16. April 2024 Thomas Tews
In Deutschland greifen auf Länderebene ‚Genderverbote‘ um sich: Geschlechtergerechte Schreibweisen mit Wortbinnenzeichen wie Gendersternchen (Asterisk), Gendergap (Unterstrich), Genderdoppelpunkt, Mediopunkt oder Binnen-I wurden an staatlichen Institutionen verboten. Seit 2021 gilt dies an sächsischen und schleswig-holsteinischen Schulen, seit 2023 an sachsen-anhaltinischen Schulen sowie seit Kurzem an bayerischen Behörden und Schulen sowie in der hessischen Landesverwaltung. Dieser Beitrag möchte zeigen, inwiefern solche Verbote die binäre Vergeschlechtlichung der deutschen Sprache verfestigen und die Entwicklung einer inklusiven Sprache behindern.
Binäre Schreibweisen als Ausdruck heteronormativer Geschlechtervorstellungen
In einer Pressemitteilung zum bayerischen Verbot der „Gendersprache“ – hier nutzt die Landesregierung einen rechten Kampfbegriff, der leider von nahezu allen deutschen Leitmedien aufgegriffen und unkritisch weiterverbreitet wurde – ließ Bayerns Innenminister Joachim Herrmann verlautbaren: „Rechts- und Verwaltungsvorschriften sollen so formuliert werden, dass sie jedes Geschlecht in gleicher Weise ansprechen, etwa durch Paarformeln oder geschlechtsneutrale Formulierungen.“ Dies lässt außer Acht, dass sich Paarformeln wie „Schülerinnen und Schüler“, für die es keine geschlechtsneutralen Bezeichnungen gibt, nur auf binäre Formen der Geschlechtsidentität beziehen. Ageschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen, die sich keiner (binären) Geschlechtskategorie zugehörig fühlen oder sich auf einem Spektrum zwischen Mann und Frau verorten, kommen in diesem Sprachsystem nicht vor. Sie werden ausgeblendet und negiert, als würden sie nicht leben. Solange sie nicht benannt werden, existieren sie auch in unseren Köpfen nicht. Dieses Phänomen, dass Ideen nicht existent sind oder verschwinden, weil wir keine sprachliche Umsetzung von ihnen haben, nennt die kognitive Linguistik „Hyperkognition“ (Faber 2024: 89). In der Folge kann unser Gehirn kein Konzept jenseits von männlich und weiblich aufbauen, sondern ordnet alle Menschen automatisch in eine weibliche oder männliche Kategorie ein.
Queere Existenzweisen werden unsichtbar gemacht
Wenn wir Geschlecht als primär kategoriale Eigenschaft mit nur zwei Ausprägungen beschreiben und wahrnehmen, verkennen wir, dass sämtliche das Geschlecht definierende äußere Merkmale, Eigenschaften oder Verhaltensweisen dimensional sind, d. h. unendlich viele Ausprägungen aufweisen. Diese Vielfalt lässt sich sprachlich durch eine reine Doppel- oder Beidnennung nicht ausdrücken. Letztere festigt das heteronormative System, in dem davon ausgegangen wird, dass es nur zwei, klar voneinander trennbare und sich sexuell aufeinander beziehende Geschlechter – Mann und Frau – gebe. So werden ausschließlich binäre Geschlechtsidentitäten anerkannt und als Norm definiert, während queere Existenzweisen, die sich nicht in die binäre Geschlechterordnung einordnen, unsichtbar gemacht werden. Letzteren kann dadurch auch schneller die gesellschaftliche Existenzberechtigung abgesprochen werden, was gemessen an der 2018 in Deutschland per Gesetz erfolgten Einführung der zusätzlichen Geschlechtsbezeichnung „divers“ einen Rückschritt darstellt. An dieser Stelle sei an das traurige Faktum, dass weltweit genderqueere Menschen regelmäßig Gewalt erleben, erinnert.
Geschlechtergerechte Sprache als Ausdruck von Anerkennung und Respekt
Im Gegensatz zu einer Sprache, die ständig verlangt, uns und andere zweigeschlechtlich zu verorten, schließt geschlechtergerechte Sprache auch alle Menschen, die keine binäre Geschlechtsidentität besitzen und die sprachlich sonst nicht berücksichtigt würden, ein. Sie ist inklusiver, neutraler, repräsentativer und respektiert die Einzigartigkeit von Identität und Geschlechtlichkeit. Insbesondere das für geschlechtergerechte Sprache verwendete Sternchen, das in der Informatik als Platzhalter für jedes und beliebig viele Zeichen fungiert, erlaubt eine Ansprache, in der cis und trans Männer und Frauen sowie Menschen, die sich jenseits der Geschlechterbinarität identifizieren, gleichermaßen gemeint sind, sowie den sprachlichen Ausdruck der unendlichen Möglichkeiten im Geschlechteruniversum.
Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten
Dadurch, dass geschlechtergerechte Sprache uns aus dem Korsett einer strikten sprachlichen ‚Zwei-Genderung‘ befreit, ergeben sich für uns alle mehr Möglichkeiten in unserem Ausdruck, unseren Begegnungen mit anderen Menschen und unserem Denken. Die Neurowissenschaftlerin Daphna Joel weist darauf hin, dass wir „selbst in der Sicherheit unseres Zuhauses, wenn niemand uns zusieht, […] manchmal Tätigkeiten, die wir – häufig unbewusst – als ‚unpassend für mein Geschlecht‘ empfinden, wie ein Ikea-Bücherregal aufzubauen oder ein Kochbuch aufzuschlagen und Suppe zu kochen“, vermeiden (Joel 2021: 183).
Letztendlich zielt geschlechtergerechte Sprache auf die Dekonstruktion des Systems der Zweigeschlechtlichkeit oder zumindest darauf, dass es in unserem Leben nicht mehr die gegenwärtige gewaltige Wichtigkeit einnimmt. Dadurch kann sie einen Beitrag zur Gleichberechtigung aller Geschlechter und damit zu einer sozial gerechteren Welt leisten.
Literatur
Juli Faber, Juli (2024). Unerhört! Unschlagbare Argumente für gendergerechte Sprache. Igling: Edition Michael Fischer.
Joel, Daphna & Vikhanski, Luba (2021). Das Gehirn hat kein Geschlecht. Wie die Neurowissenschaft die Genderdebatte revolutioniert. München: dtv.
Weitere Literatur zum Thema
Bergmann, Franziska; Schößler, Franziska & Schreck, Bettina (2012). Vorwort. In Franziska Bergmann, Franziska Schößler & Bettina Schreck (Hrsg.), Gender Studies. Basis-Scripte. Reader Kulturwissenschaften, Band 2 (S. 9–15). Bielefeld: transcript.
Bührmann, Andrea D. (2001). Geschlecht und Subjektivierung. In Marcus S. Kleiner, Michel Foucault. Eine Einführung in sein Denken (S. 123–136). Frankfurt/New York: Campus.
Elsen, Hilke (2023). Gender – Sprache – Stereotype. Geschlechtersensibilität in Alltag und Unterricht. 2., überarbeitete Auflage. Tübingen: Narr Francke Attempto.
Estevez, Naira (2018). Hä, was heißt denn Gendersternchen? In Missy Magazine Nr. 6 (S. 17).
Ewert, Felicia (2024). Sprache ist nicht starr. In Janka Kluge & Julia Monro (Hrsg.), Einfach selbst bestimmt. Texte zur Lebenswirklichkeit jenseits der Geschlechternormen (S. 117–129). Köln: Kiepenheuer & Witsch.
Mense, Lisa (2018). Jenseits eines binären Personenstandsrechts? Ein historisches Urteil und die Mühen der Ebenen. In blog interdisziplinäre geschlechterforschung. Zugrif am 15.04.2024 unter www.gender-blog.de/beitrag/jenseits-eines-binaeren-personenstandsrechts-ein-historisches-urteil-und-die-muehen-der-ebenen/. https://doi.org/10.17185/gender/20180807
Meyer, Lydia (2023). Die Zukunft ist nicht binär. Hamburg: Rowohlt.
Pauli, Dagmar (2023). Die anderen Geschlechter. Nicht-Binarität und andere (ganz) trans* normale Sachen. München: C.H. Beck.
Zitation: Thomas Tews: Geschlechtergerechte Sprache verbieten? Im Korsett des binären Genderns, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 16.04.2024, www.gender-blog.de/beitrag/geschlechtergerechte-sprache-verbieten-gendern/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20240416
Beitrag (ohne Headergrafik) lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz