26. November 2019 Beate Kortendiek
Im Gender-Report 2019 zur Geschlechter(un)gerechtigkeit an nordrhein-westfälischen Hochschulen steht der Gender Pay Gap bei Professuren erstmalig im Fokus. Das kommt einem Tabubruch gleich: Kann sein, was nicht sein darf? Forschen und lehren Professorinnen und Professoren nicht unter gleichen arbeits- und besoldungsrechtlichen Bedingungen und werden für gleiche und gleichwertige Arbeit – unabhängig von ihrem Geschlecht – auch gleich bezahlt?
Mit dem Themenschwerpunkt im Rahmen des aktuellen Gender-Reports liegt erstmalig ein landesweiter Überblick für NRW vor. Zeitgleich wurde im Auftrag des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur eine Untersuchung zu Berufungsverhandlungen und Gender Pay Gap bei den Leistungsbezügen an Hochschulen in Niedersachsen erstellt, sodass aktuell zwei Studien zum Gender Pay Gap bei Professuren erschienen sind. Die Relevanz der Auswertungen – immerhin Daten von insgesamt rund 10.000 Professuren – geht weit über das jeweilige Bundesland hinaus. Und die Ergebnisse stellen der Verschwiegenheit Tatsachen gegenüber und damit Transparenz her. Einige zentrale Ergebnisse aus der Untersuchung für NRW werden hier vorgestellt.
Zahlen bitte!
Im Durchschnitt über alle Besoldungsgruppen und Hochschularten hinweg haben Professorinnen jeden Monat 521 € weniger im Portemonnaie als ihre Kollegen [1]. Wie kommt es zu diesem Unterschied? Die Differenz lässt sich zunächst dadurch erklären, dass Frauen nach wie vor häufiger in den niedrigeren Besoldungsgruppen der W- und C-Besoldung zu finden sind. Jedoch existieren geschlechterbezogene Gehaltsunterschiede auch innerhalb derjenigen Besoldungsgruppen, die die Zahlung variabler Gehaltsbestandteile vorsehen. Dies gilt insbesondere für die W-Besoldung, die die Vergabe von Leistungsbezügen umfassend eingeführt hat. Zentrales Ergebnis ist, dass Professorinnen nicht nur seltener als Professoren überhaupt Leistungsbezüge erhalten, sondern diese im Durchschnitt auch niedriger ausfallen. Die Auswertung der Daten des Landesamtes für Besoldung und Versorgung (LBV) verdeutlicht, dass Professorinnen häufiger als ihre Kollegen keine Leistungsbezüge erhalten.
- 13,5 % der Professorinnen und 8,9 % der Professoren in NRW erhalten keine Leistungsbezüge.
- Die höchsten Leistungsbezüge erhalten W3-Professoren mit durchschnittlich 2.266 € im Monat, während die Leistungsbezüge von W3-Professorinnen im Durchschnitt bei 1.665 € liegen. Damit beträgt der Gender Pay Gap in dieser Gruppe 601 €.
- An den Fachhochschulen sind die Unterschiede schwächer ausgeprägt. Hier erzielen die W2-Professorinnen zusätzliche Bezüge in Höhe von durchschnittlich 461 €, gegenüber 619 € bei den Professoren. Damit beläuft sich der monatliche Gender Pay Gap in dieser Gruppe auf 158 €.
- Am höchsten fällt der Gender Pay Gap in der Medizin aus: W3-Professoren tragen hier 931 € mehr nach Hause.
Gerechtfertigte (Leistungs-)Unterschiede?
Aus diesen Befunden ergeben sich Fragen – unter anderem die nach „gerecht und ungerecht“. Sind Professorinnen vielleicht aufgrund von Mutterschaft weniger produktiv? Vertreten sie die „falschen Fächer“, sprich, solche mit weniger Marktwert?
Zunächst zum Faktor Mutterschaft: Das Vorhandensein von Kindern steht bei den Professorinnen in keinem Zusammenhang mit der Höhe der Leistungsbezüge, während die Leistungsbezüge von Professoren mit Kind(ern) im Durchschnitt höher sind als diejenigen ihrer kinderlosen Kollegen, wie es die Online-Befragung unter den nordrhein-westfälischen Professor_innen ergibt (vgl. Tab. 1). So scheint Mutterschaft nicht über die Höhe der Leistungsbezüge von Professorinnen zu entscheiden.
Tab. 1: Höhe der monatlichen Leistungsbezüge von W3-/W2-Professor_innen nach Elternschaft und Geschlecht
Im Gegensatz dazu kommt den Fächern eine hohe Bedeutung zu. In der Online-Befragung der nordrhein-westfälischen Professorinnen und Professoren bestätigen die Befragten unabhängig vom Geschlecht, dass es einen hohen Zusammenhang zwischen den Leistungsbezügen und dem „Marktwert“ des Faches gibt. Die Zugehörigkeit zu einem Lehr- und Forschungsbereich beeinflusst die Höhe der Leistungsbezüge unter den Professuren im W3-Amt erheblich. Zugleich sind in den Bereichen, in denen besonders hohe Leistungsbezüge gezahlt werden, auch besonders hohe Differenzen der Bezüge von Frauen und Männern zu finden. Dort wo viel Geld ist, ist auch der Gender Pay Gap höher. Die Fachzugehörigkeit und der Marktwert eines Fachs haben somit einen ganz erheblichen Einfluss auf die Verhandlungsmöglichkeiten und die Höhe der vergebenen Leistungsbezüge.
Leistung versus Markt
Dass unter Umständen die Arbeitsmarksituation und damit das Fach höher gewichtet wird als die wissenschaftliche Leistung, konterkariert für viele der befragten Professorinnen und Professoren allerdings den Begriff Leistungsbezüge. Ein exemplarisches Zitat aus der Befragung der nordrhein-westfälischen Professorinnen und Professoren zum Thema „Leistungsbezüge bei Professuren an den Hochschulen in NRW“: „Die Fachdisziplin ist viel zu wichtig, bezahlt wird nach Marktlage, nicht nach Forschungsleistung, das macht das System so ungerecht.“ Subjektiv wird hier als ungerecht empfunden, was durchaus mit dem geltenden Recht übereinstimmt. Denn im Landesbesoldungsgesetz (§ 34) heißt es: „Bei der Entscheidung über Leistungsbezüge [...] sind insbesondere die individuelle Qualifikation, vorliegende Evaluationsergebnisse, die Bewerberlage und die Arbeitsmarktsituation in dem jeweiligen Fach zu berücksichtigen.“
Ein Vergleich zwischen Maschinenbau/Verfahrenstechnik und der Germanistik zeigt jedoch beispielhaft die implizite Ungerechtigkeit dieser Regelung (vgl. Tab. 2). Die höchsten Leistungsbezüge von im Schnitt 2.930 € bekommen W3-Professoren im Lehr- und Forschungsbereich Maschinenbau/Verfahrenstechnik, die wenigsten Professorinnen in der Germanistik mit 1.232 €, womit die Spannweite 1.698 € beträgt. In Fächern mit sehr hohen Männeranteilen werden besonders hohe zusätzliche Gehaltszulagen erzielt, während in Fachrichtungen mit höheren Frauenanteilen die Leistungsbezüge geringer ausfallen.
Tab. 2: Durchschnittliche Leistungsbezüge der W3-Professuren in den zehn häufigsten Lehr- und Forschungsbereichen und Geschlecht an den Universitäten in Trägerschaft des Landes NRW 2016
Geschlecht sticht Fach
Die Daten zeigen, dass die Zugehörigkeit zu einer Geschlechtergruppe stärker als die Zugehörigkeit zu einem Fach die Höhe der Leistungsbezüge bestimmt. Der Professor in der Germanistik bezieht höhere Leistungsbezüge als die Professorin in der Germanistik, ebenso wie der Professor im Maschinenbau höhere Leistungsbezüge als die Professorin im Maschinenbau bezieht.
Auch die Auswertung der Online-Befragung von Professor_innen kommt zu dem Ergebnis, dass ungleiche Verhandlungspositionen zu ungleichen Ergebnissen führen. Das betrifft sowohl Berufungs- und Bleibeverhandlungen als auch die Verhandlungen um besondere Leistungsbezüge. Zusammenfassend beeinflussen die vorherige Tätigkeit vor der Berufung sowie die aktuell antizipierte Verdienstmöglichkeit den Verhandlungserfolg und der unterschiedliche Marktwert des Faches maßgeblich die Höhe der Leistungsbezüge. Darüber hinaus benennen Professorinnen Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechts.
Dieses Ergebnis wird durch die Analyse der amtlichen Daten bestätigt: Der Gender Pay Gap an den Hochschulen ist nicht ausschließlich das Resultat indirekt wirkender Faktoren wie der Besoldungsgruppe und der Fachzugehörigkeit, die bei Frauen und Männern unterschiedlich ausfallen, sondern auch das Ergebnis direkter Benachteiligung aufgrund des Geschlechts.
Tabus im Hochschulbereich
In der Wissenschaft wird davon ausgegangen, dass sich Leistung an sachlichen Kriterien messen lässt und dass das Geschlecht der Forschenden und Lehrenden keinen Einfluss auf Leistung und Exzellenz hat. Die „Geschlechtsneutralität ist eine implizite wissenschaftliche Norm, die zu problematisieren an ein Tabu stößt, weil dies dem Selbstverständnis der Wissenschaft widerspricht“ (Metz-Göckel et al. 2015: S. 14). Die Ergebnisse zum Gender Pay Gap auf Professurebene berühren daher gleich zwei empfindliche Tabus. Der erste Tabubruch besteht darin, dass die Geschlechtsneutralität der Wissenschaft hinterfragt wird. Der zweite Tabubruch wird mit dem Sprechen über Geld begangen. Mit Bernd Kleinmann (2015) können wir annehmen, „dass die Funktion von Tabus im Hochschulbereich unter anderem darin besteht, die etablierte universitäre (Binnen-)Ordnung gerade angesichts unauflösbarer Widersprüche aufrechtzuerhalten“ (S. 41).
Dieses Bemühen um die Aufrechterhaltung einer Ordnung führte vermutlich dazu, dass Professorinnen und Professoren, aber auch Gleichstellungsakteurinnen und -akteure bisher nur eine gewisse Ahnung von der Höhe der variablen Bestandteile der Besoldung hatten, aber keine Gewissheit. Es gibt zwar hochschulöffentliche Richtlinien und Kriterien zur Vergabe von Leistungsbezügen, an deren Erstellung auch die Gleichstellungsbeauftragten zu beteiligen sind, aber keine hochschulöffentliche Transparenz über das Ergebnis der Verhandlungen.
Etablierte Binnenordnungen können durch Tabubrüche ins Wanken geraten. Deshalb wäre es jedoch gerade keine Katastrophe, sondern vielmehr eine Chance für die Gleichstellung, wenn die Hochschulen sich in der Besoldung für mehr Transparenz einsetzen würden. Denn so viel ist klar: mangelnde Transparenz ist ein stabilisierender Faktor geschlechterbezogener Entgeltbenachteiligungen und die Schaffung von Transparenz ein notwendiger und unabdingbarer Schritt zur Senkung des Gender Pay Gaps.
[1] Dieser Unterschied bezieht sich auf das bereinigte Bruttogehalt, d. h., Familienzuschläge und andere wissenschaftsfremde Zulagen wurden nicht in die Berechnung des Gender Pay Gaps einbezogen.
Literatur
Burkhardt, Anke/Harrlandt, Florian/Schäfer, Jens‐Heinrich unter Mitarbeit von Judit Anacker, Aaron Philipp, Sven Preußer, Philipp Rediger (2019). „Wie auf einem Basar“ Berufungsverhandlungen und Gender Pay Gap bei den Leistungsbezügen an Hochschulen in Niedersachsen (HoF‐Arbeitsbericht 110), Institut für Hochschulforschung (HoF), Halle‐Wittenberg, https://www.hof.uni‐halle.de/web/dateien/pdf/ab_110.pdf.
Kleinmann, Bernd (2015). Tabus in der Governance von Universitäten. In Marion Kamphans, Sigrid Metz-Göckel, Margret Bülow-Schramm (Hrsg.), Tabus und Tabuverletzungen an Hochschulen (die hochschule 2/2015), Institut für Hochschulforschung (HoF), Halle-Wittenberg, S. 33–42. https://www.hof.uni-halle.de/publikation/tabus-und-tabuverletzungen-an-hochschulen/.
Kortendiek, Beate/Mense, Lisa/Beaufaÿs, Sandra/Bünnig, Jenny/Hendrix, Ulla/Herrmann, Jeremia/Mauer, Heike/Niegel, Jennifer (2019). Geschlechter(un)gerechtigkeit an nordrhein-westfälischen Hochschulen. Hochschulentwicklungen, Gleichstellungspraktiken, Gender Pay Gap. Studien Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW, Nr. 31. Essen.
Metz‐Göckel, Sigrid/Bülow‐Schramm, Margret/Kamphans Marion (2015). (Un)aufgelöste Ambivalenzen. Zur Funktion und Analyse von Tabus in der Hochschule. In Marion Kamphans, Sigrid Metz-Göckel, Margret Bülow-Schramm (Hrsg.), Tabus und Tabuverletzungen an Hochschulen (die hochschule 2/2015), Institut für Hochschulforschung (HoF), Halle-Wittenberg, S. 9–16. https://www.hof.uni-halle.de/publikation/tabus-und-tabuverletzungen-an-hochschulen/.
Zitation: Beate Kortendiek: Sprechen wir über Geld: Der Gender Pay Gap bei Professuren, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 26.11.2019, www.gender-blog.de/beitrag/gender-pay-gap-bei-professuren/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20191126
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Kommentare
Koall | 26.11.2019
Liebe Beate, Danke für diese gute Aufarbeitung der Daten und den tollen Bericht. Ich arbeite mit diesen Zahlen gerne in Coachings und Workshops (zu Berufungsverhandlungen bzw. biasfreien Berufungsverfahren).
Herzlichst, Iris