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Forschung

Zielkonflikte: Was Professor_innen über Gleichstellung denken

21. Juli 2020 Eva Wegrzyn

Seit der Corona-Krise scheint vieles, was den (Hochschul-)Alltag zuvor strukturierte, auf den Kopf gestellt. Durch den neuen Imperativ des ‚physical distancing‘ gilt es, ad hoc die Betreuung und Beschulung von Kindern daheim zu organisieren und zu gewährleisten. Die Erwartungen an die Leistungen von Frauen und Männern mit (jüngeren) Kindern haben sich allerdings nicht verändert: Während von Männern tendenziell erwartet wird, dass sie trotz kleiner Kinder nahezu dieselbe Erreichbarkeit und Produktivität an den Tag legen, übernehmen Frauen neben ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit zusätzlich die Reproduktions- und Carearbeit. Dies zeigen auch die Untersuchungen zu den vergeschlechtlichten Mustern der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter ‚Lockdown‘-Bedingungen über sämtliche Berufssparten hinweg (Kohlrausch/Zucco 2020; Bünning/Hipp/Munnes 2020).

Anerkennung in der Wissenschaft ist eng an die Erwartung gekoppelt, sichtbaren Output in Form von hoch gerankten Zeitschriftenbeiträgen und eingeworbenen Drittmitteln zu erzeugen. Vor dieser Erwartung sind vermeintlich alle gleich, so das tradierte Selbstverständnis der akademischen Welt. Ob sich etwas an diesem Selbstverständnis durch die Erfahrungen in der Pandemie verändert, ist eine offene Frage. Der vermeintlich geschlechtsblinde Leistungsimperativ, dies zeigt unsere Studie zum Gleichstellungswissen und Gleichstellungshandeln von Professor_innen (Klammer et al. 2020), scheint jedoch so tief im Glauben dieser Statusgruppe verankert zu sein, dass ein kurz- oder mittelfristiger Wandel sehr voraussetzungsvoll ist.

Gleichstellungswissen von Professor_innen

Im Rahmen des Projekts wurden 40 nach Fachzugehörigkeit, Forschungs- und Gremienerfahrung ausgewählte Professor_innen mithilfe von problemzentrierten Leitfäden interviewt. Im Mittelpunkt stand die Frage: Was wissen Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer über Gleichstellung und wie richten sie ihr Handeln danach aus? Begleitend zu den Interviews mit den Professor_innen wurden Dokumentenanalysen durchgeführt und Gleichstellungsexpert_innen an Hochschulen befragt. Die Analyse der Interviews erfolgte mit einem besonderen Augenmerk auf die im Gespräch eingenommenen Selbst- und Fremdpositionierungen, die Zuschreibungen von Agency sowie den (unbewussten) Gebrauch von Metaphern. Ziel war es, interviewimmanente und -übergreifende zentrale Motive zu rekonstruieren.

Die Ergebnisse spiegeln, dass Professor_innen die hochschulische Gleichstellungspolitik vom Grundsatz her abstrakt befürworten, in ihren Ausführungen jedoch ein „Aber…“ mitschwingt. Was zeichnet dieses Aber aus? Was spricht aus Sicht der Hochschullehrer_innen gegen eine mögliche Gleichstellung der Geschlechter in der Wissenschaft?

Spannungsverhältnis zwischen Exzellenz und Gleichstellung

Als zentrales fallübergreifendes Motiv, das vor allem im Zusammenhang mit Berufungskommissionen rekonstruiert werden konnte, erwies sich das Spannungsverhältnis zwischen den Zielvorgaben Bestenauswahl und Exzellenz auf der einen Seite und Gleichstellung auf der anderen Seite. Hier sehen viele Professor_innen einen in ihren Augen unvereinbaren Zielkonflikt zwischen beiden Vorgaben: Während Bestenauswahl und Exzellenz gleichermaßen das Ziel und die Norm darstellen, wird Gleichstellung als Bruch mit dieser Norm interpretiert. Wie sich dies argumentativ gestaltet, macht die Aussage eines Professors der Wirtschaftswissenschaften deutlich. Gleichstellung befürworte nicht nur er, sondern nahezu alle an der Universität – „da wird ja kaum jemand was Anderes sagen“ (Klammer et al. 2020, S. 166f.). Allerdings gelte diese Haltung nicht uneingeschränkt, denn, „negative Stimmen“, so führt er weiter aus, kämen bei „Zielkonflikten“ im Rahmen von Besetzungsverfahren auf, in denen „so ein altes ehernes Prinzip“ existiere, „die Bestenauswahl“ (Klammer et al. 2020, S. 167).

„Bestenauswahl“ ist vergeschlechtlicht

Bei der Bestenauswahl hört somit die Befürwortung von Gleichstellung auf. Auffällig ist, dass weder dieser Interviewpartner noch die anderen Professor_innen (mit einer Ausnahme) erläutern, was ‚die Besten‘ oder Exzellenz genau auszeichnet. Zu sehr scheinen diese Konzepte in das Selbstverständnis von Wissenschaftler_innen eingegangen zu sein und nicht (mehr) hinterfragt zu werden. Dabei sind die Muster der Anerkennung von Leistung und das Selbstverständnis als Wissenschaftler_in in hohem Maße vergeschlechtlicht, wie auch andere Studien aufgezeigt haben (z. B. Engels et al. 2015; Wolffram 2018). In der Studie zum Stellenwert von Gleichstellung in den geförderten Einrichtungen der Exzellenzinitiative der ersten Förderrunde stach heraus, dass männliche Führungskräfte in ihren Selbstbeschreibungen Metaphern wie etwa „Kapitän“ oder „Häuptling“ verwenden (Engels et al. 2015, S. 123). Bei den Frauen hingegen fehlen diese Metaphern und es zeigt sich in ihren Narrationen, dass sie nicht das gleiche Maß an Wertschätzung erhalten und sich in den Spielen um Status und Macht nicht ganz zugehörig fühlen (ebd.).

Wettkampf und Konkurrenzverhalten

Die Analyse der Metaphern unserer Studie zeigte, dass die Wissenschaftswelt und ihre Arbeitskultur häufig mit martialischen Bildern eines Kampfes oder zumindest als sportlicher Wettkampf semantisiert werden. Mit Bourdieu und seinem Feld-Habitus-Konzept gesprochen, kann Wissenschaft als Feld und Spiel begriffen werden, in dem männlich konnotierte Regeln gelten, die Männlichkeit erst hervorbringen (Engels et al. 2015, S. 103). Die rekonstruierten sprachlichen Bilder verdeutlichen, dass auch für unsere Interviewpartner_innen Wissenschaft mit der Notwendigkeit eines permanenten Konkurrierens und Sich-Beweisen-Müssens einhergeht. Zugleich geht die Mehrzahl der Interviewpartner_innen davon aus, dass Frauen und Männern unterschiedliche Verhaltensweisen im Hochschulalltag zugeschrieben werden, besonders wenn es darum geht, innerhalb des Systems aufzusteigen. Frauen werden verminderte Risikobereitschaft und eine geringere Machtaffinität zugeschrieben, was vor dem Hintergrund der vorherrschenden, männlich geprägten Wissenschaftskultur als Defizit wahrgenommen wird. Alternative Bewertungen weiblich konnotierten Verhaltens wie etwa Freundlichkeit oder Fürsorglichkeit (Eckes 2010, S. 179) finden sich im Material nicht.

Sorgearbeit als Frauenarbeit

Die Vereinbarkeit von Sorgearbeit mit den Leistungsanforderungen des Wissenschaftssystems erwies sich, so unsere Studie, als weiteres zentrales Motiv in den Erklärungsmustern zur Geschlechterungleichheit an Hochschulen. Dies ist nicht verwunderlich, schließlich stellt das Thema „Familienfreundlichkeit“ im Gleichstellungsbereich vieler Hochschulen seit langem einen Arbeitsschwerpunkt dar. Der Fokus auf die Vereinbarkeitsfrage kann jedoch auch Gefahren bergen. So kann die Thematisierung der besonderen Belastungen von Frauen durch Familienverpflichtungen dazu führen, dass sich Geschlechterstereotype verfestigen und Frauen einseitig als für Kinder und pflegebedürftige Erwachsene zuständig betrachtet werden.

Handlungsempfehlungen

Eine zentrale Aufgabe sollte daher sein, die Gruppe der vermeintlich Zuständigen zu erweitern und auch Männer als (potenzielle) Väter und Pflegende bewusst stärker zu adressieren. Zudem darf die Heterogenität innerhalb der Genusgruppen nicht ausgeblendet werden, schließlich sind nicht alle (angehenden) Wissenschaftler_innen Mütter oder Väter bzw. wollen es auch zukünftig nicht sein. Das Kernproblem der Gleichstellung von Frauen und Männern im Wissenschaftssystem unter New Public Management-Bedingungen ist die unerschütterliche Annahme der wissenschaftlichen Akteur_innen selbst, dass Leistungsmessung geschlechtsblind und Leistung das Produkt eines einsamen, genialen (‚rein zufällig‘ meist männlichen) Subjektes sei. Es wird schließlich verkannt, dass exzellente Leistung, also z. B. eine hohe Anzahl an Publikationen gepaart mit Forschungsaufenthalten im Ausland und der erfolgreichen Akquise eines hohen Förderbudgets, nie allein das Ergebnis einer Einzelperson ist, sondern dass hier viele (Mentor_innen, Familienmitglieder, Freund_innen oder Kolleg_innen als Korrekturlesende usw.) mitwirken. Nicht zuletzt begünstigt ein nur schwer greifbarer ‚Stallgeruch‘, ob eine Person als für die wissenschaftliche Karriere geeignet und somit als „professorabel“ (Hüther & Krücken 2016, S. 244) eingeschätzt wird.

Die Studie von Ute Klammer, Lara Altenstädter, Ralitsa Petrova-Stoyanov und Eva Wegrzyn wurde durch das Landeswissenschaftsministerium NRW finanziert und erschien im Mai 2020 als Buch im Verlag Barbara Budrich. https://shop.budrich-academic.de/produkt/gleichstellungspolitik-an-hochschulen/

Literatur

Bünning, Mareike; Hipp, Lena & Munnes, Stefan (2020): Erwerbsarbeit in Zeiten von Corona. WZB Ergebnisbericht, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Berlin. Zugriff am 15.06.2020 unter https://www.econstor.eu/handle/10419/216101.

Eckes, Thomas (2010): Geschlechterstereotype. In Ruth Becker & Beate Kortendiek (Hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie (S. 178–189). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Engels, Anita; Beaufaÿs, Sandra; Kegen, Nadine V.; Zuber, Stephanie (2015): Bestenauswahl und Ungleichheit. Eine soziologische Studie zu Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Exzellenzinitiative. Frankfurt am Main: Campus Verlag.

Hüther, Otto & Krücken, Georg (2016): Hochschulen. Fragestellungen, Ergebnisse und Perspektiven der sozialwissenschaftlichen Hochschulforschung. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Klammer, Ute; Altenstädter, Lara; Petrova-Stoyanov, Ralitsa & Wegrzyn, Eva (2020): Gleichstellungspolitik an Hochschulen. Was wissen und wie handeln Professorinnen und Professoren? Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich.

Kohlrausch, Bettina & Zucco, Aline (2020): Corona trifft Frauen doppelt – weniger Erwerbseinkommen und mehr Sorgearbeit. WSI Policy Brief Nr. 40, Mai 2020. Zugriff am 15.06.2020 unter https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-ruckschritt-durch-corona-23586.htm.

Wolffram, Andrea (2018): Excellence as a Gender-Biased Concept and Effects of the Linking of Excellence with Gender Equality. International Journal of Gender, Science and Technology 10(1), 88–107. Zugriff am 16.07.2020 unter  http://genderandset.open.ac.uk/index.php/genderandset/article/view/374.

Zitation: Eva Wegrzyn: Zielkonflikte: Was Professor_innen über Gleichstellung denken, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 21.07.2020, www.gender-blog.de/beitrag/professor_innen-ueber-gleichstellung/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20200721

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Eva Wegrzyn

Eva Wegrzyn, M. A., studierte Gender Studies, Amerikanistik, Sozialpsychologie und Politikwissenschaften an der RUB und ist seit 2007 wissenschaftliche Mitabeiterin am Essener Kolleg für Geschlechterforschung, Universität Duisburg-Essen. Zunächst war sie am ZHqE in den Bereichen Gender Mainstreaming und Hochschuldidaktik und als Lehrbeauftragte am IOS tätig. Von 2015 bis 2019 forschte sie in einem Projekt zum Genderwissen von Professorinnen.

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