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Debatte

Feministische Außenpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit

02. Juli 2024 Sophie Domres

Feministische Außenpolitik (FFP) hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, da sie traditionelle außenpolitische Paradigmen in Frage stellt und eine gerechtere Weltordnung fordert. Die Ideale der FFP klingen vielversprechend: Geschlechtergerechtigkeit, Menschenrechte, Empathie und soziale Gerechtigkeit stehen im Mittelpunkt. Doch wie sieht die Realität der Umsetzung aus und welche Herausforderungen stehen dem entgegen?

Eine Idee des Wandels: Feministische Außenpolitik im Überblick

In der traditionellen realistischen Außenpolitik steht die Sicherheit des Staates im Mittelpunkt. Staaten streben danach, ihre Macht zu erhalten und ihre Interessen zu wahren, oft auf Kosten anderer Staaten. Diese Sicht auf internationale Beziehungen betont die Notwendigkeit von Militär und Abschreckung und sieht Diplomatie als Mittel zur Durchsetzung nationaler Interessen, wobei Sicherheit in erster Linie als staatliche Sicherheit definiert wird (Aggestam & Bergman-Rosamond 2016; Robinson 2021). Im Gegensatz dazu strebt die FFP eine grundlegende Transformation außenpolitischer Paradigmen an. Sie betont die Bedeutung von Empathie, Fürsorge und Gerechtigkeit und setzt sich für eine Welt ein, in der die Sicherheit und das Wohlergehen aller Menschen im Mittelpunkt stehen. Die FFP fordert eine Abkehr von realpolitischen Ansätzen, die auf Macht und militärischer Abschreckung basieren, und setzt stattdessen auf Diplomatie, Konfliktprävention und die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit als Grundlage für eine nachhaltige internationale Ordnung (Scheyer & Kumskova 2019; Thompson et al. 2020).

Widersprüche und Herausforderungen

Obwohl die FFP edle Ziele anstrebt, sehen sich Länder, die diese umsetzen wollen, oft mit schwerwiegenden Herausforderungen konfrontiert. Eine davon ist die Inkonsistenz zwischen den ideologischen Ansprüchen der FFP und den tatsächlichen politischen Maßnahmen. Obwohl die FFP die menschliche Sicherheit betont, bleiben viele Länder in ihren außenpolitischen Entscheidungen weiterhin von machtpolitischen Überlegungen geleitet (Adebahr & Mittelhammer 2020).

Ein weiteres Beispiel für eine Abweichung besteht darin, dass die FFP oft den Anspruch erhebt, marginalisierte Stimmen zu stärken und zu unterstützen, während sie gleichzeitig bestimmte Gruppen oder Regionen vernachlässigt oder ignoriert. Dies kann beispielsweise in der Priorisierung bestimmter Konflikte oder in der Auswahl von Partnerschaften und Allianzen deutlich werden. Dabei kann es zu einer Vernachlässigung der Bedürfnisse und Interessen aller beteiligten Parteien sowie einer Fokussierung auf staatliche Interessen und die jeweilige menschliche Sicherheit kommen (Becker & Lunz 2018; Zilla 2022).

Die Dissonanzen bei der Umsetzung der FFP sind vielschichtig und gehen über bloße Inkonsistenzen zwischen Idealen und politischen Maßnahmen hinaus. Sie betreffen auch die tatsächlichen Auswirkungen politischer Entscheidungen auf marginalisierte Gemeinschaften und die globale Sicherheit (Zilla 2023). Ein weiterer Aspekt sind die inhärenten Widersprüche innerhalb der FFP selbst. So steht die Betonung von Diplomatie und Konfliktprävention im Kontrast zur Realität militärischer Interventionen, die oft als notwendig erachtet werden, um akute Bedrohungen abzuwehren (Conway & Herten-Crabb 2019; Scheyer & Kumskova 2019).

Ein Beispiel hierfür ist die Zunahme von Rüstungsexporten, ein globaler Trend, der sich insbesondere in Ländern wie Deutschland fortsetzt. Trotz der Bemühungen um eine feministische Außenpolitik zögern viele Länder, die auf Rüstungsexporte angewiesen sind oder enge Beziehungen zu autoritären Regimen unterhalten, Maßnahmen zu ergreifen, die ihre wirtschaftlichen Interessen gefährden könnten (Halley et al. 2018; Runyan & Zalewski 2013).

Heterogenität der FFP-Ansätze

Diese Dissonanz zwischen politischen Prinzipien und wirtschaftlichen Realitäten lässt auf ein Spannungsfeld zwischen ökonomischen Realitäten und feministischen Idealen schließen (Aggestam & Bergman-Rosamond 2016). In der Europäischen Union (EU) verfolgen bspw. nicht alle Mitgliedsstaaten eine feministische Außenpolitik. Trotz vereinter Bemühungen um eine gemeinsame politische Agenda bleiben die Ansätze zur Umsetzung der FFP innerhalb der EU uneinheitlich. Einige Länder unternehmen konkrete Schritte zur Umsetzung einer feministischen Außenpolitik, während andere nur zögerlich oder gar nicht aktiv werden. Diese Unterschiede können zu Spannungen und Uneinigkeit innerhalb der EU führen und die Effektivität internationaler Bemühungen um eine feministische Außenpolitik beeinträchtigen (Elgström & Sundström 2019).

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock betonte bei der Vorstellung der FFP-Leitlinien 2023 die Notwendigkeit von Geduld und Beharrlichkeit (Auswärtiges Amt 2023). Diese pragmatische Haltung wirft jedoch Fragen nach einem ambitionierten Transformationsansatz auf. Eine kritische Analyse der Leitlinien vom Auswärtigen Amt (AA) und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zeigt einen primär liberal-feministischen Ansatz, der zwar die Partizipation von Frauen und Geschlechtergerechtigkeit betont, aber die zugrundeliegenden patriarchalen, rassistischen, klassistischen und postkolonialen Machtstrukturen nicht angemessen adressiert (Martin de Almagro 2018).

Exemplarisch für diese Dissonanzen ist die Heterogenität der FFP-Ansätze innerhalb der einzelnen Länder. In Deutschland beispielsweise verfolgen nicht alle Regierungsressorts eine einheitliche feministische Außenpolitik. Während das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium konkrete Maßnahmen zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit und Empathie ergreifen, sind andere Ministerien wie das Verteidigungsministerium, das Wirtschaftsministerium mit seiner internationalen Handelspolitik oder auch das Bildungsministerium mit seinem Konzept der Wissenschaftsdiplomatie zurückhaltender oder verfolgen sogar Politikansätze, die nicht den Leitlinien einer feministischen Außenpolitik entsprechen. Diese internen Unstimmigkeiten können die Kohärenz und Effektivität der FFP innerhalb eines Landes beeinträchtigen und verdeutlichen die Hürden bei der Umsetzung einer kohärenten feministischen Außenpolitik auf nationaler Ebene (Bergman Rosamond 2020; Zilla 2023).

Hürden überwinden

Um diese Spannungen zu überwinden, müssen die Länder, die die FFP umsetzen wollen, flexibel und pragmatisch vorgehen. Dies erfordert eine kontinuierliche Selbstreflexion und Anpassung der Politik. Zivilgesellschaftliche Akteure und marginalisierte Gemeinschaften müssen aktiv in den politischen Prozess eingebunden werden, um sicherzustellen, dass die FFP wirklich inklusiv sind und die Bedürfnisse aller Menschen berücksichtigen (Thomson 2020).

Darüber hinaus ist eine verstärkte transnationale Zusammenarbeit notwendig, um die FFP global zu verankern und eine breite Akzeptanz zu erreichen. Dies erfordert den Austausch guter Praxis, die Entwicklung gemeinsamer Standards und den Aufbau von Netzwerken zur Unterstützung und Stärkung der FFP auf internationaler Ebene (Bergman Rosamond & Kronsell 2018).

Ein weiterer Schlüsselaspekt zur Überwindung von Dissonanzen ist die kritische Analyse bestehender Machtstrukturen und institutioneller Barrieren, die die Umsetzung der FFP behindern. Dies erfordert eine umfassende Bewertung der Hegemonie von Geschlechterrollen, rassistischen Hierarchien und postkolonialen Strukturen in der internationalen Politik. Indem diese Strukturen identifiziert und herausgefordert werden, kann die FFP ihre transformative Kraft entfalten und einen grundlegenden Wandel in der Global Governance herbeiführen (Achilleos-Sarll et al. 2023).

Hat FFP in Deutschland dennoch eine Zukunft?

Die FFP verspricht einen radikalen Wandel in der Art und Weise, wie Staaten ihre Außenbeziehungen gestalten. Trotz zahlreicher Herausforderungen und Dissonanzen bietet sie einen vielversprechenden Weg zu einer gerechteren und friedlicheren Weltordnung. Durch kontinuierliche Selbstreflexion, flexible Politikgestaltung und verstärkte transnationale Kooperation können die Ideale feministischer Außenpolitik der Realität nähergebracht werden. Es ist jedoch wichtig, sich der Komplexität dieser Aufgabe bewusst zu sein und realistische Erwartungen zu haben. 

Literatur

Achilleos-Sarll, Columba ; Haarstrup, Toni ; Faeber, Karoline & Thomson, Jennifer (2023). The Past, Present, and Future(s) of Feminist Foreign Policy. International Studies Review, pp. 1-29 (4). https://doi.org/10.1093/isr/viac068

Adebahr, Cornelius & Mittelhammer, Barbara (2020). A Feminist Foreign Policy to Deal with Iran? Assessing the EU’s Options. Washington/Brussels: Carnegie. Zugriff am 07.06.2024 unter https://carnegieendowment.org/research/2020/11/a-feminist-foreign-policy-to-deal-with-iran-assessing-the-eus-options?lang=en&center=europe.

Aggestam, Karin & Bergman-Rosamond, Annika (2016). "Swedish Feminist Foreign Policy in the Making: Ethics, Politics, and Gender". Ethics & International Affairs, 30 (3), pp. 323-334. https://doi.org/10.1017/S0892679416000241

Auswärtiges Amt (2023). Speech by Foreign Minister Annalena Baerbock to present the feminist foreign policy guidelines. Zugriff am 07.06.2024 unter https://www.auswaertiges-amt.de/en/newsroom/news/baerbock-guidelines-ffp/2586412.

Bergman Rosamond, Annika (2020). "Swedish Feminist Foreign Policy and 'Gender Cosmopolitanism'". Foreign Policy Analysis, 16 (2), pp. 217-235. https://doi.org/10.1093/fpa/orz025

Bergman Rosamond, Annika & Kronsell, Annica (2018). "Cosmopolitan militaries and dialogic peacekeeping: Danish and Swedish women soldiers in Afghanistan". International Feminist Journal of Politics, 20 (2), pp. 172-187. https://doi.org/10.1177/0047117818811892

Conway, Marissa & Herten-Crabb, Asha (2019). "Security Council Weapons of Mass Destruction and Feminist Foreign Policy". Turkish Policy Quarterly, 18 (1), pp. 97-105. Zugriff am 07.06.2024 unter https://turkishpolicy.com/article/937/security-council-weapons-of-mass-destruction-and-feminist-foreign-policy.

Halley, Janet, Kotiswaran, Prabha, Rebouché, Rachel & Shamir, Hila (2018). Governance Feminism: An Introduction. Minneapolis, MN: University of Minnesota Press.

Martin de Almagro, Maria (2018). "Producing Participants: Gender, Race, Class, and Women, Peace and Security". Global Society, 32 (4), pp. 395-414. https://doi.org/10.1080/13600826.2017.1380610

Robinson, Fiona (2021). "Feminist Foreign Policy as Ethical Foreign Policy? A Care Ethics Perspective". Journal of International Political Theory, 17 (1), pp. 20-37. https://doi.org/10.1177/1755088219828768

Rosén Sundström, Malena & Elgström, Ole (2019). "Praise or critique? Sweden’s feminist foreign policy in the eyes of its fellow EU members". European Politics and Society, 21 (4), pp. 418-433. https://doi.org/10.1080/23745118.2019.1661940

Runyan, Anne Sisson & Zalewski, Marysia (2013). "Taking Feminist Violence Seriously in Feminist International Relations". International Feminist Journal of Politics, 15 (3), pp. 293-313. https://doi.org/10.1080/14616742.2013.766102

Scheyer, Victoria & Kumskova, Marina (2019). "Feminist Foreign Policy: A Fine Line Between 'Adding Women' and Pursuing a Feminist Agenda". Journal of International Affairs, 72 (2), pp. 57-76. Zugriff am 07.06.2024 https://giwps.georgetown.edu/resource/feminist-foreign-policy-a-fine-line-between-adding-women-and-pursuing-a-feminist-agenda/.

Thomson, Jennifer (2020). "The Growth of Feminist (?) Foreign Policy". E-International Relations, 10.02.2020. Zugriff am 07.06.2024 unter https://www.e-ir.info/2020/02/10/the-growth-of-feminist-foreign-policy/.

Thompson, Lyric; Patel, Gayatr; Kripke, Gawain & O’Donnell, Megan (2020). Toward a Feminist Foreign Policy in the United States. Washington: International Center for Research on Women. Zugriff am 07.06.2024 unter https://www.icrw.org/wp-content/uploads/2020/05/FFP-USA_v11-spreads.pdf.

Zilla, Claudia (2022). Feminist Foreign Policy: Concepts, core components and controversies. Nr. 48. SWP-Aktuell. https://doi.org/10.18449/2022C48

Zilla, Claudia (2023). Neuausrichtung der Außenpolitik: Feministische Außen- und Entwicklungspolitik in Ressortpapieren und in der Debatte. Nr. 21. SWP-Aktuell. https://doi.org/10.18449/2023A21

Weitere Literatur zum Thema:

Becker, Sophia & Lunz, Kristina (2018). "Schwedens undiplomatische Diplomatie im Sicherheitsrat". Vereinte Nationen, 66 (2), S. 72-77.

Zitation: Sophie Domres: Feministische Außenpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 02.07.2024, www.gender-blog.de/beitrag/feministische-aussenpolitik-anspruch-wirklichkeit/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20240702

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Sophie Domres

Sophie Domres (she/her) ist Policy Advisor im Bundestag. Sie hat ihren Bachelor und Master in Internationalen Beziehungen in Berlin, Potsdam und Kleve absolviert, ergänzt durch ein Zusatzstudium in Interdisziplinären Geschlechterstudien. Während und nach ihrem Studium arbeitete sie für die UN in New York, das Goethe-Institut in Chile, das Auswärtige Amt und internationale NGOs. Als Sylke Tempel Research Fellow 2023/2024 forscht sie zu feministischer Außenpolitik.

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