15. Juni 2021 Charlotte Weber
„Wir als Tansanier/Afrikaner haben unsere eigenen Werte und Kulturen, die sich im Laufe von Jahren gebildet haben, die unsere Lebensweise bestimmt haben und die nur Ehen zwischen Mann und Frau anerkennen“, formulierten im Jahr 2010 die Bischöfe der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania (ELCT) in der sogenannten Dodoma-Erklärung (Die Bischöfe der ELCT 2011, S. 9f.). In dieser Erklärung verurteilten die Bischöfe der ELCT, mit ca. 7 Millionen Mitgliedern die zweitgrößte lutherische Kirche der Welt und entstanden aus der Arbeit deutscher Missionare zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Homosexualität als ‚unafrikanisch‘. Sie sei Ausdruck einer unmoralischen westlichen Moderne, deren Import die Kirche entschieden zurückweise. Die Dodoma-Erklärung kann als eine Reaktion auf Entscheidungen europäischer und US-amerikanischer Partnerkirchen, gleichgeschlechtliche Paare zu trauen, verstanden werden. Der Diskurs hat sich dabei seit seinem ersten Auftreten in Tansania im Tonfall und auch in der tatsächlichen Verfolgung sexueller Minderheiten verschärft.
Die Verbindung von Gender bzw. Sexualität und Nation ist bereits vielfältig erforscht worden (bspw. Yuval-Davis 2001, McClintock 1995). Bisher gibt es aber nur wenig explizite Forschung zur Verknüpfung dieser Kategorien mit Religion. Ich verstehe Religion dabei mit Ulrike Auga als eine diskursive Wissenskategorie (Auga 2020, S.3), deren Aufnahme in intersektionale Analysen in einem afrikanisch-tansanischen Kontext unerlässlich ist. So spielt Religion in Tansania (und zahlreichen weiteren afrikanischen Ländern) eine zentrale Rolle in Öffentlichkeit und Politik. Bei der ELCT selbst handelt sich um eine politisch sehr einflussreiche mainline church.
Context matters!
Die Nicht-Akzeptanz von Homosexualität wird in westlichen Ländern häufig als eine Art Beweis für die ‚Rückständigkeit‘ des afrikanischen Kontinents gesehen und Afrika als ‚Kontinent der Homophobie‘ beschrieben. Dies folgt einer langen Tradition von kolonialen Zuschreibungen, in der Afrika als sexuell deviant konstruiert wurde und als ein Kontinent, der sich erst noch nach westlichen Maßstäben entwickeln müsse. Europa hingegen wird seit Beginn der Kolonialzeit als „sexuell exzeptionell“ (Dietze 2019), modern und fortschrittlich gezeichnet. Diese rassistische Denkfigur rechtfertigte auch regulierende Eingriffe in das Intimleben der einheimischen Bevölkerung durch Kolonialbesatzung und Missionare (Stoler 2002). Es ist wichtig, sich bei der Untersuchung der Kontroverse um Homosexualität dieser kolonialen Kontinuitäten bewusst zu werden. Ich möchte diese problematische Essentialisierung von ‚afrikanischer Sexualität‘ zurückweisen. Stattdessen soll der Diskurs um Homosexualität in der ELCT als Ausdruck eines Konflikts verstanden werden, in dem sich „konfligierende Versionen von Modernität mit unterschiedlichen Verständnissen von Sexualität, Mensch-Sein, Menschenrechten und dem Verhältnis von Religion und Politik“ (Klinken/Chitando 2016, S. 5) treffen.
Essentialisierung von reproduktiver Heteronormativität
In den Erklärungen der Lutherischen Tansanischen Kirche kann insgesamt eine Kulturalisierung, bzw. Essentialisierung von reproduktiver Heteronormativität (Spivak 2007) festgestellt werden. Die ‚tansanische Kultur‘ wird in den Erklärungen der Kirche als traditionell auf Heteronormativität basierend konstruiert. Offen ausgelebte Homosexualität wird als gemeinschaftsschädigend verstanden, da sich diese Menschen der gesellschaftlichen Pflicht, Kinder zu zeugen, entziehen würden. Homosexualität wird von Vertreter*innen der ELCT als fremdes, westliches Wissen abgelehnt, das nicht tansanischen Traditionen entspreche. Das Gleiche gilt aber nicht für das Christentum, das ebenfalls ein westlicher Import ist. Stattdessen erklären Vertreter*innen der ELCT tansanisch-afrikanische Traditionen für kompatibel mit der Bibel, deren Menschenbild ebenfalls als heteronormativ essentialisiert wird. Damit werden afrikanisch-tansanische Kultur und christliche Werte gleichgesetzt, was die Grundlage dafür bildet, dass sich die ELCT in Diskurse um nationale Zugehörigkeit einbringt.
Von der ‚Reinheit des Christentums‘ zur ‚Reinheit der Nation‘
In den Debatten der ELCT habe ich zwei Hauptmotive identifiziert, die miteinander verknüpft sind. Zum einen inszeniert sich die ELCT in ihren Stellungnahmen als die Bewahrerin der ‚Reinheit‘ des Christentums und zum anderen darüber hinaus auch als Bewahrerin der ‚Reinheit‘ der Nation. Mit Mary Douglas deutet die Verwendung von Reinheitsmotiven in Diskursen darauf hin, dass eine Gefahr von gesellschaftlicher Unordnung konstruiert wird (Douglas 2010 [1966]). Reinheitsdiskurse werden dabei besonders häufig über Körper und Sexualitäten verhandelt. Hoel, Wilcox und Wilson formulieren dies so:
„Bodies and sexualities are particular sites wherein controversies emerge and create broader contestations, inside of religious traditions and relating to broader community and national contexts, about who gets to say what, when and where” (Hoel/Wilcox/Wilson 2021, S. 59).
In den diskursiven Figuren der ELCT kristallisieren sich also verschiedene Machtbeziehungen und Ordnungsvorstellungen von Gesellschaft heraus. So werfen die Bischöfe der ELCT in der Dodoma-Erklärung ihren westlichen Partnerkirchen vor, mit ihrer Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Beziehungen die biblischen Grundlagen des Christentums zu verlassen und einem modernen Zeitgeist zu folgen, der das Fundament der Christenheit anzugreifen drohe. Ebenfalls werfen sie ihren Partnerkirchen Opportunismus vor, da sie sich politischem Druck in ihren Heimatländern beugen würden und Angst hätten, ihre Privilegien zu verlieren, wenn sie gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht akzeptierten. Die ELCT selbst hingegen wird als standhaft und prinzipientreu gezeichnet: „Es ist zwingend erforderlich, dass die Kirche sich nach Werten und Prinzipien richtet, die feststehen, auch gegen wissenschaftliche, kulturelle, politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und andere Kräfte“ (Die Bischöfe der ELCT 2011, S. 9).
Die zunehmende Akzeptanz von Homosexualität in Europa wird dabei vor allem auf Säkularisierung zurückgeführt. Europa wird als ein Ort des Werterelativismus, als entkirchlicht und somit auch als unmoralisch gezeichnet. Im Gegensatz dazu werde in Tansania bzw. Afrika noch die Flagge des Christentums hochgehalten. Diese Interpretation stellt eine interessante Umkehr des historischen Verhältnisses zu Beginn der Mission dar, als westliche Missionare den afrikanischen Kontinent als gottlos beschrieben. Die ELCT verteidigt in ihrem Selbstverständnis so die Reinheit des Christentums, die in Europa und den USA schon als verloren erscheint. Sie positioniert sich damit als moralisch erhöht – wenn sie auch weiterhin finanziell abhängig von Zuwendungen der Partnerkirchen bleibt.
Kirche als Wächterin über die moralischen Grundlagen der Nation
Säkularisierung und Abkehr von Christentum bzw. Religion an sich werden von den Bischöfen der ELCT als Wurzel des Übels identifiziert. An dieser Stelle kommt die Verknüpfung der ‚Reinheit‘ des Christentums mit der ‚Reinheit‘ der Nation zum Tragen. So werden Religion, öffentliche Moral und Nation von den Vertreter*innen der ELCT als miteinander verbunden verstanden. Die moralische Ordnung der Nation baut in ihrem Verständnis auf religiösen Werten auf. Eine Schwächung der Religion bedeutet so auch eine Schwächung der Nation. Eine starke religiöse Grundlage – bzw. im Fall der ELCT eine starke Lutherische Kirche – erscheint wiederum als Garant für ein moralisch starkes Land. Die Kirche nimmt so eine ‚Wächterfunktion‘ ein, durch die sie immer eingreifen muss, wenn die moralischen Grundlagen des Staates bedroht sind. Die Erhaltung der Reinheit der Nation wird so für die Lutherische Kirche zur religiösen Pflicht, da sonst die moralischen Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens als gefährdet erscheinen.
Durch Reinheitsmotive wird von den verantwortlichen Personen in der ELCT also ein Bedrohungsszenario aufgebaut, indem sowohl die Lutherische Kirche, das Christentum an sich wie auch die tansanische Nation als in Gefahr konstruiert werden. Die ELCT arbeitet so aktiv an der Konstruktion einer tansanischen, postkolonialen, heteronationalistischen Identität mit. Dies führt zur Exklusion von sexuellen Minderheiten aus dem nationalen Projekt und trägt zu ihrer Marginalisierung und Stigmatisierung bei.
Literatur
Auga, Ulrike E. (2020): An Epistemology of Religion and Gender: Routledge.
Die Bischöfe der ELCT (2011): Dodoma-Erklärung zur gleichgeschlechtlichen Ehe vom 07.01.2010. In: Habari (2), S. 6–13. Zugriff am 10.06.2021 unter https://tanzania-network.de/sites/default/files/Habari_Heft/HABARI_2011_2.pdf.
Dietze, Gabriele (2019): Sexueller Exzeptionalismus. Überlegenheitsnarrative in Migrationsabwehr und Rechtspopulismus. Bielefeld: transcript.
Douglas, Mary (2010 [1966]): Purity and Danger. An Analysis of Concepts of Pollution and Taboo (reprint). London: Routledge.
Hoel, Nina; Wilcox, Melissa M. & Wilson, Liz (2021): Religion, the body, and sexuality. An introduction. Abingdon, Oxon, New York: Routledge.
Klinken, Adriaan van & Chitando, Ezra (2016): Introduction. Public Religion, Homophobia and the Politics of Homosexuality in Africa. In: Adriaan van Klinken & Ezra Chitando (Hg.): Public Religion and the Politics of Homosexuality in Africa. London: Routledge, S. 1–16. https://doi.org/10.4324/9781315602974
McClintock, Anne (1995): Imperial Leather. Race, Gender and Sexuality in the Colonial Contest. New York: Routledge.
Spivak, Gayatri (2007): Feminism and Human Rights. Eleven. In: Nermeen Shaikh (Hg.): The Present as History. Critical Perspectives on Contemporary Global Power. New York: Columbia University Press, S. 172–201.
Stoler, Ann Laura (2002): Carnal Knowledge and Imperial Power : Race and the Intimate in Colonial Rule. Berkeley: University of California Press.
Yuval-Davis, Nira (2001): Geschlecht und Nation. Emmendingen: verlag die brotsuppe.
Zitation: Charlotte Weber: Religion, Gender, Nation: Homosexualität in Tansania, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 15.06.2021, www.gender-blog.de/beitrag/homosexualitaet-tansanisch-lutherische-kirche/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20210615
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