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Debatte

Malweiber, aquarellierende Hausfrauen – und Künstlerpersönlichkeiten

12. Juli 2022 Uta C. Schmidt

Warum sehen sich Künstlerinnen im dritten Lebensabschnitt auch heute noch mit dem Bild der aquarellierenden Hausfrau konfrontiert? Sie werden nicht mehr als Malweiber (Paul 1901), Ölcousinen (Krenzlin 1992, S. 84) oder Dilettantinnen (Sauer 1987) lächerlich gemacht, doch in der aquarellierenden Hausfrau verbirgt sich noch immer die Vorstellung, Kunst als Hobby, nicht jedoch als Beruf auszuüben. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, was dies mit der Formierung der modernen Künstlerpersönlichkeit in der kulturellen Moderne zu tun haben könnte. Über das Themenfeld Künstlerinnen lässt sich anschaulich zeigen, wie Geschlechterverhältnisse durch „normative Zuschreibungen und soziale Platzierungen“ (Hausen 2012, S. 83) hergestellt und immer wieder aktualisiert werden.

Ein neues Aussagesystem

Mit  der Transformation zur bürgerlichen Gesellschaft formierte sich seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ein neues „Aussagesystem“ über das Verhältnis der Geschlechter (Hausen 1976, S. 365). In ständischen Gesellschaften waren Aussagen über Mann und Frau im Verhältnis zueinander Aussagen über soziale Positionen. Nun aber galten sie als Aussagen über eine „Natur“, über das „Wesen“ der Geschlechter und Frauen wurde eine eigene Individualität abgesprochen (Hausen 1976, S. 369f.). Sie wurden in Bezug auf den Mann, auf Ehe, Familie und einen Innenbereich gesetzt, in dem es um Fürsorge und nicht um Selbstentfaltung geht. Frauen sollten sich also auf andere und nicht auf das Selbst beziehen, wie es Friedrich Schiller (1759–1805) in seinem Gedicht Die Glocke präsentierte. Schon zeitgenössisch wurde Kritik an diesem Geschlechtermodell laut. Charlotte Schlegel (1763–1809) wäre bei der Uraufführung 1799 darüber „fast von den Stühlen gefallen vor Lachen“ (Schlüter 1999, S. 333).

Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) hat diese Geschlechterkonzeption prominent in seinem Roman Émile oder Über die Erziehung (1762) ausgearbeitet. Mädchen gestand er darin Fertigkeiten in Zeichnen zu, um eine „elegante Linie“ (Rousseau 1963, S. 741) zu erlernen. Es hat jedoch im Diskurs der Aufklärung (und früher, so schon bei Christine de Pizan (1364– nach 1429), vgl. Zimmermann 1986) konträre Stimmen gegeben, die naturrechtlich von einer allen Menschen gegebenen Verstandesmäßigkeit jenseits von Geschlecht, race oder Klasse ausgingen, ein starkes Argument, das sich Mädchen und Frauen im Verlauf ihrer Bildungsemanzipation immer wieder zunutze machten, um Bildung um der Bildung willen zu fordern (vgl. Lerner 1993, S. 261)

Malweiber und Dilettantinnen

Rousseau gestand Frauen die Befassung mit Kunst zu, solange dies ihren Schönheitssinn für qualitätsvolle Handarbeiten förderte. Da er seine Geschlechterkonzeption als Gegenmodell zur Ständegesellschaft mit ihrer adeligen Repräsentationskultur entwickelte, in der Künstlerinnen eine nicht unwichtige Rolle gespielt hatten, galten ihm Landschaft, Figuren, Laubwerk, Früchte und Blumen als unangemessene Motive in der künstlerischen Bildung von Mädchen und Frauen: Gerade diese Genres hatten die Repräsentationskultur des Adels bestimmt.

Doch großbürgerliche Kreise eiferten begeistert adeligen Artikulations- und Ausdrucksformen nach. So gehörte es schon bald geradezu zur sittlichen Pflicht, dass Töchter der gehobenen bürgerlichen Schichten auch künstlerisch gebildet wurden. Es sollte aber eine Unterrichtung bleiben, die nicht auf eine gewerbliche Ausübung hin erfolgte, sondern dem Zeitvertreib als Verhinderung des Müßiggangs diente. Für Arbeitertöchter galt dies nicht.

Diejenigen, die nun in privaten Lehranstalten Zeichnen und Malen lernten, die die Öffentlichkeit suchten und Kunst als Beruf verstanden, waren schon bald als Malweiber (vgl. Umbach 2015) verschrien und wurden als Dilettantinnen disqualifiziert. Je mehr sie in den von den Frauenbewegungen des Kaiserreichs gegründeten Frauenakademien ihre maltechnischen und bildkompositorischen Kompetenzen ausbildeten, umso enger wurde „Dilettantismus“ mit Weiblichkeit – und Verweiblichung – gleichgesetzt: „Dilettantismus“ avancierte zum Schlüsselwort, um die künstlerischen Fertigkeiten des weiblichen Geschlechts und ihre Ambitionen scharf von einer gewerbsmäßigen Ausübung des Künstlerischen abzusetzen. Die „Dilettantin“ wurde zu einer wirkmächtigen Differenzkategorie.

Künstlerpersönlichkeit durch Ab- und Ausgrenzung

Ebenfalls fatal erwies sich für die Position der Künstlerin in der kulturellen Moderne, dass sich mit dem 19. Jahrhundert das entwickelte, was bis heute als ‚Künstlerpersönlichkeit‘ gilt. Diese positionierte sich in Distanz zur männlich gedachten Berufswelt, die sich an Effizienz und Rationalität orientiert. Das schöpferische, künstlerische Individuum sollte hingegen aus seinem Inneren heraus – aus Empfindungen, Eindrücken, Stimmungen – Ausdruck finden. Doch: Dieses Innere war genau der Ort, der bereits mit Weiblichkeit und mit Gefühl besetzt war.

Also mussten zusätzliche Trennlinien etabliert und Bereiche unterschiedlich bewerteter künstlerischer Arbeit markiert werden: Künstler versus Dilettantinnen, „Freie Künste“ versus gewerbebezogene Künste, die „Männlichkeit der Gestaltung“ gegenüber dem Kunstgewerbe als „weibliche Übergangserscheinung“. Das „Nützliche“ stand fortan der Industrialisierung und der Alltagstauglichkeit nahe, das „Schöne“ wurde hingegen zweckfrei und autonom chiffriert. Die schöpferische Kraft des Individuums wurde zudem wirkmächtig entlang der seit der aristotelischen Antike ausformulierten Polarität Körper-Geist organisiert – mit lang nachwirkenden Folgen für die Artikulationsmöglichkeiten von Künstlerinnen. Denn die Frau war in diesem Zuordnungssystem Körper und Trieb, der Mann hingegen Geist, Schöpfer (vgl. Rousseau, 1962, S. 727). Selbstverständlich gab es in der Gesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts aber auch viele Männer, denen geistige, schöpferische Eigenschaften abgesprochen wurden, allen voran den jüdischen Männern (von Braun 1999, S. 9)

Genie und Zeit

Die schöpferische Kraft des Individuums wurde sodann mit einer freien Zeitdisposition verknüpft, um Seele, Geist, Blick zu schulen und frei von den Belastungen des Alltags Ausdruck zu finden. Dieses Privileg stand Frauen mit ihrem normativen Bezug auf Ehe und Familie weniger zur Verfügung. In der zeitgenössischen Öffentlichkeit und Wissenschaft wurde als Reaktion auf die Frauenbewegungen mit ihren Forderungen nach Bildung, Beruf, Anerkennung auch der Künstlerin diskutiert, ob Frauen überhaupt zu genialem Schaffen befähigt seien. Hermione von Preuschen-Telmann (1845–1918), selber Malerin, glaubte nicht an männliches Genie und popagierte auf dem Internationalen Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen in Berlin 1886:„Und mit gütiger Erlaubnis ist das Genie so frei, sich nicht ins Geschlecht zu kehren, es fliegt in die Seelen wem und wie es will“ (von Preuschen-Telmann 1986 [1896], S. 149).

Gewerbliche Berufsbildung

Frauenbewegungen organisierten ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Eigenregie künstlerische Lehranstalten, die auch staatliche Subventionierung erhielten (Krenzlin 1992). Wenn Künstlerinnen schon eine Ausbildung an staatlichen Kunsthochschulen verwehrt blieb – könnten sie vielleicht auf eine gewerbliche Berufsbildung ausgewichen sein? Doch auch der Zugang zur gewerblichen Ausbildung wurde in der Industrialisierung nach Auflösung des Zunftwesens interessengeleitet neu geschlechterspezifisch organisiert. Schulministerien, Innungen und Handwerkskammern erließen Ordnungen, die durch wissenschaftliche und mediale Diskurse über den weiblichen Geschlechtscharakter und seit den 1920er-Jahren zur „Psychologie der erwerbstätigen Frau“ (Schlüter 1987, S. 30) samt der gesellschaftlichen Gefahren, die von ihr ausgingen, vorbereitet, flankiert, gestützt und popularisiert wurden.

Akademien als Sozialisationsinstanz und Geschäftsmodell

Als sich die Akademien im 19. Jahrhundert zur „Sozialisationsinstanz für den Künstlerberuf“ entwickelten (Ruppert 1998, S. 156), wurden Frauen  von dieser Institution mit dem Verweis auf geschlechtsspezifische Begabungen ausgeschlossen: „Freie Komposition und monumentale Aufgaben scheinen der Veranlagung der Frau weniger zu entsprechen“ (BHStA München, MK 40907 zit. in Ruppert 1998, S. 165), hieß es 1918 in einem Gutachten der Münchener Kunstakademie. Künstlerinnen haben dem stets widersprochen. Akademien waren während des Kaiserreichs mehr als Ausbildungsstätten: Sie waren Künstlervereinigung, berieten die Obrigkeit in künstlerischen Fragen, beförderten die Ausbildung des künstlerischen Nachwuchses. Sie galten als sozialer Ort mit Macht und Einfluss, an dem der bürgerliche, männliche Künstlerhabitus seine Professionalisierung erfuhr und sich reproduzierte. Die gleichberechtigte Ausbildung von Studentinnen hätte schnell gezeigt, dass „das Genie“ sich eben nicht an ein Geschlecht hält, sondern wirklich in die Seelen fliegt, „wem und wie es will“. Und so hieß es in den Statuten der Königlichen Akademie der Künste zu Berlin 1882: „Hospitantinnen dürfen mit Bewilligung des Direktors an einzelnen Unterrichtsstunden gegen Erlegung eines angemessenen Honorars für jedes einzelne Fach teilnehmen. Schülerinnen finden keine Aufnahme“ (Krenzlin 1992, Abb. 59).

All diese Zuweisungen von Wesensmerkmalen an Männer und Frauen und der Ausschluss von Frauen als reguläre Studentinnen dienten auch wirtschaftlichen Interessen: Solange Frauen als „Hospitantinnen“ gegen ein „angemessenes Honorar“ an privaten Zeichenstunden teilnehmen konnten, sicherten sie den Akademieprofessoren ein finanzielles Auskommen für ihren Status als gesellschaftlich anerkannte Künstlerpersönlichkeit. Zugespitzt: Das Geld für den freien, autonomen Künstler kam zum Teil durch die zahlungskräftige weibliche Klientel, der man die eigenständige autonome Künstlerpersönlichkeit absprach – ein überaus erfolgreiches Geschäftsmodell.

Literatur

Braun, Christina von (1999), „Der Jude“ und „Das Weib“: Zwei Stereotypen des Anderen in der Moderne, in: metis: Zeitschrift für historische Frauen- und Geschlechterforschung, Jg. 1, H. 2, S. 6–28.

Hausen, Karin (1976), Die Polarisierung de „Geschlechtscharaktere“. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Conze, Werner (Hg.), Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Neue Forschungen, Stuttgart 1976, S. 363–393. Zugriff am 29.06.2022 unter https://ia902209.us.archive.org/8/items/HausenPolarisierungDerGeschlechtscharaktere/Hausen-Polarisierung_der_Geschlechtscharaktere_text.pdf.

Hausen, Karin (2012), Der Aufsatz über die „Geschlechtscharaktere“ und seine Rezeption. Eine Spätlese nach dreißig Jahren, in: Hausen, Karin (Hg.), Geschlechtergeschichte als Gesellschaftsgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 83–105.

Krenzlin, Ulrike (1992), „auf dem ernsten Gebiet der Kunst ernst arbeiten“. Zur Frauenausbildung im künstlerischen Beruf, in: Berlinische Galerie/Museum für Moderne Kunst, Photografie und Architektur (Hg.), Profession ohne Tradition. 125 Jahre Verein der Berliner Künstlerinnen, ein Forschungs- und Ausstellungsprojekt der Berlinischen Galerie in Zusammenarbeit mit dem Verein der Berliner Künstlerinnen, Berlin: Kupfergraben, S. 73–87.

Lerner, Gerda (1993), Die Entstehung des feministischen Bewusstseins. Vom Mittelalter bis zur Ersten Frauenbewegung, Frankfurt a. M./New York: Campus.

Paul, Bruno (1901), Malweiber. Karikatur aus „Simplicissimus“, Nr. 15.

Pizan, Christine de (1986), Das Buch von der Stadt der Frauen. Aus d. Mittelfranz. übers. u. mit e. Kommentar u. e. Einl. vers. von Margarete Zimmermann, Berlin: Orlanda-Frauenverlag.

Preuschen-Telmann, Hermione von (1986) [1896], Über das künstlerische Studium der Frauen, in: Kongreß für Frauenwerke und Frauenbestrebungen in Berlin 19.–26.9.1886, Sammlung der gehaltenen Vorträge und Ansprachen, hg. v. Lina Morgenstern u.a., Berlin.

Rousseau, Jean-Jacques (1963), Emile oder Über die Erziehung, hg., eingel. und m. Anm. vers. von Martin Rang, unter Mitarb. d. Hg., aus dem Franz. übertr. v. Eleonore Sckommodau, Stuttgart: Reclam.

Ruppert, Wolfgang (1998), Der moderne Künstler. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Sauer, Marina (1987), Dilettantinnen und Malweiber. Künstlerinnen im 19. und 20. Jahrhundert, in: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e.V. Berlin (Hg.), Das Verborgene Museum I. Dokumentation der Kunst von Frauen in Berliner Öffentlichen Sammlungen, Berlin: Edition Hentrich, S. 21–31.

Schlüter, Anne (1999), Die Anfänge des Mädchenschulwesens – oder: öffentliche versus private Bildung für Mädchen im 19. Jahrhundert?, in: Arnold, Udo/Meyers, Peter/Schmidt, Uta C. (Hg.), Stationen einer Hochschullaufbahn. Festschrift für Annette Kuhn zum 65. Geburtstag, Dortmund: edition ebersbach, S. 330–346.

Schlüter, Anne (Hg.) (1987), Quellen und Dokumente zur Geschichte der gewerblichen Berufsbildung von Mädchen, Köln u. a.: Böhlau.

Umbach, Kathrin (2015), Die Malweiber von Paris. Deutsche Künstlerinnen im Aufbruch, hg. v. Helga Gutbrod, Gebrüder Mann Verlag: Berlin.

Zitation: Uta C. Schmidt: Malweiber, aquarellierende Hausfrauen – und Künstlerpersönlichkeiten, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 12.07.2022, www.gender-blog.de/beitrag/malweiber-kuenstler-geschlechterordnungen/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20220712

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Dr. Uta C. Schmidt

Historikerin und Kunsthistorikerin; Forschungen an den Schnittstellen von Raum, Wissen, Geschlecht und Macht; Publikationen zu Klöstern, Klanggeschichte und Geschichtskultur; wiss. Mitarbeiterin im Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW; Kuratorin im DA. Kunsthaus Kloster Gravenhorst; Mitherausgeberin von www.frauenruhrgeschichte.de.

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Kommentare

Veronika Teigeler | 12.07.2022

Hallo Uta, ich gratuliere dir zu diesem Beitrag über die Dilletantinnen, Malweiber und Künstlerpersönlichkeiten. Der Vortrag im Kloster Bentlage in Rheine hatte mir schon sehr gefallen. Meiner Meinung nach dürfte das Thema noch weiter bis in die Gegenwart verfolgt werden.

Herzliche Grüße.

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