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Headergrafik: Demonstration gegen gbv in Kapstadt im Rahmen der internationalen AWID-Konferenz 2008 (Foto Rita Schäfer).

Debatte

Reaktionen von LSBTI-Menschen im südlichen Afrika auf die COVID-19-Pandemie

12. Januar 2021 Rita Schäfer

Anlässlich des internationalen Tags gegen Homo- und Transphobie am 17. Mai 2020 machten Menschenrechtsexpert*innen bereits auf die besondere Problemlage aufmerksam, in der sich LSBTI-Menschen in Ländern des globalen Südens seit der Corona-Pandemie befinden. Denn bestehende Strukturprobleme wurden durch die Corona-Beschränkungen drastisch verschärft, und in Not- und Katastrophenfällen sind sexuelle Minderheiten mit verstärkter Diskriminierung konfrontiert (vgl. auch Löw 2020). Diesen Machtverhältnissen und deren gesellschaftlichen Folgen begegneten Aktivistinnen in Afrika mit widerständigem Handeln, worüber sie während des Lockdowns zukunftsorientiert reflektierten und in elektronischen Medien teilweise transnational kommunizierten.

Intersektionale und post-koloniale Reflexionen

Dieser Beitrag stellt einige Facetten des Spektrums widerständigen Handelns insbesondere von lesbischen Bewegungen im südlichen Afrika vor und möchte vermittelnde Impulse geben – basierend auf langjährigen eigenen Gender-Forschungen in der Region und solidarischer Zusammenarbeit, in der Hoffnung, dass Aktivistinnen zukünftig selbst zu Wort kommen und die Vielfalt ihrer Stimmen Gehör findet. Ihre Gender-Konzeptionen zeichnen sich durch intersektionale Analyserahmen aus, die Macht und Ungleichheiten auf der Basis von gender, race und class untersuchen sowie deren wechselseitige Verstärkereffekte herauskristallisieren. Aber sie übernehmen nicht einfach US-amerikanische Theorieansätze, sondern nutzen innerafrikanische Diskussionen, die sie für Reflexionen über ihre spezifische Situation im post-kolonialen Kontext für sinnvoll erachten. In historisch hergeleiteten Analysen zu sozialer Marginalisierung, wirtschaftlicher Exklusion und Armut setzen sich die afrikanischen Autor*innen kritisch mit den Herrschaftspraxen ihrer heutigen Regierungen auseinander. LSBTI-Menschen im südlichen Afrika bilden dabei keine homogene Gruppe, wie Beispiele aus Botswana und Simbabwe zeigen. Mit Aktivistinnen aus diesen beiden Ländern bestehen partnerschaftliche Beziehungen ins Ruhrgebiet – aufgebaut und getragen von Frauenliebe im Pott FLIP e.V. und der Coalition of African Lesbians (CAL).

Beiträge zu Frauengesundheit und reproduktiven Rechten in Botswana

Der diamantenreiche und durch internationalen Tourismus florierende Binnenstaat Botswana wurde im letzten Jahr wegen seiner Entkriminalisierung von Homosexualität international gerühmt. Das bahnbrechende Urteil aus dem Jahr 2019 geht ebenso auf die beharrliche menschenrechtliche Lobbyarbeit von Lesbians, Gay and Bisexuals of Botswana (LEGABIBO) zurück wie die zuvor in einem jahrelangen Rechtsstreit erkämpfte Erlaubnis zur Registrierung als Nichtregierungsorganisation.

Die LSBTI-Aktivistinnen argumentierten unter Bezug auf Menschenrechte; dies prägt auch weiterhin das Selbstverständnis lesbischer Juristinnen, Lehrerinnen oder Krankenschwestern, die sich für das Recht auf Bildung und Gesundheit einsetzen. Sie unterstreichen die Notwendigkeit, die reproduktiven Rechte und die reproduktive Gesundheit aller Frauen zu verbessern. Der Zugang zu Verhütungsmitteln, Geburtshilfe und anti-retroviralen Medikamenten für HIV-Infizierte hat großen Stellenwert, denn in Botswana sind über 20 Prozent aller Erwachsenen HIV-positiv. Indem lesbische Aktivistinnen besonders marginalisierte Gruppen wie Sex Workerinnen und deren Kinder ebenfalls in Unterstützungsprogramme einbeziehen und Brücken zu allgemeinen Frauenrechten und zur Frauengesundheit bauen, leisten sie Beiträge zum Allgemeinwohl, womit sie ihre gesellschaftliche Verankerung betonen.

Autonomie und neue Aktionsformen

Körperliche Autonomie ist ein Schlüsselkonzept in diesem Kontext, wozu die Aktivistinnen auch den Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt zählen. Sie fordern deshalb einen effektiveren Opferschutz sowie eine professionellere Strafverfolgung von Tätern. Darüber hinaus verlangen sie mehr politischen Willen von den Regierenden zur Verwirklichung dieser Ziele. Während der mehrmonatigen Ausgangssperre ab April 2020 sorgten sich die Aktivistinnen um die reproduktive Gesundheit lesbischer und heterosexueller Frauen. Neben einer besseren finanziellen, technischen und personellen Ausstattung der Gesundheitszentren forderten sie systematische Fortbildungen zur Weiterqualifizierung des zumeist weiblichen Gesundheitspersonals, um diese Arbeitskräfte zukünftig vor Infektionen zu schützen. Überlegungen zu einer landesspezifisch angepassten feministischen Ökonomie boten den Referenzrahmen für solche Forderungen, indem sie Arbeit und Lebensverhältnisse von Frauen umfassend und post-kolonial betrachteten. Die Ängste aufgrund von Existenznot und gleichzeitigen Versorgungspflichten für Kinder wurden während der Ausgangssperre größer, denn viele Frauen arbeiteten im informellen Sektor, der monatelang geschlossen blieb.

Neue Bewältigungsstrategien

Um daraus folgende Probleme wie Depressionen und Ängste aufzufangen, waren elektronische Medien nur begrenzt einsatzfähig, aus ihnen entwickelten sich vielmehr weitere Komplikationen in Form von Hassgewalt. Neue individuelle und kollektive Bewältigungsstrategien mussten gefunden werden, zumal auch das gemeinsame Trauern bei Todesfällen verboten war. Eine Strategie war die Suche nach vorkolonialen mentalen (Selbst-)Heilungspraktiken, die einzelne Aktivistinnen als politische Ausdrucksformen einschätzten und anderen Suchenden als Inspirationen vermittelten. Einige Aktivistinnen bauten die elektronische Kommunikation aus, um Informationen über zentrale Gesundheitsthemen zu verbreiten. Gleichzeitig intensivierten sie den virtuellen Austausch mit befreundeten Organisationen. Dazu zählte eine virtuelle Pride. Jedoch konnte sie die reale Pride in der Hauptstadt Gaborone nicht ersetzen. Auch ein LSBTI-Filmfestival, das in früheren Jahren großen Zuspruch erhielt, war nicht elektronisch reproduzierbar. Alle geplanten Aktivitäten zur Überwindung von Homophobie wurden verschoben, so etwa Gespräche mit traditionellen Autoritäten und die Auseinandersetzung mit Kirchenvertretern, von denen etliche Homophobie predigen. Da Letztere viel politischen Einfluss haben, bleiben diese Aufgaben weiterhin dringlich, um die legalen Änderungen auch in der Praxis durchzusetzen.

„Niemand kann atmen“ in Simbabwe

Das östliche Nachbarland Botswanas, Simbabwe – ebenfalls mit britischem kolonialen Erbe –, wurde über Jahrzehnte vom autokratischen Präsidenten Robert Mugabe regiert. Er übernahm die homophoben Gesetze der rassistischen weißen Siedlerregierung (Schäfer/Range 2013) und verstärkte seit Mitte der 1990er-Jahre Hassreden auf Homosexuelle (Dunton/Palmberg 1996). Insbesondere in wirtschaftlichen Krisenzeiten und im Wahlkampf setzte er seine Sicherheitskräfte gegen LSBTI-Menschen ein und schuf damit einen Rahmen für Anfeindungen und gesellschaftliche Ausgrenzung (Badza 2019).

Umso couragierter ist die Arbeit von LSBTI-Organisationen wie Gay and Lesbians of Zimbabwe (GALZ), deren Büroräume und Mitarbeiter*innen wiederholt zur Zielscheibe von Polizeiübergriffen wurden. Zwar stellen Lesben fest, dass unter dem seit Ende 2017 ebenfalls repressiv regierenden Präsidenten Emmerson Mnangagwa Homophobie im Staatsauftrag reduziert wurde, allerdings ist auch er nicht bestrebt, die homophoben Gesetze zu novellieren. So mahnten LSBTI-Menschen im Rahmen der zivilgesellschaftlichen Kampagne #ZimbabweLivesMatter während der Corona-Krise an, das Leben von marginalisierten Menschen besser zu schützen. Sie nahmen Bezug auf die US-amerikanische Kampagne #BlackLivesMatter und zählten dazu keineswegs nur die angefeindete LSBTI-Community, sondern auch verarmte alte Frauen auf dem Land, Menschen mit Behinderungen, ausgebeutete Minenarbeiter und arbeitslose Kleinhändler*innen. Aus intersektionaler Perspektive skandalisierten sie: Niemand kann Atmen! (Chigumadzi 2020).

COVID-19 verstärkte Homophobie

Der strenge Lockdown in Simbabwe verursachte Verarmung und Obdachlosigkeit. Davon waren vor allem Lesben betroffen, die ihre Jobs und sichere Schutzräume verloren. Viele fanden keinen Rückhalt in ihren Familien, denn die politisch mobilisierte Homophobie hat längst negative Einstellungen in der Gesellschaft geprägt. Im öffentlichen Raum schikanierten Polizisten und Soldaten, die während des militarisierten Lockdowns Straßen kontrollierten und Bestechungsgelder verlangten, LSBTI-Menschen. So wurde der Zugang zu lebenserhaltenden anti-retroviralen Medikamenten für HIV-Positive zum existentiellen Problem – über 12 Prozent aller Erwachsenen sind HIV-positiv. Da homophobe Kirchenvertreter Schwule und Lesben für die Corona-Pandemie verantwortlich machten – in den 1990er-Jahren hatten sie sie für die HIV-Infektionen beschuldigt – zögerten etliche, Gesundheitszentren aufzusuchen. Sogar das Wasserholen an öffentlichen Pumpen wurde mancherorts zum Demütigungsritual.

Neue Solidaritätspraktiken

Mit all diesen Belastungen wurden LSBTI-Organisationen betraut, die ihre Beratungsangebote auf die elektronische Kommunikation beschränken mussten, wodurch Menschen in ländlichen, nicht elektrifizierten Regionen abgeschnitten wurden. Urbane Aktivistinnen stellten ihre Arbeit auf Nahrungsmittelhilfe für dortige Mitstreiterinnen um. Gleichzeitig reflektierten diejenigen mit Zugang zu elektronischen Medien über neue Solidaritätspraktiken und feministische Politik. Während einige sich auf die Realisierung von Autonomie ausrichteten, wählten andere das Motto „Celebrating Strength in Diversity“. Kreative Webdesignerinnen entwickelten das Projekt „Out Spoken“, um Queere Erfahrungen in der Corona-Krise zu dokumentieren. Dieses digitale Story Telling soll nach der Corona-Krise in realen Workshops und im partnerschaftlichen Austausch 2021 in Dortmund fortgeführt werden.

Literatur

Chigumadzi, Panashe (2020). In Zimbabwe, no one can breathe. African Arguments, 30.07.2020. https://africanarguments.org/2020/07/in-zimbabwe-no-one-can-breathe/ [Zugriff am 16.12.2020].

Badza, Grace (2019). „Ich habe keinen Platz in der Gesellschaft“. Entwicklung und Zusammenarbeit, 01.08.2019. https://www.dandc.eu/de/article/homophobie-simbabwe-beeintraechtigt-die-psychische-gesundheit-von-lgbti-menschen [Zugriff am 16.12.2020].

Dunton, Chris & Palmberg, Mai (1996). Human Rights and Homosexuality in Southern Africa. Current African Issues 19 (second, expanded edition). https://www.files.ethz.ch/isn/104914/19_Human-Rights.pdf [Zugriff am 16.12.2020].

Löw, Christine (2020). Corona, postkolonialer Feminismus und Necropolitics in Indien. blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 08.10.2020, www.gender-blog.de/beitrag/corona-und-necropolitics/. https://doi.org/10.17185/gender/20201008

Schäfer, Rita & Range, Eva (2013). Wie mit Homophobie Politik gemacht wird. Menschenrechte und Verfolgung von LSBTI-Aktivist_innen in Afrika. Friedrich-Ebert-Stiftung: Berlin. https://library.fes.de/pdf-files/iez/09598.pdf [Zugriff am 16.12.2020].

Zitation: Rita Schäfer: Reaktionen von LSBTI-Menschen im südlichen Afrika auf die COVID-19-Pandemie, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 12.01.2021, www.gender-blog.de/beitrag/reaktionen-lsbti-menschen-afrika-covid19/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20210112

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© Headergrafik: Demonstration gegen gbv in Kapstadt im Rahmen der internationalen AWID-Konferenz 2008 (Foto Rita Schäfer).

Dr. Rita Schäfer

Rita Schäfer ist freiberufliche Afrika-Wissenschaftlerin, Dozentin und Gutachterin für Entwicklungsorganisationen. Ihr regionaler Schwerpunkt ist das südliche Afrika. Sie forscht über Frauenrechtsorganisationen, geschlechtsspezifische Gewalt, Maskulinitäten in Post-Konfliktgesellschaften und LSBTIQ. Buchpublikation u. a.: Migration und Neuanfang in Südafrika (2019). Webprojekt: gender-africa.org

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