Skip to main content
Headergrafik: Hannes Woidich (https://www.hanneswoidich.photo)

Forschung

Paradies und Widerstand – Praktiken der Community Arts und Forschung darüber

14. März 2023 Swantje Lichtenstein

Was hat gemeinsames Kochen mit künstlerischer Praxis zu tun? Wer interessiert sich für das Paradies und wer kümmert sich eigentlich darum? Was bedeutet Widerstand in künstlerisch-ästhetischen Zusammenhängen? Solche Fragen lassen sich mit dem Konzept der Community Arts stellen und bearbeiten.

Das „Community Arts“-Projekt (ComArts) untersucht mit Artistic-Research-Verfahren die Möglichkeiten und Strukturen der Idee der Community Arts für den deutschsprachigen Raum. Die Umsetzung ist an der Hochschule Düsseldorf im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften und den Arbeitsfeldern Bildende Kunst/Text und Ästhetische Praxis angesiedelt und knüpft an die Arbeit des Rolling Eyes Collectives (seit 2018) an. Die Idee der Community Arts wurde weiterentwickelt, um anhand von diversen künstlerischen Positionen und der Düsseldorfer Stadtgesellschaft die vielfältigen Ideen der Community Arts anschlussfähig zu machen.

Was sind Community Arts?

In den Community Arts werden die relationalen Aspekte des Menschen als gemeinschaftliches Wesen mit allen allgemeinen sozialen Bezügen, politischen Aktivitäten und der ökologischen Zusammenarbeit wichtiger als dingliche Aspekte, Produkt und Produktionsorientierung der Kunst. Historisch setzen die Community Arts daher bei all jenen künstlerischen Praktiken an, die seit dem 20. Jahrhundert die Praxis und den künstlerischen Prozess dem Produkt und Gegenstand vorziehen, d. h. bspw. Konzeptkunst, sozialengagierte Kunst und die sozialen Plastiken der 1960er- und 1970er-Jahre, Performance, Public Art und aktivistische Kunst, die im 21. Jahrhundert eine immer größere Rolle spielt.

Community Arts bezeichnen dabei eine Vielzahl künstlerischer Aktivitäten, die gesellschaftliche, verbindende Elemente beinhalten und in der Verbindung verschiedener Künste, gesellschaftlicher Gruppen, räumlicher, situationaler, sozialer Kontexte bestehen können. Die Idee der Community Arts basiert und reflektiert darüber hinaus die Beziehungen, die ein Individuum zu sich selbst, zu den Dingen, der Natur, den Städten, den Bauwerken, den Umgebungen haben kann und bindet diese in künstlerische Praktiken, Aktivitäten oder Betrachtungen ein. Zentral ist der jeweilige Standort der Personen, im Sinne der Wahrnehmung von Differenzen auf der Grundlage der „Intersektionalität“ (Crenshaw 1989) sozialer Kategorien, d. h. die Schnittstellen verschiedener Diskriminierungskategorien werden relevant und treten in den Vordergrund.

Das Künstler:innen-Ich als Randerscheinung

In den Community Arts haben politische und soziale Ideen einen deutlich größeren Stellenwert als das künstlerische Subjekt. Der Begriff Community Arts beansprucht von vornherein einen übergeordneten Gemeinschaftssinn für die Idee einer künstlerischen Produktion, die in einer klassischen, kolonialen, eurozentrischen Idee der Künste nicht zwangsläufig enthalten ist, sondern vielmehr einen Prozess und eine Bewegung innerhalb der Künste darstellen kann, im Zusammenspiel mit gesellschaftspolitischen, sozialen, aktivistischen Bewegungen. Der Hintergrund der Community Arts beruht auf der Idee des Miteinanders und der Zusammengehörigkeit, einer ökologischen Erdgemeinschaft allen Lebens, nicht nur des menschlichen. In welcher Form diese Gemeinschaft besteht, bestehen soll oder zum Bestehen gebracht wird, spielt dabei noch keine Rolle, sie kann jedoch nicht außer Acht gelassen werden. Ein einsames Künstler:innen-Ich, wie es das klassische eurozentrische Kunstverständnis formuliert, ist dabei nur eine Randerscheinung.

Die Künste, die Produktion und der Prozess der Kunst sind der wichtigste Anlass der Community Arts und darum auch so gut geeignet für eine gemeinschaftsbildende Aktion. In vielen marginalisierten Gruppen und Künsten wird das seit langem mitbedacht, während sie selbst nur langsam auch im allgemeinen Kunstgeschehen sichtbar werden.

Das Wissen der Anderen

Einerseits knüpft die Idee der Community Arts an soziokulturelle und kollektiv-künstlerische Aktivitäten an, die schon im 20. Jahrhundert formuliert wurden, andererseits erweitert sie diese, indem sie speziell im 21. Jahrhundert beginnende gesellschaftliche Veränderungsprozesse aufgreift: Verteilungsfragen in der globalen Gesellschaft, die digital vernetzt ist, transkulturell agiert und neue Verantwortlichkeiten aufruft, um die Vorstellungen einer eurozentrischen, binären, kolonialen, sexistischen, rassistischen Tradition laut und neu zu hinterfragen.

Community Arts fokussieren damit die Möglichkeit des Andersseins, die Einzigartigkeit von Gemeinschaften auf dem Weg zu einer gerechteren Gesellschaft, die divers ist und dennoch Zugänge und Möglichkeiten für alle schaffen und erhalten soll. Hierzu ist es aber wichtig, diese zunächst überhaupt im Raum der Kunst zuzulassen, um dann etwas daraus abzuleiten, was für alle Bevölkerungsgruppen wichtig ist und nicht nur für eine exklusive kleine Künstler:innenschaft. Eine strukturelle Beteiligung in Institutionen und künstlerischen Kontexten wird hierbei von den Community Arts besonders untersucht.

Der Community-Arts-Kunstbegriff schließt das Wissen der Anderen als wichtige Ressource mit ein, das Wissen außereuropäischer Kunsttraditionen ebenso wie das Wissen der lokal ansässigen Bevölkerung, das Wissen aller Gemeinschaften als Ressource für solche Gemeinschaften, die in der Kunst oder mit der Kunst einen neuen Raum finden und gestalten.

Kunst im Kollektiv – gemeinschaftsbildend und empowernd

Es gibt inzwischen ein erweitertes Bewusstsein dafür, dass Museen und Institutionen umdenken und ihr Agieren in Frage stellen müssen. Eine Vielzahl junger Künstler:innen hat die Idee des klassischen männlichen Künstlersubjekts aufgegeben, um kollektive Arbeitsweisen neu zu entdecken. Gleichzeitig wird eine Kritik an Diskriminierungen und ungleichen Beteiligungsverhältnissen formuliert.

Communities finden in den Community Arts ihren gemeinsamen Bezugspunkt, einen Ort und eine Form. Das heißt nicht, dass alles in die Künste verlagert werden soll, oder alle künstlerisch aktiv werden müssen, sondern dass die Künste gemeinschaftsbildend funktionieren können, indem sie Raum für verschiedenste Gruppen geben, Ressourcen respektvoll und intersektional verbinden und zu Empowerment marginalisierter Gruppen führen können, die eigenständig eingeladen sind, ihren Raum zu gestalten und nicht den Raum für andere zu gestalten. Community Arts bilden eine Plattform dafür, dass Menschen der Stadt, sich und der Kunst in künstlerischen Prozessen begegnen können und durch die Feststellung von Differenzen zueinander zu finden.

Das Projekt ComArts

Um die Handlungskonzepte und Ideen der Community Arts zu erproben und einen wichtigen Teil zu deren Weiterentwicklung beitragen zu können, wurden ab Herbst 2020 in dem Projekt ComArts neue Ansätze entwickelt, mit denen diese strukturelle und künstlerische Strategie in einer experimentell-ästhetischen Form angewandt und überprüft werden kann. Es ging dabei darum, die Strategie auch für weitere Projekte und Kooperationen sowohl im klassischen Kunstbetrieb als auch im offenen und öffentlichen Bildungssektor langfristig anschlussfähig zu machen.

Mit Mitarbeiter:innen und Studierenden wurde dazu gemeinschaftlich künstlerisch-praktisch und experimentell gearbeitet. In einem ersten Schritt kamen Künstler:innengruppen und Studierende im Open Space des Düsseldorfer Kunstmuseums K20 ein Semester lang in drei verschiedenen Seminaren zusammen, um in freier Arbeit – mit und ohne Publikum –  den Begriff Community Arts zu bestimmen. In einer Gesprächsreihe wurden Künstler:innen, Kulturarbeitende, Musiker:innen, Kurator:innen und Wissenschaftler:innen eingeladen. Über ihre Arbeit wurde versucht, eine Neubestimmung der Begriffe Kunst, Öffentlichkeit und Gemeinschaft vorzunehmen.

Die Vorarbeiten zum Projekt bezogen sich vorrangig auch auf die Frage nach Intersektionalität und Diversität in Gruppen und Institutionen, Inklusion und Exklusion innerhalb der Künste, der Museen, Galerien, Ausstellungsräume, Konzerthallen, Hochschulen und aber auch anderen kulturellen Institutionen. Eine Nähe zur Arbeit der Künstler:innengruppe ruangrupa, die die documenta 2022 kuratierten und einen Community-Arts-Aspekt in die professionelle, internationale Kunstwelt einbrachten, wurde über eine Mitarbeiterin ermöglicht. Diese antirassistische Arbeit stellte einen wichtigen Beitrag zum Projekt dar (Lichtenstein 2021). 

Dokumentation der Ergebnisse

Die aktuellsten Ergebnisse der künstlerischen Projektarbeit finden sich auf der Forschungs-Webseite www.comarts.net. Die Entwicklung der Webseite – selbst ein gemeinschaftlich betriebenes Kunst-, Publikations- und Ausstellungsprojekt – diente auch dazu, literarische Formen und Essays, die für das Projekt verfasst wurden und wichtige Aspekte des Forschungsfortschritts zu dokumentieren. In der Auswahl der Themenschwerpunkte aus den Jahren 2021 und 2022: Haar, Arbeit, Faulheit, Schlafen, Ausruhen, Sorge-Arbeit, Garten, Essen und Kochen, spiegeln sich Differenz und Diversität.

Der Beginn eines solch umfangreichen und umfassenden Projekts ist immer eine Prozessarbeit, die auch den üblichen zeitlichen Strukturen, Dokumentationen und Produktionsmechanismen widerspricht. Daher lässt sich auch in der Dokumentation immer nur ein Zwischenstand aufzeichnen, der immer wieder neugestaltet und umgeschrieben wird.

Literatur

Crenshaw, Kimberle (1989): Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics. University of Chicago Legal Forum, (1), 139-167. Zugriff am 02.03.2023 unter http://chicagounbound.uchicago.edu/uclf/vol1989/iss1/8.

Lichtenstein, Swantje (2021): Am Ende der Weissheit/Verschalte Verbindungen. Performative Writing. Berlin: Verlagshaus Berlin.

Zitation: Swantje Lichtenstein: Paradies und Widerstand – Praktiken der Community Arts und Forschung darüber, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 14.03.2023, www.gender-blog.de/beitrag/praktiken-community-arts/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20230314

Beitrag (ohne Headergrafik) lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz Creative Commons Lizenzvertrag

© Headergrafik: Hannes Woidich (https://www.hanneswoidich.photo)

Prof. Dr. Swantje Lichtenstein

Swantje Lichtenstein ist Professorin für Ästhetische Praxis und Text an der Hochschule Düsseldorf.

Zeige alle Beiträge
Netzwerk-Profil Prof. Dr. Swantje Lichtenstein

Schreibe einen Kommentar (max. 2000 Zeichen)

Es sind max. 2000 Zeichen erlaubt.
Die E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht.
Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Kommentare werden von der Redaktion geprüft und freigegeben.