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Forschung

Gegen das Elend von „Insole Girls“ – kostenfreie Menstruationsprodukte in Südkorea

04. Juni 2024 Ju Yun Park Chang Hee Wi

Mit dem Menstrual Hygiene Day (MH Day) wird angestrebt, Menstruation und die Tabuisierung der Periode als transnationales Problem anzuerkennen und den diskriminierenden Alltag menstruierender Menschen gemeinsam zu bekämpfen. Die Aktion #PeriodFriendlyWorld erreichte mehr als 1.000 Netzwerkpartner*innen unter der Maxime: „[T]he annual global day of awareness and action to create a world where no one is held back because they menstruate by 2030“.

Südkorea feiert jährlich den MH Day, organisiert Periodenmessen und -läden und arbeitet seit 2016 daran, das kollektive Verständnis für die Menstruation als natürlichen Körperprozess zu fördern und für das Gesundheitsrecht menstruierender Menschen zu kämpfen. Ziel ist, über die Menstruation zu sprechen und Wissen darüber zu verbreiten, anstatt sie zu beschönigen oder zu tabuisieren (vgl. Kim 2021). Dieser Beitrag greift die Menstruationsdebatte in Südkorea auf und reflektiert ihre Auswirkungen.

Der Schuhsolen-Skandal

Die südkoreanische Öffentlichkeit erhielt 2016 einen Weckruf durch die sozialen Medien. Die Posts von menstruierenden Jugendlichen, die als „Insole Girls“ bekannt wurden, enthüllten eine unvorstellbar prekäre Situation: Sie verwendeten Handtücher oder in Toilettenpapier eingewickelte Schuhsohlen als Ersatz für Hygienebinden. Anderenfalls blieben sie während ihrer Periode der Schule fern, weil sie sich keine Menstruationsprodukte leisten konnten. Indem die Jugendlichen auf diesen Missstand aufmerksam machten, attestierten sie der südkoreanischen Gesellschaft eine gravierende Ignoranz hinsichtlich Menschenrechts-, Gesundheits- und Frauenpolitik und sexualpädagogischer Bildungsarbeit. Im Vordergrund stehen monetäre Interessen. Beispielsweise kündigte das südkoreanische Unternehmen für Menstruationsartikel, Yuan-Kimberly, kurz vor dem Schuhsohlenbinde-Skandal eine Preiserhöhung um 20 % an, nahm diese jedoch aufgrund der Social-Media-Aktion zurück und versprach stattdessen Spenden von Hygieneprodukten (vgl. Kim 2019/Park 2016).

An diesem Vorfall zeigt sich einmal mehr, wie in einer patriarchalen Gesellschaft die Tatsache des Menstruierens tabuisiert, übersehen und vernachlässigt wird. Die Folgen dieser Geschlechterpraxis verdienen eine kritische Betrachtung, denn sie treffen eine marginalisierte Bevölkerungsgruppe: Jugendliche, die zwischen den fremdgesteuerten Herausforderungen aus Beschämung, nicht behandelten Gesundheitsfragen, Kosten, Unterleibskrämpfen und vielem mehr ihren sich entwickelnden Körper und seine Prozesse erleben. Für dieses Elend sind sie nicht selbst verantwortlich.

Soziale Benachteiligung

Liest man die Erfahrungsberichte (oder eher die Hilfeschreie) in den Posts der „Insole Girls“ durch die Brille sozialer Differenzkategorien, wird ihre Notlage überdeutlich. Sie leben entweder in den Haushalten von Ein-Elternteil-Familien oder bei den Großeltern, die für ihre Enkelkinder sorgen müssen. Wenn sie zum ersten Mal ihre Periode bekommen, wissen sie nicht, an wen sie sich wenden sollen. Die meisten von ihnen haben mit einem niedrigen Einkommensstatus zu kämpfen. Aktuell kostet in Südkorea eine Packung mit 32 Binden umgerechnet etwa 5 Euro, während der Mindeststundenlohn bei etwa 6,60 Euro liegt (vgl. Kim 2024). Das bittere Ergebnis des ungleich und ungerecht verteilten Zugangs zu Wissen über die Periode und zu Menstruationsprodukten manifestiert sich im Umgang mit Binden: „Das Erlernen des Tragens von Binden, das Erlernen der Entsorgung von gebrauchten (Binden) und […] das Beachten regelmäßigen Bindewechselns alle zwei bis drei Stunden aus hygienischen Gründen kann für manche keine Selbstverständlichkeit sein“ (vgl. Park 2016: 79; Übersetzung a. d. Koreanischen JYP).

Schaffung gesetzlicher Grundlagen

Die Stadt Seoul führte 2018 eine Online-Befragung durch, um kollektive Meinungen dazu einzuholen, ob Notfall-Hygieneprodukte in den Toiletten öffentlicher Einrichtungen bereitgestellt werden sollten. Mehr als 80 % der Befragten gaben an, bereits eine sehr unangenehme Notsituation erlebt zu haben, weil sie gerade keinen Hygieneartikel dabeihatten. Über 90 % stimmten für die Bereitstellung dieser Produkte. Diese Umfrageergebnisse deuten darauf hin, dass Menstruationsprodukte als lebenswichtige Güter, vergleichbar mit Toilettenpapier, verstanden werden sollten und ihre Bereitstellung eine breite gesellschaftliche Unterstützung benötigt (vgl. Wi 2021: 44ff.).

Um eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, engagierten sich Aktivist*innen verschiedener Organisationen und Parteien, darunter der Verband für Alleinerziehende in Korea und das Gender Equality and Family Committee. Sie schlugen eine Änderung der Grundverordnung für das Geschlechtergleichstellungsgesetz der Stadt Seoul vor. Somit wurde der Artikel 25-2 über Förderungsprogramme der Frauen*gesundheit um zwei Absätze erweitert und ergänzt: Erstens kann der/die Bürgermeister*in lebensnotwendige Artikel für das Recht von Gesundheit und Hygiene von Frauen* im gebärfähigen Alter in öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung stellen, um auf Notfälle vorbereitet zu sein. Zweitens kann der/die Bürgermeister*in das Ausmaß, den Umfang und Produkte sowie andere erforderliche Entscheidungen für die Unterstützung von Artikeln gemäß Absatz 1 separat festlegen (vgl. Wi 2021: 44ff.).

Ein neues Bewusstsein …

Nach einer zweimonatigen Pilotphase in insgesamt elf öffentlichen Einrichtungen wurde das Projekt „Public Sanitary Support Policy for Menstrual Health Equity“ im Jahr 2019 vom koreanischen Verband YMCA fortgesetzt (Wi 2021). Insgesamt wurden in 202 Einrichtungen Automaten für kostenfreie Menstruationsartikel eingerichtet. Bis 2021 erhöhte sich die Anzahl der teilnehmenden Einrichtungen auf 299, darunter 36 private Organisationen, die durch Spenden verschiedener Unternehmen unterstützt wurden. Das Projekt wurde durch zusätzliche Maßnahmen wie die Kampagne „Pads, Human Rights!“ (vgl. Abb.) und Bildungsarbeit begleitet und ergänzt (vgl. Wi 2021: 48f.).

Sharepic der Kampagne "Pads, Human Rights!" auf Instagram

Ziel dieser Initiativen war es, ein neues Bewusstsein für Menstruation als alltägliches Körpergeschehen zu schaffen und eine möglichst breite Bevölkerungsgruppe anzusprechen. Die kollektiven Bemühungen der Stadt Seoul zur Bekämpfung der Periodenarmut wurden 2019 mit dem UN Public Service Award (UNPSA) ausgezeichnet. Damit wurde sowohl das Menstruationsrecht als Gesundheitsrecht anerkannt als auch das gemeinschaftliche Handeln gewürdigt.

… und bleibende Herausforderungen

Das Projekt zur Bereitstellung kostenfreier Menstruationsbinden steht jedoch vor mehreren Herausforderungen. Obwohl die Anzahl der Automaten für kostenfreie Menstruationsbinden noch erhöht werden könnte, gibt es bereits Diskussionen um ihre Sichtbarkeit an öffentlichen Orten. Die Hygieneartikel werden nach wie vor nicht als vorbehaltsfreie Gegenstände betrachtet und bleiben stigmatisiert. Diese Stigmatisierung und die damit verbundenen gesellschaftlichen Tabus bremsen die aktive Teilnahme der Kommunen am Projekt und die Installation weiterer Automaten.

Während der COVID-19-Zeit (2020–2022) gingen die Spenden und Finanzierungsmöglichkeiten für das Projekt zurück und haben sich seither nicht erholt. Ein weiterer kritischer Punkt ist die Heterogenität der Maßnahmen zur Bekämpfung der Periodenarmut. Das derzeitige Menstruationsrecht berücksichtigt nicht alle menstruierenden Menschen gleichermaßen, insbesondere nicht Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Daher ist eine umfassende Neugestaltung des Menstruationsrechts erforderlich, um soziale Ungleichheiten anzugehen und die verschiedenen wirtschaftlichen, kulturellen, juristischen und medizinischen Herausforderungen in Schulen, auf dem Arbeitsmarkt und im Alltagsleben zu bewältigen, die zu Unterdrückung und Benachteiligung führen.

Eine weiterhin drängende Frage

Der ambivalente gesellschaftliche Diskurs über die Menstruation, der unseres Erachtens auf die subtile Verschränkung verschiedener Diskriminierungsdimensionen zurückzuführen ist, stellt menstruierende junge Menschen ins Abseits. Dies verdichtet sich im Schicksal der „Insole Girls“ als Menstruationsarmut. Diese Mädchen sehen sich gezwungen, improvisierte und unhygienische Lösungen zu nutzen. Durch Schweigen, Orientierungslosigkeit und Fernbleiben von der Schule verschärft sich ihre Lage. Nach jahrzehntelangen Bemühungen im Bereich der sexualpädagogischen Bildungsarbeit, die einen bewussten und respektvollen Umgang mit dem eigenen Körper fördern sollte, sind diese Ergebnisse ernüchternd.

Haben wir wirklich einen selbstbestimmten Zugang zu unserem Verständnis körperlicher Prozesse? Die Unterdrückung der Menstruation ist nicht nur in der südkoreanischen Gesellschaft, sondern auch anderen Orts eine drängende Frage. Um die mit Scham, Ekel und dem Konzept der Unreinheit verbundene Stigmatisierung der Menstruation abzubauen, bedarf es weiterhin gemeinschaftlicher Anstrengungen. Eine breite gesellschaftliche Basis ist gefordert, um negative Deutungen und die damit einhergehende Praxis der Unterordnung und Ausschließung von als weiblich gelesenen Menschen kritisch zu hinterfragen und durch neue Sichtweisen zu ersetzen. Den Anfang machen wir, indem wir ohne Angst vor Abwertung über unsere Periode und unsere körperlichen Vorgänge dabei sprechen.

Literatur

Kim, Chae Yoon (2021): Es ist nicht ‚an diesem Tag‘, es ist ‚Menstruation‘ ... Lassen Sie uns nun über die „Menstruationssphäre“ sprechen. Warum wir über Menstruation und Menstruationsarmut sprechen müssen (Titel aus dem Koreanischen übersetzt von JuYun Park). Zugriff am 03.06.2024 unter https://www.pressian.com/pages/articles/2021050612484139228.

Kim, Hee Ryang (2024): 10 Millionen Won in einem ganzen Leben ... Sollten wir es „Gold-Binde“ nennen [Weltmenstruationstag] (Titel aus dem Koreanischen übersetzt von JuYu Park). Zugriff am 03.06.2024 unter https://n.news.naver.com/article/016/0002313541?sid=101.

Kim, Hyung Eun (2019): Die Kontroverse um die Menstruation nach dem Schuhsohlen-Binden Skandals (Titel aus dem Koreanischen übersetzt von JuYu Park). Zugriff am 03.06.2024 unter https://www.bbc.com/korean/news-48250073

Park, Hyo Jin (2016): Die Würde der Mädchen. Es tut mir leid, dass ich sie nicht schützen kann (Titel aus dem Koreanischen übersetzt von JuYu Park). Zugriff am 03.06.2024 unter https://www.dbpia.co.kr/pdf/pdfView.do?nodeId=NODE11655920.

Wi, Chang Hee (2021): Menstruationsbinden als öffentliche Güter. Pads, Human rights. In: Projektbericht für Menstruationsforum 2021: Menstruation für alle (Titel aus dem Koreanischen übersetzt von JuYu Park), S. 43–54. YMCA Korea. Zugriff am 03.06.2024 unter https://drive.google.com/file/d/1JESbdRynPDRqTAlwhdcDbTQdja_Jdsq2/view?pli=1.

Zitation: Ju Yun Park, Chang Hee Wi: Gegen das Elend von „Insole Girls“ – kostenfreie Menstruationsprodukte in Südkorea, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 04.06.2024, www.gender-blog.de/beitrag/insole-girls-menstruation-suedkorea/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20240604

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Ju Yun Park

Ju Yun Park arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik an der Technischen Universität Darmstadt. Ihre Lehr- und Forschungsschwerpunkte umfassen Rassismuskritik, Intersektionalität und Geschlechterdiskurse mit den Schwerpunkten Geschlechtskonstruktion, Bildung und Migrationsgesellschaft.

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Chang Hee Wi

Als Projektleitung bei YMCA Korea engagierte sich Chang Hee Wi vier Jahre (2019 bis 2022) für das öffentliche Projekt der Stadt Seoul zur Bereitstellung von Menstruationsprodukten für Frauen*. Derzeit ist sie tätig im Bereich Gewaltprävention für die Rechte von Frauen* und Jugendlichen bei Beratungsstellen, Aha-Center Sexuality Education & Counseling Center for Youth und Korean Center for Youth.

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