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Headergrafik: Clara Radermacher (Foto), Schriftzug am Wuppertaler Hauptbahnhof

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„Klima-Revolution?!“ Feministische Einsätze für das Lebendige

21. Mai 2024 Clara Radermacher

Organisiert von KommilitonInnen aus dem Masterstudiengang „Bildungstheorie & Gesellschaftsanalyse“ an der Universität Wuppertal, entfaltete sich auf der „Frühlingsakademie Klima-Revolution?!“ vom 21. bis 23. März ein transdisziplinär-wissenschaftlicher und aktivistischer Austausch über Fragen um die gegenwärtige Klimakrise und Möglichkeiten ihrer Bewältigung. Mindestens implizit wurden dabei immer wieder auch feministische Perspektiven eröffnet, die dem Nachdenken über eine Revolution für Nachhaltigkeit nicht fehlen dürfen und im Mittelpunkt des folgenden Beitrags stehen. 

Die Krise steckt im System

Bereits im Ankündigungstext der Tagung nahm das Organisationsteam vorweg, wie herausfordernd eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Klimakrise ist: Denn diese kann, so der Befund der OrganisatorInnen, nicht lediglich als die offensichtliche, ökologische Krise der Natur begriffen werden. Vielmehr ist sie wesentlich auch als Krise der in ihrer Kälte erhitzten gesellschaftlichen Verhältnisse“ (s. Ankündigungstext) zu verstehen, die die Notlage der Natur v. a. durch ihre kapitalistische Wirtschaftsweise allererst verursachen und sich zugleich durch ein Unvermögen auszeichnen, ihr effektiv entgegenzutreten. Darüber hinaus produzieren und verschärfen sich in diesen Verhältnissen weitere Krisen – im Verlauf der dreitägigen Frühlingsakademie insbesondere in Gestalt neoliberaler Herrschaftsmechanismen sowie des international erstarkenden Faschismus diskutiert –, die die ökologische Krise zusätzlich verstärken und ebenso von ihr verstärkt werden. Dank dieser bereits zum Ausgangspunkt gemachten und im Programm der dreitägigen Veranstaltung verschiedentlich bestätigten Krisendiagnose(n), konnten die Teilnehmenden ihre Aufmerksamkeit auch der sich daraus ergebenden Auseinandersetzung darüber widmen, ob eine Revolution für nachhaltige Transformationen notwendig ist“ (s. Ankündigungstext). An diese weitgehend bejahte Frage schlossen sich Diskussionen darüber an, ob eine solche Revolution – angesichts der umgreifenden Fantasielosigkeit des kapitalistischen Realismus – auch möglich ist, wie oder mit wem sie zu gestalten wäre.

Ungleiche Betroffenheiten

Von feministischen Einsätzen können diese Fragen nun in mehreren Hinsichten erhellt werden. Zunächst einmal kann mit ihnen etwa darauf aufmerksam gemacht werden, inwiefern die multiplen Krisen im Klima nicht alle (Geschlechter) gleichermaßen treffen und ihre Diagnosen entsprechend differenziert ausfallen müssen. Derartige Analysen artikulierten sich im Rahmen der Frühlingsakademie beispielsweise im Vortrag der Leiterin des Zentrums für Klima und Außenpolitik, Dr. Kira Vinke, die u. a. auf die besondere Vulnerabilität von Frauen gegenüber Klima- als Naturkatastrophen und dadurch u. U. notwendig werdender Migration hinwies (vgl. dazu z. B. auch Bauriedl 2019). Auch wurde wiederkehrend die Care-Krise thematisiert, etwa im Workshop „Let’s Care: Für das Klima und für das Leben“, wo sie in ihrem Verhältnis zur Naturkrise insofern bemüht wurde, als der Begriff der Care-Arbeit auch all jene „Handlungen, in denen das Lebensnotwendige erhalten und gepflegt wird“ – einschließlich der (nicht)menschlichen Natur –, umfassen sollte. Um die z. B. von Ökofeministinnen ausgearbeiteten (vgl. für einen Überblick Bauhardt 2019) Analogien zwischen der ‚Lage‘ der Natur und der der Frau – im Workshop als systematische Tendenz der „Abkehr von allem Lebendigen“ bezeichnet – nicht lediglich als Gleichzeitigkeit von Ausbeutungsverhältnissen zu verstehen, braucht es allerdings auch Perspektiven, die über einen empirischen Zugang zu Diskriminierungen oder gender-feministische Ansätze hinausgehen.   

Abkehr von allem Lebendigen

In anderen Beiträgen der Frühlingsakademie wurde in diesem Sinne versucht, die (die Naturkrise ebenso wie das Geschlechterverhältnis fundierende) ‚Abkehr von allem Lebendigen‘ begrifflich bzw. epistemisch einzuholen. Ausgehend von der Kritik am liberalen Freiheitsbegriff der bürgerlichen Gesellschaft entfaltete so etwa die Autorin Dr. Eva von Redecker ein Konzept, das eine Rückkehr zum Lebendigen und ein Neudenken von Relationalität und Naturverhältnis ermöglichen könnte. Mittels der „Bleibefreiheit“ explizierte sie in ihrem Vortrag einen sich nicht auf Zerstörung durch Selbst- und Fremdbesitzansprüche gründenden Freiheitsbegriff: Freiheit also, die nicht zur Verfügung über reproduktive Tätigkeiten von Frauen oder Herrschaft über die Natur autorisiert, sondern auf der Berücksichtigung von Zeitlichkeit gründet – z. B. auf der zyklischen Zeit der (nicht)menschlichen Natur und die damit einhergehende Orientierung an den Abläufen ihrer Regeneration und Reproduktion.

Dr. Melanie Sehgal (Universität Wuppertal) widmete sich in ihrem Vortrag hingegen praktischen Möglichkeiten des Verlernens der ‚Abkehr von allem Lebendigen‘ in Gestalt des modernen, kapitalistischen, kolonialen und patriarchalen Verständnisses von Natur als ausbeutbar. Anknüpfend an postkoloniale, queere und feministische Theorien fokussierte sie auf von diesem hegemonialen Wissen(schaft)sverständnis verdrängte Praktiken und Wissensformen und lotete deren Potenziale zur Überwindung epistemischer Gewohnheiten aus. Darunter fiel auch die feministische Praxis des consciousness raising, mittels derer sich durch aktives und sich der eigenen Position bewusstes Zuhören relationalen „Denk-, Handlungs-, und Fühlgewohnheiten“ genähert werden könnte.

Für eine Versöhnung von Autonomie und Lebendigem

Feministische Perspektiven auf die Klimakrise können den Kampf um Nachhaltigkeit also auch insofern bereichern, als ihre theoretischen Erkenntnisse und praktischen Aktionsformen die Abkehr, Herrschaft und Zerstörung des Lebendigen und der Alterität fassen und infrage stellen. Allerdings kann Revolution als Rückkehr zum Lebendigen nur unter der Voraussetzung auch emanzipatorisch sein, wie sie die Autonomie der Einzelnen nicht preisgibt.

Ein solcher Ansatz wurde im Rahmen der Frühlingsakademie v. a. im Vortrag von Prof. Dr. Rita Casale (Universität Wuppertal) vertreten, der dazu anregte, Revolution als ein Geschehen zu konzipieren, das statt einer Teleologie zu folgen politischer Organisierung bedarf – und zwar auf Basis der Gegenwart samt ihrer (besonders aus der Aufklärung resultierten und daher vielfach in Herrschaft kulminierenden) Kulturprinzipien und -techniken. Denen gegenüber dürfen Lebendiges, Natur und Alterität weder als ‚nur gut‘ oder unbedrohlich fantasiert noch als gänzlich unzugänglich mystifiziert und damit jegliche Form ihrer kulturellen, technischen, wissenschaftlichen Vermittlung vonseiten des Subjekts für obsolet oder herrschaftsförmig erklärt werden. Die Gegenwart in bestimmten Hinsichten für eine Versöhnung der Autonomie des Subjekts mit dem Lebendigen fruchtbar zu machen, indem sich bspw. vom kapitalistisch motivierten Zwang und Selbstzweck seiner Zurichtung als Beherrschung emanzipiert wird, verlangt vielmehr nach einer „Aufklärung der Aufklärung“, ohne gänzlich hinter deren Ansprüche zurückzufallen.

(Klima-)Revolution feministisch denken

Ähnliches fordert auch die Philosophin Corine Pelluchon in ihrem Buch Das Zeitalter des Lebendigen. Eine neue Philosophie der Aufklärung, in dem sie schreibt, dass gerade „der Feminismus zu einem der geeignetsten Wege hin zu einer gesellschaftlichen und politischen Organisation werden [kann], die […] die Andersartigkeit anzuerkennen und den Beitrag eines und einer jeden zur gemeinsamen Welt wertzuschätzen“ (Pelluchon 2021: 128) weiß. Eine Revolution für umfassende Nachhaltigkeit wäre also nicht nur gut damit beraten, feministischen Einsichten zu folgen, um das Lebendige als menschliche Körper-, Geburt- und Sterblichkeit und Angewiesenheit auf (das) Andere (der Natur) anzuerkennen. Sie genuin feministisch und d. h. emanzipatorisch zu konzipieren hieße vielmehr, sich ausgehend vom gleichzeitigen Respekt vor der Autonomie jeder Einzelnen der Natur und Alterität nicht vollends zu unterwerfen, sondern in gemeinsame Verständigung über den Umgang mit ihnen zu treten.

Die OrganisatorInnen der Wuppertaler Frühlingsakademie haben mit ihrer Veranstaltung jedenfalls bewiesen, dass gesellschaftliche Transformation – entgegen kulturpessimistischen oder kollapsideologischen Diagnosen – zumindest dem Denken sehr wohl als Möglichkeit offensteht; und daher noch nicht alles verloren ist. Im Einholen dieser Möglichkeiten durch ihre gemeinsame und gründliche Reflexion zwecks Überführung in umfassend nachhaltige und zugleich die Freiheit und Individualität der Einzelnen ernstnehmende Handlungen, müssen wir uns aber, in den Worten der die Akademie abschließenden Podiumsdiskussion, „die Zeit nehmen, die wir nicht haben“. Auf die sich dabei ergebenden Fragen nach dem ‚ob, wie und wer‘ der Klima-Revolution wäre auch vor dem Hintergrund der hier angedeuteten Pfade jedoch zweifellos zu antworten: Die Revolution muss feministisch sein – oder es wird sie nicht geben.

 

Die Frühlingsakademie wurde organisiert von:

Asena Dizbay, Lisa Harling, Khalat Ibrahim, Lena Labuwy-Stark, Talina Nachtrab, Stefan Schüller, Julia Weber und Nergis Yilmaz.

Literatur

Ankündigungstext der "Frühlingsakademie Klima-Revolution?!". Zugriff am 17.05.2024 unter https://www.fruehlingsakademie-klimarevolution.de/hintergrund/.

Bauhardt, Christine (2019): Ökofeminismus und Queer Ecologies: feministische Analyse gesellschaftlicher Naturverhältnisse. In Beate Kortendiek, Birgit Riegraf, Katja Sabisch (Hrsg.): Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-12500-4_159-1

Bauriedl, Sybille (2019): Klimawandel, Migration und Geschlechterverhältnisse. Bundeszentrale für politische Bildung. Zugriff am 17.05.2024 unter https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/283411/klimawandel-migration-und-geschlechterverhaeltnisse/.

Pelluchon, Corine (2021): Das Zeitalter des Lebendigen. Eine neue Philosophie der Aufklärung. Darmstadt: WBG Academic.

Zitation: Clara Radermacher: „Klima-Revolution?!“ Feministische Einsätze für das Lebendige, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 21.05.2024, www.gender-blog.de/beitrag/klima-revolution-feministisch-lebendig/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20240521

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Clara Radermacher

Clara Radermacher studiert im Master Erziehungswissenschaft: Bildungstheorie und Gesellschaftsanalyse an der Universität Wuppertal und ist als wissenschaftliche Hilfskraft in der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung tätig.

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