27. Oktober 2022 Bernhard Gotto
Verwaltung ist für Frauen in Deutschland ein (noch) härteres Pflaster als Politik, wenn ihr Weg in die Chef*innenetagen führen soll. Eine Langzeitstudie über politisch-administrative Eliten in der Bundesrepublik von 1949 bis 2017 ergab, dass Frauen viel später in administrativen Leitungspositionen Fuß fassten als in Regierungsämtern. Während der Kanzlerschaft von Angela Merkel war immerhin ein Drittel der politischen Spitzenposten in weiblicher Hand, aber nur rund 15 Prozent der Führungsämter in der Ministerialbürokratie (Strobel u.a. 2021a; Strobel u.a. 2021b). Auch die höheren Positionen in den Länderverwaltungen blieben Frauen lange verschlossen. Im bayerischen Staatsministerium der Finanzen erreichte die erste Frau 1998 den Rang einer Abteilungsleiterin, eine Amtschefin hat es dort bis heute noch nie gegeben. Verwaltung ist ein eminenter Bereich staatlicher Herrschaft, und in diesem Maschinenraum der Macht erhalten Chefingenieurinnen ganz selten Zutritt. In gewisser Weise verschleiern also die erfolgreichen Spitzenpolitikerinnen in Deutschland, wie stark ein männliches Herrschaftsprivileg im Staatsdienst fortwirkt.
Warum ist das so? Eine Antwort liefert ein Blick zurück in die Vergangenheit. Er richtet sich auf die Verwaltungskultur, also auf ungeschriebene Regeln, das Erfahrungswissen, die Normen und Werte, die die Handlungsmöglichkeiten der Verwaltungsangehörigen zwar nicht determinieren, aber doch deutlich lenken. Verwaltungskultur ist gewachsen, sie ist „geronnene Geschichte“ (Fisch 2000). Geschlechterverhältnisse sind ein Teil davon. Welche Modelle von Männlichkeit und Weiblichkeit herrschten im öffentlichen Dienst vor, und wie formte das Verständnis von Staatsdienst das Ausagieren von bestimmten Geschlechterrollen?
Heroische Männlichkeit
Im Ministerialdienst überlebte nach 1945 eine Variante heroischer Männlichkeit, die durch den Bankrott des NS-Regimes obsolet erschien. Dieses Modell wurzelte im 19. Jahrhundert. Es prämierte Durchsetzungsvermögen, Härte, Opferbereitschaft, Treue und Disziplin. Solche Verhaltensmaßstäbe prägten sich tief in die Gender-Praxis der Beamten ein. Sie bewahrten ein rigides autoritäres Verhalten gegenüber Untergebenen und folgten ihrem Dienstherrn in unerschütterlicher Loyalität. Sie reservierten die Ministerialbürokratie für die Leistungselite und schotteten den Zugang für Seiteneinsteiger ab. Sie arbeiteten bis zum Umfallen und ordneten ihre persönlichen Belange ganz dem Dienst unter. Sie banden ihre persönliche Ehre an die Untadeligkeit ihrer Lebensführung als Beamte, die auch außer Dienst immer die Würde des Staates zu verkörpern hatten.
Besonders fest institutionalisiert war die Kerntugend der Treue. Beamte schworen diese Treue. Während sich das Gegenüber des Schwörenden mit den politischen Zäsuren der deutschen Geschichte dramatisch wandelte, blieben die Form und der Grundgedanke einer persönlichen Loyalitätsbindung zwei Jahrhunderte lang nahezu unverändert (Conze 2020). Dies zeigt sich auch an den Auszeichnungen, die Ministerialbeamte für lange treue Dienste verliehen bekamen: Der Verdienstorden der bayerischen Krone, das Treudienstabzeichen der Nazis, das Bundesverdienstkreuz und der Bayerische Verdienstorden der Nachkriegszeit stammen aus der Tradition der militärischen Ehrenzeichen und zielen in den Kern heroischer Männlichkeit.
Eine Signatur der Gewalt
Solche Ausdrucksformen waren mehr als ein symbolischer Traditionsrest. Heroische Männlichkeit trug eine Signatur der Gewalt, die tief in die Biografien der Beamten eingelassen war. Sie begann mit schlagenden Verbindungen, führte über paramilitärische Verbände und die Teilnahme an den Weltkriegen und reichte bis zu bleibenden Kriegsverletzungen. Gewalterfahrung wurde dienstlich prämiert. Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs erhielten Abschläge auf die alles entscheidende Note ihrer Staatsprüfung, im öffentlichen Dienst gab es eine Beschäftigungsquote für Kriegsversehrte, ehemalige NSDAP-Angehörigen mit Kriegsverletzungen fielen 1947 unter die sogenannte „Weihnachtsamnestie“, sodass sie sich keinem Entnazifizierungsverfahren stellen mussten und rascher als andere Beamte wieder in Führungspositionen zurückkehren konnten.
Bis weit in die 1970er-Jahre dominierten solchermaßen geprägte Männer die Leitungsbüros nicht nur im bayerischen Finanzministerium. Die Rezivilisierung von Männlichkeit nach 1945, verstanden als kulturelle Umkodierung unter demokratischen Vorzeichen (Biess 2006; van Rahden 2017), ging an der Verwaltungskultur weitgehend vorbei.
Warum toxisch?
„Toxisch“ ist als Bezeichnung für Männlichkeit in jüngster Zeit zum Modewort geworden und hebt insbesondere auf den destruktiven Charakter von aggressiven Geschlechterperformanzen in Beziehungen ab. Hier geht es um etwas anderes, nämlich um die Wechselwirkung von geschlechtlichen Identitätsansprüchen mit der Integrationskraft und der Bindewirkung des politischen Systems (vgl. Kimmel 2013; Sauer 2020).
Die Folgen heroischer Männlichkeit zeigten sich zunächst darin, dass sie den Ausschluss von Frauen kulturell verstetigte, als die institutionellen Voraussetzungen für Gleichberechtigung längst vorlagen. Dies zeigt das Beispiel der ersten Beamtin des höheren Dienstes im bayerischen Finanzministerium. 1948 trat die promovierte Volkswirtin dort ein und arbeitete sich nach einem Aufstiegslehrgang (den männliche Quereinsteiger mit Doktortitel nicht absolvieren mussten) als erste Frau zur Regierungsrätin hoch. Als sie 1953 verbeamtet wurde, sahen die Personalbögen noch keine Frauen vor – sie kannten das Feld „Beamter“, und „Ehefrau“, nicht aber, wie die Personalbögen für Angestellte, die Rubrik „Ehegatte“. Sie organisierte die Beziehungen zum Landtag und arbeitete zugleich als persönliche Referentin des Staatssekretärs. Nachdem dieser aus dem Kabinett ausgeschieden war, versetzte sie der Finanzminister Ende 1966 gegen ihren Willen und nach fast 19 Jahren im Ministerium an das Statistische Landesamt. Dienstrechtlich war nichts gegen diesen Schritt einzuwenden, tatsächlich bedeutete er jedoch eine massive Benachteiligung, denn für männliche Kollegen in gleicher Position hatte sich bis dahin stets eine Verwendungsmöglichkeit im Ministerium gefunden.
Eine patriarchalische Agenda
Wenige Monate später wirkte sich die patriarchalische Agenda des Finanzministeriums auch bei der Personalrekrutierung aus. Das Ministerium brauchte geeigneten juristischen Nachwuchs. Um hoch qualifizierte Kräfte zu gewinnen, besorgte sich das Personalreferat die Adressen aller Prüflinge, die in der Großen juristischen Staatsprüfung mit der Note befriedigend oder besser abgeschnitten hatten, um sie mit einem persönlichen Schreiben des Amtschefs für die Laufbahn im Staatsfinanzdienst zu interessieren. Von den 183 Absolventen und 14 Absolventinnen erfüllten 88 das Auswahlkriterium. Angeschrieben wurden aber nur die Männer. Fünf Juristinnen überging das Finanzministerium, darunter diejenige mit dem zweitbesten Ergebnis aller Prüflinge.
Auch Beamte, die vom Modell der heroischen Männlichkeit profitierten, standen unter einem enormen Druck. Da Schwäche in ihrer Dienstauffassung nicht vorgesehen war, bagatellisierten sie Krankheiten. Häufig litten sie unter psychosomatischen Störungen der inneren Organe, Stress und Überlastung verursachten Langzeitschäden, Herzinfarkte waren häufig. Ein Beamter meldete einen Dienstunfall, bei dem er sich eine Rippe gebrochen hatte, erst zwei Wochen später, als die Schmerzen unerträglich wurden. 1950 brach der Referent für Flüchtlingskredite während einer Verhandlung vor Erschöpfung zusammen. Wer mit seinem Dienstherrn in Konflikt geriet, musste mit sozialer Ächtung rechnen. Als 1966 der langjährige Abteilungsleiter für Liegenschaften in Verdacht geriet, ein staatseigenes Grundstück unter Wert verkauft zu haben und die Presse den Fall skandalisierte, mieden ihn seine Kollegen; ein Jahr später wurde er nach 35 Dienstjahren im Finanzministerium pensioniert. Doch der Makel, als möglicherweise korrupter Schädiger des Staates dazustehen, ließ ihm keine Ruhe. Seine Ehefrau flehte den Minister an, durch eine öffentliche Erklärung die Ehre ihres Mannes wieder herzustellen. Der Minister zierte sich; erst 1970 kam es zu einer Aussprache.
Residualraum für ein patriarchalisches Herrschaftsverständnis
Diese Beispiele stammen aus einer Zeit, als sich die Geschlechterverhältnisse und das Demokratieverständnis in der Bundesrepublik gründlich gewandelt hatten. Sexuelle Revolution, Neue Frauenbewegung und allerorten sichtbare Aufbrüche für mehr Partizipation, Bürgernähe und Gleichberechtigung gingen jedoch am Ministerialdienst vorbei. Dieser blieb ein Residualraum für ein patriarchalisches Herrschaftsverständnis, während in anderen Bereichen die Kritik daran wuchs (Gotto 2021). Erst in den 1990er-Jahren öffnete sich der öffentliche Dienst stärker für Frauen (di Luzio 2002). Ina Deters Ruf „Neue Männer braucht das Land“ von 1982 prallte an der Beharrungskraft heroischer Männlichkeit in der Spitzenbürokratie ab. Deren Protagonisten hielten es mehr mit dem Hit von Bonnie Tyler aus dem Jahr 1984: „I need a hero“.
Literatur
Biess, Frank, Homecomings. Returning POWs and the Legacies of Defeat in Postwar Germany, Princeton 2006.
Conze, Vanessa (2020), »Ich schwöre Treue…« Der politische Eid in Deutschland zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik, Göttingen 2020.
Fisch, Stefan, Verwaltungskultur – geronnene Geschichte?, in: Die Verwaltung 33 (2000), S. 303-323.
Gotto, Bernhard, „Bürohengste“, „Amtsfräulein“, Bürger_? Geschlechterperspektiven auf Verwaltung in der bundesdeutschen Nachkriegsdemokratie, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 69 (2021), S. 733-741.
di Luzio, Gaia, Verwaltungsreform und Reorganisation der Geschlechterbeziehungen, Frankfurt am Main 2002.
Kimmel, Michael, Angry White Men. American Masculinity at the End of an Era, New York 2013.
van Rahden, Till, Sanfte Vaterschaft und Demokratie in der frühen Bundesrepublik, in: Bernhard Gotto/Elke Seefried (Hrsg.), Männer mit „Makel“. Männlichkeiten und gesellschaftlicher Wandel in der frühen Bundesrepublik, München 2017, S. 142-156.
Sauer, Birgit, Authoritarian Right-Wing Populism as Masculinist Identity Politics. The Role of Affects, in: Gabriele Dietze/Julia Roth (Hrsg.), Right-Wing Populism and Gender. European Perspectives and Beyond, Bielefeld 2020, S. 23–40.
Strobel, Bastian/Scholz‐Paulus, Simon/Vedder, Stefanie/Veit, Sylvia (2021a): Die Politisch‐Administrative Elite der BRD von 1949 bis 2017. Randauszählungen zu Elitestudien des Fachgebiets Public Management der Universität Kassel, Band 15. Kassel. DOI: 10.17170/kobra‐202102183291
Strobel, Bastian/Scholz-Paulus, Simon/Vedder, Stefanie/Veit, Sylvia (2021b): Die Politisch-Administrative Elite der BRD unter Angela Merkel (2005-2018). Randauszählungen zu Elitestudien des Fachgebiets Public Management der Universität Kassel, Band 23. Kassel. DOI: 10.17170/kobra-202102193309
Zitation: Bernhard Gotto: Im Maschinenraum der Macht, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 27.10.2022, www.gender-blog.de/beitrag/maschinenraum_der_macht/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20221027
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