bin, die versuchten, auf diese Problematiken mit Methoden zu reagieren, Methoden der Technikgestaltung. Das war meine Dissertation.
Verortest du dich eigentlich in den Feministischen Science and Technology Studies – oder auch?
Ja. Auch. Ich war ja lange direkt in dem Feld unterwegs und habe meine Dissertation im Kontext von Science and Technology Studies geschrieben. Um mit Veränderungen bei den Technikentwicklungsprozessen anzusetzen, brauchte ich eine ordentliche Analyse. Und diese Analyse kommt aus den STS oder FSTS. Mir hat es allerdings nie gereicht, auf der Analyseebene stehen zu bleiben: Okay, wir haben jetzt dieses tolle Wissen. Aber es nutzt ja nichts, wenn das im Feld der STS bleibt. Wir müssen es zumindest in die Technikentwicklungsprozesse hineinbringen, damit sich dort etwas verändert.
Ein ganz schöner Brückenschlag.
Genau. Am Anfang habe ich oft gesagt, ich muss einen Schalter in meinem Kopf umlegen, ob ich in der einen oder anderen Welt bin oder mich bewege, in welchen Kontexten ich spreche. Später habe ich immer mehr versucht, interdisziplinär zu übersetzen. Dabei kann mir natürlich auch der Vorwurf gemacht werden, dass ich nicht tief genug gehe oder in der einen oder anderen Welt nicht exakt genug für diese Disziplin spreche. Aber das ist ein typisches Problem von Interdisziplinarität.
Wie hast du bislang deine Netzwerke innerhalb dieser doch recht heiklen Kontexte aufbauen können? Welche Erfahrungen bringst du da mit?
Ja, das ist ein ganz wichtiges Stichwort. Ohne Netzwerke hätte ich diese Sachen so nicht machen können, ich wäre nicht dort, wo ich jetzt bin. Ich habe zwei sehr starke stützende Netzwerke gehabt, die mich überhaupt auf den Weg gebracht haben. Das eine war der „Kongress Frauen in Naturwissenschaft und Technik“, der jedes Jahr, wie es damals hieß, „autonom“ veranstaltet wurde. Und über diese Kongresse habe ich dann einzelne kleinere Netzwerke kennengelernt. Besonders prägend war für mich der sogenannte „Arbeitskreis feministische Naturwissenschaftsforschung und -kritik“, der 1993 gegründet wurde, von Naturwissenschaftlerinnen, die kritisch und feministisch über ihr Fach forschen wollten. Dieses Netzwerk, das hat mich eigentlich getragen, es hat uns alle getragen, weil wir uns gegenseitig unterstützen konnten in unseren großen Fragen.
Ich habe auch sehr viel gelernt durch das Promotionsprogramm, das ich zuletzt in Braunschweig mit aufgebaut habe, „Konfigurationen von Mensch, Maschine und Geschlecht. Interdisziplinäre Analysen zur Technikentwicklung“. Mit 15 Promovierenden aus allen Fächern, die man sich so vorstellen kann: aus der Soziologie, aus der Wissenschaftsgeschichte, aus der Psychologie, aus den Medienwissenschaften, aber eben auch aus dem Maschinenbau, der Informatik, der Elektrotechnik. Ich glaube, in diesem Zusammenhang haben alle Beteiligten Interdisziplinarität gelernt.
Jetzt bist du Koordinatorin eines landesweiten Netzwerks für Geschlechterforschung und damit nicht mehr in erster Linie forschend unterwegs. Wie wirst du diese neue Herausforderung angehen?
Mein Antrieb für die Forschung war eigentlich immer, gesellschaftlich etwas zu verändern. Ich hoffe, in dieser Position vielleicht ein bisschen etwas, vielleicht sogar mehr zu verändern, als wenn ich weiterhin als Professorin im Maschinenbau in eine Ecke gestellt werde, wo ich mit meiner Forschung kaum etwas in der Technik ausrichten kann. Ich möchte gerne die gesamte Geschlechterforschung weiter voranbringen, jetzt natürlich in einer ganz anderen Position. Der Bericht und die Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Geschlechterforschung haben sehr deutlich gezeigt, dass in den Natur- und Technikwissenschaften noch sehr, sehr viel zu tun ist, um Geschlechterforschung gut zu verankern – wenn ich hierzu etwas mit anschieben kann, dann würde ich mich natürlich sehr freuen. Das ist sicherlich eine Richtung, die mir weiterhin am Herzen liegen wird. Aber es ist nicht die Einzige.
Ich denke, wir haben in der Geschlechterforschung selbst auch sehr viele Herausforderungen in den letzten Jahren, die zum Beispiel aus den Post und Decolonial Studies kommen. Da stehen Veränderungen an. Ebenso gilt es, Geschlechtervielfalt im Sinne von Inter und Trans Studies sowie Forschung von Nichtbinären in die Institutionen reinzubringen. Das sind zwei große Stränge, von denen ich denke, dass sie als Bewegungen sehr stark sind, aber eben auch die Forschung schon relativ weit fortgeschritten ist, sodass sie sich in Institutionalisierung übersetzen könnte. Ob das auch politisch möglich ist, werde ich noch sehen. In Zeiten von Sparmaßnahmen und rechtspopulistischem Gegenwind ist immer eine Frage, was geht.
Wo siehst du Potenzial für Neues im Netzwerk FGF NRW?
Ich denke, ganz viel wird in die Forschung von den Jüngeren eingebracht, von den Promovierenden, die mit neuen Ideen in das Wissenschaftssystem kommen und vielleicht dann hoffentlich auch irgendwann einmal mit diesen Ideen Professuren besetzen können. Das ist eigentlich der normale Weg von Wissenschaft. Für eine Institutionalisierung muss die Institution aber auch offen sein, es müssen solche Professuren ausgeschrieben oder neue Themen verankert werden. Ohne dann alles, was schon da ist, damit gleich zu verwerfen. Bestehendes muss ja auch auf eine gute Art und Weise erhalten bleiben. Über die großen Ideen hinaus geht es immer ums Kleine und den Erhalt. Wenn ich höre, dass viele von denjenigen, die die Lehre und die Zertifikate für Geschlechterforschung an den einzelnen Hochschulen aktuell verantworten, nicht einmal fixe Stellen haben, oder Zentren für Geschlechterforschung viel zu gering ausgestattet sind – dann muss auch erstmal für eine Grundlage gearbeitet werden. Wir brauchen eine Ausgewogenheit zwischen dem Erhalt und dem Ausbau und dem Einbringen von neuen Themen. Von anderen Bundesländern aus betrachtet ist das ja unglaublich toll, was hier in NRW in den letzten Jahrzehnten an Geschlechterforschung aufgebaut wurde und möglich ist. Und das, denke ich, gilt es zu erhalten, zu pflegen und weiterzuführen.
Zitation: Corinna Bath im Interview mit Sandra Beaufaÿs: Große Fragen und der Status Quo – Corinna Bath ist Koordinatorin im Netzwerk NRW, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 12.03.2024, www.gender-blog.de/beitrag/corinna-bath-koordinatorin-nrw/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20240312
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