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Forschung

Nachricht von der Philosophie des Frauenzimmers

01. Oktober 2024 Namita Herzl

In den letzten Jahrzehnten wurde der philosophische Kanon maßgeblich kritisiert. Philosophinnen weltweit haben die Frage gestellt: Wieso werden Frauen aus dem Narrativ der Geschichte der Philosophie ausgeschlossen? Die daraus resultierenden Forschungen tragen inzwischen Früchte und haben eine Reihe von philosophierenden Frauen und deren Werke in die Erzählungen der Philosophiegeschichte integriert. [1]

Die intellektuell untergeordnete Stellung von weiblichen Philosophierenden wurde lange mit dem Fehlen von Werken begründet (u. a. Kirchhoff 1897). Eine feministische Philosophiegeschichtsschreibung zeigt dagegen, dass viele Frauen in der Vergangenheit Philosophie betrieben haben – nicht nur schriftlich, sondern auch durch andere Ausdrucksformen –, was bisher noch kaum erforscht wurde.

Philosophiegeschichtsschreibung und die Frauen

Die aktuelle Forschungslage ist aufgrund weiterhin bestehender Lücken noch nicht zufriedenstellend. Insbesondere in Bezug auf Philosophinnen in außereuropäischen Traditionen steht die globale Forscher:innengemeinschaft noch weitgehend am Anfang der Rekonstruktionsarbeit (vgl. Graneß 2021; Waithe/Dykeman 2024). Wie die europäische Philosophiegeschichtsschreibung zeigt, wird sich jedoch nicht erst seit dem 20. Jahrhundert darum bemüht, Beiträge von Frauen zur Philosophie sichtbar zu machen. Frühe Ansätze einer Geschichte weiblicher Philosophen, wie Gilles Ménages Historia mulierum philosopharum von 1690, sind jedoch selten und weitgehend vergessen (Ménage 2019). 

Auch der deutsche Philosophiehistoriker Christoph August Heumann (1681–1764) zielt mit seinem Text „ACTA PHILOSOPHARUM, das ist, Nachricht von der Philosophie des Frauenzimmers“ (1721) darauf ab, Leben und Werk von Philosophinnen von der Antike bis in seine Gegenwart zu beschreiben. In der Zeitschrift Acta philosophorum umfasst dieses Unternehmen immerhin 50 Seiten und Heumann führt 31 gelehrte Frauen an – einige nur namentlich, andere sehr kurz und knapp, viele aber auch durchaus ausführlicher.

Heumanns Philosophinnen-Geschichte

Trotz einiger Vorurteile gegenüber den intellektuellen Fähigkeiten von Frauen markiert Heumanns Aufsatz eine Wende in der deutschsprachigen Philosophiegeschichtsschreibung. Er war einer der ersten, der systematisch das Leben und Werk von Denkerinnen unter dem Begriff der Philosophie zusammenstellte und ihren Beitrag diskutierte. Die Neuauflage von Nachricht von der Philosophie des Frauenzimmers würdigt Heumanns Arbeit kritisch und zielt darauf ab, den bisher wenig bekannten und schwer zugänglichen Text einem breiteren Publikum zugänglich zu machen (eine Ausnahme ist Brokmann-Nooren 1994: 78–82).

Die kommentierte Neuauflage (Hrsg. v. Anke Graness und Namita Herzl) trägt zur Philosophinnen-Geschichte bei und bietet eine Metaebene zur kritischen Reflexion und historischen Einordnung der unterschiedlichen philosophiegeschichtlichen Narrative der letzten Jahrhunderte (ausführlicher zur Subdisziplin Philosophiegeschichte: Braun 1990; Elberfeld 2021; Santinello 1979–2004; Schneider 1990). In der Neuauflage wurde ein Überblick über alle im Werk erwähnten Philosophinnen samt Anmerkungen zum heutigen Forschungsstand erstellt. Heumann stellt einige Gelehrte als Philosophinnen vor, die heute weitgehend vergessen sind (Maria Molinaeus, Esther Elisabeth von Waldkirch, Oliva Sabuco de Nantes Barrera) oder in anderen Disziplinen verortet werden (Maria Cunitz, Maria Winkelmann-Kirch). Manche von ihm genannte Denkerinnen sind inzwischen im Kanon der Philosophie anerkannt, wie Christine de Pizan, Elisabeth von der Pfalz oder Anne Finch Conway.

Philosophiebegriff in der Transformation

Die Frage, warum bestimmte von Heumann erwähnte Philosophinnen heute in den philosophischen Kanon integriert sind und andere nicht, ist bisher nur teilweise geklärt. Die Ausdifferenzierung der Wissenschaften hat jedenfalls dazu geführt, dass Medizinerinnen und Astronominnen anderen Disziplinen zugeordnet wurden. Zudem scheint der sprachliche Kontext eine Rolle zu spielen: Philosophinnen, die in anerkannten Sprachen wie Latein oder Englisch schrieben, wurden stärker beachtet als solche, die in weniger akademisch anerkannten Sprachen schrieben. So wurde beispielsweise Oliva Sabuco de Nantes Barrera, die auf Spanisch schrieb, bisher kaum rezipiert. Der Text wirft auch die grundsätzliche Frage auf, was als Philosophie bezeichnet werden kann und wer als Philosophin gilt, da manche der behandelten Frauen heute eher aus anderen Disziplinen bekannt sind.

Diese Frage ist in der feministischen Philosophiegeschichtsschreibung maßgeblich, denn wird der klassische Philosophiebegriff verwendet, das heißt jener, der die letzten Jahrhunderte den Kanon etabliert hat, können Frauen, die abstrakte philosophische Texte wie z. B. philosophische Gedichte geschrieben haben, nicht in den Diskurs integriert werden. Der Philosophiebegriff wird voraussichtlich anhand des steigenden Interesses an den Werken von Frauen in den nächsten Jahrzehnten vermehrt diskutiert werden. „Philosophie“ ist dementsprechend ein Begriff, der sich, aufgrund der Reformierung des philosophischen Kanons, in einem Transformationsprozess befindet.

Ingenium der Frau

Mittlerweile wird im akademischen Wirken eindeutig anerkannt, dass unzählige Frauen philosophisch gewirkt haben. Heumann unterscheidet sich von dem damaligen Mainstream der Philosophen, die Frauen die Fähigkeit des Philosophierens absprechen. So betont unter anderem Hegel im Zusatz zu §166 in seiner Philosophie des Rechts (1820):

„Frauen können wohl gebildet sein, aber für die höheren Wissenschaften, die Philosophie und für gewisse Produktionen der Kunst, die ein Allgemeines fordern, sind sie nicht gemacht. Frauen können Einfälle, Geschmack, Zierlichkeit haben, aber das Ideale haben sie nicht.“ (Hegel 1979: 319)

Heumanns Katalog philosophierender Frauen war für seine Zeit fortschrittlich, dennoch bleibt seine Haltung gegenüber der intellektuellen Leistungsfähigkeit von Frauen vorurteilsbehaftet. Er erkennt zwar an, dass Frauen philosophieren können, gesteht ihnen jedoch im Vergleich zu männlichen Philosophen nur eine seltene und minderwertige Kompetenz zu.
Heumann sieht Frauen eher in einer passiven, aufnehmenden Rolle und glaubt, sie könnten unter den besten Umständen kaum ein den Männern gleichwertiges Ingenium entwickeln. Er unterstützt die Idee von speziellen Schulen für Frauen, lehnt jedoch die Gründung einer Frauen-Universität ab, da er die intellektuelle Gleichheit der Geschlechter infrage stellt. Trotz dieser Vorurteile wird seine Schrift als bahnbrechend betrachtet, da sie Frauen grundsätzlich die Fähigkeit zur Gelehrsamkeit zuschreibt und sich speziell mit Philosophinnen beschäftigt, was sie von anderen zeitgenössischen Werken unterscheidet.

Acta Philosopharum, das ist, Nachricht von der Philosophie des Frauenzimmers (1721), herausgegeben von Anke Graness und Namita Herzl, erschien 2024 im Open Access im Georg Olms Verlag.

 

[1] Verwiesen sei hier auch auf die langjährigen Forschungen von Ruth Hagengruber im Rahmen des Center for the History of Women Philosophers and Scientists (https://historyofwomenphilosophers.org) oder auf das internationale Forschungsprojekt Extending New Narratives (https://www.newnarrativesinphilosophy.net).

Literatur

Braun, Lucien: Geschichte der Philosophiegeschichte. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1990.

Brokmann-Nooren, Christiane: Weibliche Bildung im 18. Jahrhundert: »gelehrtes Frauenzimmer« und »gefällige Gattin«. Oldenburg: BIS 1994. Online verfügbar unter: http://oops.uni-oldenburg.de/658/7/691.pdf, zuletzt geprüft am 20.09.2024.

Elberfeld, Rolf: „Geschichte der Geschichten der Philosophie im Horizont verschiedener Sprachen weltweit“, in: Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren 46 (2021), S. 7–20. Online verfügbar unter: https://polylog.net/fileadmin/docs/polylog/46/thema_Elberfeld.pdf, zuletzt geprüft am 20.09.2024.

Graneß, Anke: „Frauen in der Philosophiegeschichte – jenseits Europas: Methodische Überlegungen“, in: Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren 46 (2021), S. 91–103. Online verfügbar unter: https://polylog.net/fileadmin/docs/polylog/46/thema_Graness.pdf, zuletzt geprüft am 20.09.2024.

Graness, Anke & Herzl, Namita (Hrsg.): Acta Philosopharum, das ist, Nachricht von der Philosophie des Frauenzimmers (1721). Baden Baden: Georg Olms Verlag 2024. Online verfügbar unter: https://hilpub.uni-hildesheim.de/server/api/core/bitstreams/f7087c09-4c3e-4eea-8a04-eb8eb53a8158/content, zuletzt geprüft am 01.10.2024. 

Hegel, Georg Friedrich Wilhelm: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Zusatz zu § 166, In: Werke. Band 7, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979.

Kirchhoff, Arthur: Die akademische Frau. Gutachten hervorragender Universitätsprofessoren, Frauenlehrer und Schriftsteller über die Befähigung der Frau zum wissenschaftlichen Studium. Berlin: Hugo Steinitz Verlag 1897. https://doi.org/10.3931/e-rara-38691

Ménage, Gilles: Geschichte der Philosophinnen. Lateinisch – Deutsch. Hamburg: Felix Meiner Verlag 2019 [Lateinisch 1690].

Santinello, Giovanni (Hrsg.): Storia delle storie generali della filosofia. 5 Vol. Brescia: La scuola / Padova: Antenore 1979-2004.

Schneider, Johannes Ulrich: Die Vergangenheit des Geistes: eine Archäologie der Philosophiegeschichte. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1990.

Waithe, Mary Ellen und Dykeman, Therese Boos (Hrsg.): Women Philosophers from Non-Western Traditions: The First Four Thousand Years. Springer 2024.

Zitation: Namita Herzl: Nachricht von der Philosophie des Frauenzimmers, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 01.10.2024, www.gender-blog.de/beitrag/philosophie-des-frauenzimmers/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20241001

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Namita Herzl

Namita Herzl, M. A., arbeitet an der Universität Hildesheim zu Frauen in der Philosophie weltweit, mit einem Fokus auf feministisch-philosophischen Praktiken der Philosophie wie Askese und Meditation.

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