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Forschung

Energiearmut – Frauen sind besonders betroffen, aber unsichtbar

28. April 2020 Christian Berger Sandra Matzinger

Klimakrise und Energiewende sind keine rein technischen, sondern zutiefst soziale Herausforderungen – dabei muss allen Menschen ermöglicht werden, an vorhandenen Ressourcen und technologischen Innovationen teilhaben zu können. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem Phänomen der Energiearmut und ihren Geschlechtsspezifika. Denn Frauen sind besonders gefährdet, in Policy-Konzepten nicht mitgedacht und infolge benachteiligt zu werden, da sie zumeist über geringeres Einkommen verfügen, mehr Care-Arbeit leisten (müssen) und auch mit der Ressource Energie anders umgehen als Männer.

Was ist Energiearmut?

Die öffentliche Debatte greift das Thema Energiearmut vor allem saisonal im Herbst oder Winter auf und thematisiert dabei fehlende Heizungs- sowie unzureichende elektrische Versorgungsmöglichkeiten, meist im Zusammenhang mit niedrigen Einkommen, sprich, der allgemeinen Armutsbetroffenheit dieser Haushalte.

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Energiearmut stellt die gesamte Thematik in einen breiteren Kontext, um unterschiedliche Dimensionen von Energiearmut erfassen zu können. Lokale Besonderheiten (bspw. Stadt-Land-Unterschiede) und soziale bzw. kulturelle Praktiken (Umgang mit und Wissen über Energie) sowie die materielle Beschaffenheit von Gebäuden und Wohnverhältnissen, aber auch (steigende) Energiepreise werden als wichtige Indikatoren herangezogen (bspw. Boardman 1991, 2010; Bouzarovski 2018).

Wichtig ist dabei im Blick zu haben, ob überhaupt die Möglichkeit besteht, Energie im Haushalt zu nutzen („access to energy“). Dies ist mitunter davon abhängig, ob eine Heizungsanlage oder elektrische Geräte im Haushalt vorhanden sind. Andererseits geht es bei Energiearmut auch um die Frage der „Leistbarkeit“ von Energie („affordability of energy“). Damit ist die Möglichkeit der tatsächlichen Nutzung von Energie aufgrund ausreichend vorhandener finanzieller Ressourcen gemeint (Bouzarovski 2018).

Betroffenheit und Indikatoren von Energiearmut

Aus dieser Mehrdimensionalität ergeben sich unterschiedliche Arten von Betroffenheiten sowie Handlungsansätze zur Bekämpfung von Energiearmut (bspw. Mandl 2017). Entweder wird der Bedarf an Energie nicht oder nur unzureichend gedeckt, was zur Folge hat, dass Wohnräume zum Beispiel nicht ausreichend beheizt oder Elektrogeräte nur eingeschränkt genutzt werden. Oder es entstehen durch den Konsum von Energie – also gerade durch die Verwendung von Strom, Heizung und Warmwasser – finanzielle Belastungen, die sogar in einer Schuldenproblematik enden können. Abhängig von der Art der Betroffenheit bedarf es anderer unterstützender Maßnahmen zur Milderung bzw. Verhinderung von Energiearmut (Matzinger et al. 2018).

Allgemein lassen sich wichtige Indikatoren von Energiearmut in vier Kategorien einteilen (siehe Grafik): finanzielle, technische, soziale und geographische Faktoren. Diese zeigen neben dem unterschiedlichen „Aussehen“ von Energiearmut auch realpolitische Felder zur Unterstützung von betroffenen Haushalten auf, gleichzeitig lässt sich damit auch die Mehrdimensionalität von Energiearmut gut abbilden.

Indikatoren von Energiearmut
Quelle: Eigene Darstellung.

 

Energiearmut und Gender

Der analytische Fokus sowie die Ausrichtung von energie- bzw. sozialpolitischen Maßnahmen liegen dabei meist auf dem privaten Haushalt als Einheit. Bei finanziellen und sozialen Indikatoren bedarf es jedoch zusätzlich auch eines gendersensitiven Blicks, um den realen Verhältnissen innerhalb eines Haushalts gerecht werden zu können. So ist eine eigenständige Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit für viele Frauen aufgrund von geschlechtsspezifischer Einkommensungleichheit, Zuweisung von Kinderbetreuung und Versorgungsarbeit sowie mangelnder sozialer Absicherung nach wie vor oft nicht möglich. Über die Intra-Haushaltsverteilung von Einkommen und Entscheidungsmacht ist nach wie vor zu wenig bekannt. Auf Basis neuer Daten und gendersensitiver Forschungsansätze kann jedoch die Annahme, dass alle Haushaltsmitglieder gleichermaßen über Ressourcen verfügen, auch empirisch zurückgewiesen werden (Mader et al. 2012).

Zudem verwenden Frauen und Männer Energie aufgrund ökonomischer Gegebenheiten und soziokulturell bedingter Präferenzen und Verhaltensweisen unterschiedlich. So liegt die Verantwortung für Fragen der Energieversorgung „traditionell“ bei Frauen (Kupfner 2011): Dies betrifft Strategien des Energiesparens ebenso wie das Bestreiten von Rechnungen. Energiepolitik ist jedoch meist blind für „private“ Machtverhältnisse innerhalb eines Haushalts und vernachlässigt geschlechtsspezifische Unterschiede und Ungleichheit. Energiearmut sollte daher unbedingt auch genderspezifisch analysiert werden.

Betroffenheit bleibt unsichtbar

Da Frauen mehr Zeit mit unbezahlter Arbeit in privaten Haushalten verbringen, halten sie sich grundsätzlich häufiger in schlecht oder gar nicht beheizten Räumen auf. Sie sind auch häufiger mit Problemen und Mehrarbeit konfrontiert, die entstehen, wenn Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen oder Geschirrspüler nicht in ausreichendem Maße nutzbar sind. Frauen sind demnach auch häufiger mit gesundheitlichen Risiken, die mit Energiearmut einhergehen, konfrontiert: So ist die Wahrscheinlichkeit, an Erkältungen zu erkranken, für sie höher, und sie sind insgesamt häufiger von Infektionskrankheiten betroffen, die durch das Vorhandensein von Schimmel oder Feuchtigkeit in schlecht sanierten oder kalten Räumen begünstigt werden (EIGE 2012, 43).

Der Hauptgrund für das kaum vorhandene Bewusstsein über geschlechtsbezogene Energiearmutsbetroffenheit liegt in fehlendem Datenmaterial bzw. in fehlenden Auswertungen (vgl. European Parliament 2017, 8). Dadurch bleiben Asymmetrien unsichtbar und damit leider auch unbehandelt. Hier gibt es großen Nachholbedarf, um politische Handlungsfelder und die besondere Betroffenheit von Frauen sichtbar zu machen.

Versteckte Energiearmut

Das European Energy Poverty Observatory (EPOV) schlägt zur Messung von Energiearmut vier Hauptindikatoren vor. Zu diesen zählen a) die Unmöglichkeit des Warmhaltens der Wohnung, b) ein hoher Anteil an Energiekosten am Haushaltseinkommen, c) Zahlungsrückstände bei Haushaltsenergie (Strom, Wasser, Heizung) sowie d) niedrige absolute Energieausgaben („verdeckte“ Energiearmut).

Zwei der genannten Indikatoren, nämlich das angemessene Warmhalten der eigenen Wohnung sowie Zahlungsrückstände, lassen Rückschlüsse auf die besondere Betroffenheit von Frauen zu: 2 % aller Frauen in Österreich – das sind immerhin 72.000 Personen – gaben 2018 an, ihre Wohnung nicht angemessen warm halten zu können; bei Männern war dies nur 1 % (48.000 Personen). Alleinlebende Frauen waren sogar zu 4% betroffen, das gleiche gilt für alleinlebende Seniorinnen, und 2 % der Alleinerziehenden verfügen ebenfalls nicht über ausreichend gewärmten Wohnraum. Auffallend ist, dass Frauen laut Statistik weniger von Zahlungsrückständen betroffen sind als Männer (Statistik Austria 2019). Fraglich ist, ob dies eventuell ein Hinweis auf „verdeckte“ Energiearmut sein könnte: Möglicherweise nutzen Frauen Energie nicht oder in eingeschränktem Maße, bevor sie mit Nachzahlungen konfrontiert sind. Generell wird vermutet, dass vor allem ältere Frauen ihren Energieverbrauch einschränken, um Kosten zu reduzieren. Energie wird dann nicht in dem Ausmaß genutzt, wie sie eigentlich benötigt würde.

Energie- und sozialpolitischer Handlungsbedarf

Von einzelnen Publikationen abgesehen, gibt es derzeit kaum Bewusstsein über die Relevanz einer gendersensitiven Analyse oder gar Bekämpfung von Energiearmut. Dies ist zum Großteil darauf zurückzuführen, dass derzeitige Erhebungs- und Messmethoden „gender-blind“ sind. Gleichzeitig liegt darin auch der Grund, warum sozial- und/oder energiepolitische Maßnahmen ausbleiben: Handlungsnotwendigkeiten sind schlicht nicht sichtbar.

Entscheidend ist, den Zugang zu und die Versorgung mit der Ressource Energie für Frauen grundlegend zu thematisieren. Denn Energiearmut ist ein Faktor materieller Unsicherheit, der die Lebensverhältnisse von Frauen maßgeblich bestimmt. Aus Studien ist bekannt, dass Frauen nicht nur mehr Verantwortung für andere Haushaltsmitglieder übernehmen, sondern ihren (Energie-)Konsum auch als erste einschränken, wenn finanzielle und andere Mittel knapp werden (Hole 2008; Kupfner 2011). Frauen sollten daher etwa bei der Bemessung und Auszahlung von staatlichen Transferleistungen besonders berücksichtigt werden (Schlager 2009). Das Phänomen der Energiearmut muss deshalb grundsätzlich geschlechtsspezifisch wahrgenommen, analysiert und bekämpft werden, um die besondere Betroffenheit von Frauen endlich sichtbar zu machen.

Hinweise zum Text:

Eine ausführlichere Version des Beitrags erscheint im nächsten Heft des Kurswechsels 1/2020 unter dem Titel „Energiearmut - gendersensitiv vermessen“. Eine Kurzversion des Beitrags mit dem Titel „Frauen-Energiearmut – eine energie- und sozialpolitische Gemengelage“ ist am 9. März 2020 im Arbeit & Wirtschaft-Blog erschienen.

Literatur

Boardman, Brenda (1991): Fuel poverty: from cold homes to affordable warmth. Belhaven Press (now Wiley). Out of print.

Boardman, Brenda (2010): Fixing Fuel Poverty. Challenges and Solutions. London – New York: Earthsan. https://doi.org/10.4324/9781849774482

Bouzarovski, Stefan (2018): Energy Poverty. (Dis)Assembling Europe’s Infrastructural Divide. Cham: Palgrave Macmillan.

EIGE (2012): Review of the Implementation in the EU of area K of the Beijing Platform for Action: Women and the Environment Gender Equality and Climate Change – Report. Zugriff am 13.03.2020 unter www.eige.europa.eu/sites/default/files/documents/Gender-Equality-and-Climate-Change-Report.pdf.

European Parliament (2017): Gender perspective on access to energy in the EU. A Study requested by the European Parliament’s Committee on Women’s Rights and Gender Equality. Zugriff am 13.03.2020 unter www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=IPOL_STU%282017%29596816.

Hole, Nicola (2009): A Gender-specific perspective on attitudes and behaviours towards domestic energy. Thesis. Exeter: Exeter University. Zugriff am 07.04.2020 unter https://www.exeter.ac.uk/media/universityofexeter/schoolofgeography/pdfs/epsdissertations/Nicola_Hole.pdf.

Kupfner, Rafaela (2011): Genderspezifisches Energieverhalten in armen und armutsgefährdeten Haushalten – unter besonderer Berücksichtigung von Energiearmut. Diplomarbeit. Wien: Universität Wien. Zugriff am 07.04.2020 unter http://othes.univie.ac.at/16907/1/2011-09-26_0648272.pdf.

Mader, Katharina/Schneebaum, Alyssa/Skina-Tabue, Magdalena/Till-Tentschert, Ursula (2012): Intrahaushaltsverteilung von Ressourcen: Geschlechtsspezifische Verteilung von Einkommen und Entscheidungsmacht, in: Statistische Nachrichten 12/2012, 983–994. Zugriff am 07.04.2020 unter https://epub.wu.ac.at/5735/1/Mader_etal_Leben-Entscheidungen_12_2012.pdf.

Mandl, Sylvia (2017): Privater Energiekonsum im Armutskontext: Eine Akteurszentrierte Senkundäranalyse von Energiearmut in Wien. Dissertation. Wien: Wirtschaftsuniversität Wien.

Matzinger, Sandra/Heizmann, Karin/Dawid, Evelyn (2018): Studie zur Eruierung einer Definition von Energiearmut in Österreich aus Sicht der sozialwirtschaftlichen und energiewirtschaftlichen Praxis. Wien: Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz. Zugriff am 16.3.2020 unter www.sozialministerium.at/dam/jcr:d7d414ea-a6c5-49db-9b83-ac2e806b6e98/studie_energiearmut_endversion.pdf.

Schlager, Christa (2009): Soziale Ungleichheit und Armut aus Geschlechterperspektive, in: Dimmel, Nikolaus/Heitzmann, Karin/Schenk, Martin (Hg.): Handbuch Armut in Österreich (S. 127–137). Innsbruck, Wien, Bozen: Studienverlag.

Statistik Austria (2019): Tabellenband EU-SILC 2018. Einkommen, Armut und Lebensbedingungen (Rev. 3 vom 01.08.2019).

Zitation: Christian Berger, Sandra Matzinger: Energiearmut – Frauen sind besonders betroffen, aber unsichtbar, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 28.04.2020, www.gender-blog.de/beitrag/energie-armut-frauen/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20200428

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Christian Berger

Christian Berger ist Referent in der Arbeiterkammer Wien mit den Schwerpunkten Digitalisierung und Gender Divide und einer der Sprecher*innen des Frauen*Volksbegehrens.

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Sandra Matzinger

Sandra Matzinger ist Referentin in der Arbeiterkammer Wien, Abteilung Wirtschaftspolitik mit dem Schwerpunkt Energie- und Armutspolitik.

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