Skip to main content
Headergrafik: matka_Wariatka/Adobe-Stock

Interview

Mental Load und Menstruation in der Hochschule

21. Juni 2022 Barbara Hillen Sandra Beaufaÿs

An der Hochschule Bonn-Rhein Sieg gibt es auf dem Campus St. Augustin seit kurzem Spenderautomaten für kostenlose Menstruationsartikel. Barbara Hillen, Zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Hochschule, hat sie anbringen lassen als Teil eines Pilotprojekts, das struktureller Bildungsbenachteiligung entgegenwirken soll.

Frau Hillen, welchen Nachteil habe ich als Menstruierende gegenüber Nichtmenstruierenden?

In den letzten Tagen konnten wir die unterschiedliche Beurteilung von Frauen und Männern wieder feststellen. Eine Weltklassespielerin und ein Weltklassespieler im Tennis fielen nach einander aufgrund körperlicher Umstände bei den Frech Open aus. Qinwen Zheng erhielt dafür auf Social Media gehässige Kommentare, Lachsmileys etc., während Alexander Zverev mehrheitlich Mitleid und Genesungswünsche von der Allgemeinheit zugesprochen wurden. Klar, die Periode ist kein Unfall, aber die unterschiedlichen Erwartungshaltungen, die an Frauen und Männer gestellt werden und was passiert, wenn die Menstruation lediglich als Erklärung für verminderte Leistung benannt und sichtbar wird, das fand ich bemerkenswert. Leistungssport scheint mir aber der einzige öffentliche Bereich zu sein, in dem das Thema Menstruation halbwegs zulässig ist und wo auch schon seit längerem dazu geforscht wird.

Jüngere Frauen thematisieren zunehmend diesen Aspekt des Lebens und fordern Aufmerksamkeit für etwas, das früher beschämt verschwiegen wurde.

Ja, das hat natürlich auch etwas mit einem Selbstbewusstsein zu tun, dass ich sage: ‚Ich habe andere Bedürfnisse und ich möchte, dass die wahrgenommen werden!‘ Vielleicht hat sich dies auch über die Diskussion zu Mental Health und Wellbeing im Arbeitsleben entwickelt. Die jungen Leute haben einfach keine Lust mehr darauf, 39 Stunden abzuarbeiten, nach Hause zu gehen und zwei Tage zu brauchen, um sich davon wieder zu erholen. Ich glaube, dass die Arbeitswelt sich da insgesamt etwas einfallen lassen muss, weil gerade Jüngere sehr viel selbstbewusster damit umgehen und knallhart sagen, wenn es mir hier nicht gefällt, dann gehe ich woanders hin. Und in diesem Kontext und den Kampf um gute Köpfe würde ich auch die Diskussion um freie Menstruationsartikel sehen. Es geht nicht mehr darum, sich von Männern möglichst wenig zu unterscheiden – wie es einige Feminismen der achtziger und neunziger Jahre anstrebten. Es geht darum, den Mut zu haben, spezifische Bedürfnisse zu artikulieren.

Sie haben an Ihrer Hochschule eine Umfrage zur Akzeptanz einer kostenlosen Bereitstellung von Menstruationsartikeln auf dem Campus durchgeführt. Wie kamen Sie auf die Idee?

Ich wollte wissen, ob so etwas wie Period Poverty in einem Industrieland wie Deutschland und an Hochschulen existiert. Oder haben wir vielleicht eher das Problem, dass Menschen ihren Arbeits- und Studienplatz, den Campus verlassen müssen, weil wir hier keine Menstruationsartikel anbieten? Gerade war ich eine Woche lang in Irbid/Nordjordanien an einer unserer Partnerunis. Dort kam ich mit Studentinnen auch über unser Projekt ins Gespräch. Es muss in ihren Ohren allerdings wie Hohn geklungen haben, denn – zumindest in ihrer Uni – gibt es kein Toilettenpapier und in einigen Toiletten der Uni auch kein fließendes Wasser. Dort sind für Frauen mehrere Faktoren relevant: Mental Load, Period Poverty, Zugang zu sauberem Wasser – zusätzlich zu allen anderen gesellschaftlichen Normen, mit denen Frauen dort konfrontiert sind. Die Situation in Irbid kann aber kein Gradmesser für uns sein. Sie zeigt im Gegenteil, dass man in den meisten Ländern der Erde noch einen weiten Weg vor sich hat.

Wie haben Sie die Idee zu ihrem Projekt denn an Ihre Hochschule, hier in Nordrhein-Westfalen, herangetragen?

Den Gedanken habe ich tatsächlich schon in meinem Vorstellungsgespräch aufgebracht. Ich bin von der Gleichstellungskommission gefragt worden, was ich denn für die verschiedenen Statusgruppen anbiete. Und ich habe gesagt, dass ich etwas für Frauen machen möchte, völlig unabhängig von deren Status an der Hochschule. Das ist eine ganz simple, feministische Forderung.

In welchen Gremien haben Sie Ihre Sache noch vorgetragen?

Ich bin als beratendes Mitglied in jeder Präsidiumssitzung dabei, das ist an unserer Hochschule so. Dort habe ich gesagt, dass ich eine Umfrage machen möchte. Das habe ich nicht zur Wahl gestellt, sondern habe es als Pilotprojekt der Gleichstellung vorgestellt, als wissenschaftliches Projekt. Denn ich habe gedacht, gegen Wissenschaft kann man an der Hochschule ja schlecht etwas sagen ((lacht)). Für mich ist aber auch das ein wichtiges Argument: Wenn ich keine Daten habe, kann ich schlecht Entscheidungen treffen.

Wie sind Sie dann vorgegangen?

Ich habe recht schnell mit der Umsetzung angefangen. Mit Niklas Kroheck hatte ich einen sehr geeigneten Mitarbeiter, da er sich in seiner Bachelor-Arbeit mit Bildungsungerechtigkeit beschäftigt hat. Er war wirklich so eine Art Icebreaker für mich, weil wir so die Spielregeln ändern konnten: Ich habe gemerkt, es ist etwas anderes, wenn Männer sich für etwas einsetzen, was Frauen brauchen. Zum Beispiel standen wir auf dem Campus und haben die Leute angesprochen. Er stand dann da und hat anderen Studenten das Projekt erklärt. Jeder Mann ist ja auch in einer Rolle, in der er für Frauenrechte eintreten kann – als Partner, Vater oder Kommilitone. Und wenn jemand gefragt wird: ‚Möchtest du, dass deine Freundin früher aus der Vorlesung nach Hause gehen muss, nur weil sie überraschend ihre Periode bekommt und hier keine Hygieneartikel dafür zu haben sind?‘, denkt er vielleicht zum ersten Mal darüber nach.

Hat es Widerstände gegen das Projekt gegeben?

Nein, Widerstände gab es auf der Ebene eigentlich erstaunlich wenige. Ich habe bislang alles aus meinem Budget bezahlt über das Landesprogramm „Geschlechtergerechte Hochschule“. Und die größte Herausforderung wird sein, dass die Hochschule dauerhaft die Verantwortung dafür übernimmt. Dazu müssten Rahmenverträge mit den beteiligten Dienstleistungsunternehmen angepasst werden. Und da muss ich die Verwaltung trotz der klaren Ergebnisse unserer Studie noch überzeugen.

Gibt es auf allgemeiner gesellschaftlicher Ebene noch Hürden, die Sie sehen?

Es gibt meiner Ansicht nach schon ein Aufklärungsdefizit. Denn es geht ja hier nicht um etwas Modisches, wie manche meinen, ein ‚nice-to-have‘, sondern Menstruation ist etwas, das alternativlos und in dem Moment nicht zu beeinflussen ist. Es muss nur gesehen werden, dass das so ist. Klar, wenn man was Neues anfängt, wird es immer erstmal Leute geben, die das auch ausnutzen – so wie in China, wo vor noch gar nicht so langer Zeit Toilettenpapier auf öffentlichen Toiletten eingeführt wurde, und die Leute waren so fasziniert davon, dass sie es mit nach Hause genommen haben – aber das kann kein Argument sein, dass man es lässt. Wenn wir wissen, dass es diese Möglichkeit gibt, dann hat man, finde ich, auch die Verantwortung, diese strukturelle Benachteiligung für Frauen und Mädchen zu verringern.

Sie würden das als strukturelle Benachteiligung bezeichnen?

Ja, auf jeden Fall. Ich denke da auch weiter, nicht nur an Hochschulen, sondern beispielsweise auch an Schulen. Und ich hoffe, dass ich mit solchen Maßnahmen Leuten die Angst vor diesem Tabuthema nehmen kann. Es sollte deutlich werden, dass dadurch nicht anderen etwas weggenommen wird, wenn ich versuche, diese Nachteile für Frauen auszugleichen. Manche Männer haben die Befürchtung, es würde ihnen damit etwas weggenommen. Das kam ja bei unserer Untersuchung auch raus, dass gefragt wurde: ‚Wenn wir das machen, was passiert dann mit meinen Studiengebühren?‘ Aber ich halte es für normal, dass in unserer Gesellschaft auf die Bedürfnisse von anderen Menschen eingegangen wird, ohne dass man damit das Leben für andere erschwert. Ich erschwere ja nicht das Leben für Nichtmenstruierende, wenn ich den Menstruierenden innerhalb der gegebenen Strukturen das Leben erleichtere. Natürlich kostet es etwas. Aber es werden ja beispielsweise auch Zigarettenauffangbehälter für den öffentlichen Raum gekauft. Dabei ist Rauchen nicht alternativlos.

Sehen Sie Ihre Hochschule da in der Pflicht?

Wir haben eine Inklusionsstrategie an unserer Hochschule und ich sehe unseren Vorstoß eher in diesem Rahmen. Wenn wir da nicht nur theoretisch drüber reden wollen, müssen wir Dinge umsetzen. Das hat etwas mit Glaubwürdigkeit und Authentizität zu tun. Es gibt einige andere Hochschulen, die ebenfalls Menstruationsartikel anbieten, aber wir sind die ersten mit entsprechenden Daten, die belegen, wie sinnvoll eine solche Maßnahme ist. An Hochschulen für angewandte Wissenschaften spielt der Transfer immer eine ganz große Rolle, das können wir sogar aus der Gleichstellungsstelle heraus an diesem kleinen Beispiel zeigen. Es muss nicht immer etwas Technisches sein, sondern Transfer kann sich auch im sozial-gesellschaftlichen Kontext bewegen.

Ein ausführlicher Beitrag zur Studie und den Projektergebnissen findet sich im Journal Nr. 50 des Netzwerks Frauen und Geschlechterforschung NRW.

Literatur

Hillen, Barbara & Kroheck, Niklas (2022). Studieren und Menstruieren – geschlechtergerechterer (Hoch-)Schulalltag durch kostenlose Menstruationshygieneartikel. Studie der Gleichstellungsstelle an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg 2021/2022. In: Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW, Nr. 50, S. 43–50. https://doi.org/10.17185/duepublico/76055

Zitation: Barbara Hillen im Interview mit Sandra Beaufaÿs: Mental Load und Menstruation in der Hochschule, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 21.06.2022, www.gender-blog.de/beitrag/menstruation-in-der-hochschule/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20220621

Beitrag (ohne Headergrafik) lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz Creative Commons Lizenzvertrag

© Headergrafik: matka_Wariatka/Adobe-Stock

Dr. Barbara Hillen

Barbara Hillen ist Historikerin und seit 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Graduierteninstitut der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Als Mitglied in den Frauennetzwerken Soroptimist International und UN Women ist ihr die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen ein besonderes Anliegen. 2021 übernahm sie das Amt der Zentralen Gleichstellungsbeauftragten der H-BRS.

Zeige alle Beiträge

Dr. Sandra Beaufaÿs

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW an der Universität Duisburg-Essen. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Wissenstransfer sowie bei den Themen Geschlechterverhältnisse in Wissenschaft, Professionen und Arbeitsorganisationen.

Zeige alle Beiträge
Netzwerk-Profil Dr. Sandra Beaufaÿs

Kommentare

Claudia Winter | 21.06.2022

Guten Tag,

an den Hochschulen sollte in jeder Toilettenanlage eine abschließbare Toilette mit Waschbecken sein, in der Frau die Menstruationstasse leeren oder den schwamm waschen kann. Das wäre ökologisch weitergedacht. Also: Gleichstellungsbeauftragte, ab in die Baukommission (da wird sie sich dann in 'bewährter' Männerrunde großem Erstaunen ob dieser Idee aussetzen dürfen).

Grüße von der Mosel, Claudia Winter

Schreibe einen Kommentar (max. 2000 Zeichen)

Es sind max. 2000 Zeichen erlaubt.
Die E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht.
Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Kommentare werden von der Redaktion geprüft und freigegeben.