24. September 2024 Paula Rebecca Schreiber
In seiner mittlerweile vierten Auflage öffnete das Hiphop Cinefest vom 29. April bis 19. Mai in Rom einen kritischen Raum, in dem wir uns mit den komplexen Dynamiken von Geschlecht, Macht und sozialer Gerechtigkeit auseinandersetzten konnten: Das Festival lenkte unseren Blick auf Hip-Hop-Feminismus im Film und im öffentlichen Diskurs. Dieser Beitrag bietet einen Einblick in die Filme des Hiphop Cinefest, die sich in dokumentarischen, fiktionalen und experimentellen Formen mit dem Thema Feminismus und Hip-Hop-Kultur auseinandersetzen und dabei die Vielfalt sowie die Aktualität der behandelten Themen beleuchten.
Festival im Geist der Transformation
Das Hiphop Cinefest in Rom hat sich als zentraler Ort für Diskussionen über soziale und politische Aspekte des Hip Hop etabliert. Die laufenden Entwicklungen im Hip-Hop-Feminismus erhielten auf dem diesjährigen Festival eine prominente Plattform mit dem eigens eingerichteten Panel „Hip-Hop-Feminism Empowerment“, das live auf dem YouTube-Kanal des Hiphop Cinefest 2024 gestreamt und auch nach der Veranstaltung zur Verfügung gestellt wurde. Das Panel diente nicht nur der Sichtbarmachung, sondern förderte auch den Austausch innovativer Strategien.
Verschiedene Aktivistinnen und Künstlerinnen teilten ihre Perspektiven zur Rolle von Hip-Hop-Feminismus im sozialen Wandel. Martha Diaz vom Universal Hip Hop Museum in New York artikulierte die Entschiedenheit der Initiative: „Wir erleben eine Bewegung, die nicht nur unsere Geschichten erzählt, sondern auch die Machtstrukturen herausfordert, die unsere Stimmen unterdrücken.“ Ergänzend dazu betonte Ildslaine Silva (aka Mc Sharylaine), Mitbegründerin der Frente Nacional de Mulheres no Hip Hop, die sich der Stärkung von Frauen im Hip Hop widmet: „Es geht darum, Räume zu schaffen, in denen unsere Identitäten nicht nur wahrgenommen, sondern auch wertgeschätzt werden.“
Universalität des Hip Hop
Kanvie Winter aus dem Hiphophuis in Rotterdam teilte ihre persönliche Erfahrung: „Hip Hop hat mir die Werkzeuge gegeben, meine Identität als schwarze Frau zu verstehen und zu akzeptieren.“ Alexandra Henry hob die Notwendigkeit hervor, die oft übersehenen Beiträge von Künstlerinnen in den Vordergrund zu rücken: „Unsere Kunst ist ein Akt des Widerstands und der Selbstermächtigung.“ Schließlich betonte Wissal Houbabi, Autorin des Manifesto per un rap antisessista (Manifest für einen antisexistischen Rap), die transformative Kraft des Hip Hop: „Durch meine Musik und mein Engagement möchte ich eine Brücke bauen, die Vorurteile überwindet und echte Veränderungen anstößt.“
Das Filmfest präsentierte eine Vielfalt an Beiträgen, von Musikvideos über Dokumentationen bis hin zu fiktionalen Werken, die das theoretische Gerüst des Hip-Hop-Feminismus kontinuierlich erweitern und dessen praktische Umsetzung beleuchten. Das Hiphop Cinefest demonstriert die Universalität des Hip Hop als Kunstform, um persönliche und kulturelle Grenzen zu überschreiten. In den Beiträgen zeigt sich eindrucksvoll, wie Hip Hop als Medium für sozialen Wandel und Empowerment fungiert. Kunst trifft auf Aktivismus.
Kunst und Lyrik als Widerstandsformen
Der Dokumentarfilm Street Heroines von Alexandra Henry rückt Street-Art-Künstlerinnen in den Mittelpunkt, die mit ihren ausdrucksstarken Werken soziale Strukturen hinterfragen. Es geht darum, Grenzen zu überschreiten und durch Kunst eine eigene Form der Rebellion zu leben. Ergänzt wird diese Perspektive durch den Dokumentarfilm Ser BGirl, der Breakdancerinnen porträtiert, die ihre körperliche Kunst als Plattform sehen. Sie kämpfen gegen Unterdrückung, finden ihre Stimme und verknüpfen auf überraschende Weise archaische Wurzeln menschlicher Kultur mit modernen Ausdrucksformen des Hip Hop.
Im Film Existir Resistir folgen wir der Künstlerin Audrey Funk, deren Lyrics feministisches Empowerment und freie Gedankenwelten zelebrieren. „Existieren“ und „Widersetzen“ sind untrennbar miteinander verbunden. Für Frauen, besonders für Frauen of Color, ist das bloße Dasein in einer Welt, die sie oft unterdrückt, ein Akt des Widerstands. Auch Kris Alaniz thematisiert im Musikvideo Búscame („Suche mich“) eindringlich die Marginalisierung aufgrund von Herkunft und Hautfarbe. Sie beleuchtet die harte Realität der Migration und des Zwangsexils und das Schicksal der unsichtbaren „caras marrones“ („braunen Gesichter“), die ohne Papiere und Rechte leben.
Projeto Rappers taucht in die tiefen Verbindungen zwischen Hip-Hop-Kultur und dem Kampf gegen rassistische und soziale Unterdrückung in São Paulo während der 1990er-Jahre ein. Der Film illustriert, wie das gleichnamige Projekt durch Workshops, Debatten und kulturelle Produktion einen Raum für marginalisierte Jugendliche bietet. Die Initiative ist eine kreative Antwort auf Polizeigewalt und soziale Ausgrenzung, sie symbolisiert den fortwährenden Kampf um Anerkennung der eigenen Rechte.
Umbrüche und (Ver-)Wandlungen
BGirls von Nadja Harek ist eine Hommage an Frauen im Breakdance, deren Leidenschaft und Hingabe die Grenzen des Hip Hop neu definiert haben. Der Film taucht in die Geschichten von vier Generationen von Tänzerinnen ein. Ihre Kämpfe, Triumphe und die unerschütterliche Hingabe zur Kunst des Breakdance werden durch lebendige Bilder und authentische Erzählungen begleitet. Parallel verwendet Concrete Rose poetische Bilder, um die persönlichen Verwandlungen vom Mädchen zur Frau innerhalb der Hip-Hop-Kultur darzustellen. Der Film beleuchtet den wachsenden Einfluss von B-Girls auf die Szene. Das Musikvideo In Janes Shoes nimmt diese Themen auf und verbindet Tanz, Mode und Musik zu einer kreativen Erkundung fließender Identitäten und subversiver Energien.
Bereits dieses Panorama lässt erahnen, welche Strahlkraft der Hip-Hop-Feminismus nicht nur als künstlerisches Ausdrucksmittel besitzt, sondern auch als Katalysator sozialen Wandels, der beständig zur Diskussion und Reflexion über gesellschaftliche Strukturen anregt und diese äußerst dynamisch belebt. Die Forschung zum Thema Hip-Hop-Feminismus zeigt deutlich, dass es sich hierbei um eine dynamische und wachsende Disziplin handelt, die von ihrer Entstehung an darauf abzielt, soziale Strukturen zu verändern und marginalisierte Stimmen zu stärken.
Eine neue Ära der Selbstbestimmung
Tief verwurzelt in den Erfahrungen von Schwarzen Frauen und Frauen of Color, haben Pionierinnen wie Tricia Rose (1994) und Joan Morgan (1999) ein Forschungsfeld etabliert, das aus der Verschmelzung von Hip-Hop-Kultur und Feminismus erwachsen ist. Prägnant bringt dies die Sonderausgabe des Journal of Hip Hop Studies „Twenty-First Century B.I.T.C.H. Frameworks: Hip Hop Feminism Comes of Age“ (2020) auf den Punkt.
In traditionellen Schwarzen feministischen Kreisen wurde die Zugehörigkeit zu einer von Sexismus durchsetzten Hip-Hop-Kultur und das Bekenntnis zum Feminismus oft als unvereinbarer Widerspruch angesehen. Morgan entgegnete dieser Auffassung entschlossen und forderte einen Feminismus, der das Opfer-Täter-Modell nicht als das einzig definierende Merkmal Schwarzer Identität akzeptiert und die Widersprüche sowie Komplexitäten der Hip-Hop-Kultur anerkennt. Der Hip-Hop-Feminismus, so Morgan, müsse die „Grauzonen“ im Leben Schwarzer Frauen erfassen und aktiv mit diesen arbeiten (vgl. Morgan 1999: 40, „brave enough to fuck with the grays“).
Die Dimension der Öffentlichkeit
Gwendolyn Pough (2004) erweiterte die fundamentale Auseinandersetzung Morgans durch ihre postulierte Strategie des „Bringing Wreck“ als eine kraftvolle Form der Selbstemanzipation, die kulturimmanente Aspekte der Hip-Hop-Kultur aufgreift. Sie ermutigt Schwarze Frauen, ihre Meinungen deutlich und konfrontativ in den öffentlichen Diskurs einzubringen und aktiv ihren Platz in der Gesellschaft einzufordern.
In ihrem Verständnis von Öffentlichkeit stützt Pough sich auf die Theorien von Habermas (1989), kritisiert jedoch die eurozentrische und männlich geprägte Perspektive seines Modells. Sie hebt für die Durchdringung geltender Mechanismen das inklusivere Konzept der „Black Public Sphere“ (The Black Public Sphere Collective 1995) hervor. Innerhalb der Hip-Hop-Kultur identifiziert Pough spezifische Räume, die einer feministischen Agenda dienen und Aktivistinnen die Möglichkeit bieten, signifikante Veränderungen zu initiieren und voranzutreiben.
Hip-Hop-Feminismus für eine neue Generation
Durch ihre Forschungen haben auch Kyra Gaunt (2006) und Bettina Love (2017) neue Dimensionen im Bereich des Hip-Hop-Feminismus erschlossen. Gaunt untersucht die transformative Wirkung frühkindlicher Praktiken, die sowohl die Persönlichkeitsentwicklung Schwarzer Frauen prägen als auch das entscheidende Fundament für ihr zukünftiges Empowerment legen. Love bringt das Konzept der „Black Ratchet Imagination“ (Stallings 2013) in ihren Arbeiten ein, um einen affirmativen Raum zu schaffen. Dieser Rahmen fördert die Neugestaltung gesellschaftlicher Normen durch Hip Hop und zielt darauf ab, vorherrschende Erzählungen über Moral, Anstand und Geschlechterrollen zu demontieren. Zusammen unterstützen Gaunt und Love eine dynamische und inklusive Bewegung, die die Resilienz und Stärkung von Schwarzen Mädchen und queeren Jugendlichen fördert und sie gegen vielfältige Formen der Diskriminierung wappnet.
Das Hiphop Cinefest in Rom zeigt, wie Hip-Hop-Feminismus nicht nur in der Theorie diskutiert, sondern auch in der Praxis gelebt wird. Es ist ein Ort, an dem über bestehende gesellschaftliche Normen hinausgedacht und gemeinsam neue Räume der Selbstbestimmung geschaffen werden können.
Literatur
Gaunt, Kyra D. (2006): The Games Black Girls Play. Learning the Ropes from Double-Dutch to Hip-Hop. New York, London: New York University Press, 2006. https://doi.org/10.18574/nyu/9780814732731.001.0001
Habermas, Jürgen (1989): The Structural Transformation of the Public Sphere. An Inquiry into a Category of Bourgeois Society. Cambridge: MIT Press.
Halliday, Aria S./Payne, Ashley N. (2020): „Introduction: Savage and Savvy: Mapping Contemporary Hip Hop Feminism.“ In: Journal of Hip Hop Studies 7/1, Special Issue „Twenty-First Century B.I.T.C.H. Frameworks: Hip Hop Feminism Comes of Age“: 8–18. https://doi.org/10.34718/CZD8-QJ54
Hiphop Cinefest (2024): „Films 2024“, Übersicht der teilnehmenden Filme. URL: https://hiphopcinefest.org/films-2024 (25-08-2024).
Hiphop Cinefest YouTube Channel (2024): „Hip Hop – Feminism – Empowerment“. URL: https://www.youtube.com/watch?v=Y4mi2cxjivA (25-08-2024).
Love, Bettina L. (2017): „A Ratchet Lens: Black Queer Youth, Agency, Hip Hop, and the Black Ratchet Imagination.“ In: Educational Researcher 46/9: 539–47. https://doi.org/10.3102/0013189X17736520
Morgan, Joan (1999): When Chickenheads Come Home to Roost. A Hip-Hop Feminist Breaks It Down. New York, London et al.: Simon Schuster Paperbacks.
Pough, Gwendolyn D. (2004): Check It While I Wreck It. Black Womanhood, Hip-Hop Culture, and the Public Sphere. Boston: Northeastern University Press.
Rose, Tricia (1994): Black Noise. Rap Music and Black Culture in Contemporary America. Music/Culture. Hanover: University Press of New England.
Stallings, L. H. (2013): „Hip Hop and the Black Ratchet Imagination.“ In: Palimpsest: A Journal on Women, Gender, and the Black International 2/2: 135–39. https://doi.org/10.1353/pal.2013.0026
Süß, Heidi (2016): „Hip-Hop-Feminismus.“ In: Gender Glossar / Gender Glossary. URL: https://www.gender-glossar.de/post/hip-hop-feminismus (25-08-2024).
The Black Public Sphere Collective (1995): The Black Public Sphere: A Public Culture Book. Black Literature and Culture. Chicago: University of Chicago Press.
Zitation: Paula Rebecca Schreiber: Hiphop Cinefest – Feminismus von den Straßen auf die Leinwand, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 24.09.2024, www.gender-blog.de/beitrag/hiphop-cinefest/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20240924
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