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Konstruierte Männlichkeit im Fußball: toxisch und teamfähig?

07. Januar 2025 Rebecca Jacobs

Was zeichnet Männlichkeit als soziales Konstrukt aus? Wie unterscheidet sich die Rolle von Männlichkeit im Profifußball, in der Fanzone und im Fußball als Business? Wie wirkt sich das Bild von Männlichkeit im Fußball auf die Wahrnehmung von Frauen im Fußball aus? Diese und weitere Fragen beantwortete Dr*in Solvejg Wolfers-Pommerenke in ihrem einführenden Vortrag zu der Veranstaltung Einer für Alle, Alle für Einen? Die soziale Konstruktion von Männlichkeit im Fußball, die am 13. November 2024 von der Stadt Düsseldorf ausgerichtet wurde.

Männlichkeitskonstruktionen und intersektionale Diskriminierung

Unabhängig davon, ob es um Profifußball, die Fanszene oder Fußball als Business gehe, werde Fußball häufig mit Männlichkeit, Maskulinität und Heterosexualität assoziiert und auch entsprechend gelebt, so Wolfers-Pommerenke. Im Profifußball werde Männlichkeit oft über bestimmte Verhaltensweisen und Erscheinungsbilder konstruiert, wie etwa durch Aggressivität, muskulöse Körper und das Einhalten maskuliner Verhaltensnormen. Diese Darstellungen seien stark von hetero-cis-männlichen Bildern geprägt, die nicht nur dominieren, sondern auch erwartet würden. Dies würde zudem mit Machtpositionen einhergehen. Maskulinität beziehe sich dabei auf das soziale Geschlecht, das durch Verhaltensnormen wie sexistische Sprache, körperliche Dominanz, hierarchisches Denken und sogenannten „Put-Down“-Humor geprägt sei. Fußball fordere eine klare Geschlechterbinarität ein, da Spieler*innen sich einer der Gruppen zuordnen müssten.

Auch intersektionale Diskriminierung sei im Profifußball zu beobachten: So werde von Schwarzen Spielern oft eine Hypermaskulinität erwartet, die sie auf Spielpositionen bringe, die primär mit Körperlichkeit assoziiert seien. Gleichzeitig würden kognitive Positionen, wie die des Torwarts, häufiger mit weißen Spielern besetzt. Zudem könnten toxische Männlichkeitsideale, wie das Unterdrücken von Emotionen („ein Mann kennt keinen Schmerz“), eine ungesunde Erwartungshaltung erzeugen. Diese Konstruktionen führten auch zu ungleichen Zugängen: Frauenfußball werde als weniger attraktiv wahrgenommen, was sich in geringeren Zuschauer*innenzahlen, ungleichen Prämien und einer schlechteren Nachwuchsförderung äußere, kritisierte Wolfers-Pommerenke.

Maskuline Stereotype, Widersprüche und Diskriminierung in der Fanszene

Die Fanszene im Fußball werde medial oft durch maskuline Stereotype repräsentiert, etwa durch Ultras, alkoholisiertes Publikum und Vorsänger, die primär männlich seien. Frauen hätten in diesen Gruppen meist nur in weiblich konnotierten Rollen Platz, wie etwa als Versorgerinnen der Gruppe. Studien würden zeigen, dass der durchschnittliche Fan männlich und etwa 38,7 Jahre alt sei, was das Bild eines männlich dominierten Umfelds verstärke. Gleichzeitig seien Sexismus, Homofeindlichkeit und Rassismus weit verbreitet, wodurch viele Personen die Fanszene als unsicher wahrnehmen.

Der Konsum von Alkohol sei ein prägendes Element und werde mit der Stimmung und dem männlichen Raum verknüpft. Studien zeigen, dass an Spieltagen in England die häusliche Gewalt zunehme, was die toxischen Effekte solcher Räume verdeutliche. Trotzdem sei die Fanszene nicht nur düster: Es gebe zahlreiche Projekte gegen Diskriminierung und sichtbare Zeichen wie Banner. Ein Paradoxon bestehe darin, dass im Stadion Emotionen wie Weinen, körperliche Nähe und andere stereotypisch feminin konnotierte Verhaltensweisen akzeptiert würden, obwohl diese außerhalb des Fußballs häufig Homofeindlichkeit auslösten. Trotzdem finde kaum ein Outing statt, obwohl statistisch etwa ein bis zwei homosexuelle Spieler pro Team zu erwarten seien.

Fußball-Business: Marginalisierung und Herausforderungen für Frauen

Im Fußballgeschäft dominierten traditionelle Geschlechterrollen ebenfalls: Führungspositionen würden vor allem von weißen Männern besetzt, wie das Beispiel des Vorstands von Fortuna Düsseldorf (drei weiße Männer über 40) zeige. Von den 448 Führungspositionen im professionellen Fußball seien 407 von Männern besetzt. Auch im Frauenfußball spiegle sich dieses Bild wider. Positive Gegenbeispiele, wie die hohe Frauenquote bei St. Pauli, zeigen jedoch, dass Veränderungen möglich seien.

Für Frauen, die in diesem Feld arbeiteten, sei die Erfahrung oft von Marginalisierung und Sexismus geprägt. Forscherinnen berichteten von Herausforderungen, respektiert zu werden, und von unterschiedlichen Kompetenzzuschreibungen im Vergleich zu Männern im Feld. Wolfers-Pommerenke machte die Erfahrung, dass Frauen häufig jünger eingeschätzt und durch heterosexistische Sprüche objektiviert würden. Auch Fußballkonferenzen seien nicht frei von stereotypen Kommentaren, wie etwa der Annahme, Frauen könnten keine Ahnung von Abseitsregeln haben. Dies führe dazu, dass emotionale Arbeit nötig sei, um Respekt zu erlangen. Zudem bestehe eine potenzielle Gefahr sexualisierter Gewalt selbst in vermeintlich sicheren Räumen. Forscherinnen müssten sich daher häufig zusätzlich absichern, was die Arbeit im Fußballgeschäft belastend mache.

Diskriminierung und Rollenerwartungen

Über den Einfluss von Sexismus, stereotypischen Rollenerwartungen und Drogen, aber auch über die Bereitschaft für die Sensibilisierung und Awareness-Konzepte, sprachen Dr*in Solvejg Wolfers-Pommerenke, Janina Rostek (Landesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte NRW e. V.), Dominik Hoffmeyer (Leiter Fanangelegenheiten und Fanbeauftragter Fortuna Düsseldorf) und Marc Pomplun (Männerberatung Ruhr) in der anschließenden Paneldiskussion.

Sexismus und sexualisierte Gewalt könnten als feste Bestandteile des Männerfußballs betrachtet werden, und es scheine wenig Toleranz für Homosexualität zu geben. Die Frage, ob es möglich sei, diese Strukturen abzubauen oder ob der Männerfußball ohne Sexismus überhaupt denkbar sei, bleibe offen. Im Moment sei es zwar schwer vorstellbar, aber dennoch denkbar, dass solche Veränderungen eintreten könnten. Dazu würden Maßnahmen wie die Einrichtung von Meldestellen beitragen, bei denen Betroffene Vorfälle melden könnten. Bisherige Erfahrungen zeigten, dass Sexismus mit 47 % die häufigste gemeldete Form von Diskriminierung sei, gefolgt von queerfeindlichem Verhalten, so Hoffmeyer. Auch der zunehmende Konsum von Alkohol und anderen Drogen sowie die wachsende Problematik der Spielsucht stellten ernstzunehmende Themen dar. Diese Entwicklungen spiegeln den Gedanken wider, sich dem Wettbewerb und dem sozialen Druck unterwerfen zu müssen.

Pomplun wies darauf hin, dass das Hauptproblem traditioneller, patriarchal geprägter Männlichkeit im ständigen Leistungsdruck liege. Männer seien kontinuierlich gefordert, ihre Männlichkeit zu bestätigen, und liefen permanent Gefahr, dass diese infrage gestellt werde. Gleichzeitig mache er in der Beratung die Erfahrung, dass viele Männer eine tiefe Sehnsucht danach verspürten, sich nicht ständig diesen Anforderungen beugen zu müssen.

Anlaufstellen und Awareness-Konzepte

Ein Problem seien die wenigen Anlaufstellen für die Auseinandersetzung mit Rollenerwartungen und Diskriminierungsvorfällen. Gleichzeitig neigen viele Männer dazu, ihre Probleme zu verleugnen oder zu behaupten, diese alleine lösen zu können. Um Männer dazu zu ermutigen, über sich selbst, ihre Emotionen und ihre Herausforderungen zu sprechen, könnte der Fußball ein hilfreicher Gesprächseinstieg sein, schlussfolgerte Pomplun.

Auf die Frage, ob im Bereich von Awareness-Konzepten Männlichkeit und Sensibilisierung bzw. die Auseinandersetzung damit in der Fanszene eine Rolle spiele, sagte Hoffmeyer: Fanprojekte seien ursprünglich infolge von Hooliganvorfällen ins Leben gerufen worden, da ein externer Eingriff in die Fanszenen als notwendig erachtet worden sei. Dennoch werden viele Awareness-Konzepte inzwischen von den Fans selbst initiiert. Es könne jedoch immer noch zahlreiche Dunkelfälle geben, da bislang kein wirklich überzeugendes Konzept entwickelt worden sei, um effektiv zu helfen und eine echte Ansprechbarkeit sicherzustellen.

Auch Rostek gab zu bedenken, dass die Frage der Erreichbarkeit der Awareness-Teams und die Teamzusammensetzung wichtig seien, da Fußball ein männlich dominierter Raum sei. Es müsse überlegt werden, wie Awareness in diesem Kontext gelingen und dieser Raum auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren oder auch Vorbild sein könne.

Wann kommt der Wandel der cis-heteronormativen Rollenbilder?

Eine Frage bleibt am Ende jedoch offen: Warum hält sich dieses Bild des typischen Fußballfans oder des typischen erfolgreichen Spielers (cis-hetero, männlich, maskulin) so stark? Obwohl es für viele Männer schwierig zu sein scheint, diese Rolle zu erfüllen, ist das Bild des maskulinen heterosexuellen starken Fußballprofis wie auch des Fans als Norm persistierend. Nach dieser Veranstaltung entsteht der Eindruck, dass „Einer für alle – alle für einen“ – d. h. unabhängig von sexueller Orientierung, (biologischem) Geschlecht und der Erfüllung stereotypischer Geschlechterrollen füreinander einzustehen – im Männerfußball noch in weiter Ferne zu liegen scheint.

Literatur

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Zitation: Rebecca Jacobs: Konstruierte Männlichkeit im Fußball: toxisch und teamfähig?, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 07.01.2025, www.gender-blog.de/beitrag/konstruierte-maennlichkeit-im-fussball/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20250107

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Rebecca Jacobs

Rebecca Jacobs arbeitet als wissenschaftliche Hilfskraft bei GeStiK (Gender Studies in Köln). Ihre Interessensschwerpunkte liegen in den Bereichen intersektionaler Feminismus, Gleichberechtigung und Gender aus (sozial)psychologischer Perspektive. Sie studiert Humanmedizin an der Universität zu Köln und ist Absolventin des Bachelorstudiengangs Psychologie mit Schwerpunkt Klinischer Psychologie und Psychotherapie.

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