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Interview

Filme zum Schreien, voller Soul und Zuversicht. Maxa Zoller im Interview

01. September 2020 Maxa Zoller Uta C. Schmidt

Vom 9. bis 13. September 2020 findet in Köln, in Dortmund und im Internet das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund | Köln (IFFF) statt. Uta C. Schmidt sprach mit der Festivalleiterin Dr. Maxa Zoller.

Welches Publikum kommt zum IFFF Dortmund | Köln?

Das Frauenfilmfestival, ein Name, den wir auch intern kritisch betrachten, stammt ursprünglich aus dem Kontext des Frauenfilms der 1980er-Jahre. In den Nuller-Jahren gab es vermehrt die Haltung, dass ‚frau‘ doch schon alles erreicht hätte und keine Frauenfilme mehr bräuchte. Nun, wieder eine Generation danach, merken wir einen neuen Bezug: Die junge Generation – gemeint sind die twenty somethings von heute – findet Feminismus wieder cool, Emanze ist kein Schimpfwort mehr, denke an die Aktion Emanzenexpress in Bochum. Der Name „Frauenfilmfestival“ wird von dieser Generation wieder sehr viel positiver angenommen. Natürlich müssen wir uns diese Resonanz weiter erarbeiten, aber dieser Generation müssen wir „Frauenfilmfestival“ nicht mehr erklären, sie verstehen, warum dieses Festival existiert.

Was sind filmisch die aufregendsten Entwicklungen?

Die aufregendsten Entwicklungen sind eigentlich die unaufregendsten. Was ich damit meine, ist, dass es Filme gibt, die viel Soul und Wärme haben und unaufgeregt, aber zielstrebig einer starken inneren Vision folgen. Das sind immer die schönsten Einreichungen beim Wettbewerb, wie in diesem Jahr zum Beispiel Mariam, ein Debütfilm aus Kasachstan, Nackte Tiere von Melanie Walde, Adam von Maryam Touzani und natürlich unser brasilianischer Preisträgerinnenfilm A Febre von Maya Da-Rin. Der Film thematisiert die dramatischen Veränderungen im Lebensumfeld eines indigenen Charakters, Justino vom Volk der Desana. Da-Rin findet eine hypnotische Bildsprache, um uns die schwierige Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne zu vermitteln, die indigene Kulturen in der brasilianischen Geschichte seit der Kolonialzeit gehen müssen. Auch der Film des letzten Festivals Gott existiert, ihr Name ist Petrunya von Regisseurin Teona Strugar Mitevska war ganz sicher in seiner Vision: Er handelt von einer jungen Frau, die bei einem alten Männerritual mitmacht, als Siegerin hervorgeht und mit diesem Tabubruch halb Mazedonien gegen sich aufbringt. Der Film trägt viele Punk-Elemente in sich, doch ist er zutiefst konsequent: Die Frau, die das Kreuz aus dem Bach herausfischt, wird am Schluss des Filmes als Heldin dastehen.

Aber natürlich ist unser Debütspielfilmwettbewerb nicht homogen. Wir gehen auch auf Risiko! Die Regisseurin Tonia Mishiali aus Zypern zeigt in ihrem Film Pause – das steht für ‚Menopause‘ –, wie sich ihre hormonelle Heldin ihre Freiheit erkämpft. Ein Thema, dass viel zu wenig besprochen wird. Der Taiwanesische Film Heavy Craving sprüht nur so vor dramaturgischen Experimenten. Die kräftige Hauptfigur Ying-Juan hat einfach keinen Bock mehr, sich wegen ihrer Körpergröße fertigmachen zu lassen, und hegt wilde Träume gegen Weight Watchers, ein Film zum Schreien!

Riot, don‘t diet …

Ja genau! Es geht hier um Fragen der body normativity. Wir wollen aber body positivity! Der Film ist ein gutes Beispiel für das, was wir in einem Debütfilm suchen: Die Regisseurin möchte alle ihre Ideen auf einen Schlag auf die Leinwand bringen. Dabei entsteht etwas, das noch roh ist, aber eine ungeheure Energie in sich trägt. Diese Filme hauen dich aus dem Sessel!

Am Ende tun formale Innovationen weniger zu Sache. Wichtig ist, dass die Filme eine Verbindung zum Publikum herstellen. Das können Regisseurinnen sehr gut, sie arbeiten sehr subtil und vielschichtig – vielleicht sogar besser als ihre Kollegen.

Wohin müsste es im Filmgeschäft gehen?

Ich wünschte mir zum Beispiel, dass die Förderstrukturen an die Vielfalt, die es in Deutschland gibt, angepasst werden. Gremien und Jurys sollten so besetzt sein, dass sie der Vielfalt in der Gesellschaft entsprechen, und dass sich die Erfahrungen, die die Jurymitglieder in den Drehbüchern vorfinden, auch in den dann geförderten Filmen widerspiegeln. Ich wünschte mir auch, dass die Stimmen der Aktivist*innen und Künstler*innen, die ja immer lauter werden, gehört werden.

Hoffnung setze ich zum Beispiel in Futur Drei von dem in Köln geborenen Regisseur Faraz Shariat, ein Coming-of-Age-Film nach dem Drehbuch von Paulina Lorenz. Dieser sehr feine, weise Film, dem es aber auch an Humor nicht fehlt, formuliert ganz klar, wo die Probleme in diesem Land liegen: Es gibt (in)direkte rassistische Strukturen, binäre Strukturen, so auch die Unterscheidung zwischen E und U, also zwischen „ernster Kultur“ und „Unterhaltung“, die sehr prägend für das kulturelle Leben in diesem Land ist. Also entweder ist es unterhaltsamer Klamauk oder ernster Realismus. Die feinen Grautöne dazwischen zu sehen, muss Deutschland jetzt lernen.

Wir haben keinen Intellektuellen wie Stuart Hall, der mit den cultural studies die Trennung von E und U aufgelöst hat. Für ihn hatte die Analyse eines Modestils einer community den gleichen Stellenwert wie die Beschreibung eines Gemäldes meinetwegen von Raffael …

Wir sollten dieses Problem vielleicht auch im Kontext eines speziellen ‚Germanozentrismus‘ diskutieren. Hier herrscht eine unglaubliche Sicherheit, dass das, was die Deutschen als ein kleines, jedoch wirtschaftlich starkes Land machen, universelle Wertigkeit besitzt. Hier muss man sich einfach nicht hinterfragen, das spüre ich ganz stark: Wir haben unsere Autoindustrie, unsere Kultur. Der sogenannte Wohlfahrtsstaat spielt sicherlich mit hinein, dann die Haltung, dass man nach dem Zweiten Weltkrieg ein System aufgebaut hat, das letztlich über den Kommunismus gesiegt hat. Hier ist man der Überzeugung, dass man auf dem richtigen Weg ist – dies beschreibt auch die deutsche Theoretikerin und Akademikerin Fatima El-Tayeb, deren Analysen sehr viel Interesse in den USA wecken, die hier aber kaum jemand kennt. Dieser Glaube an die Universalität des eigenen Standpunkts, die ist strukturell so stark, dass kaum Veränderungen zugelassen werden.

Hast Du das Gefühl, dass es vor diesem Hintergrund schwieriger wird, avancierte Filme zu machen? Für alle, aber auch für Frauen*?

Das kann ich schlecht beantworten, weil ich noch nicht lange in der Festivalbranche arbeite, ich komme ja aus dem Experimentalfilm. Grundsätzlich würde ich hier mit „Ja“ antworten, denn es ist allgemein spürbar, dass der Konsensdruck immer stärker wird. Die neoliberale Privatisierung ruft einen neuen Konservatismus hervor. Du musst heute noch mal härter kämpfen als in den 1990er-Jahren, als das öffentliche Fernsehen junge Regisseurinnen gefördert hat, denk nur mal an Angelina Maccarone, deren erste Filme waren ja Fernsehfilme. Das hat sich geändert. Und obwohl vieles technisch einfacher geworden ist, würde ich sagen, ja, es ist für kreative, kritische Köpfe ideologisch gesehen schwieriger geworden.

Erzähl uns von Filmen, die in der Herbstausgabe des IFFF Dortmund | Köln zu sehen sind.

Im queeren Programm geht es zum Beispiel viel um Körper und Körperräume. Für ihren Film Queer Genius hat Chet Pancake unglaublich beeindruckende lesbische und queere US-amerikanische Künstler*innen besucht: Angefangen bei Barbara Hammer, über Eileen Myles und das afrofuturistische Kollektiv Black Quantum Futurism, bis zur Performerin Dynasty Handbag. Das Material, das Pancake zusammengetragen hat, ist inspirierend. Und so wird man diese Künstlerinnen nie wieder zusammen erleben können, denn ihre Kunst ist kein Mainstream! Es geht um eine einmalige Kunst, bei der du dich entweder wegschmeißt vor Lachen oder dich der Poesie hingibst. Den Film auf einer großen Leinwand zu sehen – da freue ich mich sehr drauf.

Beim Fokus-Programm geht es um die Nachwendezeit aus der Sicht ostdeutscher Regisseurinnen. Das Thema liegt mir schon lange am Herzen. Wir haben ein Programm, das Dokumentarfilme über diese Zeit so zusammen zeigt, wie sie noch nie gesehen wurden. Darunter sind neuste Filme wie Gundermann Revier von Grit Lemke, aber auch historische Schätze wie Berlin-Prenzlauer Berg von Petra Tschörtner.

Ich freue mich auf den Film „Becoming Black“ …

Ja, dieser Film aus der Fokus-Sektion ist unser Eröffnungsfilm. Ich bin sehr gespannt auf die Diskussionen mit der Regisseurin Ines Johnson-Spain. Ines ist als Schwarzes Kind mit weißen Eltern aufgewachsen und musste sich ihre Geschichte mühsam erarbeiten. Wir haben einen deutschen Film für die Eröffnung ausgesucht, denn es ist unser politisches Anliegen, erstmal vor der eigenen Haustür zu kehren, anstatt Probleme wie Diskriminierung immer nur in andere Länder zu verlegen. Der Film wird übrigens in Köln und Dortmund zu sehen sein.

Was verbirgt sich hinter dem geradezu investigativen Titel „IFFF packt aus“?

Die Wissenschaftlerin Kat Gorska hat bei uns im Archiv lange recherchiert über Experimentalfilme von Frauen aus den 1970er- und 1980er-Jahren. Das künstlerische Programm ist etwas Besonderes, denn diese Filme sind nicht oft zu sehen. Sie wurden einstmals sowohl auf der Feminale in Köln als auch bei der Femme Totale in Dortmund, unseren beiden Vorläuferfestivals, gezeigt. Stell dir das Programm wie ein Mixtape vor, ich bin gespannt, wie es klingt, wenn ein Film in den anderen übergeht.

Wo liegt die Kraft des Festivals?

Die Kraft des Festivals liegt nicht ausschließlich, wie oft angenommen, in der Gegenüberstellung „Arthouse“ versus „Mainstream“. Die Kraft des Festivals liegt eher in seiner Fähigkeit, innovative und engagierte Stimmen zusammenzubringen, die gemeinsam laut und deutlich das ans Licht (des Projektors) bringen, was wir für wichtig halten. Wir sind also community building, generieren neue Zielgruppen und ein Filmpublikum, das sich in den kommerziellen Medien eher verloren fühlt. Ich sage dies nicht aus einem 'Multikultiansatz' heraus, à la „Wir sind dann schön bunt und exotisch“, sondern aus einer politischen Dringlichkeit heraus.

Zitation: Maxa Zoller im Interview mit Uta C. Schmidt: Filme zum Schreien, voller Soul und Zuversicht. Maxa Zoller im Interview, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 01.09.2020, www.gender-blog.de/beitrag/internationales-frauenfilmfestival/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20200901

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Dr. Maxa Zoller

Seit 2018 künstlerische Leiterin des Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund | Köln; Expertin für Experimentalfilmgeschichte; Lehrtätigkeiten an verschiedenen Universitäten, u.a. an der Amerikanischen Universität Kairo, am Londoner Goldsmiths College und Sotheby’s Institute of Art; von 2014 bis 2018 verantwortlich für das Filmprogramm der Art Basel.

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Dr. Uta C. Schmidt

Historikerin und Kunsthistorikerin; Forschungen an den Schnittstellen von Raum, Wissen, Geschlecht und Macht; Publikationen zu Klöstern, Klanggeschichte und Geschichtskultur; wiss. Mitarbeiterin im Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW; Kuratorin im DA. Kunsthaus Kloster Gravenhorst; Mitherausgeberin von www.frauenruhrgeschichte.de.

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