16. Oktober 2018 Kathy Meßmer
Die Position der Ästhetischen Chirurg_in der Gegenwart ist eine entgrenzte. Sie ist nicht mehr nur Ärzt_in, sondern Pressesprecher_in, Versicherungsvertreter_in und Manager_in. Intimchirurgie-Websites sind deswegen spannende empirische Daten, weil sie diese verschiedenen Rollen exemplarisch bündeln. Dabei stellen sie für die verschiedenen Diskursfelder, die sie adressieren, eine Vielzahl an Informationen bereit: von diagnostizierenden Beschreibungen körperlicher Defizite, über Hinweise auf öffentliche Auftritte der Chirurg_in bis hin zu Informationen über chirurgische Verfahren, etwaige Risiken, Finanzierungs- und Versicherungsmodelle. Als zentrale Klammer dieser entgrenzten Position erweist sich auf den Intimchirurgie-Websites die Selbsterzählung Ästhetischer Chirurg_innen als vertrauensvolle Berater_innen im Dienste ihrer Patient_in. Sie entwerfen sich als neutrale Consultants, die einer mündigen und informierten Patient_in beratend zur Seite stehen (Meßmer 2017), wofür sie zunehmend auf digitale Autorisierungspraktiken wie Bewertungsportale zurückgreifen.
Patient_innenorientierung in der Medizin
Ein Blick in die Geschichte der Ästhetischen Chirurgie zeigt: das Verhältnis zwischen Ärzt_in und Patient_in ist seit jeher ein spezielles. Immer wieder wurde und wird darum gerungen, ob es überhaupt ‚echte‘ Medizin sein könne, wenn Patient_innen selbst die medizinische Behandlung initiieren, definieren und schließlich auch bewerten (Gilman 1999, S. 271). Durch den Status als Selbstzahlerleistung werden Patient_innen zu Kund_innen und Ästhetische Chirurg_innen zu Anbieter_innen von Dienstleistungen auf einem „zweiten Gesundheitsmarkt“ (Bundesärztekammer 2012, A2000). Doch die damit einhergehende besondere Rolle der Patient_in, die im Rahmen einer ökonomisierten „wunscherfüllenden Medizin“ (Kettner 2006) auch „positive Rechte auf Wahlfreiheit ausüben und Qualitätspräferenzen sowie negative Rechte auf Verbraucherschutz geltend manchen [darf]“ (ebd., S. 12), betrifft nicht mehr nur die Ästhetische Chirurgie, sondern gilt auch als Indikator für einen fundamentalen Wandel des medizinischen Grundverständnisses (ebd., S. 8). Dabei zeichnet sich in Deutschland etwa seit den 1970er-Jahren zunächst eine stärkere Patient_innenorientierung in der Medizin ab, die mit dem Konzept des „mündigen Patienten“ gefasst und aus juristischer Perspektive unter dem Begriff des „informed consent“ diskutiert wird (Dietrich 2006), um Patient_innen partnerschaftlich, partizipativ und eigenverantwortlich in den Behandlungsprozess einzubinden, statt ihnen autoritativ und paternalistisch Behandlungen zu verordnen (ebd., S. 13).
Mündige Patient_innen als PR
Doch es wäre zu kurz gegriffen, die Selbsterzählungen von Intimchirurg_innen als Consultants als ausschließlich am ärztlichen Ethos orientierte Reaktion auf diesen Wandel zurückzuführen. Vielmehr handelt es sich auch um pressewirksame Kommunikationsstrategien, die die Kritik an den eigenen Eingriffen fest im Blick haben: Leistungssteigerung statt Leidensminderung, Kurpfuscherei statt echter Medizin, Geldmacherei statt Heilwissenschaft und das Einschreiben männlicher Schöpfungsphantasien in weibliche Körper statt medizinischer Aufklärung – die Liste der Kritikpunkte ist lang. Es sind all jene Kritiken, denen Intimchirurg_innen die strenge Erzählung einer neutralen Beratung gegenüberstellen. Intimchirurg_innen präsentieren sich als ihren Patient_innen gleichberechtigte Berater_innen, die nichts aufdrängen oder paternalistisch verordnen, sondern ohne Eigeninteressen vertrauensvoll und auf Augenhöhe über Körper, medizinische Prozeduren, chirurgische Risiken, Finanzierungsmöglichkeiten, Folgekostenversicherungen und last but not least: über sich selbst als Ärzt_in und Person aufklären. Und so werden die Ärzt_innen auf ihren Homepages zu Dienstleister_innen, ja zu auswählbaren Produkten. Wenn die Ärzt_in also zum Gegenstand des doctor shoppings (Jones 2008) wird, muss sie auch Entscheidungskriterien anbieten, die plausibel machen, warum sie die richtige Intimchirurg_in ist. Neben Informationen über Titel, Ausbildung, Berufserfahrung, Erfolge und die eigene Philosophie als Ärzt_in, setzen Intimchirurg_innen an dieser Stelle maßgeblich auf Fremdautorisierungspraktiken (vgl. Traue 2013, S. 128). Neben Fachgesellschaftsmitgliedschaften spielen hier vor allem Bewertungsportale eine zentrale Rolle.
Arztbewertungsportale als Autorisierungspraktik
Ästhetische Chirurg_innen greifen auf die Angebote von Bewertungsplattformen zurück, um ihren Status als ‚gute Ärzt_in‘ zu legitimieren. Das Prinzip dieser Plattformen ist relativ einfach: Ärzt_innen können dort ein Profil anlegen, auf dem sie sich, ihr Angebot und ihre Praxis vorstellen. Patient_innen haben dann die Möglichkeit, dort mit Hilfe von Schulnoten und Textkommentaren ihre Zufriedenheit anonym zu bewerten. Interessant ist hier, wie sich durch diese Techniken verschiebt, was als relevantes Kriterium für einen gelungenen Ärzt_inbesuch gilt: Für die Note der Ärzt_in ist nicht nur der Therapieerfolg entscheidend, sondern auch die Zufriedenheit mit der Sprechstundenhilfe oder die Ästhetik der Praxiseinrichtung. Zugleich verschiebt sich über die Praktik der öffentlichen Bewertung auch das Machtverhältnis von Ärzt_in und Patient_in. Letztere wird auf den Bewertungsportalen zur alleinigen Expert_in, die ihr wertendes Urteil an eine nahezu unbegrenzte Öffentlichkeit richtet.
Doch Bewertungsportale wie etwa jameda bilden diese Bewertungen nicht einfach nur ab. Vielmehr geht es darum, die Bewertungen zu monetarisieren und über Rankings und digitale Abzeichen als Autorisierungspraktiken zu verkaufen. „Top 5 Arzt“ lautet dann etwa die Botschaft blau-grüner Banner, die auf den meisten Intimchirurgie-Websites zu finden sind. Die Reputation der Ärzt_in ist heute also nicht mehr allein an Fachtitel, Fachgesellschaftsmitgliedschaften oder medizinische Kriterien des Behandlungserfolges geknüpft, sondern mindestens ebenso sehr an Evaluationen und daraus resultierende Rankings, die auf den persönlichen und individuellen Einschätzungen von Patient_innen basieren. Der ärztliche Status, der in Zeiten von Patient_innenorientierung, wunscherfüllender Medizin und doctor shopping seine unhinterfragte Autorität einzubüßen scheint, muss durch Fremdautorisierungspraktiken legitimiert werden, die in diesen neuen Logiken anschlussfähig sind.
Die entgrenzte Position der Ärzt_in
Die Entgrenzung der Medizin (Viehöver/Wehling 2011) ist ein Dauerbrenner des medizinethischen Diskurses. Und in diesen Dynamiken entgrenzt sich auch die Position der Ärzt_in – im medizinischen Feld wie gesamtgesellschaftlich. Wenn die Websites von Intimchirurg_innen auf Arztbewertungsportale verlinken, durch Logos über die Mitgliedschaft in Fachgesellschaften informieren und auf wissenschaftliche Publikationen ebenso verweisen wie auf Presseberichte, dann berät die Intimchirurg_in nicht nur die potenzielle Patient_in zur verantwortungsvollen und ‚richtigen‘ Entscheidung, sondern sie zeigt sich auch selbst als ‚gut beraten‘ und verantwortungsvoll. Die Intimchirurg_in informiert, bildet sich fort, berät, gibt Interviews, vernetzt sich, publiziert, lässt sich fotografieren, fotografiert andere, lässt sich evaluieren, evaluiert andere, sie operiert, vielleicht lässt sie sich auch operieren und all das dokumentiert sie auf ihrer Homepage – zertifiziert, nachvollziehbar und ästhetisiert.
Mit den Entgrenzungstendenzen einer wunscherfüllenden Medizin in digitalen Öffentlichkeiten einher geht der Wandel der ärztlichen Position zur massenmedial anschlussfähigen Dienstleister_in. Interviews mit Patient_innen Ästhetischer Chirurgie zeigen, dass sich diese umfangreich informieren, bevor sie die Entscheidung für einen Eingriff treffen (Jones 2008). Entsprechend müssen Ärzt_innen diese Öffentlichkeiten auch bedienen. Jedoch wäre es zu kurz gegriffen, diese Veränderung des Verhältnisses zwischen Ärzt_in und Patient_in einfach als ‚Demokratisierung‘ zu verstehen. Vielmehr sind beide gleichermaßen verwoben in ein komplexes Netz aus Medientechnologien, die konsum- und marktorientierten Logiken folgen.
Widersprüchliche Anforderungen
Gleichzeitig dürfen Ästhetische Chirurg_innen trotz des öffentlichkeitsorientierten Quality Managements den Status als Mediziner_in nicht aus den Augen verlieren. Doch gerade die multimodal in die Website eingebundenen Logos, die den ärztlichen Status legitimieren sollen, sind Dokumente der diskursiven Entgrenzung: Sie verweisen auf den Status der Ärzt_in innerhalb der Medizin und dienen darin zugleich als Entscheidungskriterien für das doctor shopping der (potenziellen) Patient_innen sowie als Autorisierungspraktiken in der Öffentlichkeit. Und so wandeln Intimchirurg_innen zwischen widersprüchlichen Anforderungen: Zwischen Kund_innen- bzw. Dienstleistungsorientierung, Öffentlichkeitsarbeit und Marktlogiken einerseits und der Notwendigkeit als und durch Mediziner_innen anerkannt zu werden andererseits. Diese widersprüchlichen Erwartungen werden in einer strengen visuellen und semantischen (Selbst-)Erzählung als seriöse, vertrauensvolle und durch externe Instanzen autorisierte Berater_in sowie in einer darauf abgestimmten sauberen, glatten und ästhetisierten Corporate Identity zusammengeführt. Das Deutungsmuster der Beratung, das sich hier abzeichnet, ist höchst anschlussfähig. Es ist der diskursive Kitt der entgrenzten Subjektposition der Intimchirurg_in, oder allgemeiner: der Ärzt_in als Protagonist_in einer wunscherfüllenden, maßgeschneiderten Medizin. Denn auf die Notwendigkeit angemessener Aufklärung und verantwortungsvoller Beratung können sich alle einigen. Selbst die Kritiker_innen.
Lesen Sie auch die Rezension von Susanne Richter in GENDER (3/2018) zu Anna-Katharina Meßmer (2017): Überschüssiges Gewebe. Intimchirurgie zwischen Ästhetisierung und Medikalisierung. Wiesbaden: Verlag Springer VS (Reihe Geschlecht und Gesellschaft).
Literatur
Dietrich, Anja (2006). Eigenverantwortlich, informiert und anspruchsvoll ... Der Diskurs um den mündigen Patienten aus ärztlicher Sicht. Zugriff am 13.03.2019 unter https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/11441.
Gilman, Sander L. (1999). Making the Body Beautiful. A Cultural History of Aesthetic Surgery. Princeton University Press.
Jones, Meredith (2008). Skintight: an anatomy of cosmetic surgery. Oxford, New York: Berg.
Meßmer, Anna-Katharina (2017). Überschüssiges Gewebe. Intimchirurgie zwischen Ästhetisierung und Medikalisierung. Reihe Geschlecht und Gesellschaft. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-17054-7
Traue, Boris (2013). Visuelle Diskursanalyse. Ein programmatischer Vorschlag zur Untersuchung von Sicht- und Sagbarkeiten im Medienwandel. Zeitschrift für Diskursforschung, 1(2): 117–136. Zugriff am 13.03.2019 unter https://www.beltz.de/fileadmin/beltz/downloads/OpenAccess/ZFD_2_2013.pdf.
Viehöver, Willy & Wehling, Peter (2011). Entgrenzung der Medizin. Von der Heilkunst zur Verbesserung des Menschen? Bielefeld: transcript Verlag. DOI: https://doi.org/10.14361/9783839413197
Zitation: Kathy Meßmer: Die entgrenzte Ärzt_in – Ästhetische Intimchirurgie 4.0, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 16.10.2018, www.gender-blog.de/beitrag/die-entgrenzte-aerzt_in--aesthetische-intimchirurgie-40/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20181016
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