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Debatte

Bündnispolitiken in den Gender Studies – und wo sind die Studierenden?

29. Oktober 2019 Nerea Discher Anna Efremowa Nina Timmermann

Die Gender Studies sind zu einem „Objekt des Hasses“ geworden, wie auch Sabine Hark schreibt (Hark, 2017). In besonderer Weise sind davon auch die Studierenden der Gender Studies betroffen. Anfeindungen im Seminarraum, abgerissene Plakate und Petitionen gegen institutionalisierte feministisch-studentische Orte werden alltäglich. Zur Zielscheibe werden Studierende der Gender Studies, weil sie oftmals politisch sichtbar sind. Organisiert in Fachschaften, in der akademischen Selbstverwaltung oder als studentische Vertreter*innen der Gleichstellungspolitik bringen sie sich an der Hochschule ein.

Gefährdete Bündnisse

Seit den Bologna-Reformen ist der Druck, das Studium in Regelstudienzeit zu beenden, massiv gestiegen. Dies hat Konsequenzen für Möglichkeiten hochschulpolitischen Engagements. Als (ehemalige) Studierende der Gender Studies erleben wir es selbst: Unsere Stimmen sind leise geworden. [1]

Als Konsequenz verlieren etablierte Akteur*innen, wie engagierte Mitarbeiter*innen, Lehrende und Professor*innen, wichtige Partner*innen in hochschulpolitischen Kämpfen. Ob bei Studiengangsakkreditierungen, bei Berufungsverfahren und vor dem Hintergrund der Angriffe auf das Fach — etablierte Akteur*innen sind auf die Stimmen der Studierenden angewiesen. Umgekehrt ist es Studierenden immer weniger möglich, ihre eigenen Interessen durchzusetzen und hochschulpolitische Strukturen aktiv mitzugestalten. 

Rolle der Studierenden in den Gender Studies   

Historisch gesehen war die politische Handlungsfähigkeit von Studierenden für die Etablierungsgeschichte der Frauen- und Geschlechterforschung ein Schlüsselelement. Gemeinsam mit Lehrenden wurden die ersten Sommerschulen und Frauenseminare organisiert. Gekämpft wurde für Professuren und Forschungszentren (vgl. Metz-Göckel, 2018). Die Rolle der Studierenden bei der Institutionalisierung der Frauenforschung an unserer eigenen Universität, in Bielefeld, beschreibt Claudia von Werlhof wie folgt: Gemeinsam mit „sehr vielen Studentinnen […] sind wir dann frech und dreist direkt zum Rektor und dann zum Ministerium marschiert“ (Müller, 1994: 11). 1992 wurde die  „Interdisziplinäre Forschungsgruppe Frauenforschung (IFF)“ schließlich, dank massivem Druck durch Studierende, Lehrende und Forschende im Rahmen einer Unterschriftenaktion und durch Solidaritätsschreiben, als eigenständige Forschungseinrichtung bestätigt (vgl. Wrede, 2013: 43). Aus dem IFF kamen schließlich die Impulse, die zur Gründung unseres eigenen Studienganges, dem Masterstudiengang „MA Gender Studies – Interdisziplinäre Forschung und Anwendung“, geführt haben. Mit einer Neuausrichtung erhielt das Zentrum 2016 den Namen „Interdisziplinäres Zentrum für Geschlechterforschung (IZG)“.

Studieren nach Bologna

Spätestens seit der Streichung des Studienfachs in Ungarn 2018 ist die Notwendigkeit  einer solidarischen Bündnispolitik (wieder) auf dem Tisch. Die Bedingungen des Studiums und somit auch für solidarische Bündnispolitik haben sich allerdings in den letzten Jahren stark geändert.

Seit Anfang der 1990er-Jahre trat in Wissenschaft und Hochschule ein umfassender Umbauprozess ein, der bis heute das Wissenschaftssystem maßgeblich neu ordnet. Um Hochschulen in „effizientere Organisationen“ (Oloff/Rozwandowicz, 2015: 24) umzuwandeln, wurde das New Public Management (NPM) implementiert. Mit neuen Steuerungsinstrumenten wurde das Handeln aller Hochschulmitglieder, auch der Studierenden, wettbewerblich und nach organisationalen Bedarfen geregelt (vgl. ebd.).

Zudem setzte die europaweite Hochschulreform „Bologna“ Ende der 1990er-Jahre mit dem Ziel ein, EU-Europa zur „konkurrenzfähigsten und dynamischen Wissensökonomie der Welt“ (Lissabon-Strategie 2000) zu machen. Die Einführung der Leistungspunkte (ECTS) führte zu dem Zwang, jede einzelne Arbeitsstunde der Studierenden in dieser Zeiteinheit vorauszuplanen, damit das Studium am Ende punktemäßig aufgeht.

Ein selbstbestimmtes Studium wird unter den Bedingungen immer schwerer. Lernzeiten und Studieninhalte sind vorstrukturiert, Unterstützung wie die Förderung aus dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) ist an die Studienzeit gekoppelt. Meist müssen Studien-, Gremien- und Erwerbsarbeit miteinander vereinbart werden. Studentisches Engagement wird daher immer stärker zum Privileg. Gerade vor dem Hintergrund der stärkeren Diversifizierung der Studierendenschaft ergibt sich dabei die Frage, wie beispielsweise Studierenden aus Nicht-Akademiker*innen-Familien oder mit Sorgeverantwortung die Mitwirkung in hochschulpolitischen Prozessen ermöglicht werden kann (vgl. Pfaff-Czarnecka, 2017).

Abhängigkeiten zwischen Studierenden und Lehrenden 

Zu der potenziellen Zusammenarbeit gehört auch, dass Studierende und Etablierte in einem hierarchischen Verhältnis stehen. Lehrende entscheiden über Benotung, Besetzung von Hilfskraftstellen, Fristverlängerungen und finanzielle Ressourcen z. B. für Exkursionen. 

In der Hochschulpolitik oder in den Fachschaften sind Studierende dagegen in der Position, Etablierte zu kritisieren. Aufseiten unserer Lehrenden beobachten wir ein Unbehagen mit ihrer machtvollen Position. Der Zwang, Studierende benoten zu müssen, scheint schwer mit dem eigenen Anspruch einer machtkritischen und solidarischen Haltung vereinbar zu sein. Ebenso ist uns bewusst, dass es auch aufseiten der, von uns aus gesehen, Etablierten sehr unterschiedliche Machtpositionen gibt. Paradox mutet an, dass die Gender Studies einerseits als gesellschaftskritische Wissenschaft auf theoretischer Ebene Machtverhältnisse untersuchen, andererseits die Präsenz von Machtverhältnissen in der eigenen alltäglichen Praxis aber zum Teil in Vergessenheit zu geraten scheint. Die Selbstreflexion über eigene Machtverhältnisse und die damit verbundenen Ressourcen könnte jedoch potenzielle Handlungsräume eröffnen.

Freiräume der Zusammenarbeit

Zusammenarbeit muss erprobt werden. Dazu braucht es jedoch Freiräume. Unserer eigenen Erfahrung nach können dabei auch bestehende  Räume genutzt werden. Im Bielefelder Studienmodell gibt es beispielsweise im zweiten Fachsemester eine Studiengruppe, in der sich die Studierenden gemeinsam mit dem*der Dozent*in über die Inhalte verständigen. Während unserer Studienzeit nutzten wir diese Gruppe beispielsweise, um über das Phänomen des Antigenderismus im Allgemeinen, aber auch um aktuelle Anfeindungen gegen eine studentisch-organisierte Veranstaltung an unserer Hochschule zu diskutieren.

Für erfolgreiche Bündnisse sollte daher diskutiert werden, an welchen Stellen machtvolle (universitäre) Praxen durchbrochen und Ressourcen umverteilt werden können. So lassen sich vielleicht Antworten finden, die zu einer stärkeren Solidarität und Zusammenarbeit in den Gender Studies führen können, um den derzeitigen „vehementen Anfeindung[en]“ (Hark, 2017) geschlossen zu begegnen.

 

[1] Die Perspektive dieses Textes basiert auf unseren Erfahrungen während unseres Studiums in Bielefeld und auf Ergebnissen eines Workshops zu hochschulpolitischen Bündnissen auf der Konferenz der Einrichtungen für Frauen- und Geschlechterstudien im deutschsprachigen Raum (KEG) 2019. Der Workshop ist, ebenso wie dieser Beitrag, auf Initiative von und in Zusammenarbeit mit Sebastian Grieser, Studiengangskoordinator des MA Gender Studies in Bielefeld, entstanden.

Literatur

Hark, Sabine (2017). Kontingente Fundierungen. Über Feminismus, Gender und die Zukunft der Geschlechterforschung in neo-reaktionären Zeiten. Soziopolis online, 04.11.2017, URL https://soziopolis.de/verstehen/was-tut-die-wissenschaft/artikel/kontingente-fundierungen/.

Malli, Gerlinde, Sackl-Sharif, Susanne (2015). Bewegung oder Stillstand? Gender Studies in der reformierten Universität. IFFOnZeit 5(4), S. 52–59.

Metz-Göckel, Sigrid (2018). Frauenhochschulbewegung: Selbstermächtigung und Wissenschaftskritik. In: Kortendiek, Beate/ Riegraf, Birgit/ Sabisch, Katja (Hrsg.). Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Wiesbaden: Springer Fachmedien, https://doi.org/10.1007/978-3-658-12500-4_116-1

Müller, Christa (1994). Der Bielefelder Ansatz. Interview mit Veronika Bennholdt-Thomsen und Claudia von Werlhof. In: Budde, Anke/ Ebel, Birgit/ Kampmann, Birgit/ Kuhn, Christa/ Lenninger, Monika (Hrsg.) …/innen-Ansichten – 25 Jahre Universität Bielefeld. Ein Frauenlesebuch zum Jubiläum 1994. Bielefeld, S. 108–114.

Oloff, Alina, Rozwandowicz, Anja (2015). “... weil eben alles in Bewegung war.” Gender Studies in der neuen Universität. In: Kathrin Audehm, Beate Binder, Gabriele Dietze, und Alexa Färber (Hrsg.). Der Preis der Wissenschaft, Bielefeld: Transcript Verlag, S. 23–35.

Pfaff-Czarnecka, Johanna. (2017). Universitäten – als Orte der Heterogenität und Un/Gleichheit. In: J. Pfaff-Czarnecka (Hrsg.). Das soziale Leben der Universität: studentischer Alltag zwischen Selbstfindung und Fremdbestimmung. Bielefeld: Transcript Verlag, S. 43–59.

Wrede, Birgitta (2013). Das Interdisziplinäre Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung (IFF) an der Universität Bielefeld – Entwicklungen, Positionierungen und Perspektiven einer zentralen Einrichtung. Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW 32, S. 43–48.

Zitation: Nerea Discher, Anna Efremowa, Nina Timmermann: Bündnispolitiken in den Gender Studies – und wo sind die Studierenden?, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 29.10.2019, www.gender-blog.de/beitrag/gender-studies-studierende/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20191029

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Nerea Discher

Nerea Discher studiert Gender Studies an der Universität Bielefeld und ist in unterschiedlichen feministischen Kontexten aktiv. Ihr Fokus auf der Verbindung von Geschlechterforschung und politischer Praxis sowie der Verwobenheit unterschiedlicher Subjektpositionen zeigt sich beispielsweise in ihrem Dossier "drag it! Geschlecht umreißen - Ordnungen durchkreuzen - Drag erleben", welches 2018 mit dem Gunda Werner Institut veröffentlicht wurde.

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Anna Efremowa

Anna Efremowa, Absolventin der Gender Studies, ist aktuell Mitarbeiterin im Projekt Diversität – diversity policy an der Universität Bielefeld. In ihrer Masterarbeit hat sie den historischen Antifeminismus in der wilhelminischen Gesellschaft und den Anti-Gender-Diskurs der AfD vergleichend untersucht. Während ihres Studiums engagierte sie sich lange in der Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten (LaKof NRW) und Bundeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten (bukof).

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Nina Timmermann

Nina Timmermann hat Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg und Gender Studies an der Universität Bielefeld studiert. Ihre Abschlussarbeit schreibt sie im Rahmen des DFG-Projekts "Neujustierung von Männlichkeiten. Auswirkungen der Transformation von Erwerbsarbeit und des Wandels von Geschlechterverhältnissen auf männliche Lebenslagen" bei Prof. Dr. Diana Lengersdorf. Weitere Schwerpunkte sind Gender Media Studies, Gender und Popkultur sowie feministische Science and Technology Studies.

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