31. Mai 2022 Gerda Breuer
Betrachtet man Überblicke über die Designgeschichte, hat man den Eindruck, Frauen seien allenfalls Randfiguren. Mit großem Beharrungsvermögen tauchen die wenigen Designerinnen meist als Ausnahmen auf. Zwar verweist so manch aufgeklärter Autor, auch manche Autorin, darauf, dass Frauen zu Unrecht unterrepräsentiert sind, doch es fehlt das Bemühen, das seit langem gesicherte Wissen über die Bedeutung von Frauen in die Designgeschichte zu integrieren. Ein ähnliches Bild vermitteln deutsche Sammlungen. Zieht man beispielsweise Online-Datenbanken von renommierten deutschen Plakatsammlungen zu Rate, ist die Wirkung geradezu erschreckend. Liegt es wirklich daran, dass es nicht so viele erwähnenswerte Grafikdesignerinnen gegeben hat?
Nicht wenige Forschungsergebnisse
Die ersten Untersuchungen zu Designerinnen wurden kurz vor den 1990er-Jahren veröffentlicht. Mit einer Zeitverzögerung von ca. 20 Jahren spielte sich im Fach Designgeschichte damit das ab, was in der Nachbardisziplin Kunstgeschichte bereits in den 1970er-Jahre stattgefunden hat: die Spurensuche und -sicherung von Repräsentantinnen des Fachs. Das Landesgewerbeamt Stuttgart startete 1989 die Ausstellung „Frauen im Design. Berufsbilder und Lebenswege seit 1900“. Darin publizierte Gerda Müller-Krauspe den Beitrag „Wir waren 26 – Frauen an der hfg“. 2007 folgte der Aufsatz „Selbstbehauptungen – Frauen an der HfG Ulm“. Die Bauhausforscherin Magdalena Droste leistete Pionierinnenarbeit. 1994 schloss Anja Baumhoff ihre Dissertation mit dem Titel Gender, Art and Handicraft at the Bauhaus an der Johns Hopkins University ab, die sie 2001 in gekürzter und überarbeiteter Form in Frankfurt am Main veröffentlichte. Es folgte eine Reihe weiterer Autorinnen.
Besonders ertragreich war das Jahr des Bauhaus-Jubiläums 2019. Hier wurden Frauen am Bauhaus und die Genderstrukturen der Schule zu einem zentralen Thema. Eine Vielzahl an Dissertationen und gendersensibler Aufsatzbeiträge erweiterte die Perspektive. Ich selbst habe (mit Julia Meer) 2012 ein Kompendium zu Frauen in der Geschichte des Grafikdesigns bis heute (Women in Graphic Design) herausgegeben und 2019 erschien notamuse: A New Perspective on Women Graphic Designers in Europe von Silvia Baum, Claudia Scheer und Lea Sievertsen. 2018/19 haben die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden die Ausstellung und den informativen Katalog mit dem Titel Gegen die Unsichtbarkeit – Designerinnen der Deutschen Werkstätten Hellerau 1898 bis 1938 verantwortet. 2020 veranstaltete das HfG-Archiv in Ulm „Nicht mein Ding – Gender im Design“, ein Jahr später das Vitra Design Museum die Ausstellung „Here we Are. Frauen im Design 1900 – heute“ (leider ohne Katalog). Und dennoch: In die Narrative der Fachdisziplin wurden und werden auch heute noch all diese Untersuchungen nicht aufgenommen.
Die Situation im Ausland
Drei hervorragende Ausstellungen, die gegen die traditionellen Muster der Wahrnehmung von Frauen (als Muse, als Ehefrau und als Assistentin) argumentierten, fanden in den letzten Jahren im Ausland statt: Die Schau über die Eigenständigkeit des Werkes von Anni Albers, der Ehefrau von Josef Albers, die 2018/19 in der Tate Modern und anschließend im K20 in Düsseldorf gezeigt wurde. Die außergewöhnlich umfassende Werkschau über Charlotte Perriand, die fast nur als Assistentin von Le Corbusier bekannt war, wurde 2019/2020 über drei Etagen der Foundation Louis Vuitton in Paris gezeigt, begleitet von einem voluminösen Katalogbuch. Und auch die Ausstellung über die Künstlerin und Werbefotografin Dora Maar, die als Muse Picassos gilt, ging ebenfalls von der Tate Modern in London aus. Zudem sind sehr viele der heutigen kleinen Netzwerke von Frauen in den Niederlanden, Belgien, Schweden, England und den USA äußerst produktiv in der Beschäftigung mit feministischen Themen in der Designgeschichte.
Die Wiener Ausstellung
Eine herausragende Ausstellung und ihr Katalogbuch korrigierten im letzten Jahr den Blick auf die Designgeschichte in einem besonderen Maße: Das Wiener Museum Angewandte Kunst (MAK) zeigte vom 05. Mai bis zum 03. Oktober 2021 „Die Frauen der Wiener Werkstätte“ mit über 800 Exponaten aus den Bereichen Textildesign, Mode, Wohnaccessoires, Spielzeug, Gebrauchsgrafik, Keramik und Wandgestaltungen. Während die 1903 gegründete Wiener Werkstätte (WW) fast ausschließlich mit den Namen „großer“ Männer verbunden ist, mit den Künstlern und Architekten Josef Hoffmann, Koloman Moser und Dagobert Peche, Rudolf von Larisch, Carl Otto Czeschka und Berthold Löffler, machen Ausstellung und Katalog darauf aufmerksam, dass von Anfang an auch Frauen an den Produktionen der WW beteiligt waren. Im Zuge der Recherchen konnten ca. 180 Designerinnen namhaft gemacht werden, von denen etwa die Hälfte in der Ausstellung zu sehen war. Kuratiert wurde die Schau von Anne-Katrin Rossberg, der Kustodin der MAK-Sammlung Metall und des Wiener-Werkstätte-Archivs, sowie von ihrer Vorgängerin Elisabeth Schmuttermeier.
Die Situation für Frauen als Designerinnen
Zum einen ist das Ignorieren der Designerinnen dem misogynen Klima Wiens um 1900 geschuldet. Abwertende Äußerungen von Künstlern wie Adolf Loos, Julius Klinger und anderen sind bekannt. Loos sprach von den Designerinnen als „gelangweilte höhere Töchter“ (Thun-Hohenstein 2020: 8), Klinger vom „Wiener Weiberkunstgewerbe“ (Thun-Hohenstein 2020: 8) und der Architekt Oswald Haerdtl bezeichnete die Werkstätte als „unerhörte Pupperlwirtschaft“ (Thun-Hohenstein 2020: 8). Zum anderen hielt man künstlerisches Arbeiten nur in bestimmten Bereichen als der Natur von Frauen angemessen. Eine solche Haltung äußerte z. B. Rudolf Eitelberger, der erste Direktor des 1863 nach dem Vorbild des South Kensington Museums in London (heute Victoria and Albert Museum) etablierten k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie (heute MAK) und der dem Museum angeschlossenen, 1867 gegründeten k. k. Kunstgewerbeschule. Er legte in den Statuten fest, dass Frauen zwar als Studentinnen an dieser Schule willkommen waren, aber nur in eingegrenzten Bereichen. In der katholisch geprägten Habsburgermonarchie war es nicht angemessen, dass Frauen Aktunterricht am lebenden Modell nahmen, eine unabdingbare Voraussetzung für die Fächer Malerei und Bildhauerei.
Designerinnen und ihr Wirken
Frauen spielten eine immens wichtige Rolle in der Wiener Werkstätte – vereinzelt auch im Führungsbereich. Es gab nicht nur Werkstättenleiterinnen, sondern sogar eine Frau an der Spitze: Helene Bernatzik übernahm zeitweise die gesamte Führung der WW. Dass Frauen in dieser Zeit durchaus sichtbar wurden, zeigt z. B. der sogenannte Kachel-Katalog, den sich die Wiener Werkstätte anlässlich ihres 25-jährigen Bestehens 1928 leistete. Nicht nur, dass ihn drei Frauen entwarfen – Vally Wieselthier schuf die Vorderseite des Papiermaché-Einbands, Gudrun Baudisch die Rückseite und Mathilde Flögl gestaltete die Seiten –, sondern diese drei Frauen stellten sich auch zusammen mit Designerin Maria Likarz auf einer Doppelseite den Gründern Josef Hoffmann und Koloman Moser sowie dem Initiator der WW, Dagobert Peche, gegenüber. Mit dem obligatorisch modischen Bubikopf präsentieren sie sich selbstbewusst vor der Kamera.
Zum Teil erhielten gerade die Künstlerinnen extrem attraktive Aufträge, etwa den zur Ausgestaltung des ersten Verkaufslokals der Werkstätte in der Kärntner Straße. Was sie schufen, war nichts weniger als ein Gesamtkunstwerk in floraler Ornamentik und Deckenmalerei. Auch an der für Österreich so wichtigen „Exposition International des Arts Décoratifs et Industriels Modernes“ in Paris 1925 nahmen viele Frauen der WW teil.
Professionalisierung von Frauen
Frauenpolitisch ist die starke Präsenz von Designerinnen an der Wiener Werkstätte deshalb bemerkenswert, weil es den Studentinnen gelang, sich beruflich zu etablieren. Es war das vorrangige Ziel der Frauen in dieser Zeit, sich die eigene Selbständigkeit durch den Zugang zu einem Beruf zu ermöglichen. Die noch kaum untersuchte berufliche Weiterentwicklung der Frauen zeigt, dass einige von ihnen durchaus erfolgreich freiberuflich arbeiten und für ihren Lebensunterhalt sorgen konnten, auch nach ihrer Emigration ins Ausland. So arbeitete Ella Margold wie Mela Koehler bei Bahlsen in Deutschland in der Werbeabteilung. Maria Likarz war von 1916 bis 1920 Lehrerin an der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstin in Halle. Fritzi Löw verdiente sich ihren Lebensunterhalt nach ihrer Emigration nach Dänemark, England und Brasilien als Möbeldesignerin. Nach ihrer Rückkehr nach Wien belieferte sie viele Verlage mit grafischen Entwürfen.
Sozialpolitisch und auch feministisch waren die Frauen der WW allerdings wenig engagiert und das in einem Wien, das auf diesem Gebiet eine Vorreiterposition einnahm. Die Frauenbilder auf den Künstler*innenpostkarten spiegeln eine modisch-mondäne Welt wieder und verharren in einem konservativen Frauenbild. Allgemein trugen ihre Arbeiten mit ihrem modernen Dekor eher zu einer Ästhetisierung der neuen Lebenswelt bei. Die Ausstellung leistet mit ihren vielen Exponaten indes einen Beitrag zur Sichtbarkeit von Designerinnen, die meist nur beiläufig in Zusammenhang mit der Werkstätte erwähnt, wenn nicht gar ignoriert werden.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: MAK – Museum für angewandte Kunst, Christoph Thun-Hohenstein, Anne-Katrin Rossberg & Elisabeth Schmuttermeier (Hrsg.). (2020): Die Frauen der Wiener Werkstätte / Women Artists of the Wiener Werkstätte. Wien, Basel: Birkhäuser Verlag.
Literatur
Thun-Hohenstein, Christoph (2020): Wie „weiblich“ war die Wiener Werkstätte? In: MAK – Museum für angewandte Kunst, Christoph Thun-Hohenstein, Anne-Katrin Rossberg & Elisabeth Schmuttermeier (Hrsg.), Die Frauen der Wiener Werkstätte / Women Artists of the Wiener Werkstätte (S. 6–9). Wien, Basel: Birkhäuser Verlag.
Zitation: Gerda Breuer: Die Frauen der Wiener Werkstätte, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 31.05.2022, www.gender-blog.de/beitrag/frauen-wiener-werkstaette/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20220531
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