09. April 2024 Christiane König
In der queeren Filmgeschichtsschreibung wird in Bezug auf Kino und Film im NS noch oft das Argument vertreten, durch die Herrschaftsübernahme der Nazis sei von einem Tag auf den anderen nicht nur das gesamte queere Leben unterdrückt worden, sondern dieses habe auch keinen Ausdruck mehr in künstlerischen bzw. medialen Darstellungen gefunden (vgl. u. a. Mennel 2012). In meiner Studie zur Mediengeschichte von Film und Kino in Deutschland bis 1945 habe ich gezeigt, dass das Argument des Bruchs verdeckt, inwiefern sich mit der Nazi-Herrschaft die Bedingungen jener spezifischen Gewalt änderten, durch die mittels Ein- und Ausschlüssen neue materiell-semiotische Gefüge von Körpern, Identitäten, Begehrensformen und Sexualitäten entstanden (König 2020).
Das Katastrophische verantworten
Wenn ich im Folgenden über das Queering von Männlichkeit im NS-Spielfilm schreibe, denke ich deren gewaltvolle Möglichkeitsbedingungen und das daraus resultierende unauslöschliche Katastrophische stets mit. Das Katastrophische dieser Filme in der Filmgeschichtsschreibung zugleich zu verantworten und anders darauf zu antworten, gelingt, wenn ich das grundsätzlich Ausgeschlossene nicht als das, was es ‚eigentlich‘ ist, sichtbar mache, wie bspw. ein homoerotisches Potenzial zwischen männlichen Figuren. Sondern vielmehr, wenn ich im Sichtbaren die Existenz desjenigen affirmiere, was nicht durch das technisch-erzeugte, ‚natürliche‘ (ewige, universale) vermeintliche Ideal einer sogenannten ‚neuen Wirklichkeitsauffassung‘ (König 2020: 384), sondern allein durch sich selbst (partikular) legitimiert und daher als ‚nicht-natürliches‘ Nichtgenehmes ausgewiesen ist (vgl. zur Methodik König 2020: 1–31).
Das Medium Film in der NS-Zeit – Bilder einer ‚bereinigten‘ Welt
Auch zur Zeit des NS gab es bereits ein sicheres Verständnis davon, dass Medien Welt nicht abbilden, sondern realitätserzeugende Funktion besitzen. Medien wurde das Potenzial zugeschrieben, die sogenannte ‚neue Weltordnung‘ als neue Realität präsentisch herzustellen (vgl. König 2020: 392–399). Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass sie das ideale ‚Bereinigte‘ realistisch veranschaulichen sollten, insofern darin das Nichtgenehme als noch Auszuschließendes bzw. bereits Abwesendes eingeschrieben war. Als neue Realität nahm dieses technisch-medial hergestellte Bild einer ‚bereinigten‘ Welt dann den Charakter einer (‚perfektionierten‘) Natur zweiter Ordnung an (König 2020: 392ff.).
Das Medium Film, das gegenüber älteren Kunstformen gesteigerte ‚Lebensechtheit‘ erzeugt, zugleich aber komplexere Konstruktionsweisen – wie durch Schnitt-, Montage- und Tricktechniken – aufweist, eignete sich wiederum in den Augen des Regimes in besonderem Maße zur Vergegenwärtigung seines perversen, menschenverachtenden ‚idealen‘ Weltbilds in Form dieser Realität bzw. Natur zweiter Ordnung. Der immer schon gesellschaftspolitische Auftrag des Mediums Film innerhalb der Medienverbünde lag demnach in der performativen Herstellung des künftigen idealen Gesellschaftszustands qua lebensechter Darstellung einer idealisierten Welt, die dieselbe und zugleich eine verheißene ist.
Larger than life – Nationalsozialistische Männlichkeit im Film
Dieses Potenzial der Medien bezog sich ebenfalls auf die dort entworfenen – genehmen – Geschlechteridentitäten: Die Darstellung von Geschlecht war hin zu einer der sogenannten ‚neuen Weltauffassung‘ entsprechenden Idealität verbesserungswürdig (vgl. König 2020: 403f.). Sie musste als anzustrebende Idealität permanent so hergestellt werden, dass der Effekt gegenwärtiger Einlösung entstand, also das ‚neue Ideal‘, obwohl technisch vermittelt, als natürliches und zugleich larger than life erschien (vgl. König 2020: 442). Das Medium Film eignete sich nicht nur wegen seiner ‚Lebensechtheit‘ dafür besonders gut. Als Zeitmedium besaß es sogar das Potenzial, Optimierungsprozesse veranschaulichen zu können. Es ließ sich durch eine bestimmte Anordnung der filmischen Narration demnach für ein quasi-eschatologisches Schema der gegenwärtigen Einlösung einer ‚idealen‘ Zukunft gut instrumentalisieren (vgl. König 2020: 442).
Dieser Effekt lässt sich bestens an der Figur Heinz Rühmanns und dem Schema der meisten jener Komödien nachvollziehen, in denen er während der NS-Herrschaft performierte, so bspw. in Der Mustergatte (D 1937, R: Wolfgang Liebeneiner). Er repräsentierte kein Individuum, auch keinen Typus bzw. gesellschaftlich auszuhandelnde (common sense) Subjektivität. Vielmehr war er die Verkörperung einer idealen, ‚über-menschlichen‘, sprich Larger-than-life-Männlichkeit. Ein männliches ‚Ich‘, das den Einzelfilm transzendierte, und gerade darin das ‚ewige Ideal‘ nationalsozialistischer Männlichkeit verkörperte – welches in der Affirmation der ‚neuen Normalität‘ als ganz ‚natürlich‘ erschien (vgl. König 2020: 406ff.).
Das Katastrophische als ästhetische Strategie
Rühmann performiert und verkörpert also zugleich im und jenseits des Mediums Film eine technisch-medial hergestellte Männlichkeit, die in der hierdurch stillgestellten, sprich unveränderbaren, idealen ‚Natürlichkeit‘ vollumfänglich der ‚neuen Wirklichkeitsauffassung‘ entspricht. Die diskursive Folie, vor der die durch Rühmann verkörperte Affirmation stattfand, bestand aus sämtlichen negativ konnotierten Lebensentwürfen und Wertesystemen, von ‚anti-amerikanisch‘, über ‚anti-polnisch‘ und homophob, bis hin zu anti-semitisch, die im Zuge eines Läuterungsprozesses verschwinden mussten. Bereits gesellschaftlich Entwertetes wurde in den Filmen in Form dieser ästhetischen Strategie noch einmal aufgeworfen, nur um es dann erneut – also doppelt – auszulöschen. Das Katastrophische war bzw. ist somit allen Filmen des NS von vorneherein eingeschrieben, es trat bzw. tritt in den jeweils einzelnen nur mehr oder weniger merklich gravierend in Erscheinung.
Naturalisierung militärischer Männlichkeit
Im Bereich der Repräsentation war der männliche Körper nicht per se sanktioniert. Auch sozial befördertes male bonding wurde dargestellt – sofern es durch das vom Medium erzeugte, naturalisierte Ideal einer idealen Männlichkeit legitimierbar war.
Um dies zu veranschaulichen, eignet sich der Propagandafilm Wunschkonzert (D 1940, R: Eduard von Bórsody, vgl. König 2020: 439–465). Darin geht es um eine Dreiecksbeziehung zwischen einer Frau und zwei Männern, die mit den Olympischen Spielen 1936 beginnt und sich bis in die Kriegszeit erstreckt. Die beiden männlichen Figuren werden zufällig zu Ausbilder und Protegé. Bei einem Krankenhausaufenthalt am Ende des Films begegnen sich schlussendlich alle drei wieder. Die Frau und der Oberst verlassen das Krankenhaus als Paar. Im Film ist der Krieg schon 1936 präsent und die Gesellschaft wird als militarisierte inszeniert. Die Friedenszeit geht nahtlos in Kriegszeit über, die als verbesserte Realität erscheint. Es erscheint ganz ‚natürlich‘, dass alle Männer Soldaten sind. Die Beziehung zwischen Oberst und Protegé darf über weite Strecken des Films affektiv aufgeladen sein, sofern sie eindeutig als technisch-militärischer Habitus des Männlichen erkennbar und durch das Gesamtkonstrukt der militarisierten Nation legitimiert ist.
Abb. 1–3: Wunschkonzert, D 1940, Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, 1:00:28-34.
Bruch in der Logik der Narration
Es gibt jedoch eine Szene, die davon abweicht. Ab Mitte der Handlung erfährt die Frau durchs Radio vom Verbleib des Obersts und setzt alles daran, ihn zu kontaktieren. Es kommt zu einer Verabredung. Der Plot zeigt diese per Brief, sodass die Erwartung – auch für die Zuschauer*innen – an ein baldiges Wiedersehen steigt. In der Logik der Narration müsste es sich nun ereignen. De facto gehen aber Oberst und Pilot zum gemeinsamen Baden an den Strand.
Abb. 4–5: Wunschkonzert, D 1940, Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, 52:24:36, 52:25:02.
Weder handlungslogisch noch narrativ ist diese Szene nachvollziehbar sowie durch keinerlei technisch-mediale Vermitteltheit gekennzeichnet. Sie stellt die Bedingungen ihrer Gemachtheit deutlich aus, insofern sie zwar in der „Natur“ spielt, der Ton aber ohne jegliche Atmo auskommt. Es entsteht etwas, das in diesem Film keine Existenzberechtigung besitzt: die Repräsentation einer unmittelbaren Begegnung zweier männlicher Figuren als Individuen. Der Dialog handelt noch dazu davon, dass die erotische Beziehung zu einer Frau eigentlich keine Option (mehr) ist. Die durch die angebliche Bindungsunfähigkeit des Obersts angedeutete männliche Homosexualität wird im Gespräch als unangebracht impliziert. Aber beide Figuren partizipieren gänzlich unvermittelt deutlich über das Wissen von der nicht-vollzogenen erotischen Beziehung des jeweils anderen an dessen jeweiliger Lust. Gesteigert wird dieses Potenzial, insofern beide Figuren am Ende der Szene buchstäblich aus dem Bild rennen, um gemeinsam im Meer zum Schwimmen.
Abb. 6: Wunschkonzert, D 1940, Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, 52:38:22
Das Begehren zweier männlicher Figuren, welches im Film die gesamte Zeit des Films mit dem Fetisch „Technik“ gerahmt ist, kann nicht eingedämmt werden. Inmitten militarisierter, hochtechnologisch aufgerüsteter, ‚idealer‘ Männlichkeit tritt hier ein offensichtlich intimes, affektives Verhältnis zweier männlicher Figuren als partikulares und deshalb ‚nicht-natürliches‘, nichtgenehmes Begehren in Erscheinung.
Nur dort, wo ich im vermeintlichen Ideal Nichtlegitimes, weil ‚Nicht-Natürliches‘ affirmieren kann, lässt sich Männlichkeit im NS-Film queeren. So lassen sich die Bedingungen des Katastrophischen im Bild dieser ‚neuen Weltordnung‘ an/erkennen, ohne aber dessen auslöschende Gewalt einfach zu reproduzieren.
Literatur
König, Christiane (2020). Performative Figuren queerer Männlichkeit. Eine Mediengeschichte von Film und Kino in Deutschland bis 1945. Berlin, Heidelberg: Springer Verlag.
Mennel, Barbara (2012). Queer Cinema: Schoolgirls, Vampires and Gay Cowboys. New York: Columbia University Press.
Zitation: Christiane König: Queering Männlichkeit(en) im NS-Film, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 09.04.2024, www.gender-blog.de/beitrag/queering-maennlichkeit-ns-film/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20240409
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