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Bilderfallen – Das Internationale Frauenfilmfestival 2019

30. April 2019 Romina Leiding

Ein französischer Cartoon über Transgender, ein Dokumentarfilm über die sudanesische Frauennationalmannschaft, die ebenso wenig existiert, wie der Film gedreht werden durfte, sowie eine wilhelminische, screwball anmutende Komödie von 1919 über eine Puppe, die keine ist, haben auf den ersten Blick nichts gemeinsam. Doch sind sie alle „Bilderfallen“. „Bilderfallen: Täuschung, Tarnung, Maskerade“ lautete das Motto des 36. Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund/Köln, das vom 09. bis zum 14. April 2019 in Dortmund stattfand. Es war zudem die erste Ausgabe, die unter der neuen künstlerischen Leitung von Dr. Maxa Zoller erschien. Zoller war es auch, die das Motto „Bilderfallen“ einführte, denn „[e]in Trugbild hat eine enorme Kraft. Für einen bestimmten Moment hebt das Trugbild das, was wir als Wahrheit bezeichnen, aus den Ankern und lässt es in der Luft schweben“ (Zoller 2019: 28). Genau das gelang Maxa Zoller mit diesem Festival, da alle gezeigten Filme immer den Eindruck und das Bedürfnis zurückließen, mehr über die einzelnen Themen reden zu müssen.

„Der Film ist ein weit auf das Leben geöffnetes Auge“ (Germaine Dulac)

Bereits Germaine Dulac wusste, dass Filme immer eine historiografische Quelle sowie eine Quelle des kulturellen Lebens darstellen. Dass Filme somit nicht ausschließlich erfreuen, sondern auch mal unbequem, trotzig, aufzeigend und überraschend sind, machte Maxa Zoller mit ihrem Team über das Festivalprogramm deutlich. In den sechs Tagen wurden 130 Filme aus 38 Ländern gezeigt, die ausschließlich von Frauen gedreht wurden (Ausnahmen stellten hier ausschließlich die Stummfilme dar). Denn die Realität der Filmbranche sieht nach wie vor erschreckend aus. Maxa Zoller beschrieb in ihrer Eröffnungsrede, dass Frauen als Filmemacherinnen immer noch unterrepräsentiert seien. Gerade einmal 16,9 % aller Filme würden von Frauen gedreht. Auch die Filmförderung zeige eine deutliche Ungleichverteilung der Gelder zwischen den Geschlechtern. Das Frauenfilmfestival setzt sich daher dafür ein, die Werke von Frauen sichtbar zu machen. Somit war das diesjährige Festival ausgesprochen aktuell, politisch und vor allem kritisch.

Wie mit „Bilderfallen“ umgehen?

Der Parlamentarische Staatssekretär im Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, Klaus Kaiser, betonte in seiner Rede im Rahmen der Eröffnung am 09. April 2019, dass das Festival nicht nur Bilderfallen aufzeige, sondern auch selbst welche stelle und gleichzeitig die Möglichkeit biete, diese zu knacken. So machte das Festival den Besucher*innen sichtbar, dass sie Kinofilme häufig blind schauen und gewisse Dinge nicht wahrnehmen. Dies geschieht beispielsweise, wenn die Protagonist*innen eines Films Schwarz sind. Für unsere westliche, weiße Sehgewohnheit ist die Möglichkeit, dass es Schwarze Protagonist*innen gibt oder geben könnte, eher unüblich. Sheri Hagens Film AUF DEN ZWEITEN BLICK (2011) lässt die Betrachter*innen in diese Falle laufen. Im Rahmen des Festivals wurden Themen aufgeworfen, die normalerweise verschwiegen werden, weil sie unbequem sind (z. B. Themen wie Transgender (Anaïs Caura: THE MAN WOMAN CASE, 2016) oder „Heilungsmethoden“ von Homosexualität (Desiree Akhavan: THE MISEDUCATION OF CAMERON POST, 2017)), oder als nicht überlieferungswürdig eingestuft wurden (z. B. Schwarze, homosexuelle Schauspielerinnen in der frühen Filmbranche wie beispielsweise in Hollywood (Cheryl Dunye: THE WATERMELON WOMAN, 1996)). Durch das Aufzeigen dieser „Bilderfallen“ schaffte es das Festival, dass über all diese gesellschaftlichen und systemischen Probleme gesprochen und den Frauen, den Regisseurinnen, Gehör verschafft wurde.

Der Wettbewerb

Teil des Festivals war ein Wettbewerb, für den im Vorfeld von einer Jury Filme ausgewählt wurden und dessen Preisverleihung am 14. April 2019 stattfand. Aus sechs in unterschiedlichen Ländern produzierten sowie thematisch völlig verschiedenen Filmen prämierte die Jury den mazedonischen Film GOD EXISTS, HER NAME IS PETRUNYA (2019) von Teona Strugar Mitevska. Es handelt sich dabei um eine Satire, in der die patriarchalen Strukturen einer Gesellschaft hinterfragt und die ständige Anpassung oder Unterwerfung der Frau in einer Männer dominierten Welt kritisiert werden. Die Themen der im Wettbewerb gelaufenen Filme umfassten darüber hinaus eine Gesellschaftskritik an der extrem getakteten (Arbeits-)Welt, Flucht und Vertreibung, aber auch die Ankunft in neuen Heimaten. Des Weiteren spielten Umweltthematiken und die Akzeptanz von Sexualität – egal, ob hetero-, homo-, bisexuell oder queer – eine große Rolle in den Filmen.

Neue Archive

Unter den Punkt „Neue Archive“ wurden zwei Formate gefasst. Einerseits wurden Filme gezeigt, in denen bislang weitgehend unbeachtete Themen aufgegriffen werden. Hierzu zählte zum Beispiel die sehr eindrückliche Mockumentary THE WATERMELON WOMAN (1996) von Cheryl Dunye, in der sich die Protagonistin auf die Spuren einer Schwarzen, lesbischen Schauspielerin begibt und aufgrund von Parallelen zwischen sich selbst und der gesuchten Schauspielerin immer wieder auf die gleichen Probleme und Diskriminierungen sowie das Schweigen über diese Thematik stößt, das auch in den 1930er-Jahren vorherrschte. Andererseits wurden aber auch tatsächlich neue Archive, wie das Amateurfilmarchiv des Ruhrgebiets, präsentiert. Johanna-Yasirra Kluhs und Betty Schiel zeigten eine kleine Auswahl von Filmen des rund 1.000 Filme umfassenden Archivs, das seit 2018 besteht. Im Fokus standen dabei die (veränderten) Frauenrollen in den 1960er- und 1970er-Jahren. In einem Expertinnengespräch mit Karola Gramann von der Kinothek Asta Nielsen e. V. aus Frankfurt wurde aber vor allem darüber gesprochen, welcher Darbietungsart und Kontextualisierung Amateurfilme bedürfen. Das Privatfilmarchiv steckt noch in den Kinderschuhen. Was der kleine Ausschnitt des Privatfilmarchivs aber deutlich zeigte, ist das große Potenzial der Filme für viele verschiedene Programme.

Sechs Tage Bilderfallen

In den sechs Festivaltagen wurden die Besucher*innen mit so vielen „Bilderfallen“ konfrontiert, dass die Ideen und Diskussionen sicherlich weiter getragen werden als nur bis zur Kinotür. Und genau das ist auch die Idee hinter dem Frauenfilmfestival: Es soll anregen, nachzudenken. Nachzudenken über diverse Themen, die Frauen bewegen. Nachzudenken über die Filmproduktion, in der Frauen nach wie vor benachteiligt werden. Aber auch nachzudenken über die Filme, mit denen wir täglich konfrontiert werden und die gleichzeitig andere Filme, wie die im Rahmen des Festivals gezeigten, ins Abseits drängen.

Literatur

Zoller, Maxa (2019): Fokus 2019. Bilderfallen: Tarnung, Täuschung, Maskerade. In: Internationales Frauenfilmfestival Dortmund/Köln (Hrsg.): Fokus 2019. Bilderfallen: Täuschung, Tarnung, Maskerade, Dortmund, S. 28.

Dulac, Germaine (2002): Das Wesen des Films: Die visuelle Idee. In: Sabine Nessel (Hrsg.): L’invitation au voyage, Germaine Dulac (Kinemathek, 93; Jg. 39), Berlin, S. 55.

Zitation: Romina Leiding: Bilderfallen – Das Internationale Frauenfilmfestival 2019, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 30.04.2019, www.gender-blog.de/beitrag/frauenfilmfestival2019/

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Romina Leiding

ist neben ihrer Tätigkeit als Hauptamtliche pädagogische Mitarbeiterin beim Heinz-Kühn-Bildungswerk in Dortmund auch eine der Vorsitzenden des Vereins Kinophil e.V. - Verein zur Erhaltung und Vermittlung von Filmkultur. Ihr Interessensschwerpunkt liegt in der Forschung und Vermittlung von Kinogeschichte sowie in dem gesellschaftlichen Aspekt von Kino.

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