23. April 2024 Matlhogonolo Samsam Rita Schäfer
Als überzeugte Aktivistin für feministische soziale Gerechtigkeit verbindet Matlhogonolo Samsam Medienarbeit, Advocacy und akademische Kompetenzen für den Aufbau unterstützender Netzwerke queerer Frauen, indem sie Wissen und Ressourcen teilt. So arbeitet sie in der Organisation Iranti als Lesbian-, Bi- und Queer- (LBQ)-Beauftragte, leitet bei Black Queer DocX ehrenamtlich die Medien Advocacy-Strategie, koordiniert deren LBQ-Programmarbeit und pflegt wichtige Partnerschaften. Anlässlich des Lesbian Visibility Day sprach Rita Schäfer mit Matlhogonolo Samsam über ihre Arbeit in Botswana.
Wer sind die Black Queer DocX und woran arbeitet Ihr als autonomes Kollektiv?
Die Black Queer DocX sind eine Gruppe Schwarzer, queerer Aktivist*innen, die an Dokumentationsarbeit interessiert sind. Insbesondere die Arbeit lesbischer Frauen in Botswana ist nicht dokumentiert. Wir wollen einen Austausch über unsere Geschichten und Advocacy-Strategien. Wenn wir Advocacy-Arbeit leisten, ist es oft schwierig, mit schriftlichen Dokumenten und Forschungsergebnissen Menschenrechtsverletzungen zu belegen, also was uns angetan wird, was wir durchmachen und welche Erfolge wir als LBQ-Bewegung erzielen. Deshalb ist die Dokumentation wichtig. Wir stellen sicher, dass queere Frauen eine Stimme haben, für sich selbst und über ihre Bedürfnisse sprechen können.
Zudem suchen wir die Zusammenarbeit mit Organisationen, die nicht notwendigerweise LBQ-Interessen vertreten, weil wir uns neben unserer sexuellen Orientierung und Gender-Identität auch als Teil einer größeren Welt verstehen. Wir wollen vermeiden, dass wir isoliert arbeiten. Wenn wir in die größere Frauenbewegung einbezogen sind, wird unsere Arbeit sichtbar und es gibt Verbündete. Natürlich ist das für queere Frauen schwierig. Wenn es um Feminismus geht, sind wir immer Teil der Frauenrechtsbewegung. Aber wenn es um Themen geht, die uns speziell betreffen, dann schweigen die anderen Bewegungen und wir müssen allein Advocacy-Arbeit leisten. Deshalb versuchen wir, Zusammenhalt aufzubauen.
Zudem erarbeiten wir Stellungnahmen zu Menschenrechten. Die Verfassung in Botswana ist alt, sie gilt seit der politischen Unabhängigkeit (1966). In jüngster Zeit gab es Ansätze für Ergänzungen. Aber beim Schutz von LBQ-Frauen sind die Gesetze unzulänglich. Hinzu kommen das Patriarchat und die Heteronormativität. Deshalb versuchen wir, queere Frauen für eine kollektive Agenda zur sozialen, wirtschaftlichen und politischen Transformation zu mobilisieren. Wir wollen darüber sprechen, wie wir Politik, Justiz und Gesundheitsversorgung – Systeme, die uns weiterhin unterdrücken und aus der Gesellschaft ausschließen – herausfordern und Personen in Machtpositionen zur Rechenschaft ziehen können.
Worauf zielt Iranti ab und was sind Deine Aufgaben?
Iranti ist eine LBTI+-Organisation. Wir arbeiten mit lesbischen und bisexuellen Frauen, auch mit Trans und Intersex Personen. Auf unseren Medienplattformen dokumentieren wir Menschenrechtsverletzungen im südlichen Afrika und Erfahrungen von Organisationen in dieser Region. Zudem sammeln wir Informationen in unserem Archiv und nutzen diese – soweit sie nicht zu sensibel sind – für unsere Advocacy-Arbeit, etwa gegenüber Regierungen. Ich arbeite als LBQ-Beauftragte: Mein Job ist, Iranti eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie wir einen inklusiven Feminismus ins Zentrum unserer Arbeit mit LBQ-Organisationen stellen können.
So hat Iranti mit Kollektiven in Botswana im Rahmen des Universal Periodic Review-Prozesses (UPR) kooperiert. Dazu zählten das LBQ-Frauenkollektiv Black Queer DocX, eine Trans-Organisation, eine Organisation homosexueller Männer und eine Frauenrechtsorganisation. Der gemeinsame Bericht umfasste Abtreibung, geschlechtsspezifische Gewalt und rechtliche Anerkennung des Geschlechts. Und es ging um die Aufhebung des Paragraphen 167 des Strafgesetzbuches von Botswana, der „grobe Unanständigkeit“ betrifft. Für uns bedeutet das Gross Indecency Law: Wenn ich als lesbische Frau meine lesbische Partnerin küsse und jemand entscheidet, das sei grob unanständig, dann können wir möglicherweise deshalb ins Gefängnis kommen. Solche Strafgesetze betreffen uns als sexuelle Minderheiten viel stärker als die breitere Gesellschaft.
Was können LBQ-Aktivist*innen tun, um dem gegenzusteuern?
Ausgehend von solchen Limitierungen haben wir Empfehlungen formuliert – gerichtet an die Regierung von Botswana. Im Rahmen des UPR-Verfahrens haben wir unseren Bericht mit vielen Staaten geteilt, damit sie ebenfalls Empfehlungen geben konnten. Wir planen, das Überprüfungsverfahren weiterhin zu beobachten, mit der Regierung in Botswana in Kontakt zu bleiben und die Advocay-Arbeit bis zum nächsten UPR-Prozess fortzusetzen.
In Iranti und in anderen Organisationen in Botswana führen wir Gespräche über Advocacy-Strategien und die Verbindung zwischen dem UPR-Prozess und Basisaktivitäten, um Basisaktivist*innen die technische Berichtssprache zu erläutern und sicherzustellen, dass ihre Stimmen in weiteren Berichtsverfahren gehört werden.
Zudem haben wir Aktivist*innen aus Botswana und Südafrika ermöglicht, am Namibian Lesbian Festival in Windhoek teilzunehmen. Sie partizipierten am wechselseitigen Austausch über Advocay-Initiativen, etwa zum Aufbau von LBQ-Bewegungen. Iranti hielt das für sehr wichtig und unterstützte das Festival finanziell. Es gab auch künstlerische Angebote, beispielsweise das Bedrucken von T-Shirts, womit Aktivist*innen im informellen Sektor selbst etwas Geld verdienen können.
Was zeichnet Eure Partnerschaft mit Frauenliebe im Pott (FLiP e.V.) aus?
Als Black Queer DocX haben wir einen feministischen Standpunkt. Im Unterschied zu Gebern, die alles diktieren, sagt FLiP: „Ihr leistet wichtige Arbeit. Wir haben zwar nicht viel Geld, aber wir möchten dazu beitragen, dass ihr sie fortsetzen könnt.“ Das ist die Basis unserer Beziehung. FLiP unterstützte uns beim Kauf feministischer Bücher für unsere kleine Bibliothek. Und FLiP ist gut vernetzt. Wir haben monatliche digitale Partnerschaftstreffen mit anderen LBQ-Bewegungen in der Region.
Einige Aktivist*innen aus Botswana reisten im Rahmen eines Austauschprogramms nach Deutschland. Wenn Du an anderen Orten bist und Gespräche mit dortigen Aktivist*innen führst, können alle Beteiligten etwas von den jeweiligen Sichtweisen für ihre Bewegungen lernen. Beim baldigen Besuch von FLiP-Kolleg*innen in Botswana werden wir uns über die zukünftige Advocacy-Arbeit und Partnerschaft austauschen.
Wie wichtig ist der virtuelle Austausch für Euch?
Wir schaffen Räume zum virtuellen Austausch, wenn wir keine Ressourcen haben, um uns real zu treffen. Wir führen Gespräche und teilen Informationen. In Notsituationen können wir Menschen erreichen, die uns möglicherweise helfen können. Wir können Solidaritätsbekundungen senden, wenn andere schwere Zeiten durchmachen. Aber in ländlichen Gebieten gibt es kaum Zugang zum Internet und es ist sehr teuer. Deshalb sind dort lebende Menschen von digitalen Räumen ausgeschlossen.
Und es gibt die Bedenken wegen der digitalen Sicherheit. Wie können Basisaktivist*innen Social Media sicher nutzen, ohne jemanden zu gefährden? Trainings dazu hatten wir noch nicht. Die plant Iranti für Aktivist*innen in der Region.
Was sind die Pläne von Black Queer DocX für den Lesbian Visibility Day?
Da wir ehrenamtlich arbeiten und über wenig Geld verfügen, haben wir in den letzten Jahren auf Social Media unsere Solidarität mit Lesben weltweit gezeigt und gegenseitig unsere Leistungen gewürdigt. Auch dieses Jahr wird es wieder solche Social Media-Aktivititäten geben. Hoffentlich können wir mit den notwendigen Finanzen auch kleine Gruppendiskussionen organisieren, denn wir brauchen viel mehr Basisarbeit.
Die Anti-Gender und Anti-Menschenrechtsbewegungen entwickeln sich schnell und werden sehr gut finanziert. Es ist bedrohlich, dass die bisher erreichten Menschenrechte wieder zurückgenommen werden sollen. Wir denken über Strategien nach, wie wir unsere Advocacy-Arbeit nutzen können, um unsere Identitäten sichtbarer zu machen, die notwendigerweise nicht nur mit unserer sexuellen Orientierung verbunden sind.
Was sind Deine Zukunftswünsche für die Sichtbarkeit von Lesben und queeren Menschen?
Es gibt einen großen Bedarf, Kapazitäten aufzubauen, um selbst eigene Geschichten zu dokumentieren und sie zu schützen, damit sie mit späteren Generationen von Aktivist*innen geteilt werden können. Forschungen sollten Menschen an der Basis selbst leiten.
Ich möchte, dass über unsere wunderbare Arbeit reflektiert wird. Wenn über uns LBQ-Menschen geredet wird, tendiert das im afrikanischen Kontext oft zur Sexualisierung. Demgegenüber sollten unsere Geschichten und Narrative aus einer anderen, anerkennenden Sicht erzählt werden.
Schau Dir unsere kleine Organisation Black Queer DocX an, wir sprachen sogar auf der UN-Ebene. Das ist eine große Leistung. Medien sollten über die Arbeit berichten, die Bewegungen schon geleistet haben, indem sie hervorgehoben und gefeiert wird.
Übersetzung aus dem Englischen von Rita Schäfer.
Literatur
Amnesty International (2024). We are facing extinction, Escalating Anti-LGBTI sentiment, the weaponization of law and their human rights implications in selected African countries, Amnesty International, Index AFR 01/7533/2024. Zugriff am 22.04.2024 unter https://www.queeramnesty.de/fileadmin/user_upload/medien/aktionen-berichte/Afrika/Amnesty-Bericht-Afrika-LGBTI-Diskriminierende-Gesetze-Unterdrueckung-Januar-2024.pdf.
Bradley Fortuin and Matlhogonolo Samsam (2023). Botswana religious groups threaten rule of law and refuse LGBTQ rightshttps://www.southernafricalitigationcentre.org/2023/08/14/botswana-religious-groups-threaten-rule-of-law-and-refuse-lgbtq-rights/.
FLiP e.V. – FrauenLiebe im Pott / Cornelia Sperling (Hrsg.) (2020). We build partnerships, Dokumentation des Projekts "Partnerschaften zwischen zivilgesellschaftlichen lesbischen Gruppen in NRW und Afrika" 2018-2020. Zugriff am 22.04.2024 unter https://www.flip-ruhr.de/wp-content/uploads/2023/05/Dokumentation_2018-2020_Partnerschaften.pdf.
FLiP e.V. – FrauenLiebe im Pott. Partnerschaft Afrika. Zugriff am 22.04.2024 unter https://www.flip-ruhr.de/partnerschaft-afrika/.
Taboon Media (Hrsg.) (2021). Hopes and Dreams That Sound Like Yours, MaThoko's Books, GALA (Johannesburg, May 2021). Zugriff am 22.04.2024 https://gala.co.za/books-and-resources/publications-and-publishing/mathokos-books/hopes-and-dreams/.
Taboon Media (Hrsg.) (2022). Courage to Share, MaThoko's Books, GALA (Johannesburg, August 2022). Zugriff am 22.04.2024 https://gala.co.za/books-and-resources/publications-and-publishing/mathokos-books/courage-to-share/.
Taboon Media (Hrsg.) (2023). Whispers and Shouts, MaThoko's Books, GALA (Johannesburg, Mai 2023). Zugriff am 22.04.2024 unter https://gala.co.za/books-and-resources/publications-and-publishing/mathokos-books/whispers-and-shouts/.
Zitation: Matlhogonolo Samsam im Interview mit Rita Schäfer: Sichtbarkeit lesbischer Menschenrechtsarbeit: Lesbian Visibility Day in Botswana, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 23.04.2024, www.gender-blog.de/beitrag/lesbian-visability-botswana/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20240423
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