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Forschung

Freund:innenschaft als Methode in Corona-Zeiten

11. Januar 2022 Clara Schwarz

Die Corona-Pandemie hat einiges auf den Kopf gestellt, so auch Bereiche der qualitativen Sozialforschung. Im Lockdown wurden Gespräche digital geführt, Forschende und Teilnehmende waren durch die gemeinsame Erfahrung der Isolation verbunden. In meiner Studie zu queeren Freund:innenschaften während der Corona-Pandemie führte ich per Videokonferenz Gruppendiskussionen und Paarinterviews mit Freund:innen durch. Ziel der Studie ist es, die Entwicklung von Freund:innenschaften zwischen queeren Personen in der Pandemie sowie im Verhältnis zu den politischen und systemischen Maßnahmen zur Pandemieeindämmung zu verstehen. Um qualitative Forschung während der Pandemie zugänglicher und offener zu gestalten, kann Freund:innenschaft den Forschungsablauf anleiten. In diesem Beitrag ordne ich Freund:innenschaft als Methode theoretisch ein und stelle methodische Beobachtungen aus meiner Forschung vor.

Freund:innenschaft als feministische Forschungspraxis

Der Ansatz „friendship as method“, also Freund:innenschaft als Methode einzusetzen, wurde von Lisa Tillmann-Healy (2003) entworfen. Sie schlägt vor, Freund:innenschaft als ethische und methodische Grundlage für Forschung zu verwenden. Forschungssubjekten soll mit einer freund:innenschaftlichen Fürsorge und Aufmerksamkeit begegnet und die Forschung auf Gegenseitigkeit aufgebaut werden. Freund:innenschaft als Methode lässt sich in einer feministischen Forschungstradition verorten, die – im Kontrast zu vermeintlich objektiven Forschungszugängen – marginalisierte und subjektive Positionen ermutigt. Um patriarchale epistemische Strukturen zu hinterfragen, setzt sich feministische Forschung damit einer vermeintlichen Objektivität entgegen. Notwendig dafür ist auch die Positionierung der Beforschten als Subjekte, nicht Objekte, wobei oftmals auch die Positionierung der Forscher:in hinterfragt wird – so auch bei Freund:innenschaft als Methode. Feministische Forschung erkennt eine affektive Komponente als relevante Achse der Wissensproduktion an, wie in Patricia Hill Collins‘ (1990) Vorschlag einer alternativen Epistemologie, in der Dialoge, Fürsorge und Verantwortlichkeit zentral sind. Gefühle sind während der Corona-Pandemie besonders relevant, da Einsamkeit, Isolation und schmerzliche Verluste viele Personen alltäglich begleitet haben.

Freund:innenschaft in der Pandemie

Als ich begann, mich mit der Entwicklung queerer Freund:innenschaften in der Pandemie auseinanderzusetzen, wurde mir schnell klar, dass Freund:innenschaft methodisch eine Rolle spielen soll: Die pandemische Situation verlangte unvorhersehbare emotionale Investitionen von allen Beteiligten. In Zeiten der Kontaktbeschränkung sind Gruppendiskussionen nicht nur Forschungssituationen, sondern bieten auch die oft ersehnte Möglichkeit, sich auszutauschen und der Einsamkeit entgegenzuwirken. Die Freund:innenkreise dort zu untersuchen, wo sie stattfanden, in dem digitalen Rahmen, in dem sie sich auch privat trafen, führte mich als Forscher:in in eine intime Situation ein, in der meine Rolle flexibel war: Ich war manchmal Freund:in und Forscher:in zugleich.

Meine flexible Rolle entstand einerseits, da ich mit den Gruppen viele Gemeinsamkeiten teilte. Andererseits luden mich die Gruppen oft ein, an der Diskussion teilzunehmen, behandelten mich wie einen Teil des Freund:innenkreises, und manchmal, auf Nachfrage, teilte auch ich meine Erfahrungen, die ich mit der Pandemie machte. Die Gruppen besprachen Erfahrungen, die auch ich erlebt hatte. Dabei bildete sich eine Gegenseitigkeit heraus, die mich aus meiner Rolle holte. Ich sprach zum Beispiel mit zwei Freund:innen, von denen jeweils eine Person in Deutschland und die andere in Großbritannien lebt. Die beiden erzählten, dass sie einander häufig sprechen und die Pandemie kaum Einfluss auf ihren Kontakt hatte. Andererseits teilten beide – und auch ich – die Erfahrung, dass die Kommunikation mit Freund:innen in unmittelbarer Nähe durch die Kontaktbeschränkungen negativ beeinflusst wurde.

Pandemische Methoden

Tillmann-Healy spricht von einer bewussten Verschiebung, vom Erforschen der Anderen zum Erforschen von uns („studying ‚them‘ to studying ‚us‘“, Tillmann-Healy 2003: 735). Auch Francis Seecks (2021) „sorgende Ethnografie“ bezieht diese Perspektive mit ein und beschreibt die Forderung der Forschungspartner:innen nach partizipativer Forschung im Sinne von „nothing about us without us“ (nichts über uns ohne uns) (Charlton 1998). Der Aufruf, ursprünglich aus Behindertenrechtsbewegungen entsprungen, steht in direkter Konversation mit Tillmann-Healys „studying them to studying us“. Durch die Partizipation der Forschungssubjekte und die Rollenverschiebung der Forscher:in entsteht eine Verbindung, die solidarische Partizipation garantieren sollte.

Die Verpflichtung zur Partizipation nimmt in kontaktbeschränkten Zeiten neue Formen an: Durch die Verschiebung von Intimität in digitale Sphären spiegelt die Gruppendiskussion die reale soziale Situation wider. Obwohl die Situation künstlich inszeniert ist, wie auch ein Interview es wäre, nähert sich die Gruppensituation im Videoanruf einer pandemischen Freund:innenschaft an. Insbesondere Gruppen, die sich erst in der Pandemie zusammengefunden hatten, waren merklich vertraut mit der Videosituation. Zugleich bietet die Aufzeichnung des Videoanrufs die Möglichkeit, auch meine eigenen Affekte zu erforschen. Dabei ergeben sich Fragen nach meiner Rolle in der Forschungssituation. Der Einfluss meiner Perspektiven wird für mich unumgänglich, Reflexivität in der Auswertung zentraler.

Privilegien der Forschenden

Der Faszination mit Freund:innenschaft als Methode stehen die Privilegien der Forschenden gegenüber. Während der Pandemie ist es ein Privileg, als Forschende von Zuhause arbeiten und so das Ansteckungsrisiko verringern zu können. Aber auch unabhängig von der Pandemie haben Forscher:innen das Privileg, dass sie sprechen und gehört werden. Damit werden die Teilnehmenden durch die Stimme der Forschenden repräsentiert – entgegen der vermeintlichen Gleichheit zwischen Freund:innen. Auch Freund:innenschaft als Methode funktioniert nicht außerhalb von Machtstrukturen (de Regt 2015; Whitaker 2011). Nach Tillmann-Healy lässt sich erkennen, dass sowohl die eigene Forschung als auch Freund:innenschaften sich wandeln und wachsen und dass beide auf Gegenseitigkeit und Zusammenarbeit beruhen.

Verbündung und verantwortungsbewusste Forschung

Fürsorglich und verantwortlich an Forschungssubjekte heranzutreten, bedeutet auch, Verbündete zu werden. Als verbündete:r Forscher:in ist wissenschaftliche Distanzierung weiterhin erforderlich, gerade weil solidarische Verbindung Reflexivität voraussetzen sollte. Insbesondere in der Forschung mit marginalisierten Menschen und Erfahrungen ist Verbündet-Sein grundlegend für verantwortungsbewusste Forschung. Im Hinblick auf die Corona-Pandemie ist eine Anerkennung der vervielfachten strukturellen Ungleichheit essenziell. Gesa Kirsch (2005) schreibt über die Komplexität von Freund:innenschaftlichkeit in Forschungssituationen und erklärt, dass Teilnehmende sich nach dem abrupten Ende eines Interviews missverstanden oder sogar hintergangen fühlen könnten.

In einem der von mir geführten Paarinterviews war eine Person mit der Erwartung gekommen, dass ich eine größere Rolle im Gespräch einnehmen würde, mehr von mir teilen würde, und sie kommunizierte diese Enttäuschung. Es war schwierig, diesem Wunsch zu begegnen, ohne ihn erfüllen zu können, doch am Ende des Interviews bot ich ein Gespräch an, und letztendlich beendeten wir das Treffen mit einer Konversation zu dritt. Ob das die Enttäuschung ausgleichen konnte, bleibt unklar. Auch deshalb hinterfragt Kirsch die Strategie hinter einer ‚methodischen Freundlichkeit‘ mit Blick auf eine kritische Auswertung: Was Teilnehmende gutwillig teilen, wird im Anschluss analysiert und publiziert. Kirsch schlägt vor, Teilnehmende regelmäßig an die Grenzen von Freundlichkeit und Freund:innenschaft zu erinnern. Auch die Forscher:innen haben eigene Erwartungen anzupassen. Schließlich wird nicht mit allen Teilnehmenden eine enge Bindung entstehen.

Machtverhältnisse reflektieren

Die von mir angewandte Methode ist angelehnt an die intersektionale Mehrebenenanalyse von Degele und Winker (2009). Kernbestandteil ist eine kommunikative Validierung mit den Teilnehmenden. Diese kommunikative Validierung, also Teile der Analyse mit den Teilnehmenden auf Augenhöhe zu besprechen, zielt darauf ab, die Gültigkeit der Ergebnisse sicherzustellen (Ganz/Hausotter 2020).

Die Tradition feministischer Epistemologie bekundet, dass nur eine partiale, kontextualisierte Position Wissen produzieren kann (Haraway 1988). Damit Freund:innenschaft Methode werden kann, muss also auch eine reflexive Praxis in die Forschung einbezogen werden, die diese Machtstrukturen offenlegt und versucht, ihre Effekte zu mildern. Eine Abwägung der eigenen (Macht-)Position, der pandemischen Situation sowie ein Hinterfragen tradierter Forschungsmuster können demnach zu einer fürsorglichen Forschungspraxis führen, in der Verantwortlichkeit, Kritik und Fürsorge durch Freund:innenschaft als Methode verankert werden.

Literatur

Charlton, James I. 1998. Nothing About Us Without Us: Disability Oppression and Empowerment. University of California Press.

Ganz, Kathrin, und Jette Hausotter. 2020. Intersektionale Sozialforschung. Bielefeld: transcript.

Haraway, Donna. 1988. „Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective“. Feminist Studies 14(3): 575–99. https://doi.org/10.2307/3178066

Hill Collins, Patricia. 1990. Black Feminist Thought: Knowledge, Consciousness, and the Politics of Empowerment. London: Routledge.

Kirsch, Gesa E. 2005. „Friendship, Friendliness, and Feminist Fieldwork“. Signs 30(4): 2163–72. https://doi.org/10.1086/428415

de Regt, M. C. 2015. „Noura And Me: Friendship As Method In Times Of Crisis“. Urban anthropology and studies of cultural systems and world economic development 44(1/2): 43–70.

Seeck, Francis. 2021. Care trans_formieren. Eine ethnographische Studie zu trans und nicht-binärer Sorgearbeit. Bielefeld: transcript. https://doi.org/10.1515/9783839458358

Tillmann-Healy, Lisa M. 2003. „Friendship as Method“. Qualitative inquiry 9(5): 729–49. https://doi.org/10.1177/1077800403254894

Whitaker, Robin. 2011. „The Politics of Friendship in Feminist Anthropology“. Anthropology in action 18(1): 56.

Winker, Gabriele, und Nina Degele. 2009. Intersektionalität. Zur Analyse gesellschaftlicher Ungleichheiten. Bielefeld: transcript.

Zitation: Clara Schwarz: Freund:innenschaft als Methode in Corona-Zeiten, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 11.01.2022, www.gender-blog.de/beitrag/freundiinnenschaft-als-methode/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20220111

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Clara Schwarz

Clara Schwarz promoviert an der Universität Freiburg zur Rolle queerer Freund:innenschaft in der Corona-Pandemie und lehrt zu Social Justice in der Sozialen Arbeit. Forschungsschwerpunkte liegen in Queer und Sexuality Studies, Fem(me)ininitäten und Freund:innenschaft.

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