18. Mai 2021 Sophie Domres
Im Jahr 2016, während seiner Reise durch den Kaukasus, erklärte Papst Franziskus „Gendertheorie“ zu einem Baustein eines „weltweiten Krieges zur Zerstörung der Ehe“ (Bremer 2016; Löbbert 2016; Straub 2016). Der Journalist Robert Sedlaczek nannte seinen Artikel über gendergerechte Sprache „Der Krieg der Sterne“. Christian Weber fragte sich in seinem Essay „Kampf um Geschlechter“, ob es sinnvoll ist, Geschlechter abzuschaffen (Weber 2020). In einem Interview zu seinem Buch „Die Geschichte der Frau“ formulierte Feridun Zaimoglu im Oktober 2019: „Es geht darum, dass diese beschissene Männerdiktatur, ob sie religiös oder säkular daherkommt, überwunden und bekämpft werden muss – mit allen Mitteln“ (Paul & Schuster 2019). Dabei proklamierte Katharina Fontana bereits im Juni 2019 das Ende des „Krieg[es] der Geschlechter“. Sie titelte: „Die Schlachten sind gewonnen. Die Frauenemanzipation ist die grösste [sic] Freiheitsbewegung der Geschichte, sie hat die Männerherrschaft hierzulande unblutig beseitigt“ (Fontana 2019). Die zitierten Artikel haben eine Gemeinsamkeit: Sie bedienen sich einer ausgeprägten Kriegs- und Kampfrhetorik, wenn sie über Gender- und Geschlechterthemen berichten.
Dieser Text widmet sich der Frage, ob und, wenn ja, wie sich derartige Framings auf die gesellschaftliche Wahrnehmung auswirken. Mit Framing meine ich die sprachliche Herstellung eines Diskursrahmens, der diesen maßgeblich beeinflusst und anführt. Man könnte beschwichtigen, dass die Kriegsrhetorik nur eine Metapher sei, um die gesellschaftspolitischen Debatten über die Gleichstellung der Geschlechter, über Gender Studies oder Feminismus anschaulicher darzustellen. Diese Argumentation ignoriert allerdings die Manifestierung und (Re-)Produktion eines Narratives, welches suggeriert, dass sich die Geschlechter in einem Krieg gegeneinander befinden. Soziale Bewegungen, Lebenskonzepte, Beziehungen etc., die von Heteronormativität und gesellschaftlich zugeschriebenen Geschlechterrollen abweichen, werden in diesem Zusammenhang zu Kriegsobjekten deklariert.
Gesellschaftliche Implikationen eines Kriegsnarratives
Diskurse sollten nicht isoliert betrachtet werden, sondern in Interaktion mit dem zwischenmenschlichen, institutionellen, sozio-kulturellen und materiellen Umfeld. Sie sind also als soziale Aktionen – als eine gesellschaftliche Praxis – zu verstehen. Sie (re)produzieren dabei soziale Wirklichkeiten und dienen dadurch als wichtiger Teil der Realitätskonstruktion (Foucault 1980; Fairclough 1992; Richardson 2006).
Ein dominanter Diskurs beeinflusst die Art und Weise, wie über eine Thematik gesprochen wird, beeinflusst, wie Ideen in die Praxis umgesetzt werden, und reguliert das Verhalten anderer. Die Macht des Diskurses liegt in seiner Fähigkeit, bestimmte Arten von Wissen zu legitimieren und andere zu untergraben. Aber auch in seiner Fähigkeit, Subjektpositionen zu schaffen und Menschen zu Objekten zu machen, die kontrolliert werden können. Diskurse, Macht und Wissen sind eng miteinander verbunden und arbeiten zusammen, um Hierarchien zu (re)produzieren (Chiapello & Fairclough 2002; Foucault 1980).
Die soziale Ordnung beeinflusst die gesellschaftlichen Normen und Erwartungen an eine Person, sie wird gestützt durch dominante Diskurse über Weiblichkeit, in der Attribute wie soziale Verantwortung, Schönheit, Emotionalität, Sensibilität und Selbstlosigkeit als idealtypisch formuliert werden. Männlichkeit wird hingegen durch Zuschreibungen wie Rationalität, Kompetenz, Ambition, Stärke und Dominanz konstruiert. Grundlage dafür ist der hegemoniale, gesellschaftlich tief verwurzelte Diskurs über den konstruierten Unterschied zwischen Geschlechtern, Heteronormativität und Binarität (Butler 2004; Gildemeister & Hericks 2012; Mullany 2007; Graf 2017; Sunderland 2004). Genderspezifische Thematiken werden durch über Jahrhunderte sozial festgeschriebene Überformungen beeinflusst. Durch eine sozial empfundene biologische und binäre Differenz zwischen Geschlechtern wird eine soziale Differenz (re)produziert. Dadurch wird der vermeintliche biologische Unterschied „zu etwas Gegensätzlichem überhöht und dabei naturalisiert“ (Graf 2017, S. 6). Das sozial konstruierte Geschlecht (Gender) nimmt somit in der gesellschaftlichen Praxis die Rolle einer konstruierten sozialen Ordnung ein (Ayaß 2008).
Elementarprinzipien von Gut und Böse
Gegenwärtig werden heteronormative Gesellschaftsstrukturen durch dramatisierende Rhetorik verteidigt. Diese Rhetorik bedient sich gewaltvoller Konnotationen, Vergleiche und Metaphern und wirkt dabei gleichzeitig gewaltsam auf von der heteronormativen Ordnung abweichende Diskurse, indem sie diese marginalisiert, de-legitimiert und ausgrenzt (Herrmann 2017). In diesem Zusammenhang werden nicht-heteronormative Diskurse als Feind beziehungsweise als ‚Störer‘ der konstruierten Gesellschaftsordnung dargestellt. Die metaphorische Nutzung von Krieg beziehungsweise Kampf, mit dem sich „die Elementarprinzipien von Gut und Böse archetypisch evozieren lassen“ (Küster 1978, S. 81), spiegelt dies wider.
Die genutzte Kriegsmetaphorik führt also dazu, dass Diskurse, die von dem Dominanten – also dem Heteronormativen – abweichen, als „böse“ marginalisiert und ausgegrenzt werden. Selbst wenn diese Rhetorik nicht ernst gemeint wird, so wirkt sie abfällig allen Diskursen gegenüber, die sich dem dominanten Diskurs kritisch entgegenstellen. Wenn beispielsweise der Papst von einem ‚Weltkrieg gegen die Ehe‘ spricht, diskriminiert er die Individuen und Diskurse, die nicht der heteronormativ konstruierten gesellschaftlichen Ordnung folgen. Wenn ein Mann einen Mann heiratet – so die Logik der Weltkriegsrhetorik – ist dies also ein böswilliger Angriff, den es zu verurteilen, nicht aber zu akzeptieren gilt. Die gleichgeschlechtliche Partnerschaft als Abweichung von der gesellschaftlichen Norm stellt in den Augen des Klerus einen Angriff auf die Autorität der katholischen Kirche dar. Dieser muss mit Kriegsrhetorik beantwortet werden, da er ein Fundament der katholischen Kirche – die heteronormative Ehe – ‚attackiert‘. Gleiches gilt für transsexuelle, intersexuelle sowie Individuen mit diversem Geschlecht.
Wenn der Spiegel prognostiziert: „Jetzt wird zurückdiskriminiert. Frauenquoten, wohin man auch blickt - aber was wird aus den Männern? […] Der Wirtschaft droht ein Kampf der Geschlechter“ (Werle 2012), impliziert dies einen Angriff der Frauen auf eine etablierte gesellschaftliche Ordnung, die Frauen nicht für Führungspositionen vorsieht. Eine solche Rhetorik delegitimiert die berufliche Gleichberechtigung als Angriff auf das Patriarchat und negiert die ihr inhärente Gerechtigkeit und Fairness.
Gleichwertige Chancen und Repräsentation
Durch Marginalisierung werden nicht-heteronormative Ansichten unsichtbar. Anhänger*innen solcher Diskurse wird ihre öffentliche Stimme genommen. Wenn Wort- und Textbeiträge als Angriff wahrgenommen und diffamiert werden, kann kein offener gesellschaftlicher Diskurs stattfinden. Denn wie soll ein Diskurs offen sein, wenn er vorher schon normativ belastet ist, eben durch die Delegitimierung einer Seite? Dabei wird doch durch eine kritische, offene Debatte Binarität weder abgeschafft noch entwertet. In den Gender Studies oder Queer Studies, in feministischen oder LGBTIQ*-Bewegungen geht es nicht darum, die binären Strukturen im Sinne einer gewaltsamen Revolution aufzuheben. Es geht darum, ihnen etwas hinzuzufügen, um eben allen Mitgliedern der Gesellschaft gleichwertige Chancen und Repräsentation zu ermöglichen. Eine Frau soll eine Führungsposition anstreben dürfen, ohne dabei Männern den ‚Kampf anzusagen‘. Wenn ein homosexuelles Paar heiratet, wird dadurch nicht die Gültigkeit der Ehe eines heterosexuellen Paares angegriffen. Die gleichberechtigte Anerkennung von trans- und intersexuellen sowie diversen Individuen sorgt nicht dafür, dass es keine Männer und Frauen mehr gibt, sondern fügt dem Spektrum weitere Facetten hinzu. Sie ‚raubt‘ der Gesellschaft nichts, im Gegenteil, sie bereichert sie. Eine Feministin möchte nicht einen Kampf gegen Männer führen, sondern Gleichberechtigung auf allen Ebenen für alle Individuen einer Gesellschaft.
Literatur
Ayaß, Ruth (2008). Kommunikation und Geschlecht. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer.
Bremer, Jörg (3.10.2016). Krieg zur Zerstörung der Ehe. Frankfurter Allgemeine. In: https://www.faz.net/aktuell/politik/papst-verurteilt-gendertheorie-krieg-zur-zerstoerung-der-ehe-14464258/papst-franziskus-bei-der-14464266.html
Butler, Judith (2004). Undoing Gender. London: Routledge.
Chiapello, Eve & Fairclough, Norman (2002). Understanding the New Management Ideology: a Transdisciplinary Contribution From Critical Discourse Analysis and New Sociology of Capitalism. Discourse & Society, 13(2), 185–208.
Fairclough, Norman (1993). Discourse and Social Change. Cambridge: Polity Press.
Fontana, Katharina (5.6.2019). Die Schlachten sind gewonnen. Die Weltwoche. In: https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2019-23/kommentare-analysen/die-schlachten-sind-gewonnen-die-weltwoche-ausgabe-23-2019.html
Foucault, Michel (1980). Power/Knowledge: Selected Interviews and Other Writings 1972–1977. New York: Pantheon Books.
Graf, Eva-Maria (2017). Von „so typisch Frau“ bis „jetzt nehmen wir mal Fußball als Beispiel“ – Praktiken der diskursiven Herstellung von Weiblichkeit(en) und Männlichkeit(en) im Führungskräfte-Coaching aus genderlinguistischer Sicht. Coaching – Theorie & Praxis, 3, 1–15. https://doi.org/10.1365/s40896-016-0015-z
Gildemeister, Katja & Hericks, Regine (2012). Geschlechtersoziologie. Theoretische Zugänge zu einer vertrackten Kategorie des Sozialen. München: Oldenbourg.
Herrmann, Steffen K. (2017). Politischer Antagonismus und sprachliche Gewalt. In: Hard (Hg.),
Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Aus-
einandersetzungen. Bielefeld: transcript Verlag.
Hirseland, Andreas; Keller, Reiner; Schneider, Werner & Viehöver, Willy (2001). Zur Aktualität sozialwissenschaftlicher Diskursanalyse – Eine Einführung. In: Hirseland et al. (Ed.), Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Band I: Theorien und Modelle (pp. 7–28). Opladen: Leske + Budrich.
Küster, Rainer (1978). Militärmetaphorik im Zeitungskommentar. Darstellung und Dokumentation an Leitartikeln der Tageszeitungen „Die Welt“ und „Süddeutsche Zeitung“. Göppingen: Kümmerle Verlag.
Löbbert, Raoul (5.10.2016). Wider der Geschlechter-Krieger. Zeit Online. In: https://www.zeit.de/2016/42/papst-franziskus-ehe-geschlechter-gender
Mullany, Louise (2007). Gendered Discourse in the Professional Workplace. Houndmills: Palgrave.
Paul, Martin & Schuster, Maren (17.10.2019). Die Männerdiktaur muss bekämpft werden. In: http://www.planet-interview.de/interviews/feridun-zaimoglu/51056/
Richardson, John (2006). Analysing Newspapers: An Approach from Critical Discourse Analysis. London: Red Globe Press.
Sedlaczek, Robert (14.1.2020). Der Krieg der Sterne. Wiener Zeitung. In: https://www.wienerzeitung.at/meinung/glossen/2045928-Der-Krieg-der-Sterne.html
Straub, Dominik (3.10.2016). Der große Feind der Ehe ist die Gender-Theorie. Tagesspiegel. In: https://www.tagesspiegel.de/politik/papst-franziskus-zur-ehe-der-grosse-feind-der-ehe-ist-die-gender-theorie/14633566.html
Sunderland, Jane (2004). Gendered Discourses. Houndmills: Palgrave.
Weber, Christian (14.02.2020). Kampf um Geschlechter. Süddeutsche Zeitung. In: https://www.sueddeutsche.de/wissen/gender-geschlecht-gesellschaft-1.4798148?reduced=true
Werle, Klaus (13.11.2012). Jetzt wird zurückdiskriminiert. Spiegel. In: https://www.spiegel.de/karriere/frauenquote-kampf-der-geschlechter-um-spitzenpositionen-a-863612.html
Zitation: Sophie Domres: Die Macht von Diskursen: Gesellschaft und ‚Geschlechterkrieg‘, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 18.05.2021, www.gender-blog.de/beitrag/die-macht-von-diskursen-gesellschaft-und-geschlechterkrieg/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20210518
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