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Forschung

Verhilft die neue Hochschul-Governance Gleichstellungspolitik zum Durchbruch?

20. September 2022 Birgit Erbe

Mit der Einführung einer neuen Governance der Hochschulen sollte ab den 1990er-Jahren nicht nur die Steuerung des Hochschulbereichs, sondern durch die Verknüpfung mit Zielen der Geschlechtergleichstellung auch die Durchsetzungskraft von Gleichstellungspolitik verbessert werden (vgl. Zimmermann 2016). Eine Verbesserung war notwendig, denn die Geschlechterverhältnisse in der Wissenschaft hatten sich seit Ende der 1980er-Jahre nur sehr langsam angeglichen (vgl. GWK 2021).

Chancen und Grenzen neuer Governance ausloten

In meiner empirischen Untersuchung zur Gleichstellungspolitik im Kontext der neuen Governance an Universitäten (Erbe 2022) gehe ich der Frage nach, worin die Chancen und Grenzen der veränderten Governance-Strukturen für Gleichstellungspolitik liegen und was sie für die Praxis der Gleichstellungsakteur_innen an den Universitäten und für die Politik bedeuten. Dazu wurden vier Universitäten aus vier unterschiedlichen Bundesländern Deutschlands ausgewählt, die von Dritten (wie z. B. der Deutschen Forschungsgemeinschaft) eine sehr gute Bewertung ihrer hochschulinternen Gleichstellungspolitik erhalten hatten. Anhand von Organisationsfallstudien wird bei diesen Universitäten exemplarisch nachgezeichnet, unter welchen Bedingungen und in welchem Ausmaß ihnen ein gleichstellungspolitischer Wandel gelingt (zum konzeptionellen Rahmen und Forschungsdesign vgl. Erbe 2022: S. 87 ff.). Mit Hilfe der genutzten organisationstheoretischen Zugänge kann deutlich gemacht werden, dass die Möglichkeiten der Steuerung im Allgemeinen und von Universitäten im Speziellen begrenzt sind und dass emanzipative Gleichstellungspolitik mit einer vergeschlechtlichten Organisations- und Machtstruktur konfrontiert ist, innerhalb derer sie agiert (vgl. u. a. Acker 1990; Mayntz 2009; Meier/Schimank 2010; Schimank 2007). 

Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt. Es wird gezeigt, wie die veränderten Rahmenbedingungen durch die Reform der Hochschul-Governance von den ausgewählten Universitäten für Gleichstellungspolitik aufgegriffen wurden und welche Grenzen des gleichstellungspolitischen Wandels sichtbar werden.

Mobilisierung der Universitäten für die Umsetzung des Gleichstellungsauftrags

Der Prozess der Hochschul-Governance-Reform vollzog sich in zwei Phasen. Kurz gefasst war die erste Phase ab Mitte der 1990er-Jahre bestimmt von der Deregulierung des Hochschulsystems und der Einführung neuer, dem New Public Management entlehnter Steuerungsinstrumente. Die zweite Phase ab der zweiten Hälfte der Nullerjahre brachte eine deutliche Verschärfung des Wettbewerbs zwischen den Hochschulen um Prestige und finanzielle Mittel (Stichwort Exzellenzinitiative). In der ersten Phase nutzten nur wenige Hochschulen die neu gewonnenen internen Steuerungsmöglichkeiten für gleichstellungspolitische Ziele, obgleich ab 1998 Gleichstellung gesetzlich als Organisationsaufgabe der Hochschulen definiert wurde. Von den vier untersuchten Universitäten waren es zwei, an denen die Hochschulleitungen bereits um die Jahrtausendwende Gleichstellung als Organisationsziel verfolgten und Gender-Mainstreaming-Prozesse förderten. Sie mussten sich jedoch eingestehen, dass damals die Fachbereiche und mit ihnen die Hochschullehrenden als ‚Gatekeeper‘ universitärer Karrieren gleichstellungspolitisch nicht erreicht wurden.

Bewegung in die bislang desinteressierten Hochschulleitungen und in Teile der akademischen Profession kam über den an Gleichstellung gekoppelten Wettbewerb um prestigeträchtige Forschungsmittel. Aufgrund der Angewiesenheit der Universitäten auf Drittmittel suchten nun auch die beiden ‚Latecomers‘ des Untersuchungssamples nach Lösungen für interne gleichstellungspolitische Steuerungsprobleme. Die höhere Autonomie der Hochschulen erwies sich als notwendig für die gleichstellungspolitische Steuerung, doch erst der verschärfte, an Gleichstellung gekoppelte Wettbewerb um Drittmittel führte zur Öffnung für und Vertiefung von Gleichstellung an den untersuchten Universitäten.

Schaffung eines gemeinsamen Problembewusstseins

Um das Ausmaß des strukturellen und kulturellen Wandels zu bewerten, bietet sich das Konzept des ‚organisationalen Lernens‘ (Argyris/Schön 1978) an. Die Stadien des Lernens und damit der erreichte Wandel lassen sich nach Veränderungen erster, zweiter und dritter Ordnung unterscheiden (vgl. Kil 2003). Demnach handelt es sich bei der Veränderung erster Ordnung um Modifizierungen von Teilen der Organisationsstruktur und -abläufe. Dieser Effekt konnte bei allen vier Fallbeispielen beobachtet werden. Dazu zählen die Einrichtung eines (Teil-)Ressorts für Gleichstellung in der Hochschulleitung, die Erstellung von Gleichstellungskonzepten und Berufungsleitlinien sowie die Erweiterung des Dienstleistungsangebots (wie z. B. Elternbüros oder Dual Career Services). Es wurde an den vier Universitäten ein gemeinsames Problembewusstsein geschaffen und Gleichstellungsdefizite wurden transparent dargestellt. Darüber hinaus blieben Frauenfördermaßnahmen in solchen Bereichen, in denen Frauen stark unterrepräsentiert sind, erhalten. Insgesamt fanden alle diese Maßnahmen eine hohe Akzeptanz unter den Hochschulmitgliedern.

Grundlegende Veränderung von Strukturen und Normen

Bei der Veränderung zweiter Ordnung geht es um die grundlegende Veränderung von Strukturen und Normen. An allen vier untersuchten Universitäten formierten sich neue interne Akteur_innenkonstellationen zur Verhandlung und Durchsetzung von gleichstellungspolitischen Zielen und Maßnahmen. Neu an diesen Konstellationen waren die Einbindung der Hochschullehrenden als beteiligte Akteur_innen gleichstellungspolitischer Aushandlungsprozesse. So konnte bei einer der untersuchten Universitäten beobachtet werden, dass eine zentrale Steuerungsgruppe aus Hochschulleitung, Hochschulmanagement, Gleichstellungsbeauftragter und Dekan_innen eingerichtet wurde. An einer weiteren Universität bildete sich ein gleichstellungspolitisches Verhandlungsnetzwerk zwischen Gleichstellungsbüro und Fachbereichen im ‚Schatten der Hierarchie‘ der Hochschulleitung. Im dritten Beispiel wurde die Gleichstellungsverantwortung über alle Führungskräfte in Wissenschaft und Verwaltung verteilt. An der vierten Universität delegierte die Hochschulleitung die Gleichstellungsaufgabe innerhalb der hierarchischen Struktur an die Fakultäten und kontrollierte ihre Umsetzung. Damit einher gingen an den untersuchten Universitäten veränderte organisationale Praxen mit Ausrichtung auf Gleichstellung, wie Gleichstellungszielvereinbarungen, -monitoring oder eigene Gleichstellungsmaßnahmen der Fakultäten.

Grenzen des ‚organisationalen Lernens‘

Die Grenzen des organisationalen Wandels zweiter Ordnung liegen darin, dass die Maßnahmen der vier Fallbeispiele vielfach auf Freiwilligkeit beruhten und somit umgangen werden konnten. Dabei traten auch Konflikte um die Definitionsmacht über gleichstellungspolitische Ziele und ihre Reichweite auf. Große Widerstände gab es gegen Gender Mainstreaming in der Forschung, und auch die Lehre öffnete sich nur teilweise für das Thema Gender.

Um das organisationale Lernen dauerhaft abzusichern, bedarf es deshalb einer Veränderung dritter Ordnung, mit der ‚alte‘, Gleichstellung behindernde Wissensbestände durch ‚neues‘ Wissen abgelöst werden. Und auf dieser Ebene trübt sich das Bild des gleichstellungspolitischen Wandels der Falluniversitäten weiter ein: Zwar nahm das Maß an Selbstreflexivität auf Organisations- wie auch Fakultäts-/Fachbereichsebene zu. Doch gab es an allen vier Universitäten einzelne Fakultäten/Fachbereiche, die sich nur passiv verhielten oder gänzlich abschotteten und somit vom gleichstellungspolitischen Wandel weitgehend unberührt blieben. Auch ist kritisch zu hinterfragen, welches ‚neue‘ Wissen sich etablierte, denn der Fokus der meisten Universitäten lag vor allem auf der Beobachtung und Herstellung zahlenmäßiger Repräsentanz. Vergeschlechtlichte Praxen, die Geschlechterungleichheit konstituieren und reproduzieren, wurden dagegen selten außerhalb des Kreises der Gleichstellungsbeauftragten und -kommissionen wahrgenommen. Nicht zuletzt blieben auch die individuellen Einstellungen, wie dualistische Vorstellungen von Mann und Frau und deren Geschlechterrollen, weitgehend unberührt.

Wandel bleibt weiterhin Aufgabe

Durch die Veränderungen von Governance-Strukturen wurde der Kern der vergeschlechtlichten Machtstrukturen somit kaum erschüttert, weshalb vorerst von keinem Durchbruch der Gleichstellungspolitik bei der Überwindung gleichstellungshinderlicher Strukturen an den Universitäten gesprochen werden kann. Gleichwohl erhöhten sich ihre Gestaltungsmöglichkeiten und Durchsetzungskraft gegenüber den Rahmenbedingungen vor der Governance-Reform deutlich und erscheint der Weg der untersuchten Universitäten, Gleichstellungspolitik als Strukturpolitik zu betreiben, vielversprechend. Um diesen Weg weiter zu gehen, muss der externe Gleichstellungsdruck auf Universitäten aufrechterhalten werden. Darüber hinaus sind für einen einheitlichen Standard für alle Hochschulen eindeutige gesetzliche Vorschriften sowie die Bereitstellung von Gleichstellungsmitteln erforderlich, da für den Wandel umfängliche personelle und finanzielle Ressourcen notwendig sind. Und schließlich sollten auch die Fachdisziplinen adressiert werden, zur Geschlechtergleichstellung in der Wissenschaft beizutragen.

Das Buch von Birgit Erbe „Gleichstellungspolitik im Kontext neuer Governance an Universitäten“ ist 2022 in der Reihe Geschlecht & Gesellschaft bei Springer VS erschienen.

Literatur

Acker, Joan (1990): Hierarchies, Jobs, and Bodies: A Theory of Gendered Organizations. In: Gender & Society, 4 (2): S. 139–158.

Argyris, Chris/Schön, Donald A. (1978): Organizational Learning. A Theory of Action Perspective. Reading/Mass.: Addison-Wesley.

Erbe, Birgit (2022): Gleichstellungspolitik im Kontext neuer Governance an Universitäten. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36917-0

GWK - Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (2021): Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung. 25. Fortschreibung des Datenmaterials (2019/2020) zu Frauen in Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen. Zugriff am 06.09.2022 unter https://www.gwk-bonn.de/fileadmin/Redaktion/Dokumente/Papers/Chancengleichheit_in_Wissenschaft_und_Forschung_-_25._Fortschreibung_des_Datenmaterials__2019_2020_.pdf.

Kil, Monika (2003): Fachbereichsentwicklung: Akteur/-innen und Evaluation. In: Roloff, Christine/Selent, Petra (Hg.): Hochschulreform und Gender Mainstreaming. Bielefeld: Kleine: S. 254–265.

Mayntz, Renate (2009): Governance Theory als fortentwickelte Steuerungstheorie? (2005). In: Mayntz, Renate (Hg.): Über Governance. Frankfurt, New York: Campus: S. 41–52.

Meier, Frank/Schimank, Uwe (2010): Organisationsforschung. In: Simon, Dagmar/Knie, Andreas/Hornbostel, Stefan (Hg.): Handbuch Wissenschaftspolitik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften: S. 106–117.

Schimank, Uwe (2007): Die Governance-Perspektive: Analytisches Potenzial und anstehende konzeptionelle Fragen. In: Altrichter, Herbert/Brüsemeister, Thomas/Wissinger, Jochen (Hg.): Educational Governance. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften: S. 231–260.

Zimmermann, Karin (2016): Neue Wissenschaftspolitik der Gleichstellung in Deutschland. In: Simon, Dagmar/Knie, Andreas/Hornbostel, Stefan/Zimmermann, Karin (Hg.): Handbuch Wissenschaftspolitik. Wiesbaden: Springer VS: S. 375–393. https://doi.org/10.1007/978-3-658-05455-7_26

Zitation: Birgit Erbe: Verhilft die neue Hochschul-Governance Gleichstellungspolitik zum Durchbruch?, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 20.09.2022, www.gender-blog.de/beitrag/gleichstellung-hochschul-governance/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20220920

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Dr. Birgit Erbe

Birgit Erbe ist Geschäftsführerin und Sozialforscherin der Frauenakademie München e.V. (FAM) mit den Forschungs- und Arbeitsschwerpunkten Geschlechterpolitik, Gleichstellung in Organisationen, Gender Budgeting, Care-Ökonomie und feministische Bewegungen. Sie promovierte über das Thema Gleichstellungspolitik im Kontext neuer Governance an Universitäten.

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