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Forschung

Schönheitsarbeiten als Kristallisationspunkte von Intimität und Prekarisierung

17. Januar 2023 Isabel Klein

Arbeit an unseren eigenen Körpern verrichten wir alle täglich – diese wird aber erst dann sichtbar, wenn sie nicht mehr stattfindet. Die Sichtbarkeit von Arbeit an Körpern ist ex negativo – wie unten angeführtes Meme aus dem ersten Corona-Lockdown im Frühjahr 2020 zeigt. Diese Unsichtbarkeit ist ein wesentliches Merkmal der Arbeit am eigenen Körper, auch und gerade dann, wenn sie kommodifiziert und externalisiert wird. Die Unsichtbarkeit der Arbeit liegt auf verschiedenen Ebenen – in ihrem Gegenstand, ihrer Organisation, ihrer Affektivität sowie ihrer Historie und hat weitreichende Folgen für die Prekarität der Arbeit. In Kosmetik- und Nagelstudios wird die Bearbeitung von Haut, Haaren und Nägeln als Dienstleistung verkauft. Diese Form der Arbeit ist Gegenstand meiner Dissertation, für die ich die Arbeit in Kosmetikstudios ethnografisch erforscht habe. Meine These ist, dass sich in der körperlichen und emotionalen Intimität von Dienstleistungen eine spezifische Form der Prekarität realisiert, die sich anhand der Praxis der Arbeit nachvollziehen lässt.

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Forschungsdesiderat Körperarbeit

Die Häufigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der Dienstleistungen an Haut, Haaren und Nägeln in Anspruch genommen werden, aber auch Thema von Film („Beauty Shop“ (2005), TNT-Serie „Claws“) und Feuilleton sind – was ihre gesellschaftliche Relevanz beweist –, steht in starkem Kontrast zur soziologischen Erforschung dieses Feldes. Denn auch wenn in der deutschsprachigen Soziologie zu sog. „einfachen“ Dienstleistungen geforscht wird, z. B. zum „Dienstleistungsproletariat” (Staab 2014, 34), zu digitalisierten Dienstleistungen (z. B. Pongratz/Bormann 2017) und zur Interaktionsarbeit (u. a. Dunkel/Weihrich 2014), gibt es kaum theoretische und/oder empirische Arbeiten zu Formen der intimen, körpernahen und affektiven Arbeit, wie sie in ästhetischen Dienstleistungen am Körper ausgeführt wird (vereinzelte Studien finden sich in der empirischen Kulturwissenschaft, z. B. Götz 2010). In der angloamerikanischen Dienstleistungsforschung findet sich der Begriff bodywork, der all jene hair and care betreffende Arbeit umfasst und versucht, die Polarität von gesunden und kranken Körpern sowie der Arbeit daran als notwendig oder aber als Luxus zu überwinden (Gimlin 2007; Wolkowitz 2002). Die Körperlichkeit, Affektivität und Intimität dieser Arbeit sind deren wesentliche Bestimmungsmerkmale und prekarisieren sie auf spezifische Weise.

Unbestimmtheit von Dienstleistungen

Die im Zuge des Neoliberalismus stattfindende Kommodifizierung ehemals privat ausgeführter Tätigkeiten (cooking, cleaning, caring) geht meist damit einher, dass diese zwar vermarktlicht, nicht aber professionalisiert werden. Damit sind sie nicht nur sozialtheoretisch unterbestimmt – das gilt als Merkmal aller Dienstleistungen – sondern auch hinsichtlich ihrer historischen Verfasstheit und Vergeschlechtlichung. Cornelia Klinger, die die Entstehung des Dienstleistungssektors in Kontinuität zur Hauswirtschaft nachzeichnet, schreibt, dass jene ‚(Liebes-)Dienste‘ durch ihre Vermarktlichung vom „Regen in die Traufe" (Klinger 2012, 263) wechseln. Es handele sich um einen Sektor, dem „die Arbeits- und Sozialwissenschaften lange Zeit so wenig Aufmerksamkeit widmen, dass sie an ihm keine eigenständige Bestimmung und Begrenzung erkennen können, sondern ihn nur negativ definieren in Kontrast zu dem, was er nicht ist […]. Dienstleistung bleibt eine Residualkategorie“ (ebd.). Diese sozialtheoretische Unterbestimmung spiegelt sich im Feld der Kosmetikarbeit auch in einer institutionellen De-Professionalisierung. Kosmetik ist eine sog. nicht geschützte Berufsbezeichnung, denn zur Aufnahme einer Selbstständigkeit ist lediglich ein Gewerbeschein notwendig.

Professionelle Intimität

Umso mehr müssen die Arbeitenden in ihrer Praxis Professionalität herstellen, die gleichzeitig durch den intimen Charakter immer gefährdet ist und die Arbeit potenziell zurück in den Bereich des Privaten führt. Intimität zeichnet sich durch Verborgenheit, Vertrauen und exklusives Wissen aus (Zelizer 2010; Buschmeyer/Tolasch 2014), durch „shared secrets, interpersonal rituals, bodily information, awareness of personal vulnerability, and shared memory of embarrassing situations” (Zelizer 2005, 14). Professionelle Intimität enthält diese Elemente ebenfalls, ist aber zusätzlich durch eine Asymmetrie gekennzeichnet – das zeigt sich deutlich daran, dass die Kosmetiker*innen „alles“ über ihre Kund*innen wissen, umgekehrt aber von sich nichts preisgeben können, dürfen oder sollten, und dass die Körper der Kund*innen entblößt und umsorgt, die der Arbeitenden dagegen diszipliniert und verschlissen werden (Bose/Klein 2020).

Permanenter Grenzgang

Die Intimität der Arbeit verweist immer auf das Private, genauso wie Elemente des Privaten Intimität herstellen – beispielsweise durch räumliche Lage in Hinterzimmern und Kellern und die Einrichtung der Studios, oder wenn Kund*innen Postkarten an das Kosmetikstudio schicken, die Kosmetiker*in auf ihrer privaten Nummer anrufen, am Wochenende und spät abends Termine bekommen. Die Beziehungen zwischen Kund*innen und Kosmetiker*innen ähneln Freundschaften und konterkarieren damit den Erwerbscharakter der Arbeit (Klein 2020). Die Herstellung und Einhegung der Intimität wird zum permanenten Grenzgang, die Intimität selbst ebenso wie die Unterbestimmtheit der Arbeit sind dabei ambivalent – denn gerade durch sie werden langfristige Kundenbeziehungen erst ermöglicht, wodurch prekäre Erwerbsverläufe stabilisiert werden. Die Intimität kann für die Arbeitenden sowie für die Kund*innen fürsorglich oder gewaltvoll sein, beschämend oder beglückend. In jedem Fall aber führt die Intimität der Arbeit genauso wie ihre Unterbestimmtheit zu einem erhöhten Arbeitsaufwand, der notwendigerweise unsichtbar bleiben muss und die Arbeit damit auf eigenlogische Weise prekarisiert (Carstensen/Klein 2020).

Dimensionen der Prekarisierung

Prekär ist die Arbeit einerseits aus strukturellen Gründen, durch die hohe Rate an Solo-Selbstständigkeit (vgl. Pongratz/Bührmann 2018), den hohen Frauenanteil (zum Gender Pay Gap bei Selbstständigen vgl. Gather/Schmidt/Ulbricht 2010), die kurzen Verbleiberaten in der Selbstständigkeit und durch geringe Löhne – also all das, was aus der industriesoziologischen Theorie als Prekarität bekannt ist, wenn Erwerbsarbeit nicht zwingend ein Mittel sozialer Sicherung darstellt und zu hybriden Erwerbskonstellationen führt. Prekär ist die Arbeit als feminisierte Dienstleistung andererseits insbesondere durch ihre Unterbestimmtheit, wodurch die Kosmetiker*innen radikal marktabhängig sind.

Die Arbeit ist zudem prekär, weil ihr eine bestimmte Form der Entgrenzung immanent ist. Zum einen betrifft dies Arbeitszeiten – spät abends und am Wochenende – , zum anderen aber auch eine Form der emotionalen Entgrenzung durch permanente Erreichbarkeit für die Belange von Stammkund*innen, zu denen die Beziehung auch außerhalb der eigentlichen Behandlung gepflegt werden muss. Die Arbeit ist aber auch prekär im Hinblick auf ihr Ergebnis: Eine entspannte, glückliche, umsorgte Kund*in, die sich schöner fühlt (so die Aussage der Arbeitenden), kann in diesem Zustand nicht dauerhaft bleiben. „Happiness is precarious; it does not reside in subjects or objects, but is an effect of what gets passed around” (Ahmed 2007, 125). Die Körper hingegen entziehen sich in der Bearbeitung immer auch der Kontrolle der Kosmetiker*innen, die Lebendigkeit des Arbeitsgegenstands begründet seine Unverfügbarkeit, weshalb das professionelle Selbstverständnis ästhetische Fragen dethematisiert und stattdessen die Affektivität der Dienstleistung betont: sich schöner und umsorgt zu fühlen.

Prekarität und radikale Subjektivität

Nicht zuletzt ist Kosmetikarbeit Butler folgend prekär, weil der Dienstleistungsbeziehung eine grundlegende asymmetrische Angewiesenheit eingeschrieben ist (Butler 2005). Diese Angewiesenheit ist asymmetrisch, weil sie manche Körper als bedürftig konstruiert und andere Körper als diejenigen, die die Bedürftigkeit der anderen körperlich und emotional durch fürsorgliche Hinwendung bearbeiten. In dieser fürsorglichen Hinwendung liegt deshalb auch, mit Butler gesprochen, ein Akt der Anerkennung mancher Körper. Umgekehrt ist der Körper der Arbeitenden dessen Figuration ex negativo – er ist immer der, der nicht geschützt ist, der nicht umsorgt wird. Die Arbeitenden sind verletzbar, weil sie sich ihre Arbeit buchstäblich nicht vom Leib halten können. In der Körperlichkeit und Affektivität der Arbeit liegt eine radikale Subjektivität vor, bei der so viel vom Eigenen in die Dienstleistungsarbeit eingebracht wird, dass Subjektivität zu ihrer Bedingung wird.

Arbeit, die sich mit dem Lebendigen befasst

Was also bedeuten diese Ergebnisse im Hinblick auf das zu Beginn postulierte Forschungsdesiderat sogenannter einfacher Dienstleistungen? Arbeit, die sich mit dem Lebendigen befasst, umfasst weit mehr als Pflegeberufe; die Nicht-Anerkennung dieses Umstands steckt auch in genutzten Begriffen wie „einfache Dienstleistungen”. Das Forschungsdesiderat legt offen, wie sehr die Komplexität der verrichteten Arbeit, die sowohl affekttheoretisch als auch organisational hoch voraussetzungsvoll ist, gesellschaftspolitisch und sozialwissenschaftlich verkannt wird. Sichtbar wird die gesellschaftliche Bedeutung der Körperpflege erst dann, wenn sie nicht mehr verrichtet wird. Damit gleicht sie anderen feminisierten, abgewerteten, intimen Dienstleistungen wie der Reinigung, deren gesellschaftliche Bedeutung sich umgekehrt zu ihrer Anerkennung verhält.

 

Das Buch von Isabel Klein Prekäre Intimität. Eine Ethnografie der Körperarbeit in Nagel- und Kosmetikstudios ist im Dezember 2022 in der Reihe Geschlecht & Gesellschaft bei Springer VS erschienen.

Literatur

Ahmed, Sara (2007): Multiculturalism and the Promise of Happiness, in: New Formations, 63, 121-137. Zugriff am 20.12.2022 unter https://www.mcgill.ca/igsf/files/igsf/Ahmed1_multiculturalism.pdf.

Bose, Käthe von/Klein, Isabel (2020): Intime Arbeit – prekäre Körper? Zur Bedeutung von Körperarbeit in vergeschlechtlichten Arbeitsfeldern, in: Open Gender Journal, 4. https://doi.org/10.17169/ogj.2020.89

Buschmeyer, Anna/Tolasch, Eva (2014): „Ein Löffelchen für dich und eins für mich“ – (Ver)Handlungen von professioneller Intimität durch Vermeidung von Privatheit, in: Feministische Studien, 23(1), 9-23. https://doi.org/10.1515/fs-2014-0103

Butler, Judith (2005): Gefährdetes Leben. Politische Essays, Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Carstensen, Tanja/Klein, Isabel (2020): Unsichtbare Arbeit. Geschlechtersoziologische Perspektiven auf Verfestigungen und Neuverhandlungen von Ungleichheiten am Beispiel von Digitalisierung, körpernahen Dienstleistungen und der Corona-Pandemie, in: Arbeits- und Industriesoziologische Studien, 13(2), 61-81. https://doi.org/10.21241/ssoar.70988

Cohan, Rachel L. (2011): Time, space and touch at work: Body work and labour process (re)organization, in: Sociology of Health and Illness, 33(2), 189-205. doi.org/10.1111/j.1467-9566.2010.01306.x

Dunkel, Wolfgang/Weihrich, Margit (2014): Interaktive Arbeit: Die soziale Dimension von Dienstleistungsarbeit, in: Sydow, Jörg/Sadowski, Dieter/Conrad, Peter (Hrsg.), Arbeit – eine Neubestimmung. Management Forschung, Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 245-289. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06274-3_8

Gather, Claudia, Schmidt, Tanja, & Ulbricht, Susan (2010): Der Gender Income Gap bei den Selbstständigen–Empirische Befunde, in: Bührmann, Andrea D./Pongratz, Hans J. (Hrsg.), Prekäres Unternehmertum, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 85-110. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92513-4_4

Gimlin, Debra L. (2007): What is “Body Work”? A Review of the Literature, in: Sociology Compass, 1(1), 353-370. https://doi.org/10.1111/j.1751-9020.2007.00015.x

Götz, Irene (2010): Ethnografien der Nähe-Anmerkungen zum methodologischen Potenzial neuerer arbeitsethnografischer Forschungen der Europäischen Ethnologie, in: Arbeits- und Industriesoziologische Studien, 3, (1), 101-117. https://doi.org/10.21241/ssoar.64752

Klein, Isabel (2020): Von der Arbeit wie eine Freundin zu sein, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 45(4), 465-484. https://doi.org/10.1007/s11614-020-00425-w

Klinger, Cornelia (2012): Leibdienst-Liebesdienst-Dienstleistung, in: Dörre, Klaus/Sauer, Dieter /Wittke, Peter (Hrsg.), Kapitalismustheorie und Arbeit. Neue Ansätze soziologischer Kritik, Frankfurt/Main: Campus, S. 258-272.

Pongratz, Hans J./Andrea D. Bührmann (2018): Diskontinuität und Diversität beruflicher Selbstständigkeit, in: Bührmann, Andrea D./Fachinger, Uwe/Welskop-Deffaa, Eva M. (Hrsg.), Hybride Erwerbsformen. Digitalisierung, Diversität und sozialpolitische Gestaltungsformen, Wiesbaden: Springer VS, S. 51-75. https://doi.org/10.1007/978-3-658-18982-2_3

Pongratz, Hans J./Bormann, Sarah (2017): Online-Arbeit auf Internet-Plattformen. Empirische Befunde zum ‚Crowdworking‘ in Deutschland, in: Arbeits- und Industriesoziologische Studien, 10(2), S. 158-181. https://doi.org/10.21241/ssoar.64850

Staab, Phillip (2014): Macht und Herrschaft in der Servicewelt, Hamburg: Hamburger Edition HIS.

Wolkowitz, Carol (2002): The Social Relations of Body Work, in: Work, employment and society, 16(3), 497-510. https://doi.org/10.1177/095001702762217452

Zelizer, Viviana A. (2010): Caring Everywhere, in: Boris, Eileen/Salazar Parreñas, Rhacel (Hrsg.), Intimate Labors. Cultures, Technologies and the Politics of Care, Stanford/CA: Stanford University Press, S. 267-279.

Zelizer, Viviana A. (2005): Encounters of Intimacy and Economy, in: Zelizer, Viviana (Hrsg.), The Purchase of Intimacy, Princeton: Princeton University Press, S. 7-46.

Zitation: Isabel Klein: Schönheitsarbeiten als Kristallisationspunkte von Intimität und Prekarisierung, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 17.01.2023, www.gender-blog.de/beitrag/schoenheit-intimitaet-prekarisierung/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20230117

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Dr. Isabel Klein

Isabel Klein hat in Berlin und New York studiert und ist seit 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der LMU München. Dort promovierte sie 2021 mit einer Ethnografie in Nagel- und Kosmetikstudios. Ihre Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Arbeits- und Geschlechtersoziologie, die Körperlichkeit und Affektivität von Arbeit, Prekarisierung und Ungleichheit sowie ethnografische Methoden in der Soziologie.

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