29. Mai 2018 Uta C. Schmidt
Gleichstellungsarbeit in der Kommune wird zunehmend als selbstverständlicher Teil von Verwaltungsentwicklung verstanden. Formiert hat sich kommunale Gleichstellungsarbeit auf breiter Basis seit 1985 als Politikfeld für bessere Lebensbedingungen von Frauen in der Stadt. Doris Freer plädiert im Interview mit Uta C. Schmidt dafür, das Politische der Arbeit nicht aus den Augen zu verlieren: Ziel muss es sein, die gesamte Stadtgesellschaft zu verändern. 1952 im Dorstener Arbeiterviertel Hervest geboren, studierte Doris Freer nach dem Abitur am katholischen Mädchengymnasium St. Ursula an der Ruhr-Universität Bochum Deutsch und Geschichte für das Lehramt am Gymnasium und forschte im Sonderforschungsbereich über Frauen in der Literatur des 19. Jahrhunderts. Von 1981 bis 1985 war sie Mitglied im „Arbeitskreis Wissenschaftlerinnen in NRW“. Doch Universität und Schuldienst waren als Tätigkeitsfelder Mitte der 1980er Jahre mangels freier Stellen nahezu verschlossen. Die sich formierende kommunale Gleichstellungsarbeit bot Doris Freer Gelegenheit, ein neues Arbeitsfeld zu entwickeln. Über zehn Jahre war Doris Freer Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) kommunaler Frauenbüros/Gleichstellungsstellen NRW. Von der NRW-Landesregierung in das „Team Nachhaltigkeit“ berufen, nutzte Doris Freer als Landessprecherin der LAG NRW erfolgreich die Chance, dezidiert frauenpolitische Forderungen in die „Nachhaltigkeitsstrategie für Nordrhein-Westfalen“ zu implementieren.
Wie sind Sie zur Gleichstellungsarbeit gekommen?
Um 1985 gab es die erste Gründungswelle von kommunalen Frauenbüros in NRW, die ersten Frauenbeauftragen wurden in Köln und Gelsenkirchen eingestellt. Ich wusste nicht viel über dieses Arbeitsfeld, das sich ja auch erst entwickeln musste, ich wusste aber etwas von Frauen-Diskriminierung und wie sie funktioniert.
Wie habe ich mir das vorzustellen? Eingespielte Stadtverwaltungen machen plötzlich „Frauenbüros“ auf?
Es gab in den 1980er-Jahren eine Bewegung von Frauen, in den Parteien und außerhalb der Parteien. Die haben Druck ausgeübt. In Duisburg gab es ein breites Spektrum von Frauengruppen, die sich in einem Frauenbündnis zusammengeschlossen hatten. Darüber hinaus gab es die Initiative der SPD-Frauen in Duisburg, die 1984 auf dem Parteitag gefordert hatten: „Wir wollen eine Gleichstellungsstelle“. Daraufhin wurde ein Ratsbeschluss erwirkt, der eindeutig bei den gesellschaftlichen Diskriminierungen der Frauen ansetzte und der auf ein Frauenbüro zielte, für das die konkreten Aufgaben gleich im Ratsbeschluss festgeschrieben wurden.
Und damals hieß dies in der politischen Öffentlichkeit „Diskriminierung von Frauen“?
1984 hat noch niemand von „Diversität“ oder „Intersektionalität“ gesprochen. Aber warum auch? Die kommunalen Gleichstellungsstellen waren ja eine politische Maßnahme, die auf die von der Frauenbewegung kritisierten skandalösen gesellschaftlichen Verhältnisse reagierte.
Was sind die Aufgaben der kommunalen Gleichstellungsstellen?
Es geht um die Entwicklung von Konzepten und von Handlungsstrategien. Wir müssen dafür erst einmal analysieren, wie sieht die konkrete Situation von Frauen in bestimmten politischen Handlungsfeldern aus, um daraus kommunalpolitischen Handlungsbedarf abzuleiten. Die Gemeindeordnung NRW sieht vor, alle Politikfelder auf den Aspekt der Benachteiligung von Frauen hin zu bearbeiten. Ich musste mich deshalb gleichzeitig im Sportausschuss, im Umweltschutz, in der Stadtentwicklung, im Sozialbereich, im Gesundheitswesen, in der Arbeitsmarktpolitik usw. – also auf allen kommunalen Politikfeldern – bewegen. Am Anfang wusste man in Politik und Verwaltung nicht, was man mit uns Frauenbeauftragten so machen sollte. Wenn wir in die Ausschüsse kamen, dann haben die zumeist männlichen Vertreter erst einmal wieder ihre Jacken angezogen und die Schlipse hochgeschoben. Wir mussten Strategien entwickeln, wie wir inhaltlich unsere Konzepte, Forderungen und Empfehlungen umsetzen konnten. Dazu habe ich mir für alle Ausschüsse ein grundständiges Fachwissen angeeignet, sodass ich die Frauenbenachteiligung konkret für dieses Politikfeld herausarbeiten konnte.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Als zum Beispiel die Sportförderrichtlinien der Stadt als Ratsvorlage vorlagen – schon frühzeitig habe ich alle Ratsvorlagen erhalten –, bestand die Möglichkeit, strukturell zu verankern, dass in Duisburg Frauen und Männer im Sport gleich zu behandeln sind. Dies bedeutete im Ernstfall, dass Vereinen Fördermittel gekürzt wurden, wenn sie gegen den nun in der Präambel der Sportförderrichtlinien verankerten Gleichstellungsgrundsatz verstießen. Auf die Sportförderrichtlinien konnte ich mich auch berufen, wenn Frauen nur ganz spät Trainingszeiten z.B. im Damen- Eishockey erhielten oder als es um die Finanzierung eines Kunstrasens für den Frauenfußballverein FCR ging.
Oder ein Beispiel im Sozialbereich. Im Stadtbild wurden immer mehr Frauen als Wohnungslose sichtbar. Ich bin dann einmal für einen Tag in die städtische Einrichtung für Wohnungslose gegangen – und war hinterher zwei Tage lang total fertig. Für mich war klar: Hier musste etwas geschehen. Und wir haben es dann geschafft, ein Haus speziell für weibliche Wohnungslose einzurichten, professionell geführt mit Hilfe und Beratung in Trägerschaft durch die Diakonie. Insgesamt habe ich mich, da auf Grund der Vielzahl der Themen und Aufgaben stets Prioritäten gesetzt werden mussten, immer bemüht, aktuelle bzw. die dringlichsten gesellschaftliche Herausforderungen unter dem Frauenaspekt zu beackern. Zuletzt habe ich mich mit Gender- und Frauenbelangen im Klimaschutz beschäftigt.
Sie verstehen Ihre Arbeit im Frauenbüro als frauenpolitische Interventionen, also als Frauenpolitik?
Ja. Um Frauenpolitik zu machen, musst du in der Verwaltung immer auf gesetzliche Grundlagen verweisen können. Das setzt voraus, dass die kommunalen Gleichstellungsstellen und Frauenbüros umso besser ihrem Auftrag gerecht werden können, je größer das Wissen um diese gesetzlichen Grundlagen und die sich daraus entwickelnden Möglichkeiten ist. Unsere Arbeit sollte ja keine Eintagsfliege sein, sondern die Kommune weiterentwickeln. Und wichtig war, ein Frauennetzwerk mit Frauen aus allen gesellschaftlichen Bereichen aufzubauen, da ich seit meiner Bochumer Zeit in der Frauenbewegung von der Bedeutung der Basisorientierung überzeugt bin.
Ihre Arbeit bewegte sich somit zwischen verschiedenen Horizonten, darüber hinaus müssen Sie Vernetzerin sein und mit allen sprechen können – wie war das für Sie?
Das war dadurch möglich, dass ich aus dem Arbeitermilieu kam. Ich weiß, wie man sich ausdrückt, wenn man bei Thyssen-Krupp arbeitet, und wie man sich am Germanistischen Seminar ausdrückt. Unser Ziel war ja, dass wir wirklich eine gesellschaftliche Veränderung im Sinne der Frauenbewegung herbeiführen wollten. Ich würde es kurz und knapp so sagen: Abbau des Patriarchats und Einführung der Gleichberechtigung – das war das Ziel. Eine große Herausforderung, dies in einer Institution wie einer Stadtverwaltung hinzukriegen. Das ist zwischenzeitlich auch sehr anstrengend gewesen. Wie sollte ich das alles schaffen? Ich wäre darüber beinahe zerbrochen und bin – zum Glück nur vorübergehend - krank geworden.
Warum haben Sie Ihre Arbeit nicht einfach nur auf das Landesgleichstellungsgesetz und Verwaltungsbelange konzentriert?
Interne Belange reduzieren die Frauenpolitik in den Kommunen auf die Umsetzung von Frauenförderplänen. Ich meine, das ist zwar schon Arbeit genug, doch birgt dies auch die Gefahr, ausschließlich für verwaltungsinterne und personalwirtschaftliche Belange absorbiert zu werden. Ich bin der Meinung, dass die Prioritätensetzung auf die Umsetzung von Frauenförderplänen uns von der eigentlichen Arbeit, nämlich dem Einsatz für die Belange der Einwohnerinnen in einer Kommune, abhalten. Ich sage es einmal krass: Die Bevölkerung interessiert sich nicht für den frauenförderplangenauen Aufstieg der Beamtin in der Verwaltung; die Bevölkerung schaut, dass du für ihre Belange eintrittst. Man kann so eine Stelle nicht nur „normal“ ausfüllen, nur darauf achten, dass Pläne eingehalten werden. Letztlich bedeutet diese Reduzierung auf verwaltungsinterne Aufgaben, dass Frauen-/Gleichstellungsbeauftragte letztlich „kaltgestellt“ werden. Du musst überzeugen und für die Öffentlichkeit da sein. Und das Amt der Gleichstellungbeauftragten muss eindeutig frauenpolitisch gesetzt sein.
Was hat sich geändert während Ihrer Amtszeit?
Wir hatten insbesondere auf meine Initiative hin eine Zusammenkunft in der Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros/Gleichstellungstellen zum Thema „Geflüchtete Frauen/ Frauen und Flucht“. Da waren Kolleginnen, die nicht aus der Wissenschaft, sondern aus der Verwaltung kamen: Diese haben zuerst und ausschließlich an ermächtigende Fortbildungen für Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung im Umgang mit geflüchteten Männern gedacht. Das war schon ein grundlegender Unterschied zu meiner Haltung: Ich hatte als globales frauenpolitisches Anliegen die geflüchteten Frauen im Blick. Natürlich sind wir dafür da, die Kolleginnen zu schützen, und wir haben das auch aufgegriffen, doch nach meiner Auffassung und der anderer Initiatorinnen dieses Arbeitskreises standen zuerst andere Fragen im Vordergrund: Brauchen wir gesonderte Einrichtungen für die geflüchteten Frauen? Welchen Gefahren sind sie hier ausgesetzt? Brauchen sie besondere Betreuungsprogramme? Hier machte sich für mich deutlich eine Verschiebung im Verständnis der Aufgaben bemerkbar. Da habe ich gemerkt, dass meine Vorstellung von Gleichstellungsarbeit als Frauenpolitik nicht mehr umstandslos von allen geteilt wird, sondern Gleichstellung von manchen Kolleginnen, oftmals durch ihre Verwaltungsspitzen auch auf den internen Aufgabenbereich reduziert, in erster Linie als ein Feld von Verwaltungsentwicklung, von Institutionenentwicklung gesehen wird.
Ist es vielleicht auch eine Generationenfrage?
Es ist eine politische Frage. Ich habe den aktuellen Koalitionsvertrag durchgeforscht, da kam das Wort „Frauenpolitik“ für die Bundesebene nicht mehr vor. Ich glaube ja, dass es einfacher ist, Frauenpolitik aufzugeben, wenn Nichtwissen und Unkenntnis darüber besteht, welche gesellschaftlichen Kämpfe hinter gleichstellungspolitischen Veränderungen stehen. Geschichte ist ein wunderbares Mittel, um politisch ins Gespräch zu kommen. Wenn du sagst, Frauen verdienen weniger, dann sagen alle: „Ja, ja, das wissen wir“. Aber wenn du dann fragst, seit wann dürfen Frauen eigentlich berufstätig sein, seit wann dürfen sie studieren, dann kommst du anders ins Gespräch, dann weitet sich der Horizont. Von all diesen gesellschaftlichen Kämpfen muss eine Frauenbeauftragte auch sprechen können – von daher muss sie eigentlich Wissenschaftlerin sein, die Verknüpfungen herstellen kann, sie muss eine Generalistin sein und eine Vernetzerin. Ich habe in Duisburg viel dafür getan, dass sich die Frauen ihrer Geschichte in dieser Stadt bewusst werden. Publikationen wie „Von Griet zu Emma“ oder die Stadtrundfahrten, die ich zur Frauengeschichte durchgeführt habe, d.h. die Aneignung der Geschichte und die frauenspezifische geschichtliche Verortung des Stadtraums, standen immer im Zusammenhang mit politischen Perspektiven. Das bedeutet konkret zweierlei: Einerseits, dass sich Frauen für die Entwicklung der Stadt mitverantwortlich fühlen und daran mitwirken, andererseits, dass politisches Handeln im Bereich der Stadtentwicklung frauenrelevante Interessenlagen und Belange – und dies auf der Basis entsprechender Forschungsergebnisse und frauenspezifischer Konsultationsverfahren – einbeziehen muss.
Zitation: im Interview mit Uta C. Schmidt: Eine politische Frage: Doris Freer, erste kommunale Frauenbeauftragte in Duisburg, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 29.05.2018, www.gender-blog.de/beitrag/eine-politische-frage-doris-freer-erste-kommunale-frauenbeauftragte-in-duisburg/
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Kommentare
Yvonne Tertilte-Rübo | 06.06.2018
Bravo Doris Freer!
Danke für diese klare Beschreibung der Gleichstellungsbeauftragtenarbeit.
Ich bin sehr dankbar für das Engagement der Kollegin. Wenn die DuisburgerInnen eine Empfehlung erlauben: Schlagt bitte Doris Freer für das Bundesverdienstkreuz vor. Sie hat es verdient! Liebe Grüße vom Niederrhein