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Themenwochen , Macht

Rhetorisch-epistemische Unterdrückung am Beispiel von trans* Erfahrungen

25. Oktober 2022 Flora Löffelmann

Stellen Sie sich folgende Situation vor: ein trans* Mann würde gerne eine Hormontherapie beginnen und braucht hierzu die Erlaubnis einer*s Psycholog*in [1]. Im Gespräch mit dieser*m ist er dazu gezwungen, über sich selbst und seine verkörperte Situiertheit Auskunft zu geben, über sein Selbstbild auf eine gegenderte Art und Weise zu sprechen, und dabei verschiedene Stereotype zu bemühen. Es kann vorkommen, dass er dies tut, obwohl seine Aussagen nicht dem entsprechen, wie er sich wirklich fühlt. Eine bestimmte Art, sich zu präsentieren, wird ihm aufgezwungen, und das alles nur, weil er ein bestimmtes Ziel erreichen will: die Gabe von Hormonen. Es handelt sich um Stoffe, die jenen sehr ähnlich sind, die schon Teenagern ohne weitere Hintergedanken verschrieben werden, etwa in der Form der Antibabypille, wenn es darum geht, Schwangerschaften zu verhüten.

In meiner Forschung interessieren mich derartige Fälle. Eine Person wird unter Druck gesetzt, gezwungen oder manipuliert, über sich selbst und ihre verkörperte Situiertheit auf eine Art und Weise Auskunft zu geben, die mit vorherrschenden Normen und Erwartungen übereinstimmt. In diesem Falle: die Normen der eindeutigen Binärgeschlechtlichkeit. Normen, die auch darüber verhandelt werden, welche körperlichen Merkmale eine Person aufweist.

Wissensbezogene Ungerechtigkeit

Als Philosoph*in würde ich die obige Situation zunächst als einen Moment der epistemischen Ungerechtigkeit beschreiben. Eine Situation also, in der einem Menschen als Wissendem Unrecht widerfährt. Wissensbezogene Ungerechtigkeit umfasst jedoch viele verschiedene Phänomene. Ich werde argumentieren, dass es beim oben beschriebenen Fall um eine spezielle Form der epistemischen Ungerechtigkeit geht, die begrifflich als solche noch nicht genau erfasst wurde.

Es handelt sich etwa einerseits nicht um ,zeug*innenschaftliche Ungerechtigkeit’, so wie sie Miranda Fricker (Fricker 2007) beschreibt: also Fälle, in denen Personen aufgrund eines Vorurteils gegenüber ihrer Identität nicht geglaubt wird – etwa, weil die Person als Frau oder als nicht weiße Person gelesen wird. Zweitens ist es auch nicht so, dass der Person ein Konzept fehlt, wie das bei der ebenfalls von Fricker beschriebenen ‚hermeneutischen Ungerechtigkeit‘ der Fall wäre, wo Personen aufgrund gesellschaftlicher Ungleichverhältnisse nicht die konzeptuellen, hermeneutischen Tools zur Verfügung haben, etwas zu benennen, das sie erleben. Im oben beschriebenen Fall ist es vielmehr so, dass der Person eine Art, über sich zu sprechen, aufgezwungen wird. Drittens ist es nicht nur ‚epistemische Ausbeutung‘, wie sie etwa Nora Berenstain (2016) beschreibt: Marginalisierte Personen werden in diesem Fall dazu gezwungen, über sich selbst Auskunft zu geben, das so generierte Wissen wird jedoch von ihren hierarchisch übergeordneten Befrager*innen dazu genutzt, ihre eigene Machtposition zu sichern. Obwohl die oben beschriebene Situation sicherlich ausbeuterische Aspekte hat, erscheint es dennoch zu vage, denn es gibt viele Formen von wissensbezogener Ausbeutung.

Rhetorisch-epistemische Unterdrückung

Zur Abgrenzung nenne ich das Phänomen, an dem ich interessiert bin, ‚rhetorisch-epistemische Unterdrückung‘, im Folgenden kurz ‚REU‘. ‚Rhetorisch‘ signalisiert, dass diese Unterdrückung einer sprechenden Person widerfährt. Einer Person, die dazu gezwungen ist, über sich selbst in ihrer Rede Wissen auszudrücken, das ihre Unterdrückung vorantreibt. Im anfangs genannten Beispiel etwa führen Aussagen, die auf binärgeschlechtliches ,Passing’, also das ,Nicht-Auffallen’, ausgelegt sind, dazu, dass andere Dinge ungesagt bleiben müssen. Personen fühlen sich dann gezwungen, Empfindungen oder Bezüge zur eigenen Körperlichkeit, die diesen binären Normen nicht entsprechen, nicht zur Sprache zu bringen.

Wer hat hier wie viel Macht?

Interessant ist am oben genannten Beispiel das Verhältnis zwischen den handelnden Personen: Unschwer ist zu erkennen, dass hier ein Machtverhältnis vorliegt, in welchem die Person, die um die Bestätigung bittet, in einer hierarchisch niedrigeren Position ist als diejenige, die in der Lage ist, diese Bestätigung auszustellen. Der Schluss liegt nahe, dass dieses Machtverhältnis auf die Aussagen, die getroffen werden, Einfluss hat.

Michel Foucault ist in diesem Zusammenhang hilfreich, denn er legt ein spezifisches Augenmerk auf die Produktivität von Machtmechanismen. Stellen Sie sich zum Beispiel den berühmt-berüchtigten Machtmechanismus des Panopticons vor: er verändert die Art, wie Menschen sich verhalten allein dadurch, dass sie denken, dass sie beobachtet werden (vgl. Foucault 1978). Ähnliches ist im obigen Fall zu beobachten. Eine Person macht eine spezifische Aussage zu ihrer Geschlechtsidentität, weil sie weiß, dass diese Aussage in diesem Moment von ihr erwartet wird. In Anschluss an Foucault definiere ich Machtmechanismen deshalb als Mechanismen der Interaktion, in denen und durch die eine Person oder Gruppe Macht über andere generiert, aufrecht erhält oder vermehrt.

Zum Sprechen gezwungen

In meiner Forschung geht es darum, wie sich diese Familie der produktiven Machtmechanismen, die bestimmte Erzählungen erzwingen, am besten fassen lässt. Zudem geht es um die materiellen und phänomenalen Effekte, die diese Machtmechanismen auf Sprecher*innen haben. Um diese Aspekte herauszuarbeiten, verbinde ich in meinem Projekt politische Epistemologie, queere Phänomenologie und Foucault’sche Genealogie.

Ich bin interessiert daran, wie Sprecher*innen dazu gezwungen werden, über sich selbst auf eine Art und Weise zu sprechen, die sowohl epistemisch unterdrückend als auch epistemisch produktiv ist. Unterdrückend insofern, als Sprecher*innen gezwungen werden, bestimmte Dinge über sich aus ihrer Erzählung auszusparen, produktiv insofern, als dass sie gezwungen werden, Wissen über sich zu produzieren, das ihre Unterdrückung vorantreibt. Ich argumentiere, dass Aufmerksamkeit auf produktive Machtmechanismen dabei helfen kann, Ungerechtigkeiten zu verstehen, die passieren, weil einer Person nur geglaubt wird, wenn sie sich auf eine bestimmte Art und Weise präsentiert.

(Mindestens) Zwei Arten von Schaden

Dabei schadet rhetorisch-epistemische Unterdrückung Subjekten auf mindestens zwei Weisen. Einerseits hält sie Subjekte auf einer diskursiven Ebene davon ab, bestimmte Wahrheiten über sich selbst auszusagen. Sie beschneidet so die epistemische Handlungsfähigkeit einer Person. Andererseits beeinflussen die erzwungenen Erzählungen auf der Erfahrungsebene die verkörperte Situiertheit von Personen und hemmen sie so darin, verschiedene Arten, als verkörperter Mensch die Welt zu navigieren, auszuprobieren.

Im obigen Beispiel etwa ist der diskursive Schaden, dass der Protagonist bestimmte Dinge über sich selbst nicht aussagen kann, die nicht mit stereotyper Männlichkeit übereinstimmen: Er könnte der*dem Therapeut*in wohl zum Beispiel nicht direkt sagen, dass er gerne eine Vulva und Vagina hat, obwohl er sich als Mann identifiziert und eine Hormonbehandlung anstrebt. Aus Angst, dass dies das therapeutische Urteil negativ beeinflusst – ihm das, wie Paul B. Preciado es nennt, ,good transsexual certificate’ (Preciado 2021) nicht gewährt wird –, würde er sich dazu gezwungen sehen, dieses Detail auszusparen.

Der verkörperte Schaden in diesem Fall könnte der Affekt Scham sein: Im Gespräch, oder vielleicht auch schon im Vorfeld, realisiert der trans* Mann, dass die Art und Weise, wie er intendiert, sein Leben als Mann zu führen, – also als ein Mann mit Vulva und Vagina – gesellschaftlich nicht akzeptiert ist, da sie nicht mit den Stereotypen der Binärgeschlechtlichkeit übereinstimmt. Es könnte zudem sein, dass er als Resultat des Gesprächs eine negative Beziehung zu seiner Vagina aufbaut, und das Unwohlsein im eigenen Körper gesteigert wird.

Neue Perspektiven

Indem ich in meiner Forschung Aspekte aus der politischen Epistemologie mit Foucaults Überlegungen zur Produktivität von Macht und queerer Phänomenologie verbinde, kann ich dieser zweiten Art von Schaden – der verkörperten, auf der Erfahrungsebene angesiedelten – nachgehen. In der epistemologischen Literatur wird diese Ebene bisher zumeist ausgespart. So werden die körperlichen Effekte, die REU auf Personen hat, sichtbar.

Queere Phänomenologie leistet aber auch noch etwas anderes: Sara Ahmed (2006), die die Forschung in diesem Bereich der Phänomenologie stark geprägt hat, verweist etwa auf verkörpertes Wissen, das aus einer marginalisierten Positionierung erwächst. Ihre Perspektive hilft mir dabei, Momente von REU nicht nur als Situationen zu verstehen, in denen einer Person durch die andere Leid zugefügt wird, sondern auch das Ermächtigungspotenzial im Auge zu behalten, das daraus erwachsen kann. Etwa, wenn Personen sich über die Machtverhältnisse bewusst sind, in die sie treten, und das subversive Potenzial dieses Verhandlungsraumes auf überraschende Weise zum Vorschein bringen. Um diesen Momenten nachzugehen, werde ich, zusätzlich zu meinen theoretischen Überlegungen, Interviews mit Expert*innen, also mit trans* Personen, führen.

 

[1] Ich beziehe mich hierbei auf die im österreichischen Kontext geltende Regelung, die vor Beginn einer Hormonbehandlung Atteste von drei Personen mit verschiedenen Schwerpunkten – Psychiatrische Diagnostik, Klinisch-psychologische Diagnostik und Psychotherapeutische Diagnostik – fordert.

Literatur

Ahmed, Sara (2006): Queer Phenomenology. Orientations, Objects, Others. Durham & London: Duke University Press.

Berenstain, Nora (2016): Epistemic Exploitation. Ergo 3(22), 569–590.

Foucault, Michel (1978): The History of Sexuality. V.1. An Introduction. New York: Pantheon Books.

Fricker, Miranda (2007): Epistemic Injustice. Power and the Ethics of Knowing. New York: Oxford University Press.

Preciado, Paul B. (2021): Can the Monster Speak? Report to an Academy of Psychoanalysts. London: Fitzcarraldo Editions.

Zitation: Flora Löffelmann: Rhetorisch-epistemische Unterdrückung am Beispiel von trans* Erfahrungen, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 25.10.2022, www.gender-blog.de/beitrag/rhetorische_epistemische_unterdrueckung/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20221025

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Flora Löffelmann

Flora Löffelmann ist Universitätsassistent*in und promoviert am Institut für Philosophie der Universität Wien. Flora forscht an der Schnittstelle zwischen Philosophie und Gender Studies und verbindet Ansätze aus der Queer Phänomenologie, Standpoint Theory und Sozialepistemologie. Dabei stehen Fragen nach der Persistenz und Rekonstruktion binärer Geschlechtervorstellungen im Zentrum.

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