19. Juli 2022 Nadja Abt Uta C. Schmidt
Nadja Abt war von April bis Juni 2022 Artist-in-Residence der Urbanen Künste Ruhr. In ihren künstlerischen Arbeiten beschäftigt sie sich unter anderem mit Seefrauen. Da in Duisburg der größte Binnenhafen Europas liegt und die ‚Neue Seidenstraße‘ endet, ist das Ruhrgebiet auch ein guter Ort für Recherchen nach Seefrauen. Uta C. Schmidt sprach mit Nadja Abt über ihre künstlerischen Projekte.
Was treibt Dein Interesse an Seefrauen an?
Erstens liebe ich selbst die See und ihre Kulturgeschichte und war schon immer neugierig auf Frauen*, die sich historisch männlich konnotierte Räume erschließen. Mein Interesse wurde dann zu einer längeren Beschäftigung mit Seefrauen, als ich selbst eine Containerschiffreise von Hamburg nach Santos, Brasilien unternahm. Auf dem Schiff waren eine Offizierin und eine Schiffsmechanikerin. Auf der fast dreiwöchigen Überfahrt haben wir uns lange unterhalten, auch über ihre Arbeitsbedingungen auf See. Ich fand es unglaublich beindruckend, wie die beiden diesen sehr einsamen Beruf managen. Inspiriert von dieser Erfahrung und den Gesprächen entstand 2017 mein Fotofilm „Der Tag einer Seefrau an Bord“. Formal orientierte ich mich am Kurzfilm „Der Tag eines unständigen Hafenarbeiters“ (1968) vom Hamburger Autor Hubert Fichte und der Fotografin Leonore Mau. In meiner Version sehen wir meine Fotografien von Bord des Containerschiffes und hören im Voice-over einen von mir geschriebenen Text über den Alltag einer Seefrau. Der Text verwebt dabei Erfahrungen von uns drei Frauen auf der Reise nach Santos und recherchierte Fakten zu einer fiktionalen Stimme.
Seitdem habe ich auf verschiedene Weisen mit dem Thema gearbeitet, Ausstellungen und Performances erarbeitet und Vorträge in Kunstakademien und -räumen gehalten.
Aber gibt es denn überhaupt Seefrauen? Ich dachte, Frauen an Bord eines Schiffes und untertage im Bergwerk bringen Unglück?
Ich würde behaupten, Seefrauen gab es schon immer, zumindest sind eine Vielzahl von Geschichten überliefert, in der Frauen sich in Matrosenkleidung an Bord geschlichen haben oder auch ganz offiziell als Ehefrauen ihre Seefahrergatten begleiteten. Dann gibt es Erzählungen über die chinesische Piratin Zheng Yisao, die im 19. Jahrhundert eine riesige Flotte im südchinesischen Meer anführte.
In der Frachtschifffahrt lag der Frauenanteil lange bei etwa ein Prozent und ist auch heute nicht wesentlich höher. Der Aberglaube mit dem Unglück ist natürlich eine zutiefst misogyne Erfindung. Zu meinem Entsetzen wird die Geschichte von Frauen, die untertage Unglück bringen, hier im Ruhrgebiet bei historischen Führungen zum Thema Bergbau noch immer weitergetragen – so, als ich die Frage stellte, ob es untertage auch Bergarbeiterinnen gegeben habe.
Für Dein Werk ist die Unterscheidung zwischen „Frauen auf dem Meer“ und „Frauen und das Meer“ konstitutiv. Wo liegt der Unterschied?
Ich habe diesen Unterschied aufgegriffen, da es kulturhistorisch einige Texte zu Frauen gibt, die mit dem Meer auf mythische Weise verbunden sind, bzw. die auf ihren Seemann in der Ferne warten. „Die Frau vom Meer“ ist ein bekanntes Motiv in Dramenstücken, etwa von Jean Giraudoux und Henrik Ibsen, bis hin zu den Märchen um die Meerjungfrau. Feministische Autorinnen wie Ingeborg Bachmann und Susan Sontag kritisierten in ihren Versionen der Geschichte zurecht die konstruierte Passivität und Naivität der Frauenfiguren und die Abhängigkeit ihrer Schicksale vom Mann, bzw. der Liebe zum Mann. Die zurzeit groß wiederentdeckte Autorin Rachel Carson nähert sich dem Thema „Frauen und das Meer“ bereits aus spezifisch ökofeministischer Sicht. Zu „Frauen auf dem Meer“ finden sich in Literatur, bildender Kunst und Theater – bis auf Piratinnenerzählungen – leider immer noch sehr wenig Beispiele.
Eine Werkgruppe ist „Undine“ betitelt, ein literatur- und kulturwissenschaftlich klassisches Motiv. Wie näherst Du Dich dem Mythos?
Ich nähere mich zunächst über Literatur – von Friedrich de la Motte Fouqué, Jean Giraudoux, Henrik Ibsen, Susan Sontag und Ingeborg Bachmann. Für die feministische Auseinandersetzung zu Freiheit und Unabhängigkeit verbunden mit dem Ort des Meeres als Metapher begann ich, an internationalen Stränden zu fotografieren. Es entstand eine sehr große Sammlung an Fotografien und Collagen zu einfach gebauten Fischereigegenständen und Netzen – Arbeitsinstrumente, die interessanterweise überall auf der Welt ähnlich hergestellt werden. In Porto, Portugal, fuhr ich 2017 auch nochmal mit einer Mannschaft im Schiff für eine Nacht zum Fischen. Dabei wurde ich furchtbar seekrank, weshalb ich diese Recherche nicht so schnell wiederholen möchte. Eine Auswahl an Fotos habe ich auch auf meine Homepage gestellt.
Von 2015 bis 2018 lebte ich in Brasilien und war 2017 im Norden des Landes, in São Luís de Maranhão, für eine Residency eingeladen worden. Hier stellte ich Fischerbojen her, die wir in einer performativen Prozession bis zum Meer trugen. Auf verschiedenen Stationen durch die Stadt lasen die brasilianische Schauspielerin Danielle Fonsêca und ich dabei Dialoge aus Susan Sontags „Lady from the Sea“ vor.
Wie positionierst Du Dich als Feministin in der Auseinandersetzung mit Seefrauen, Schiffen und Meer?
Ich habe in meiner Arbeit versucht, immer wieder auf das Thema aufmerksam zu machen. So konzipierte ich etwa 2019 in meiner Zeit als Redakteurin für die Kunstzeitschrift Texte zur Kunst das Heft zum Thema „The Sea“ mit weiteren Künstler*innen und Autor*innen, die zu dem Thema arbeiten. Darin enthalten ist auch mein Text zu Seefrauen.
Außerdem benutze ich das Meer und Schiffe als ästhetische Inspirationsquelle für Malerei, Performance und Texte. So etwa in meinen jüngsten Einzelausstellungen in der Kunsthalle Freeport in Porto und der Galeria Diferença in Lissabon. In Porto zum Beispiel schickte ich die feministische Filmemacherin Agnès Varda mit der Schriftstellerin Virginie Despentes und der Künstlerin Judy Chicago auf einen fiktiven gemeinsamen Urlaub und schrieb dazu einen Performancedialog der drei Frauen am Strand.
Was hat es mit FAZ MAL! auf sich?
In Lissabon kritisierte ich die immer noch verwendete Bildsprache der glücklichen „Hausfrau“ in der Werbung: Der Bacalhau ist getrockneter Kabeljau und Portugals traditioneller Speisefisch, der als Symbol der langen Seefahrer- und damit Kolonialhistorie des Landes gesehen werden kann. Selbstverständlich gehört es zum Bild der glücklichen Hausfrau, dass sie den Bacalhau richtig und gut zubereiten kann. Bacalhau wird im Portugiesischen aber auch als sehr abwertende Bezeichnung der Vagina benutzt. Ich habe dann Siebdrucke angefertigt und mit ihnen eine androgyne Kämpfer*in geschaffen, die sich den Bacalhau als Waffe aneignet und ihn gegen das Patriarchat einsetzt.
Es ist nicht immer bierernst ...
Ja, bei aller feministischen Kritik ist mir in meinen künstlerischen Arbeiten auch ein humorvoller Zugang wichtig. Ich folge keiner strengen, mir selbst auferlegten Recherche- oder Aufklärungsarbeit. Dinge, die vielleicht auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben, werden durch Collage in neue Zusammenhänge gebracht oder neu konnotiert. Dies ist ein wichtiges Prinzip meiner Arbeit als Künstlerin.
Was waren bei der Containerschiffreise prägende Erfahrungen?
Ich habe auf der Reise Claude Lévi-Strauss Traurige Tropen gelesen. Es ist ja auch ein Reisebericht, denn auch er fährt mit dem Schiff nach Brasilien. Die Schiffspassage mit all ihren Naturspektakeln und -veränderungen habe ich auch so erlebt wie er sie beschreibt. Aber im Gegensatz zu den 1930er-Jahren: Du siehst oft tagelang keine anderen Schiffe, keine Tiere, weil du mit bloßem Auge nicht so weit sehen kannst, – aber was du siehst, ist Plastik, das auf dem offenen Meer an dir vorbeischwimmt. Das war eine krasse und traurige Erfahrung.
Gibt es eigentlich auch rein weibliche Besatzungen?
Leider ist mir bisher keine bekannt, weswegen ich meine eigene erfunden habe. Dazu habe ich zwei textbasierte Arbeiten geschaffen. 2021 drei autofiktionale Texte im Rahmen meiner Installation Ship of Relation im Bärenzwinger in Berlin zu einer weiblichen Frauschaft an Bord. Zum anderen ein Hörstück für das KW-Institute for Contemporary Art in Berlin, in dem eine Seefahrerin von der Interviewerin befragt wird, warum es auf dem fiktiven Schiff namens Bivalvia zu einer Meuterei der Frauschaft kam.
Hat Deine Recherche im Ruhrgebiet bereits Interessantes zu Frauen auf dem Wasser im Ruhrgebiet – vielleicht zu Kanalschifferinnen – zutage gefördert?
Ich muss gestehen, dass ich seit meiner Ankunft hier im Ruhrgebiet von ganz anderen Eindrücken gefangen bin. Zunächst einmal haben Seefahrt und Bergbau dort viel miteinander zu tun, wo es ein hierarchisch strukturierter Raum ist, es herrscht eine Rangordnung und alle müssen sich aufeinander verlassen können. Die Schiffsmechanikerin, die den ganzen Tag in einem heißen, lauten Schiffsbauch ohne Tageslicht mit schwerem Gerät hantiert, wird nach ihrer Arbeit ähnlich erschöpft sein, wie der Bergmann untertage. Was mir allerdings im Ruhrgebiet extrem aufgefallen ist, ist die extrem männliche Prägung des Stadtbildes – die vielen Männergruppen.
Wie? Woran machst Du das fest?
Ich kann das noch nicht eindeutig benennen. Es fängt damit an, wie platzgreifend Typen nach Fußballspielen den öffentlichen Raum bevölkern, wie sie sich in der Straßenbahn ausbreiten, es geht aber auch um die Gesamterzählung, die das Ruhrgebiet von sich gibt, wenn es sich Fremden wie mir erklärt – die Industriedenkmäler, die schwere Arbeit auf Zeche und am Hochofen. Warum erzählen die noch immer begeistert von der tollen Arbeit, die doch eigentlich total anstrengend, kräftezehrend, zerstörerisch für Mensch und Umwelt war? Ich fasse das für mich gerade noch als „retrotraditionell“, ich habe da noch keinen Begriff für, aber das sind die sinnlichen Eindrücke, die mich als Künstlerin gerade umtreiben. Ich beschäftige mich weniger mit der See als mit Gender Studies im Ruhrgebiet.
Literatur
Andersen, Hans Christian (2020), Die kleine Meerjungfrau, München: neobooks.
Bachmann, Ingeborg (1973), Undine geht. Das Gebell. Ein Wildermuth, Leipzig: Reclam.
Carson, Rachel (2003), The Sea Around Us, Oxford et al.: Oxford University Press.
Carson, Rachel (2019), Magie des Staunens: die Liebe zur Natur entdecken, Stuttgart: Klett-Cotta.
Fouqué, Friedrich de la Motte (1811), Undine, eine Erzählung, in: Die Jahreszeiten. Eine Vierteljahrsschrift für romantische Dichtungen, Band Frühlings-Heft, S. 1–189, Berlin: Hitzig, siehe auch www.deutschestextarchiv.de/book/show/fouque_undine_1811 [Zugriff 11. Juli 2022].
Giraudoux, Jean (1993), Undine: Stück in 3 Akten; nach der Erzählung von Friedrich de la Motte Fouqué, aus dem Franz. übertr. von Hans Rothe. Nachw. von Siegfried Melchinger, Stuttgart: Reclam.
Ibsen, Henrik (1998), Die Frau vom Meer: Schauspiel in fünf Akten, a. d. Norweg. übers. v. Christel Hildebrandt, Nachw. v. Anni Carlsson, Stuttgart: Reclam.
Lévi-Strauss, Claude (1978), Traurige Tropen, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Schoeller, Wilfried F. (2005), Hubert Fichte und Leonore Mau: der Schriftsteller und die Fotografin; eine Lebensreise; hg. von der S.-Fischer-Stiftung zur Ausstellung im Haus der Photographie in den Deichtorhallen Hamburg/Friedrich Pfäfflin. Frankfurt a. M.: S. Fischer.
Sontag, Susan (1999), Die Frau vom Meer, Frankfurt a. M.: Verl. der Autoren.
Zitation: Nadja Abt im Interview mit Uta C. Schmidt: Seefrauen, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 19.07.2022, www.gender-blog.de/beitrag/seefrauen-nadja-abt/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20220719
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