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Debatte

Regenbogen-Lichtblicke in der feministischen Außenpolitik?

02. Mai 2023 Rita Schäfer

Lesben und queere Menschen sind weltweit mit Hate Crime konfrontiert. Die Bundesregierung will Diskriminierung und steigende Hassgewalt national und international stoppen. Welchen Stellenwert aber haben Menschenrechte für sexuelle Minderheiten in der feministischen Außenpolitik der derzeitigen Bundesregierung? Der Beitrag ergründet die Relevanz anhand erster Einschätzungen von Wissenschaftler*innen und zivilgesellschaftlichen Organisationen.

LSBTIQ-Menschenrechte

Das Bekenntnis zu Menschenrechten für sexuelle Minderheiten findet sich im Aktionsplan der Bundesregierung für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt (kurz: „Queer Leben“) vom November 2022, im Aktionsplan Menschenrechte 2023–2024, der gleichzeitig Teil des aktuellen Menschenrechtsberichts ist, und im LSBTI-Inklusionskonzept des Auswärtigen Amtes (AA) und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) vom März 2021. Auf internationaler Ebene sind die Überwindung von Diskriminierung und die Stärkung von LSBTIQ-Organisationen zentrale Ziele.

Während der Aktionsplan „Queer Leben“ sowie der Menschenrechtsbericht vom gegenwärtigen Bundeskabinett beschlossen und das LSBTI-Inklusionskonzept von der früheren Bundesregierung verabschiedet wurde, erfolgte offenbar keine Abstimmung über die gegenwärtigen Papiere zur feministischen Außen- und Entwicklungspolitik. Das schmälert deren Stellenwert beispielsweise für die Kooperation zwischen Ressorts, obwohl das Auswärtige Amt Schnittpunkte mit dem Innen- und Verteidigungsministerium benennt.

LSBTIQ in der aktuellen Außenpolitik

Am 1. März 2023 stellte Außenministerin Annalena Baerbock die Leitlinien für eine feministische Außenpolitik vor. Sie enthalten Hinweise auf die geplante Förderung von LSBTIQ-Rechten und die Bekämpfung von Gewalt bzw. Diskriminierung. Bei diesem Anliegen beansprucht das Auswärtige Amt eine internationale Vorreiterrolle in bi- und multilateralen Dialogen. Neben seinem multilateralen Engagement will das AA zivilgesellschaftliche LSBTIQ-Zusammenschlüsse soweit wie möglich schützen. Die deutschen Botschaften sollen insgesamt bis zu eine Millionen Euro zusätzlich für queere Kulturarbeit, Projekte und lokale Initiativen erhalten.

Derzeit hat das Auswärtige Amt zusammen mit der mexikanischen Regierung den Vorsitz der internationalen Equal Rights Coalition, wobei der diplomatische Austausch besonders wichtig ist. Die mexikanische Regierung postuliert ebenfalls eine feministische Außenpolitik, ist aber wegen des Verschwindenlassens von Frauen, der Morde an LSBTIQ-Menschen (allein zwischen 2015 und 2019 wurden 441 umgebracht) und der zahlreichen Femizide (vgl. MaF 2023), die nicht strafrechtlich verfolgt werden, in der Kritik – ein Widerspruch, der auf das Spannungsfeld staatlicher feministischer Ansprüche hinweist (vgl. Bedersdorfer/Domres/Lüer 2021).

Dem Auswärtigen Amt ist die Gefährdung von LSBTIQ-Menschen in etlichen Partnerländern bekannt. Wie es gegen queerfeindliche und antifeministische Bewegungen vorgehen will, bleibt allerdings unklar. Die Leitlinien enthalten nur den vagen Hinweis, es werde ein Projekt in Auftrag gegeben, um gemeinsam mit Partnern Gegenstrategien zu entwickeln. Hoffentlich wird das Auswärtige Amt seinem Anspruch zum Austausch mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft gerecht, zumal das Centre for Feminist Foreign Policy bereits eine detaillierte Analyse zu Anti-Gender-Organisationen veröffentlicht hat und konkrete Gegenstrategien vorschlägt (Centre for Feminist Foreign Policy 2022).

Zivilgesellschaftliche Einschätzungen

Die neuen Leitlinien für eine feministische Außenpolitik werden aus der deutschen Zivilgesellschaft überwiegend wohlwollend kommentiert, allerdings gibt es auch einige Kritik. So moniert die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF/WILPF), zwar sei Rüstungskontrolle ein Ziel, Abrüstung hätte jedoch keinen Stellenwert.

Das Auswärtige Amt zieht eine Trennlinie zwischen seinen Leitlinien und dem Pazifismus. Strategien gegen martialische Männlichkeit kommen nicht vor, obwohl diese zur Überwindung homo- und transphober Hassgewalt notwendig sind. Denn gerade die Militarisierung ist ein wesentlicher Faktor für gesteigerte sexualisierte Gewalt. Die IFFF/WILPF ist skeptisch gegenüber der angekündigten stärkeren Einbeziehung von Frauen in bestehende Strukturen, da diese ungleich seien. Konkret fordern die Friedensaktivist*innen grundlegende Änderungen patriarchal und kolonial geprägter Institutionen sowie antimilitaristische Maßnahmen im Rahmen eines intersektionalen Ansatzes und umfassenden Friedenskonzepts.

Mangelnde Kohärenz zwischen dem 3. Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN Resolution 1325 im Rahmen der Frauen, Friedens- und Sicherheitsagenda und den Leitlinien für eine feministische Außenpolitik ist mit Blick auf LSBTIQ generell ein Problem. Denn der Aktionsplan, dessen Entstehung und Umsetzung von feministischen Aktivist*innen kritisch begleitet wurde (Frauenrat 2021; Deutscher Frauenring 2020), verweist mehrfach auf die Interessen und Menschenrechte sexueller Minderheiten in Nachkriegsgesellschaften. Währenddessen nennen die Leitlinien sie nur kurz und empfehlen ansonsten die Nutzung von Gender, Alter und Behinderung als Planungskategorien. Diese finden im Management von Flüchtlingslagern bereits Anwendung, obwohl sie binäre Geschlechterzuweisungen festschreiben. Solche Dichotomien stehen dem Ziel entgegen, LSBTIQ-Menschen an Projekt-/Programmplanungen zu beteiligen.

Fluchtgründe und Asylpraxis

Ein großes Manko in den feministischen Leitlinien des Auswärtigen Amtes ist, dass Asylrecht und Asylpraxis ausgeblendet werden, obwohl vor allem Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität in ihren Herkunftsländern verfolgt wurden und in Deutschland Asyl beantragt haben, der Behördenwillkür ausgesetzt und von Abschiebungen bedroht sind. Ob eine neue Dienstanweisung des Innenministeriums vom Oktober 2022 zum Stop der Antragsablehnungen in Verkennung der Gefährdungslage vor Ort das ändern wird, muss sich erst noch in der Praxis zeigen.

Ein Fluchtgrund sind gewaltsame Konflikte, die durch das Zusammenwirken von Klimakrise, Umweltrassismus, extraktiver Ökonomie, Militarisierung des Ressourcenabbaus und spannungsgeladenen sozio-ökonomischen Spaltungen verursacht werden. Um so wichtiger sind umfassende Präventionsansätze, in deren Konzeption und Umsetzung LSBTIQ-Aktivist*innen systematisch eingebunden werden sollten.

Sonderbotschafter*in für LSBTIQ-Menschenrechte

In den neuen Leitlinien zur feministischen Außenpolitik kommen LSBTIQ-Aktivist*innen, die auch Umweltaktivist*innen sind, aber nicht vor. Dabei wehren sie sich zum Beispiel in Namibia – einer früheren deutschen Kolonie – aktiv gegen den Raubbau an der Natur durch Öl- bzw. Gasunternehmen und sind in der dortigen Umweltbewegung aktiv.

Vonseiten deutscher LSBTIQ-Organisationen, die international vernetzt sind, wird die Forderung erhoben, eine*n Sonderbotschafter*in für LSBTIQ*-Menschenrechte einzusetzen. Diese Position sei eine notwendige Ergänzung zum Queer-Beauftragten auf nationaler Ebene. Wie mühsam der Dialog zwischen Regierenden und Zivilgesellschaft ist, zeigen deren Forderungen zur Umsetzung des LSBTI-Inklusionskonzepts von 2021 (Schäfer 2022). Vorschläge und Nachfragen sind seit Anfang 2022 von ministerieller Seite noch unbeantwortet.

Feministische und queere Aktivistinnen hatten gefordert, den Menschenrechtsschutz für LSBTIQ umfassender zu verankern und unter Bezug auf die Yogyakarta Prinzipien sowie Yogyakarta +10 auch in Krisen- und Konfliktländern Geltung zu verschaffen.

Menschenrechtliche Empfehlungen werden ignoriert

Diese Prinzipien, die internationale Menschenrechte auf sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität, -ausdruck sowie -merkmale anwenden, bilden aber im neuen Leitbild des Auswärtigen Amtes keinen Referenzrahmen. Das ist bemerkenswert, zumal der Koalitionsvertrag der derzeitigen Regierungsparteien vom November 2021 sich auf diese Prinzipien für die internationale Politik beruft.

Zudem hatte die LSBTIQ-Organisation Outright International in einem Leitfaden zur feministischen Außen- und Entwicklungspolitik – eine Auftragsstudie für das BMZ – explizit auf die Yogyakarta Prinzipien und Yogyakarta+10 hingewiesen (Outright International 2021). Diese menschenrechtliche Empfehlung wurde in den neuen feministischen Papieren von AA und BMZ ignoriert.

Unklar bleibt, welchen Stellenwert Vorschläge von LSBTIQ-/Gender-Expert*innen aus Ländern des Globalen Südens für das Auswärtige Amt bei der Konzeption seiner Leitlinien hatten. In einer Liste konsultierter Wissenschaftler*innen dominieren hiesige Forschende – und zwar entgegen dekolonialer Postulate vonseiten der Regierenden.

Literatur

Auswärtiges Amt (2023): Feministische Außenpolitik gestalten. Leitlinien des Auswärtigen Amts. Berlin. https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2585008/d444590d5a7741acc6e37a142959170e/ll-ffp-data.pdf [Zugriff am 17.3.2023].

Auswärtiges Amt (2022): Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung von Resolution 1325 zu Frauen, Frieden, Sicherheit des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen für den Zeitraum 2021 bis 2024. Berlin. https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/publikationen/aktionsplan-der-bundesregierung-zur-umsetzung-von-resolution-1325-zu-frauen-frieden-sicherheit-des-sicherheitsrats-der-vereinten-nationen-fuer-den-zeitraum-2021-bis-2024-735184 [Zugriff am 17.3.2023].

Bedersdorfer, Joanna/Domres, Sophie/Lüer, Helena (2021): Mexico’s 2021 midterm elections: Between Feminist Foreign Policy and domestic gender inequalities. Polisblog, 04.06.2021. https://polis180.org/polisblog/2021/06/04/mexicos-2021-midterm-elections-between-feminist-foreign-policy-and-domestic-gender-inequalities/ [Zugriff am 17.3.2023].

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2023): Feministische Entwicklungspolitik. Für gerechte und stark Gesellschaften weltweit. Berlin. https://www.bmz.de/resource/blob/146200/strategie-feministische-entwicklungspolitik.pdf [Zugriff am 17.3.2023].

CARE Deutschland/IFFF/Gunda-Werner-Institut (2022): Annäherungen an eine feministische Außenpolitik. Berlin. https://www.boell.de/sites/default/files/2022-07/41_0.pdf [Zugriff am 17.3.2023].

Centre for Feminist Foreign Policy (2022): How anti-feminist and anti-gender ideologies contribute to violent extremism – and what we can do about it. Berlin. https://centreforffp.net/wordpress/wp-content/uploads/2023/01/CFFP2-1.pdf [Zugriff am 17.3.2023].

Deutscher Frauenring (2020): DIE AGENDA FRAUEN, FRIEDEN UND SICHERHEIT – WAS ZÄHLT, IST DIE IMPLEMENTIERUNG. Policy Briefing zum Dritten Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung, 08.06.2020. https://deutscher-frauenring.de/wp-content/uploads/2020/06/1325-Policy-Briefing_DE.pdf [Zugriff am 17.3.2023].

Die Bundesregierung (2021): LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung für die Auswärtige Politik und die Entwicklungszusammenarbeit. Berlin. https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2444682/1f19e1ba21d80879c81f77baa6824062/210226-inklusionskonzept-pdf-data.pdf [Zugriff am 17.3.2023].

Die Bundesregierung (2022): 15. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik. Berichtszeitraum 1. Oktober 2020 bis 30. September 2022. Berlin. https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2568076/7ee09af6e852751aa4fdaa613595e42b/221207-mrb-15-pdf-data.pdf [Zugriff am 17.3.2023].

Die Bundesregierung (2022): Queer leben. Aktionsplan der Bundesregierung für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Berlin. https://www.bmfsfj.de/resource/blob/205126/857cb513dde6ed0dca6759ab1283f95b/aktionsplan-queer-leben-data.pdf [Zugriff am 17.3.2023].

Frauenrat (2021): Frauen, Frieden und Sicherheit. Zivilgesellschaftliche Stellungnahme zum 3. Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung. https://www.frauenrat.de/wp-content/uploads/2021/04/Stellungnahme-NAP-04.21-als-PDF.pdf [Zugriff am 17.3.2023].

Koordinationsgruppe Menschenrechtsverletzungen an Frauen (MaF) (2023): #HastaSerEscuchadas/#UntilWeAreHeard. Geschlechtsspezifische Gewalt in Mexiko. Factsheet. https://amnesty-frauen.de/wp-content/uploads/39/2023.03_Mexiko_Factsheet.pdf [Zugriff am 17.3.2023].

Outright International (2021): Guide to inclusion of LGBTI people in development and foreign policy. New York. https://outrightinternational.org/sites/default/files/2022-09/GuideToInclusion2022.pdf [Zugriff am 17.3.2023].

Schäfer, Rita (2022): Das LSBTI-Inklusionskonzept unter der Lupe — Einschätzungen unter Bezug auf den 13-Punkte Forderungskatalog der Yogyakarta-Allianz. Blog der Hirschfeld-Eddy-Stiftung, 27.01.2022. https://blog.lsvd.de/das-lsbti-inklusionskonzept-unter-der-lupe-einschaetzungen-unter-bezug-auf-den-13-punkte-forderungskatalog-der-yogyakarta-allianz/ [Zugriff am 17.3.2023].

U.S. Department of State (2021): 2021 Country Reports on Human Rights Practices: Mexico. Bureau of Democracy, Human Rights, and Labor. https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/02/313615_MEXICO-2021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf [Zugriff am 17.3.2023].

Zitation: Rita Schäfer: Regenbogen-Lichtblicke in der feministischen Außenpolitik?, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 02.05.2023, www.gender-blog.de/beitrag/regenbogen-feministische-aussenpolitik/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20230502

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Dr. Rita Schäfer

Rita Schäfer ist freiberufliche Afrika-Wissenschaftlerin, Dozentin und Gutachterin für Entwicklungsorganisationen. Ihr regionaler Schwerpunkt ist das südliche Afrika. Sie forscht über Frauenrechtsorganisationen, geschlechtsspezifische Gewalt, Maskulinitäten in Post-Konfliktgesellschaften und LSBTIQ. Buchpublikation u. a.: Migration und Neuanfang in Südafrika (2019). Webprojekt: gender-africa.org

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