24. März 2021 Tina Hartmann
Das Timing könnte kaum besser sein: Nach einem Jahr Pandemie liegen quer durch die Gesellschaft die Nerven blank. Die allgemeine Wundheit befeuert alte wie neue Weltverschwörungserzählungen und die Kampfaufrufe prominenter weißer alter Männer gegen jede Form von Minderheitengerechtigkeit. Sternchenthema ihrer Hasspredigten ist stets die gendergerechte Sprache. Henning Lobin erklärt in Sprachkampf. Wie die Neue Rechte die deutsche Sprache instrumentalisiert, warum.
Die verbale Aufrüstung neurechter Sprachkritik fasst Sprachkampf ebenbürtig martialisch als „Sprachschlachten“, „Schlachtfeld“ „Kampfgebiet“, „Aufmarschgebiet“ und „Frontbesichtigung“ zusammen. Dabei steht die systematische Agitation des Vereins Deutsche Sprache (VDS) im Zentrum der knapp 160-seitigen, auch für nicht Sprachwissenschaftler*innen gut lesbaren Darstellung, die „weder ein Fachbuch ist noch ein reines Sachbuch“ (S. 9) sein soll und die Lobin ausdrücklich nicht in seiner Funktion als Präsident des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache, sondern in seiner Freizeit schrieb (S. 163).
Agitieren für die ‚Reinheit der deutschen Sprache‘
Wer immer sich auf dem Feld gendergerechter Sprache engagiert, bekommt es früher oder später mit dem 1997 von Walter Krämer gegründeten VDS zu tun, einem „Kampfverband“, der sich einer zunehmend offen identitären ‚Reinhaltung‘ der deutschen Sprache von Fremdwörtern, insbesondere Anglizismen, verschrieben hat und das Thema gendergerechte Sprache für den Aufbau eines umfassenden Verschwörungsglaubens (auf S. 158 leider zur „Theorie“ geadelt) nutzt. Detailliert zeichnet Lobin die Vernetzung mit der AfD nach. Eine besondere Rolle spielt dabei die Frankfurter Allgemeine Zeitung, „eine als seriös angesehene Zeitung, die verdeckt Politik betreibt“ (S. 85), indem sie Texte des VDS verbreitet. In einem Netzwerk von Jurys und Stiftungen schanzen einige ihrer Redakteur*innen und Autor*innen sich und weiteren Agitator*innen für vorgebliche ‚Reinheit der deutschen Sprache‘ wechselseitig teils hochdotierte Sprachpreise zu (S. 82f.). „Als eine von der AfD gesteuerte Vorfeldorganisation lässt sich der VDS nicht bezeichnen“ (S. 122), doch bereitet er den Boden für ihre offen sprachnationalistischen Debatten und liefert ihr zunehmend die Formulierungen. Auch für gendergerechte Sprache offene öffentlich-rechtliche Medien wie das ZDF müssen sich vorwerfen lassen, „es sich, anstatt genauer zu recherchieren, mit einer süffisanten Kommentierung viel zu leicht zu machen“ (S. 85).
Patriotismus für das Bildungsbürgertum
Die Rechte hatte schon immer ein hohes Zutrauen in die Wirkungsmacht von Kunst und Kultur. Identitäre Sprachpolitik ist der gezielte Versuch der AfD, einen „Patriotismus für das Bildungsbürgertum“ zu schaffen und damit „einer mit dem Begriff der Identität kaschierten nationalistischen Politik zum Durchbruch zu verhelfen“ (S. 128). Vorbild ist der Sprachnationalismus der NS-Zeit mit ihrer forcierten Gleichschaltung der Germanistik. Doch gerade weil „identitäre Sprachpolitik […] so zum trojanischen Pferd der Neuen Rechten“ (S. 132) wird, hätte die Leserin sich an dieser Stelle eine Ausweitung der Perspektive gewünscht, die auch andere Parteien und parteiinterne Debatten (wie wir sie gerade in der SPD beobachten) aufgreift; ferner könnte über die Rolle von Monika Maron hinaus systematischer beleuchtet werden, welche Rolle Schriftsteller*innen für die reaktionäre Debatte spielen. Als codierte Form von Misogynie und Rassismus nimmt Sprachpolitik in den Grundsatzprogrammen von AfD und NPD breiteren Raum ein als bei den Parteien des demokratischen Spektrums. Mit der vorgeblichen Stärkung von Deutsch als Wissenschaftssprache und der Initiative einer Verankerung der deutschen Sprache im Grundgesetz gelang es dem VDS 2016 sogar kurzfristig, die CDU vor sich herzutreiben (S. 26). Die zahlreichen entsprechenden Anträge der AfD und Petitionen des VDS sind jedoch vor allem „ein Signal der Abschottung“ gegenüber „Menschen mit Migrationshintergrund“ (S. 25f.).
Vorschläge aus der Defensive
Identitäre Sprachpolitik ist Schattenboxen. Eine verschworene, normierende Elite, die mit der Übernahme der Sprache die große Mehrheit unterdrücken will, gibt es nicht. Detailliert schildert Lubin die Arbeitsweise von Rechtschreibrat, Dudenredaktion und seines eigenen Instituts als im Zweifel abwartende Dokumentation sich abzeichnenden Sprachgebrauchs bezüglich der Einstufung des Gendersternchens als orthografisches oder typografisches Zeichen. Doch leider kippt auch seine kämpferische Haltung in die Defensive, sobald es an konkrete Vorschläge zum kreativen Umgang mit Fremdwörtern, Anglizismen und Gendersprache geht. Dazu passt, dass gleich eingangs das schöpferische Potenzial der Fremdwortkritik des 17. und 18. Jahrhunderts unterschlagen wird. Die Sprachgesellschaften des Barock und der frühen Neuzeit waren durchaus keine einseitig chauvinistische Kritik des französischen ‚à la mode‘, sondern adelige und bürgerliche literarische Kräfte komplex verbindende Experimentallabore, die gemeinsam mit Autor*innen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die deutsche Sprache literaturfähig machten. Auch aus der traditionell dezidiert antinationalistischen Idee einer alle Sprechenden ohne zentralistisches Organ einenden deutschen Sprache (Grimm) ließen sich größere argumentative Funken schlagen. Zumal Lobin zeigen kann, dass vorgeblich absurde Wörter wie ‚Gästin‘ oder ‚Lieblingin‘ im 18. Jahrhundert schon gebräuchlich waren.
Aktiver Umweltschutz!
So einleuchtend Lobins Vergleich der Sprache mit einem Biotop (S. 137ff.) sein mag, die Idee des ‚let go‘ unterschätzt – um im Bild zu bleiben – die zerstörerische Kraft des Populismus als Umweltzerstörer. Als „Waffenstillstand“ vorgetragene Vorschläge zu gendergerechter Sprache signalisieren überdies eine Anerkennung der gegnerischen Sabotage als Status quo und entwerten die vorhergehende Analyse, wonach Ziel des Sprachkampfes nicht die Sprache selbst, sondern ihre Repräsentation weißer männlicher Dominanz ist. Der Vorschlag, dass „der Grundsatz von Respekt und Höflichkeit Vorrang genießen solle“ und „wenn Frauen in einer bestimmten Weise angesprochen werden wollen, sollte man dies auch tun, und nicht auf das vermeintlich ‚generische‘ Maskulinum verweisen“ (S. 141), dürfte Reaktionäre kaum überzeugen, da sie gegen dieses Argument gezielt weibliche Gegenstimmen, wonach Frauen gar keine gendergerechte Sprache wollen, ins Feld führen. Analog zur Forderung, „die germanistische Linguistik muss es […] als Verpflichtung ansehen, sich in die Öffentlichkeit zu begeben, wenn die deutsche Sprache politisch instrumentalisiert wird“ (S. 160), hätte sich die Leserin von einem mit allen Debatten vertrauten Autor kraftvollere Vorschläge erhofft. Kraft bekommt diese simple Formel allerdings als „[e]in Wort zu sprachlicher Inzivilität“ (S. 155) gegen sich demokratisch gediegen gebärdende Verteidiger [sic!] des M*-, N*-Wortes: „Muss denn wirklich gesagt werden, dass der Respekt vor dem anderen gebietet, auf derartige belastete Wörter im Miteinander zu verzichten, wenn es sich der andere wünscht?“ (S. 156).
Henning Lobin: Sprachkampf. Wie die Neue Rechte die deutsche Sprache instrumentalisiert. Dudenverlag Berlin 2021.
Zitation: Tina Hartmann: Patriotismus für Bildungsbürger [sic!], in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 24.03.2021, www.gender-blog.de/beitrag/patriotismus-fuer-bildungsbuerger/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20210324
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