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Körperpolitiken und Kapitalismuskritik bei Silvia Federici

15. Februar 2022 Marie Fischer

Viele feministische Theoretiker:innen haben sich dem Körper als Austragungsort von Diskursen um Geschlecht gewidmet. Exemplarisch dafür steht die Performanztheorie Judith Butlers, die in den 1990er-Jahren unhinterfragte, machtverwobene Verbindungen von biologischem Geschlecht und sozialer Performativität sichtbar machte und die ein wesentlicher Baustein heutiger Geschlechterforschung und neuer Körperpolitiken ist. Die Arbeit von Silvia Federici ist dagegen weniger bekannt. Dabei beschäftigt sich die italienische Aktivistin und politische Philosophin bereits seit den frühen 1980er-Jahren im Kontext von Kapitalismuskritik mit dem historisch gewachsenen (weiblichen) Körper. In Jenseits unserer Haut. Körper als umkämpfter Ort im Kapitalismus trägt sie mit einer Sammlung von Essays und Vorlesungen zum Diskurs um feministische Körperpolitiken bei.

Eine kritische Theorie des (weiblichen) Körpers

Mit ihrem Buch erinnert Silvia Federici an die „Bedeutung des Körpers und der Körperpolitik in der feministischen Bewegung der 1970er-Jahre“ (S. 9). Als Angehörige der Generation der zweiten Welle des Feminismus hebt sie den Einfluss der kapitalistischen Unterdrückung auf den weiblichen Körper hervor. Auch daher eignet sich dieses Buch besonders für Kenner:innen marxistischer Theorie, denn es werden tiefergehende Kenntnisse vorausgesetzt.

Der erste Teil des Buches besteht aus drei Vorlesungen, die Federici 2015 am California Institute of Integral Studies hielt. Die Leser:innen werden hier in die kritische Theorie des Körpers im Kontext der Repression des Kapitalismus eingeführt. Der zweite Teil beschäftigt sich mit Körper- und Identitätspolitiken und den kapitalistischen Auswirkungen auf den weiblichen Körper. Der dritte Teil setzt die Disziplinen Medizin und Psychologie in Verbindung zur körpertheoretischen Arbeitslogik. Den vierten Teil und Abschluss bildet ein Artikel zum Tanz als „eine Ode an [die] Kraft und Weisheit“ (S. 13) des bewegten Körpers.

Körper als Maschine

Die Geschichte des Körpers wird erzählt als fortlaufender Kampf gegen die Unterdrückung und die Aneignung des Körpers als Maschine, als Krieg gegen Mensch und ‚Natur‘ (S. 19). Endpunkt dieser Entwicklung liege in einem Szenario, das uns – als Ergebnis eines fortschreitenden Technologisierungsprozesses – als Cyborgs hinterlässt, als kontrollierte, überwachte Maschinen ohne Willen und Sexualität, als substanzlose und schließlich körperlose Hüllen.

Die Frau wird insbesondere der Selbstbestimmung über ihre Gebärmutter beraubt. In der Systematik des Kapitalismus‘ wurden Frauen, wie Federici es ausdrückt, „in Sexobjekte und Gebärmaschinen verwandelt“ (S. 22). Insbesondere die Sklaverei zeuge davon, denn Frauen wurden und werden hier ihrer Menschlichkeit beraubt und zu Sex gezwungen. Schwarze Frauen, die diesen Grausamkeiten ausgesetzt waren, sind wesentlicher Teil einer charakteristischen, rassistischen Unterdrückung, von der historisch im besonderen Maße Frauen betroffen waren und auch noch sind. 

Kategorie ‚Frau‘ als politisches Subjekt

In der zweiten Vorlesung geht die Autorin näher auf Körperpolitiken ein und damit auch auf die bereits in der Einleitung gestellte Frage: „Ist ‚Frau‘ noch immer eine notwendige Kategorie für feministische Politik?“ (S. 9). Als marxistische Feministin folgt Federici einer Tradition der Frauenbewegungen der italienischen Arbeiterfrauen. Damit lenkt sie einen differenzierten Blick auf eine arbeitsorientierte Reflexion der Frau. Anders als aktuell in Deutschland sind Dekonstruktivismus und Queer Studies kein Fokus dieser feministischen Ausrichtung. Die Veränderung der Kategorie ‚Frau‘ vollzieht sich durch deren aktivistische Eingrenzung. Zudem liege der Kategorie ‚Frau‘ eine Zuschreibung zugrunde, die im besonderen Maße durch den Kapitalismus und seiner Arbeitsteilung erfolgt sei.

„Soziale Identitäten, einschließlich Gender-Identitäten, werden durch Klassenzugehörigkeit, Gender-Beziehungen und die Kämpfe der Communitys, aus denen wir stammen, geformt. Eine ‚Frau‘ zu sein, bedeutet für mich beispielsweise etwas ganz anderes, als es für meine Mutter bedeutet“ (S. 39).

Die dekonstruktivistische Perspektive auf die Kategorie ‚Frau‘ lehnt Federici zumeist ab, erkennt den fortschreitenden Feminismus in seiner wandelbaren Form jedoch an. Schon in der Einleitung geht sie darauf ein, dass für einen politischen Kampf die Identität der Frau unabdingbar und gleichzeitig stets wandelbar sei. Eine Auflösung der Kategorie verhindere jedoch einen zielgerichteten Aktivismus, der sich für die Belange von Frauen einsetzt.

Naturverhältnisse?

In der dritten Vorlesung liegt der Fokus auf der Regulierung von Reproduktion. Appellierend an staatliche Institutionen und aktivistische Bewegungen wendet sich Federici gegen die Geburt als maschinalisierten Produktionsakt.

Federici beschäftigt sich mit dem Körper als leiblichem Körper, aber auch mit dem Körper als Bestanteil gemeinschaftlichen Seins in bspw. Urban Communities. Sie beginnt mit der ‚Magie‘ der Geburt und der natürlichen Kraft der Frau, um dann zur Erhaltung von Natur und Tier überzuleiten mit der Begründung, „dass die Natur unser anorganischer Körper ist, eine Erweiterung unserer selbst“ (S. 47). Anschließend geht sie zum Kampf gegen Rassismus über, um darin die verschiedenen Ziele feministischer Politik aufzuzeigen. Die Verknüpfung ist hierbei ein multidimensionaler Naturbegriff: Da ist einerseits die Natur der Umwelt, die durch den Kapitalismus zerstört wird („Die Vögel verschwinden vom Himmel“ (S. 46)), und andererseits die soziale Natur des Menschen („wir haben keine Zeit mehr für Liebe, Freundschaft und Bildung“ (S. 49)). Doch sind die Argumentationsstrukturen m. E. abgerissen und vermischen diese Thematiken. Dies ist insbesondere dort auffällig, wo die Bewegung gegen „faschistoide Grausamkeit“ (S. 48) in der Tierhaltung direkt zum Kampf gegen Rassismus in den USA überführt wird.

Nutzbare Körper, normierte Körper

Der zweite Teil des Buches knüpft mit etwas Friktion an den vorangehenden Teil an, was auch zu einigen thematischen Wiederholungen führt. Dafür werden die Leser:innen intensiver in die Thematiken Performativität und Leihmutterschaft eingeführt.

Im dritten Teil wird auch die psychologische Beeinflussung der Arbeiterin/des Arbeiters besprochen, die Sexualität der Frau wird in Beziehung zu Arbeitsprozessen gesetzt und ihre unterdrückte Rolle darin gezeigt. Als Verbündete des Kapitalismus‘ enthüllt Federici die Medizin und a fortiori die Psychologie. Die Psychologie unterstütze seit Mitte des 20. Jahrhunderts den Kapitalismus, indem sie versuche, den Körper nutzbarer zu machen sowie Arbeiter:innen nach mentaler Fähigkeit und Belastbarkeit zu unterscheiden.

Ein Kapitel behandelt Sexarbeit im historischen Kontext, begonnen mit der Industrialisierung bis zu den 1970er-Jahren. Die Autorin stellt dar, wie Sexarbeit im Kontext von sich ändernden Arbeitslogiken konsekutiv neue Normierungen der weiblichen Sexualität hervorgebracht hat. Die Übertragung der körpertheoretischen Perspektive auf kapitalistische Methoden gelingt ihr hier überzeugend. Mit einem abschließenden Ausblick in eine futuristische Dystopie („Mormon*innen im All“), in der der Kapitalismus den Körper erobert hat, illustriert Federici das Endszenario einer kapitalistischen Gesellschaft:

„Enthaltsamkeit, Abstinenz. Dies ist der letzte Schritt in einem langen Prozess, durch den das Kapital den sinnlichen-sexuellen Inhalt unseres Lebens und unserer Begegnungen mit anderen Menschen verringert hat.“ (S. 117)

Tanzende Körper

Der abschließende Teil des Buches besteht aus einem essayistischen Beitrag zum tanzenden Körper. Inspiriert durch den Tanz der Choreografin Daria Fain versteht Federici den Tanz als Werkzeug zum Ausbruch des Körpers aus der Repression des Kapitals. Sie betont, dass der Körper eine immanente ‚natürliche Grenze‘ biete, die sich gegen eine Auflösung, Dekonstruktion und kapitalistische Aneignung des Körpers auflehne. Der Tanz biete eine Ausdrucksweise, die Fähigkeiten des Körpers sichtbar und erfahrbar werden lasse. Als eine Sprache des Körpers sei Tanz Kommunikation, durch die wir „uns mit anderen Körpern verbinden, uns selbst und unsere Umgebung verändern“ (S. 127). Damit dient das Tanzen auch einem politischen Zweck.

Fokus auf Einverleibung historischer Erfahrung

Der Band dokumentiert Silvia Federicis thematischen Fokus auf den weiblichen Körper in der kapitalistischen Repression. Die Autorin fesselt durch ihre aktivistisch inspirierte Darstellung marxistischer Perspektiven auf den Körper. Die Schreibweise ist mitreißend und vielschichtig, in Teilen fiel es mir aber schwer, ihrer Argumentation zu folgen, da das Verständnis marxistisch-feministischer Theorie vorausgesetzt wird.

Der Dekonstruktivismus spielt bei diesem Wissenszugang keine Rolle, da Federici den Fokus auf die historische Einverleibung weiblicher Erfahrung legt. In vielen Passagen sind nichtsdestoweniger intersektionale Ansätze wiederzufinden, immer wieder weitet Federici das Verständnis dessen, was eine Frau ist, aus.

Ihre Definition von Frausein ist letztlich jedoch eingeschränkt auf eine Naturalisierung, ein Geburtsrecht auf das Frausein, denn sie bindet trans Frauen nicht ein und grenzt durch das Mutterwerden und -sein die Kategorie ‚Frau‘ weiter ein.

Literatur

Federici, Silvia (2020): Jenseits unserer Haut. Körper als umkämpfter Ort im Kapitalismus. Münster: UNRAST.

Zitation: Marie Fischer: Körperpolitiken und Kapitalismuskritik bei Silvia Federici, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 15.02.2022, www.gender-blog.de/beitrag/koerperpolitiken-und-kapitalismuskritik-silvia-federici/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20220215

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Marie Fischer

Marie Fischer studiert Gender Studies im Master an der Universität Bielefeld. In ihrem Masterstudiengang und der Abschlussarbeit fokussiert sie sich auf Körpertheorien.

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