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Kriegsfotografinnen – Ausstellung im Museum Kunstpalast

02. April 2019 Jenny Bünnig

Ein Gefühl der Beklemmung stellt sich bereits ein, wenn man den fast lichtlosen Ausstellungssaal des Museums Kunstpalast betritt. In dessen Mitte bilden dunkel gestrichene Wände acht ineinander übergehende Räume, durch welche die Besucher*innen ausgewählten Werken bedeutender Kriegsfotografinnen durch Jahrzehnte bewaffneter Konflikte und menschlichen Leids folgen. Über diese Raum-im-Raum-Konstruktion entsteht um den erleuchteten Ausstellungsbereich ein fast tunnelartig wirkender Gang, der – diesem Eindruck kann man sich spätestens beim Verlassen nicht erwehren – an einen Schützengraben erinnert. Das Ausstellungskonzept bildet damit den Rahmen für die Werkschau Fotografinnen an der Front. Von Lee Miller bis Anja Niedringhaus, die vom 08. März bis zum 10. Juni 2019 in Düsseldorf zu sehen ist.

Der Beitrag von Kriegsfotografinnen

Gezeigt werden insgesamt ca. 140 Bilder von Carolyn Cole (*1961) über Françoise Demulder (1947–2008), Catherine Leroy (1944–2006), Susan Meiselas (*1948) und Lee Miller (1907–1977) bis zu Anja Niedringhaus (1965–2014), Christine Spengler (*1945) und Gerda Taro (1910–1937), die zwischen 1936 und 2011 entstanden sind. Jede der Fotografinnen erhält einen eigenen der acht Ausstellungsräume, die chronologisch angeordnet sind und in denen neben den Fotografien auch kurze Biografien der Frauen an den Wänden zu sehen sind. Die Arbeiten der Werkschau geben unter anderem Einblick in europäische Konflikte der 1930er- und 1940er-Jahre, in den Vietnamkrieg, den Aufstand gegen das Somoza-Regime in Nicaragua und jüngeres Kriegsgeschehen in Afghanistan und im Irak. Die Ausstellung soll den bislang wenig beachteten Beitrag von Frauen zur Kriegsfotografie sichtbar machen und so die weitverbreitete Vorstellung infrage stellen, dass die Kriegsfotografie ein von Männern dominiertes Berufsfeld ist.

Kriegsdarstellungen zwischen Tod und Leben

In den Fotografien werden sehr unterschiedliche Herangehensweisen, Stile und Positionen deutlich, verschiedene Bildstrategien und Erzählformen, acht sehr individuelle Sichtweisen auf den Krieg und die Menschen in ihm. Zwischen distanzierter Sachlichkeit, eindringlicher Unmittelbarkeit und erkennbarer Anteilnahme sehen wir Kampfhandlungen (Catherine Leroy, Vietnam 1966), Leichen (zum Beispiel Carolyn Cole, Liberia 2003), Erschießungen (Lee Miller, Ungarn 1946) und Festnahmen (Catherine Leroy, Vietnam 1968). Gleichzeitig wird aber auch der Blick auf das Leben danach und dazwischen freigegeben, wenn ein Junge auf einem Karussell fährt und ein Spielzeuggewehr in der Hand hält (Anja Niedringhaus, Afghanistan 2009), wenn Kinder herumalbern, während hinter ihnen Feuer und Rauchschwaden zu sehen sind (Christine Spengler, Nordirland 1972), wenn zwei Frauen auf einer Bank sitzen, im Hintergrund die Überreste zerbombter Häuser (Lee Miller, Deutschland 1945), oder wenn Eltern um ihre Kinder (zum Beispiel Carolyn Cole, Irak 2004) und Kinder um ihre Eltern trauern (Christine Spengler, Kambodscha 1974). Es sind verstörende, erschütternde Bilder, die uns stumm machen, uns in Hilflosigkeit und schockiert zurücklassen, aber auch solche, die von außergewöhnlicher ästhetischer Schönheit sind, wie die Aufnahme von US-Streitkräften im vietnamesischen Dschungel 1966. Mit einem, bis auf einen in der Mitte liegenden Helm, beinahe leeren und dunklen Bildvordergrund, Soldaten im rechten Mittelgrund und ein durchbrechendes, nahezu strahlendes Licht im Hintergrund beweist Catherine Leroy hier ein besonderes Gespür für Bildkomposition. Zwischen stillgestellten Momenten von Leid und Zerstörung gibt es in der Ausstellung aber auch Fotografien, denen es sogar gelingt, bei den Betrachter*innen unerwartet ein kleines Schmunzeln hervorzurufen. So zeigt Anja Niedringhaus, die 2014 während ihrer Arbeit in Afghanistan erschossen wurde, auf einem ihrer Fotos drei afghanische Männer auf einem Motorrad, die zielsicher – so scheint es – an zwei kanadischen Soldaten vorbeifahren, die – so scheint es ebenfalls – orientierungslos über ein GPS-Gerät gebeugt sind.

Welche Farbe hat der Krieg?

Kriegsfotografie ist eine Schwarz-weiß-Welt. Auch in Fotografinnen an der Front sind Fotos ohne Farbigkeit bestimmend, selbst in Zeiten, da Farbbilder technisch problemlos möglich wären. Daneben finden sich jedoch auch Fotografien, die das Geschehen in Farbe dokumentieren, wie zum Beispiel Susan Meiselas den Krieg in Nicaragua Ende der 1970er-Jahre oder Françoise Demulder die Einnahme von Addis Abeba 1991. Auf Demulders Aufnahme ist ein junger Mann mit Gewehr vor einem Panzer zu sehen. Die zurückhaltende, sorgfältig ausbalancierte Farbigkeit aus dem dunkelblauen Halstuch des Mannes und dem leichtbläulichen, ihn umgebenden Rauch gibt dem Bild eine einzigartige Intensität. Ein besonderer Kontrast – nicht nur, aber auch in Bezug auf die Farbigkeit – ist im dritten Raum zu sehen. Im Zusammenhang mit ihren Fotografien des Vietnamkriegs hat Catherine Leroy 1967 den US-Militärsanitäter Vernon Wike fotografiert, wie er neben einem sterbenden Soldaten kniet. 30 Jahre später hat die französische Fotojournalistin Wike erneut aufgenommen, als mittlerweile 58-Jährigen Mann, den Oberkörper nackt und tätowiert, einen Gehstock in der Hand, verziert mit der amerikanischen Flagge, im Hintergrund ein ärmlich wirkendes Zimmer – und in Farbe. Gerade die (fehlende) Farbigkeit scheint dabei die Gegensätzlichkeit der Momente zu betonen, zwischen Ästhetisierung und Alltäglichkeit.

Kriegsblicke

Die Ausstellung Fotografinnen an der Front macht sichtbar, dass es nicht einen und dass es auch nicht einen „weiblichen“ Blick auf den Krieg gibt. Dafür sind die Bilder, die im Kunstpalast präsentiert werden, zu verschieden, genauso wie die Frauen, die sie gemacht haben, und die Arten, wie diese Frauen Krieg sehen, wie sie Menschen sehen, wie sie Menschen im Krieg sehen. Es ist die Zusammenschau der unterschiedlichen Fotografien, die unsere Augen für die entsetzlichen, leidvollen, grauenhaften und nicht selten absurden Momente in bewaffneten Konflikten öffnen. Und diese Momente, das wird ebenfalls deutlich, sind – auch wenn sie oft ohne Farbe aufgenommen werden – niemals schwarz und weiß.

 

Informationen

Fotografinnen an der Front. Von Lee Miller bis Anja Niedringhaus

08.03.2019 bis 10.06.2019

Kunstpalast

Ehrenhof 4–5

40479 Düsseldorf

Tel.: (0211) 566 42 100

info@kunstpalast.de

www.kunstpalast.de

 

Öffnungszeiten:

Dienstag bis Sonntag 11:00 bis 18:00 Uhr

Donnerstag 11:00 bis 21:00 Uhr

 

Eintrittspreise:

Erwachsene: 10 Euro/ermäßigt 8 Euro

Gruppen ab 10 Personen: 8 Euro

Zitation: Jenny Bünnig: Kriegsfotografinnen – Ausstellung im Museum Kunstpalast, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 02.04.2019, www.gender-blog.de/beitrag/kriegsfotografinnen-ausstellung-kunstpalast/

Beitrag (ohne Headergrafik) lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz Creative Commons Lizenzvertrag

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Dr. Jenny Bünnig

Jenny Bünnig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen: Literatur und Kunst der Moderne und Gegenwart, Melancholie, Fremdheit, Zeit- und Raumdarstellungen, „weibliche“ Identitätskonstruktionen in der Literatur, Frauendarstellungen in der Kunst.

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