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Debatte

Gender Studies als „rotes Tuch“? Eine Betrachtung aus Verlagssicht

16. April 2019 Daniela Witzki

Der Verlag Barbara Budrich gehört sicherlich zu einem der renommiertesten Publikationsorte für deutschsprachige Studien aus der Geschlechterforschung und den Gender Studies. In der breiten Gesellschaft kämpft das Forschungsfeld aktuell gegen falsche Vorstellungen und wird negativ interpretiert. Woran liegt das? Eine Einschätzung aus Verlagssicht anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der Zeitschrift GENDER.

Gender Studies als Gefahr für bestehende gesellschaftliche Machtstrukturen

Die Gender Studies in Europa stehen aktuell einschneidenden Entwicklungen gegenüber: Ungarn hat den Studiengang 2018 komplett gestrichen – mit dem Argument, die Absolvent*innen „brauche ohnehin niemand“ – und eine deutsche Partei mit Rechtstendenz fordert ebenfalls die Abschaffung der Lehrstühle für Gender Studies. Hier heißt es, die Disziplin sei ohnehin ein ideologisches Projekt, bei dem es weniger um den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn als vielmehr um die Durchsetzung einer politischen Agenda ginge. Letztlich muss diese, selbst von politischen Interessen geleitete Sichtweise als Angriff auf eine demokratische Wissenschaft verstanden werden, so Barbara Budrich:

„Wissenschaftliche Erkenntnis – zum Beispiel zum Thema Diskriminierungserfahrungen auf der Grundlage von Geschlechtszugehörigkeit – kann als Basis für politisches und gesellschaftliches Handeln dienen. Hier die Verfasser*innen der Botschaft, also die Gender Studies, zu diskriminieren bzw. die Disziplin zu verbieten, weil einem die Erkenntnisse nicht schmecken, ist fern jeder demokratischen Haltung. Diese Einmischung der Regierung in Wissenschaft zerstört die Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft.“

Dass bei restriktiven Angriffen gegen Gender Studies das Ziel häufig die Aufrechterhaltung eines heteronormativen und geschlechterdichotomen Weltbilds ist, hat Dirk Schulz in seinem Beitrag auf diesem Blog erörtert. Gender Studies werden als Gefahr für eine bestehende Gesellschaftsordnung angesehen und als Konsequenz daraus abgelehnt – denn im Fach werden bestehende gesellschaftliche Machtstrukturen infrage gestellt, das ist unbequem! Ablehnung kommt aber auch aus breiteren Kreisen – und nicht nur von Menschen, die sich jenseits von Mann und Frau nichts vorstellen können und wollen (1). Was schreckt sie ab?

Gender-Sternchen als Sündenbock

Ein Aspekt könnte in den Themen liegen, die aufgrund der medialen Berichterstattung von der Öffentlichkeit als alleiniger Fokus der Gender Studies wahrgenommenen werden. Beispielsweise erscheint die fachinterne Diskussion über wichtige Fragen zur sprachlichen Einbeziehung aller Geschlechter (Gender Gap oder Gender-Sternchen) vielen Menschen nicht als Kernproblem (2), das es zu lösen gilt. Dieser einzelne Themenbereich innerhalb der Gender Studies wird dann zum gesamten Fachinhalt verallgemeinert. In Konsequenz daraus werden die Wissenschaftler*innen teils massiv angegangen. Wie Miriam von Maydell, Lektoratsleiterin im Verlag Barbara Budrich, zusammenfasst, wird als Gegenstrategie nicht ausreichen, „transparent und auf Augenhöhe“ zu kommunizieren:

„Die Gender Studies sehen sich derzeit vielen Anfeindungen unterschiedlicher Couleur ausgesetzt. Der bloße Versuch, die eigenen Forschungsergebnisse für die Gesellschaft transparent zu kommunizieren, wird leider nicht ausreichen, um die massiven Angriffe bis hin zu körperlichen Bedrohungen zu beenden. Wir stellen uns in dieser Situation als Verlag klar hinter unsere Autorinnen und Autoren und verteidigen das hohe Gut der wissenschaftlichen Freiheit.“

Sehr bedauerlich ist, dass durch die dominierende öffentliche Wahrnehmung verwischt wird, was die Gender Studies bisher erreicht haben und künftig noch erreichen könnten.

Forschungsergebnisse und Forschungsimpulse

Denken wir beispielsweise an das Anstoßen einer naturwissenschaftlichen Untersuchung des Gehirns von Männern, die sich intensiv um ihre Kinder kümmern. In dieser Untersuchung wurde festgestellt, dass das männliche Gehirn unter veränderten hormonellen Bedingungen Aktivitäten verstärkt, die zuvor nur dem weiblichen Körper zugeschrieben wurden. Diese neuen Forschungsgegenstände folgten auf kritische Überlegungen der Gender Studies (3). Ein weiteres Beispiel ist das Konzept der Intersektionalität, das auf Schnittmengen von Diskriminierung aufmerksam macht (4). Private Pflege von Angehörigen, die oft von Frauen geleistet wird (5), oder Elternzeit für Väter (6): Das waren und sind Themen, die die Menschen bewegt und zur Diskussion angeregt haben – jenseits der fachinternen Kommunikation. Die Dinge, die Menschen bewegen, werden also sehr wohl in den Gender Studies wissenschaftlich behandelt und die Arbeit der Disziplin trägt zu Veränderungsprozessen bei; zentral ist dann aber auch die öffentliche Wahrnehmung, dass es den Gender Studies um mehr Objektivität und nicht um ein simples Verschieben der Subjektivität (hin zur Bevorzugung von Frauen) geht.

Selbstdarstellung optimieren – da geht noch was!

Und dennoch können Gender-Wissenschaftler*innen über die Disziplin hinaus objektiv und unserer Einschätzung nach mehr auf Augenhöhe kommunizieren, um einen verständigen Dialog zu schaffen zwischen der Wissenschaft und denen, die es betrifft, nämlich den Bürger*innen der Gesellschaft.

„In der Selbstdarstellung können die Gender Studies nach meiner Einschätzung klarer sein und offensiv ihre Forschungsergebnisse präsentieren – ohne sich in die Defensive bringen zu lassen, aber auch ohne vom ‚Elfenbeinturm herab‘ zur breiteren Öffentlichkeit zu sprechen.“ (Barbara Budrich)

Nein, nicht alle werden sich überzeugen lassen. Aber das, was die Gender Studies Wichtiges leisten, darf durch Offenheit und Kommunikationsangebote gefördert werden (7). Damit vielen deutlicher wird, dass es mehr gibt als Unterstrich und Sternchen (8), röhrende Hirsche im Werbematerial des Nationalparks Eifel (9) oder eine gendergerechte Nationalhymne (10).

Im Zweifel für den Zweifel

Diskussionen finden aber auch innerhalb der Disziplin selbst statt. Diese reichen so weit zu fragen, wie die Gender Studies innerhalb der Wissenschaften eingeordnet werden können:

„Es ist nach wie vor umstritten, ob ‚die‘ Gender Studies als Disziplin überhaupt existieren oder ob die jeweilige fachliche Anbindung doch den größeren Einfluss auf die Gender-Forschung hat. Diese Ansicht wird auch gestützt durch die große Bandbreite an Themen, die sich auch im Verlag Barbara Budrich in so unterschiedlichen Zeitschriften wie der GENDER, der Zeitschrift für Diversitätsforschung und -management, der Freiburger Zeitschrift für GeschlechterStudien und der Femina Politica widerspiegelt.“ (Miriam von Maydell)

Gerade die Gender Studies zeigen, dass es manchmal besser ist, „im Zweifel für den Zweifel“ zu sein – da viele gesichert geglaubte Tatsachen durch Hinterfragen plötzlich zu Staub zerfallen können. Deshalb sind auch Geschlechterforschung und Gender Studies Bereiche, in denen häufig die eigenen Erkenntniswerkzeuge und -grundlagen hinterfragt werden. Wenn es um Wissenschaft geht, muss aber genau das möglich sein. Daher freuen wir uns über jede Publikation, die die Analyse gesellschaftlicher Ungleichheit transportiert. So gelingt die Nutzbarmachung wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns für die Gesellschaft als Ganzes.

Zitation: Daniela Witzki: Gender Studies als „rotes Tuch“? Eine Betrachtung aus Verlagssicht, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 16.04.2019, www.gender-blog.de/beitrag/gender-studies-verlagssicht/

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Daniela Witzki

Daniela Witzki ist Mitarbeiterin im Verlag Barbara Budrich. Sie hat Ethnologie, Linguistik und Germanistik an der Universität zu Köln studiert.

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